Pakistan: Ausnahmezustand verhängt

Verfassung ausgesetzt, grundlegende Rechte außer Kraft gesetzt (vom 5. November)
Khalid Bhatti, CWI-Pakistan

Am Samstag den 3. November hat General Musharraf den Ausnahmezustand in Pakistan verhängt. Unter dem Vorwand des Notstands hat er eine neue provisorische Verfassung eingesetzt und die bestehende Verfassung außer Kraft gesetzt. Alle grundlegenden Rechte – Versammlungsfreiheit, Redefreiheit, Pressefreiheit – bestehen nicht mehr. Alle politischen Aktivitäten wurden verboten und Führernnen und FunktionärInnen der wichtigsten Oppositionsparteien werden verfolgt – die PML-N von Nawaz Sharif, die Islamische Organisation Jamaat-e-Islami sowie verschiedene NGOs und Menschenrechtsorganisationen.

Eine Säuberung der Oberen Justiz hat begonnen und Demonstrationen werden brutal von der bewaffneten Polizei unterdrückt. Tausende wurden verhaftet. Die Summe der Verhaftungen könnte bald die 6000er Marke überspringen.

Verzweifelt

Dies ist das zweite Mal, dass Musharraf, das Oberhaupt der Armee, solche Maßnahmen umgesetzt hat. Das erste Mal war am 12. Oktober 1999, als er Nawaz Sharif aus der Regierung entfernte. Ein verzweifelter Musharraf hat nun diesen Angriff gestartet um sich an der Macht zu halten. Während der letzten Tage gab es Gerüchte, dass die Regierung die Geduld verloren hatte und Schritte außerhalb der Verfassung gegen die Obere Gerichtsbarkeit und die Medien setzen  wollte.
Am Samstag wurden diese Gerüchte Wirklichkeit und das Regime zeigte sein wahres Gesicht. Der vielbeschworene „Übergang zur Demokratie“ wurde zu einer Militärdiktatur. Das Parlament, die lokalen Versammlungen, Bundes- und Lokalregierungen werden weiterhin existieren um dem westlichen Imperialismus weiterhin die Illusion zu geben, dass dies keine Militärdiktatur und kein Ausnahmezustand sei. All dies dient nur der Verschleierung des  wahren Charakters und der Natur des Regimes das Musharraf zu implementieren versucht.

Regime gegen Gerichtsbarkeit

Spannungen zwischen der vom Militär dominierten Regierung und der oberen Gerichtsbarkeit gab es bereits seit März – eine Spaltung an der Spitze der Gesellschaft. Allerdings nahm das eine scharfe Wendung durch Musharrafs Attacke auf die Justiz. Höchstrichter und andere Richter des Obersten Gerichtshof, die als regierungsfeindlich galten, wurden entfernt. Unter den neuen Bedingungen, wurden die Richter in der höheren Justiz aufgefordert, sich neu angeloben zu lassen. Eine Mehrheit weigerte sich. Nur fünf von 17 Richtern des Obersten Gerichtshof ließen sich darauf ein und am Obersten Gericht in Sindh stimmten nur vier von 27 Richtern dem neuen Schwur zu.
In der Zwischenzeit hat eine siebenköpfige Kommission des Obersten Gerichtshof die neue Provisorische Verfassungsordnung als nicht verfassungskonform und illegal beurteilt. Das bedeutet, dass zwei unterschiedliche Teile der Staatsmaschinerie einander Auge in Auge gegenüberstehen. Der bewaffnete Arm des Staats hat den nicht bewaffneten Teil des Staats angegriffen. Der Teil des Militärs und der Geheimdienste um Musharraf war nicht glücklich mit der Art und Weise in der die Höchstrichter und Teile der höheren Gerichtsbarkeit ihr Verhalten als „illegal“ verurteilten und beschlossen mit einem finalen Schlag zu antworten.
General Musharraf beschuldigte den Obersten Gerichtshof, auf Seiten der „Extremisten und Terroristen“ zu stehen und sich in Regierungsangelegenheiten einzumischen. Als Hauptgrund wurden vom Militär drei Attacken auf die Verwaltung und die Sicherheitsstellen durch gerichtliche Interventionen  angegeben. Das, so Musharraf, hätte dem Krieg gegen den Terror und dem Wirtschaftswachstum geschadet. Durch die Intervention im Exekutivapparat habe die Gerichtsbarkeit die Autorität der Regierung untergraben sowie die Moral der Polizei und habe die Arbeit der Geheimdienste gestört. Die Richter hätten die Grenzen ihrer Macht überschritten, indem sie Regimegegner durch Gerichtsurteile entlassen und dadurch den Obersten Gerichthof overruled hätten. Regierungsvertreter seien in den Gerichtshöfen erniedrigt worden und es sei gegen die Gewaltenteilung verstoßen worden. Das hätte die Gewährung von Recht und Ordnung in Pakistan erschwert.
Die Aktionen Musharrafs und des Militärs zeigen klar den Unmut des Regimes aufgrund der Maßnahmen der Gerichtsbarkeit gegenüber den Exzessen von Polizei und Bürokratie. Für gewöhnlich übertünchen die Gerichte Verstöße der Staatsvertreter, in den letzten Monaten jedoch hat der Oberste Gerichtshof selbst begonnen, Aktionen gegen diese vorzunehmen.
Musharraf und sein Kreis hatten offensichtlich Angst vor einer Entscheidung, die vom Obersten Gerichtshof am Dienstag verkündet hätte werden sollen. Dieses Urteil hätte die Rechtmäßigkeit von Musharrafs Kandidatur zu den nächsten Wahlen aufgrund seiner gleichzeitigen Funktion als Oberhaupt des Militärs in Frage stellen können.
Die Musharraf Regierung war auch nicht glücklich mit den Bemerkungen einiger Richter während der Anhörungen im Fall der erzwungenen Deportation von Nawaz Sharif bzw. während jener Prozesse, die Fälle von vermissten Personen, hinter deren Verschwinden offensichtlich der Staat steht, untersuchten.
Es gab klare Hinweise, dass der Oberste Gerichtshof nicht bereit sein würde, Maßnahmen des Regimes außerhalb der Verfassung gutzuheißen, wie sie es in der Vergangenheit getan hatten. Dies ist nun ein Showdown zwischen nun relativ unabhängig agierender Gerichtsbarkeit und dem Musharraf Regime selbst. Es ist ein Kampf zwischen der Justiz, die versucht ihre Unabhängigkeit zu bewahren, und dem Regime, das versucht seine Herrschaft über die Justiz wieder zu festigen.
Dieser Kampf ist noch nicht vorbei. Es ist nur der Beginn eines neuen Kampfs zwischen unterschiedlichen Teilen der herrschenden Klasse. Wenn es dem Regime gelingt, ihm feindlich gesinnte Richter zu entfernen und regimenahe Richter in der Obersten Gerichtsbarkeit einzusetzen, wäre das ein großer Schlag für die Justiz. Wenn sich allerdings eine Protestbewegung um diese Frage entwickelt, dann könnten sich jedoch die Dinge gegen das Regime selbst wenden.
Es ist nicht klar, was das Ergebnis dieses Kampfs sein wird, aber eines ist klar: Pakistan gerät tiefer und tiefer in Krise und Aufruhr. Die Ereignisse der nächsten Woche werden das unmittelbare Ergebnis bestimmen. Der bewaffnete Arm des Staats hat seine Stärke demonstriert und seine Muskeln gegen über der Justiz und der ArbeiterInnenmassen spielen lassen. Nun ist es an den FührerInnen der ArbeiterInnen und Armen, in diesem Kampf zu bestehen und diese Diktatur zu bekämpfen.

Polizeistaat

Wenn Musharraf nicht gestürzt wird, wird Pakistan mit der neuen Verfassungsordnung, die er erlassen hat, zu einem Polizeistaat. Die Gerichtshöfe werden nicht in der Lage sein, Fälle gegen Staatsvertreter und Regierungsfunktionäre anzuhören. Die Polizei und die Geheimdienste werden in der Verletzung  von Rechten und Gesetzen weniger vorsichtig sein. Ihre Aktionen können dann nicht mehr in den Gerichtshöfen beanstandet werden und sie werden freie Hand gegen oppositionelle FunktionärInnen und FührerInnen haben. Diese Aktionen werden öffentlich abgesegnet werden, keine Fragen gestellt werden. Die Repression wird sich auch gegen die ArbeiterInnenbewegung richten da die Regierung Gewalt nutzt um gegen jegliche Opposition vorzugehen.
Die pakistanische Polizei und Behörden sind berüchtigt dafür, ihre Macht zu missbrauchen und oppositionelle AktivistInnen zu foltern und zu erniedrigen. Eine zahme Justiz würde der Polizei helfen, ihre Taten zu verschleiern. Grundlegende demokratische Rechte und Menschenrechte sind bereits jetzt außer Kraft.
Regimekritische Richter sind unter Hausarrest gestellt worden. Niemand ist berechtigt sie zu treffen und ihre Telefone wurden abgedreht. Das ist nur der Beginn und weitere Repression wird wahrscheinlich in den nächsten Tagen zu erwarten sein. Die Zahl der Verhaftungen wird steigen, wenn sich die Oppositionsbewegung weiter entwickelt.

Ursachen der Krise und Aussichten für Musharrafs Überleben

Wie wir in früheren Artikeln erklärt haben, hat das Musharraf Regime kläglich darin versagt, die Bedürfnisse der ArbeiterInnen und Armen zu  befriedigen. Es hat es auch nicht geschafft, mit dem stärker werdenden Terrorismus und Sektierern in den ländlicheren, von Clans dominierten Gebieten und im Swat-Bezirk in der nord-westlichen Grenzprovinz fertig zu werden. Nun will das Regime die Medien und die Justiz gleichschalten. Gemeinsam mit den nicht bewaffneten AktivistInnen der Opposition sind sie wesentlich einfachere Ziele als die voll bewaffneten Islamisten in den Stammes-Gebieten. Nun greift das Regime oppositionelle ArbeiterInnen im Namen des Kriegs gegen den Terrorismus heraus. Es wird versuchen neue drakonische Gesetze zu implementieren, die an Polizei und Geheimdienst mehr Macht geben sollen sowie weitere Einschränkungen für Gewerkschafts- und politische Rechte.
General Musharraf versucht verzweifelt seine eigene Haut zu retten und wird alles unternehmen, um sich an der Macht zu halten. Er hat das Land zurück in die Zeit um Oktober 1999 geworfen. Nach acht Jahren von scheinheiligen Behauptungen, Demokratie eingeführt zu haben, unabhängige Meiden, sowie Justiz und Menschenrechte zu respektieren, hat er nun auf das Instrument der militärischen Herrschaft zurückgegriffen. Die Implementierung der Provisorischen Verfassungsordnung wird nichts lösen. Im Gegenteil, sie wird die bereits instabile und angespannte Situation weiter verschärfen. Musharraf will verzweifelt die direkte Kontrolle und Macht, die er seit März letzten Jahres verloren hat, als die Richter sich gegen das Regime wandten, wieder an sich reißen.
Es kann mit Sicherheit behauptet werden, dass diese neue Deklaration des Ausnahmezustandes sich als eine seiner gröbsten Fehleinschätzungen herausstellen wird – ein tragisches Zeichen dafür, dass er in der Vergangenheit nichts aus seinen Fehlern gelernt hat. Die Verhängung des Ausnahmezustandes hat bereits den Unmut seines engsten imperialistischen Vertrauten hervorgerufen und wird das bereits brüchige Bündnis zwischen Pakistan und den USA weiter schwächen. Sie wird jene weiter entfremden, die bereits Unmut gegen die zentrale Regierung hegen, wie zum Beispiel in den Stammes-Gebieten und in Baluchistan. Und sie wird die wenige Glaubwürdigkeit die die Regierung bis jetzt hatte – intern und extern – unwiderruflich zerstören.
Es wird für Musharraf nach diesem drakonischen Akt der Verzweiflung schwierig werden, sich lang an der Macht zu halten. Seine Zukunft hängt zum Teil davon ab, welche Haltung die imperialistischen Mächte wie zum Beispiel die USA und Britannien gegenüber seinem Manöver einnehmen. Sie kann davon abhängen, ob eine weitere Schicht in der Armee einen Gegen-Coup gegen ihn startet oder, auch von Bedeutung, was die Reaktion der politischen Parteien und arbeitenden Massen in den nächsten Tagen sein wird. Wenn er mit seiner jüngsten Aktion scheitert, bleibt ihm kein Ausweg aus der Situation in die er sich gebracht hat. Sogar die Anfänge einer Massenbewegung könnten es für Musharraf schwierig machen, sich lange an der Macht zu halten.

Geschwächter Staat

In der Rede, in der er seine Aktionen rechtfertigte, war Musharrafs Körpersprache ein klares Zeichen dafür, dass er zur Zeit nicht sehr selbstsicher ist. Es war die Rede eines Mannes, der viel verloren hat. Er sah nicht aus wie ein selbstbewusster Militärherrscher. Seine Rede war leer und hat niemanden beeindruckt. Das ist tatsächlich so etwas wie das Anfang seines Endes. Musharraf versucht den Eindruck zu erwecken, dass die Generäle und die zivile Bürokratie ihn voll und ganz unterstützen, aber das wird sich drastisch ändern, sobald die Opposition gegen das Regime stärker wird.
Er hat den Fehler gemacht, sich einen Zweifrontenkrieg zu eröffnen – gegen die Medien und die Justiz. Beide haben großen Respekt und Unterstützung unter den Massen. Sein Regime ist das meistgehasste und unpopulärste in der gesamten Geschichte Pakistans.
Unterstützung von Benazir Bhutto, Führerin der Pakistani Peoples Party (PPP), ist der Schlüssel zu Musharrafs Überleben. Sie scheint ihn davon überzeugen zu wollen, die Provisorische Verfassungsordnung fallen zu lassen und zu Wahlen überzugehen. Wenn sie dazu gezwungen sein sollte, sich ebenfalls gegen ihn zu stellen, wird er noch tiefer in die Krise rutschen.
Gegen alle Erwartungen ist Benazir, die nach Dubai geflohen war, unmittelbar nach Verhängen des Ausnahmezustands ins Land zurückgekehrt. Sie hat ihn verurteilt, die Begründung des Regimes zurückgewiesen, hat dafür aber sehr vorsichtige und kalkulierte Worte gewählt. Bhutto ruft zu einem Kampf für die Wiedereinführung der Demokratie auf.
Alle Oppositionsparteien haben die Provisorische Verfassungsordnung verurteilt und angekündigt, dass sie einen Kampf dagegen organisieren werden. Allerdings wird sich erst in den nächsten Tagen herausstellen, wie viel diese Versprechungen wert sind. In der gegenwärtigen Situation wird es für jede Partei schwierig werden, das Regime offen anzugreifen.
Das Regime hat Medien und Justiz angegriffen, weil es zuversichtlich war, dass die Menschen nicht auf die Straße gehen würden um gegen diese Maßnahmen zu protestieren. Aber das Regime unterschätzt die Wut, die unter den arbeitenden Massen herrscht. Die jüngste Aktion des Musharraf Regimes wird die Massen provozieren, sobald ihre Wut sich in Widerstand ummünzt, wird das Regime wie ein Kartenhaus zusammenbrechen.
Der Kapitalismus ist ein System von Krise, Aufruhr und Repression – und zwar solange bis dieses System besiegt und überwunden ist. Der einzige Weg diesen anhaltenden politischen Aufruhr und die konstante Krise zu beenden, ist ein Massenkampf für den Sturz des Kapitalismus. Das müsste die Errichtung einer demokratischen ArbeiterInnenregierung im Bündnis mit den armen Bauern zum Ziel haben, und darauf abzielen, den Kampf auf den gesamten Kontinent ausdehnen.

Die SMP – Sozialistische Bewegung Pakistan, Pakistanische Sektion des Komitees für eine ArbeiterInnen-Internationale – fordert:

  • Weg mit dem Ausnahmezustand und der Militärregierung, für Neuwahlen mit einer verfassungsgebenden Versammlung.
  • Schluss mit Repression und Verhaftungen; Freilassung aller verhafteten AnwältInnen, politischen FührerInnen und AktivistInnen
  • Keine Verhandlungen mit dem Regime; kein Vertrauen in jegliche vom Imperialismus verordnete Deals
  • Weg mit dem Verbot politischer Aktivitäten und für Gewerkschaftsrechten
  • Gewerkschaften und ArbeiterInnen-Organisationen sollen politische Massenaktionen vorbereiten um gegen das Regime vorzugehen, inklusive Streiks und Generalstreiks
  • Für die unmittelbare Senkung der Lebensmittelpreise und der Preise von zum Leben notwendiger Waren um mindestens 50%
  • Schluss mit der vom US-Imperialismus unterstützten Tötung unschuldiger Menschen im Namen des Kriegs gegen den Terror
  • Nein zum rechten politischen Islam, Terrorismus und sektiererischer Gewalt
  • Für einen Massenkampf für eine demokratische Regierung von ArbeiterInnen und BäuerInnen. Für eine demokratisch geplante, sozialistische Wirtschaft um die Krise und den Aufruhr zu beenden.
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