Revolution? Was ist das?

Ein revolutionärer Sturz des Kapitalismus ist nicht nur möglich, sondern auch nötig.
Oliver Giel und Sebastian Kugler

Sind Reformen, die die Auswirkungen des Kapitalismus abschwächen, möglich? Ganz klar: Ja, sind sie. Seit das Kapital die bestimmende Macht der modernen Gesellschaften geworden ist, haben die, die das Kapital schaffen, aber von ihm beherrscht werden, die Arbeiter*innenklasse, immer wieder gezeigt, dass sie fähig und willens sein können, ihre Interessen gegen das Kapital durchzusetzen. Abschaffung der Kinderarbeit, Begrenzung der Arbeitszeit, allgemeine Sozialversicherungen, und sogar das Frauenwahlrecht wurden durch Arbeiter*innen erkämpft, teilweise unter Einsatz ihres Lebens.

Nur laufen Reformen immer Gefahr, wieder rückgängig gemacht zu werden. Aber nicht, weil eine Mehrheit plötzlich mehr arbeiten will oder eine allgemeine Krankenversicherung unattraktiv geworden wäre - sondern weil sie der Profit- und Konkurrenzlogik des Kapitals widersprechen. Wenn Schwarz-Blau und die Bosse Österreich „konkurrenzfähig“ machen wollen, müssen die Möglichkeiten für die Reichen, Profite zu machen, vergrößert werden. Etwa durch den 12-Stunden-Tag. Da andere kapitalistische Staaten das gleiche Ziel haben, ist es kein Wunder, dass in Deutschland nun auch die Aufweichung der Arbeitszeitgesetze gefordert wird. Das heißt, dass im globalisierten Kapitalismus wortwörtlich jeder Angriff auf eine*n ein Angriff auf alle ist. Das heißt auch, dass auch die wohlwollendste Regierung, die dem Staatszweck verpflichtet ist, den Kapitalismus zu verwalten, den Sozialkahlschlag mittragen muss. Es heißt schließlich, dass Reformen nur erkämpft und verteidigt werden können, wenn man mit dieser Logik bereits im Kampf bricht. Wirkliche Reformen sind das, was übrig bleibt, wenn das System sich nur um den Preis dieser Zugeständnisse überhaupt halten kann. Dauerhaft werden sich aber die Verbesserungen, die mit diesen Reformen verbunden sind, nur halten können, wenn das System, dem sie aufgezwungen wurden, ganz gestürzt wird – also durch eine Revolution.

Eine Revolution ist kein Putsch, sondern bewusste Selbsttätigkeit der Massen. In einer Revolution wird die Mehrheit der Menschheit vom Objekt zum Subjekt der Geschichte. Ohne aktive Beteiligung der Arbeiter*innenklasse ist eine Revolution heute überhaupt nicht denkbar – in diesem Sinne ist eine Revolution viel demokratischer als die Stellvertretungspolitik im Parlament. Trotzdem ist „Revolution“ für viele Menschen immer noch verbunden mit Gewalt. Doch die Geschichte widerlegt diese Verbindung: Revolutionäre Erhebungen der Arbeiter*innenklasse waren und sind ihrem Wesen nach nicht blutrünstig, ihnen wurde die Gewalt von außen aufgezwungen. Sei es die Pariser Kommune 1871, die erste Arbeiter*innendemokratie der Welt, die Russischen Revolutionen 1917, die Räterepubliken in Deutschland 1918/19, der Versuch eines Sozialismus durch Reformen in Chile, genauso wie die antistalinistischen Revolutionen in Ungarn 1956 oder der Tschechoslowakei 1968: Was immer einen hohen Blutzoll gefordert hat, war das Gemetzel, das die Herrschenden angerichtet haben, um diese Bewegungen zu unterdrücken.

Die Geschichte birgt also viele Lehren. Nicht alle sind den immer neuen Massenbewegungen, die dieses System immer wieder gegen sich aufbringt, im Moment der Auseinandersetzung präsent. Deswegen braucht die Arbeiter*innenklasse eine eigene Partei. Eine Partei, für die sie nicht das Stimmvieh von Funktionär*innen ist, sondern eine Partei, die das Instrument ihres Kampfes um Befreiung ist. In einer revolutionären Partei kann die Arbeiter*innenklasse die Lehren der Geschichte speichern. Und in Form der revolutionären Partei können die am weitesten fortgeschrittenen Teile der Arbeiter*innenklasse in entscheidenden Auseinandersetzungen mit den Herrschenden den Weg zeigen, wie ihre Macht tatsächlich gebrochen werden kann: Durch die Enteignung der Kapitalist*innen und die Organisation von Wirtschaft und Gesellschaft durch demokratische Räte.

Nur so können nicht nur die Angriffe des Kapitals zurückgeschlagen werden, sondern auch die Basis geschaffen werden für eine neue Gesellschaft. Eine Gesellschaft, in der nicht der Profit einer Minderheit, sondern die Bedürfnisbefriedigung und die Entfaltung der Fähigkeiten der Mehrheit der Zweck gesellschaftlicher Praxis ist. Diese Gesellschaft nennen wir Sozialismus, und den Prozess, das Geschick in die eigenen Hände zu nehmen, nennen wir Revolution. So sehr sich der Kapitalismus seit der Zeit von Marx und Engels verändert hat, diese revolutionäre Idee ist brandaktuell – denn die einzige Alternative dazu ist die fortschreitende Zerstörung von Gesellschaft und Planet durch den Kapitalismus.

Erscheint in Zeitungsausgabe: