Oktoberstreik 1950

Der ÖGB-Historiker - und „Erfinder“ der These vom angeblichen Kommunistenputsch 1950 Fritz Klenner schrieb 30 Jahre nach dem Oktoberstreik: „Diese These läßt sich heute aufgrund gewissenhafter Untersuchungen nicht aufrechterhalten.“ Doch ein Gelingen des Generalstreikversuches hätte ganz andere Folgen gehabt: „eine radikal ausgerichtete Gewerkschaftspolitik.“ Selten sind Inhalt und Tragweite des letzten Generalstreiks in Österreich, sowie der Verbreitung der „Putschlegende“ so prägnant zusammengefaßt worden: Nicht der „Putsch“, sondern eine alternative - kämpferische - Gewerkschaftspolitik war das Schreckgespenst, vor dem sich die ÖGB-Führung wirklich fürchtete.
Die Einschätzung Klenners befindet sich heute in Übereinstimmung mit fast allen ernsthaften Historikern: Die „Frage Putsch oder nicht“ ist keine mehr; außer für Leute vom Schlage eines Hugo Portisch. Selbst Franz Olah, der damals angeblich die „Demokratie“ mit seinen Schlägerbanden „rettete“, gestand 1980 ein, dass „Die Errichtung einer Volksdemokratie“ sicher kein „Nahziel“ war.

Historischer Rahmen

1950 wollte eine Koalition aus Regierung (SPÖ und ÖVP) unterstützt von den Unternehmern, Medien und der Gewerkschaftsführung durch das 4. Lohn-Preis-Abkommen (LPA), Maßnahmen durchsetzen, die eine unmittelbare Schlechterstellung für ArbeitnehmerInnen bewirkten. Sowohl die undemokratische Form, wie der ökonomische Inhalt dieser Maßnahmen führten zu Widerstand und der größten Streikwelle in der Geschichte der 2. Republik. Um diese Streikwelle zu unterdrücken wurde das rote Schreckgespenst – der Mythos vom drohenden KPÖ-Putsch erfunden.
Bis heute bildet dieser einen Grundkonsens der von der Sozialdemokratie bis zur FPÖ reicht. Die damaligen Ereignisse können allerdings nicht isoliert betrachtet werden. Sie stehen im Brennpunkt einer Entwicklung die vom einsetzenden Kalten Krieg, der Westintegration Österreichs, der Integration ehemaliger Nationalsozialisten ins politische System des Landes, sowie einem Rechtsruck der SPÖ geprägt war. Die fünf LPA zwischen 1947-1951 fallen ebenfalls genau in diese Periode. Sie stellen einerseits wichtige Schritte bei den Eingliederung Österreichs in den kapitalistische (Welt-) Markt dar und sind gleichzeitig maßgeblich für die Herausbildung der österreichischen Sozialpartnerschaft.
Oktoberstreik: Höhe und Endpunkt des Widerstandes
Der kapitalistische “Wiederaufbau” Österreichs von 1945 bis 50 geschah nicht ohne Opposition. Streiks und Arbeitskämpfe, eine nicht unbedeutende Linke in der SPÖ und eine KPÖ mit guten Startbedingungen prägten die ersten Jahre der 2.Republik. Auch die Verstaatlichungen riefen große Hoffnungen hervor und wurden von der Regierung (SPÖ, ÖVP, KPÖ) einmütig als Schritte zur revolutionären Veränderung „verkauft“ - auch wenn sie faktisch etwas Anderes bedeuteten. Der Oktoberstreik bewegte sich in dieser Tradition: Er war Höhe- und Endpunkt des Widerstandes gegen eine Entwicklung die, sich nach 1945 viele ganz anders vorgestellt hatten - nämlich sozialistisch. Dass er zum Mißerfolg wurde hängt mit der Schwäche der Linken zusammen: Die radikalen Teile in der SPÖ wurden bereits 1948 kaltgestellt. Und die KPÖ band sich sklavisch an die Interessen Moskaus und war deshalb nicht nur für viele unattraktiv, sondern in der Frage des Streiks selbst ebenfalls schwankend. Warum? Das wird in der Broschüre beantwortet.

Langfristige Auswirkungen

Die Folgen des fehlgeschlagenen Oktoberstreiks waren weitreichend. Der ÖGB wurde von „kommunistischen Elementen“ gesäubert. Diese Vorgehensweise wurde einzig mit der „Putschthese“ legitimiert. Gleichzeitig folgte auf die Niederlage nicht nur einen Rückgang der Streiktage um fast zwei Drittel. Streik wurde zum politischen „Schimpfwort“ – die Gewerkschaftsbewegung beraubte sich damit ihres (ge)wichtigsten Kampfmittels. Die Knebelung gewerkschaftlicher Opposition und der Aufbau der sozialpartnerschaftlichen Bürokratie, der Ausschluss der Gewerkschaftsbasis von jeder Mitsprache sind (mit) die Folge des Fehlschlags im Oktober 1950. Angesichts dieser realen gesellschaftspolitischen Entwicklung wirkt die These von der „Rettung der Demokratie 1950“ heute geradezu komisch. Neben dem historischen Teil enthält die Broschüre auch einen Teil, der den aktuellen Bezug und die Bedeutung des Oktoberstreiks für die heutige Debatte um Streikrecht und Sozialpartnerschaft deutlich macht.

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