Naher Osten

Dokument Nummer 3 des 10. CWI-Weltkongress im Dezember 2010

Vom 2. bis zum 9. Dezember 2010 fand im belgischen Nieuwpoort der 10. Weltkongress des Komitees für eine Arbeiterinternationale (CWI) statt.

120 Delegierte und Gäste aus über 30 Ländern nahmen daran teil. Im Mittelpunkt der Diskussionen standen die anhaltende tiefe Krise des Kapitalismus weltweit und die neue Welle von Massenprotesten, die vor allem mehrere Länder Europas erfasst hat. Die Arbeiterklasse, so die Analyse des Kongresses, hat die Bühne der Geschichte erneut betreten. Wir veröffentlichen Berichte und die auf dem Kongress beschlossenen Dokumente. Die Dokumente können auch gesammelt als Buch bestellt werden.

Naher Osten

Die Krise des Kapitalismus und die nackte Rolle des Imperialismus sind im Nahen Osten offensichtlich. Die Region leidet unter imperialistischer militärischer Besatzung, der nationalen Unterdrückung der PalästinenserInnen, KurdInnen und anderer, diktatorischen Regimes, massiver Korruption, religiösen, nationalen und ethnischen Spaltungen, Massenarmut und -arbeitslosigkeit, Wirtschaftskrise und sich verschlechternden Lebensbedingungen. Auf der Grundlage der Fortsetzung von Kapitalismus und Imperialismus werden weiterhin neue Krisen und Konflikte die Region plagen. Ein Referendum im Sudan über die Abspaltung des von Schwarzen bewohnten, christlich und animistisch geprägten Südens vom arabisch und islamisch dominierten Norden droht zu erneuten blutigen Konflikten zu führen (im letzten Bürgerkrieg im Sudan sind 2,5 Millionen Menschen gestorben).

Allerdings ist auch Widerstand der Massen gegen autoritäre Regimes und schlechtere Lebensbedingungen ein deutlicher werdendes Merkmal des Nahen Ostens, was sich am spektakulärsten in der massenhaften Oppositionsbewegung im Iran 2009 zeigt. Aus der Perspektive des CWI wichtig sind auch die in der letzten Periode zunehmenden Kämpfe der ArbeiterInnen und Versuche, unabhängige Massenorganisationen der Arbeiterklasse in Ägypten, der Türkei, Libanon, Algerien und anderswo aufzubauen. In Ägypten hat die Arbeiterbewegung in den letzten vier Jahren unter Bedingungen des Kriegsrechts und der Unterdrückung ihre Kräfte verstärkt. In der Türkei demonstrierten nach dem beeindruckenden Kampf der TEKEL-ArbeiterInnen am 1. Mai 2010 250.000 Menschen auf dem Taksim-Platz in Istanbul, zum ersten Mal seit 33 Jahren. Diese Entwicklungen weisen auf die zukünftigen massiven Kämpfe der ArbeiterInnen in der Region hin, die die Frage einer starken, unabhängigen Arbeiterbewegung und einer klassenkämpferischen sozialistischen Alternative zum bestehenden System stellen werden.

Wirtschaft

Die andauernde Weltwirtschaftskrise wird verheerende Auswirkungen auf die Lebensumstände von Millionen Menschen im Nahen Osten haben. Schon vor der Krise lebten 23 Prozent der Bevölkerung der Region von unter zwei US-Dollar am Tag und sechs Millionen Menschen von einem Dollar am Tag oder weniger. Obwohl die Folgen der weltweiten Finanzkrise für die Großbanken der Region heftig waren, hat die eher „konservative“ Herangehensweise der Finanzinstitutionen der Region in den Boomjahren dazu geführt, dass die Region weniger stark getroffen wurde als der Westen, zumindest in den ersten Phasen der anschließenden Wirtschaftskrise. Den 18 Staaten, die zum Gebiet „MENA“ (Naher Osten und Nordafrika) gezählt werden, erging es besser als den USA, deren Produktion 2009 um 2,4 Prozent sank, und Europa, dessen Wirtschaft im letzten Jahr um 4,1 Prozent schrumpfte. Allerdings gab es in der wirtschaftlichen Performance große Unterschiede zwischen ölproduzierenden Ländern und Ländern ohne Ölreserven.

Manche „rohstoffarme“ Länder haben in der letzten Zeit starkes Wirtschaftswachstum. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Libanon, nach Katar das am zweitschnellsten wachsende Land, wuchs 2008 und 2009 um neun Prozent, für 2010 werden acht Prozent Wachstum angenommen. Aber diese Zahlen täuschen. Der Libanon bemüht sich, einen Schuldenberg in Höhe von 148 Prozent des BIP abzutragen, die drittgrößte Staatsverschuldung der Welt. Ökonomen warnen auch vor einem möglichen Platzen der Immobilienblase.

Der Sturz der Ölpreise von 145 Dollar pro Barrel im Juli 2008 auf unter 40 Dollar pro Barrel Anfang 2009 verursachte eine Verlangsamung der Ökonomien der sechs Öl produzierenden Staaten in der Region, bekannt als Golf-Kooperationsrat (GCC). Das kombinierte BIP der GCC-Mitgliedsstaaten (Bahrain, Kuwait, Oman, Katar, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate), darunter mehrere der führenden Ölproduzenten der Welt, fiel von 2008 auf 2009 um atemberaubende 80 Prozent. Die GCC-Staaten waren gezwungen, ihre Staatsausgaben und somit die Staatsschulden zu erhöhen.

Obwohl erwartet wird, dass sich die GCC-Staaten 2010 wegen steigender Ölpreise wirtschaftlich erholen, ist das kein einheitliches Bild und das allgemeine Wachstum wird durch mehrere Faktoren untergraben. Die Vereinigten Arabischen Emirate werden voraussichtlich hinter ihren Nachbarstaaten am Golf zurückbleiben, weil in Dubai nach dem spektakulären Zusammenbruch des Immobilien-Booms die Wirtschaft stagniert. Fortgesetzte „Risikovermeidung“ des Bankensektors und Vorsicht unter VerbraucherInnen bedrohen die wirtschaftliche Erholung im GCC.

Die schwere Wirtschaftskrise 2000/2002 in Ländern wie Israel und der Türkei ging der aktuellen weltweiten Wirtschaftskrise voraus und hat zu einer vorsichtigeren Herangehensweise an die Deregulierung des Finanz- und Banksektors in diesen Ländern geführt. Die Folgen der Weltwirtschaftskrise seit 2007 sind im Nahen Osten bis jetzt relativ begrenzt (obwohl sich der Lebensstandard der Masse der Bevölkerung nicht verbessert hat). Die Rettungspakete in den wichtigsten kapitalistischen Ländern hatten Auswirkungen auf die Region. Die „Erholung“ hat den Öl exportierenden Ländern und einigen anderen regionalen Ökonomien geholfen. Insbesondere Israel wird durch seine Verbindungen zu den USA und der EU unterstützt. Aber die Wirtschaftsregion als Ganze bleibt kraftlos und gegenüber der sich entwickelnden globalen Krise sehr verletzlich. Ein „Double Dip“ der Weltwirtschaft oder schwaches Wachstum, Währungskriege und wachsender Protektionismus werden alle katastrophale Auswirkungen auf die Ökonomien des Nahen Ostens haben. Saudi-Arabien hat sich bereits anderen Ländern angeschlossen und neue protektionistische Maßnahmen eingeführt.

Massenarbeitslosigkeit

Die Wirtschaftskrise verdeutlicht die Widersprüche der übermäßigen Abhängigkeit von fossilen Brennstoffreserven im Nahen Osten. Viele Ökonomien der Region basieren fast vollständig auf Öl und haben nicht geschafft, neue Bereiche zu erschließen und Lebensstandards zu steigern. Die daraus folgende hohe Arbeitslosigkeit ist in der ganzen Region verbreitet – eine tickende soziale Zeitbombe. Mehr als 30 Prozent der geschätzten 350 Millionen EinwohnerInnen der Region sind 15 bis 29 Jahre alt, die Arbeitslosigkeit in dieser Altersgruppe liegt im Durchschnitt bei 28 Prozent. Der Nahe Osten hat die größte Jugendarbeitslosigkeit weltweit und zwei Drittel der Bevölkerung sind jünger als 24. Die Weltbank nimmt an, dass in den nächsten 20 Jahren 100 Millionen Arbeitsplätze in der Region geschaffen werden müssen allein um die neu ins Berufsleben eintretenden Menschen zu versorgen.

Massenarbeitslosigkeit hat zur Unzufriedenheit der Massen und zu religiösen Spannungen in der gesamten Region beigetragen. Besonders in den Golfländern sind schiitische Muslime in sunnitisch beherrschten Staaten seit langem eine diskriminierte Minderheit. Das wird verstärkt durch die Sorgen der herrschenden Eliten angesichts des steigenden schiitischen Einflusses im Irak, den Bestrebungen des Iran, zur dominierenden Macht in der Region zu werden und der relativen Stärke der schiitischen Hisbollah im Libanon. Im Rahmen einer „Teile und Herrsche“-Strategie haben die Regierungen Kuwaits, Saudi-Arabiens und Bahrains in den letzten Monaten Maßnahmen gegen die schiitischen Bevölkerungen ergriffen, die mehr Rechte fordern.

Irak

Religiöse Spaltung zeigt sich auch im monatelangen Scheitern des Versuchs, nach den Wahlen im März 2010 eine neue irakische Regierung zu bilden. Nach 30 Jahren Diktatur, Krieg, Sanktionen, imperialistischer Invasion und Besatzung sowie Aufstand und religiös motiviertem Bürgerkrieg (in dem die USA die schiitische Bevölkerungsmehrheit unterstützen) hat der Irak heute eine „grausige Form von Stabilität“ erreicht, mit einem andauernd hohen Gewaltniveau und einem enorm korrupten „disfunktionalen Staat“. Die „Sicherheitslage“ bleibt schlecht, mit mehr zivilen Opfern als in Afghanistan. In diesem Jahr gab es eine neue Entwicklung der Gewalt. Über 700 Menschen, größtenteils Sicherheitspersonal, wurden gezielt ermordet. Politischer Stillstand an der Spitze, fortgesetzte imperialistische Besetzung und furchtbare Lebensbedingungen befeuern die Wut der Massen, gewalttätige Opposition und religiöse Spaltung. In Bagdad gibt es 1.500 Checkpoints und Straßen, die mit meilenlangen Betonwänden abgeriegelt sind. Die religiöse Gewalt ist zurückgekehrt, Anfang November 2010 wurde eine Vielzahl von Schiiten und Christen in Bagdad umgebracht. Seit der von den USA geführten Invasion 2003 ist die christliche Bevölkerung von einer Million auf 500.000 geschrumpft, jetzt ist eine weitere Auswanderungswelle dieser Minderheit wahrscheinlich. Es überrascht nicht, dass nur wenige der zwei Millionen irakischen Flüchtlinge in Jordanien und Syrien bereit sind, ihr Leben zu riskieren und nach Hause zurückzukehren. Weitere 1,5 Millionen, die während der religiös motivierten Pogrome 2006/2007 ihre Häuser verließen, sind „Binnenflüchtlinge“, viele von ihnen müssen in armseligen Camps leben (zu ihnen kommt nun eine wachsende Zahl der irakischen Wirtschaftsflüchtlinge, darunter verarmte Kleinbauern).

Laut Berichten wirkt der Irak „zunehmend wie der Libanon“, wo jede ethnische oder religiöse Gemeinschaft um einen Anteil an Macht und Rohstoffen kämpft. Die ungenutzten Ölreserven des Landes gehören zu den größten der Welt und es wird angenommen, dass sich die Ölexporte in den nächsten zehn Jahren vervierfachen werden. Aus den Öleinnahmen kann der Staatsapparat jährlich 60 Milliarden Dollar ausgeben, größtenteils für die Löhne von Sicherheitskräften und der zivilen Bürokratie. Sunnitische, schiitische und kurdische Führer wollen alle einen Anteil am Ölgeld und den seltenen Arbeitsplätzen. Das „sunnitische Zentrum“ des Irak fürchtet ein „schiitisches Revival“ - etwa 40 Prozent des irakischen Öls liegen in der Nähe der schiitischen Stadt Basra im Süden.

Der Iran versucht (unter Beteiligung Syriens und der libanesischen Hisbollah) einen Deal zwischen Nouri al-Maliki, der eine zweite Amtszeit als Ministerpräsident des Irak anstrebt, und dem irakischen Schiitenführer Muqtada al-Sadr. Die USA haben bisher nicht geschafft, eine alternative Regierung zusammenzustellen. Ein nicht genannter westlicher Offizieller erklärte, dass eine zweite Regierung Maliki zu den Bedingungen des Iran „nicht weniger als eine strategische Niederlage“ für den US-Imperialismus wäre, nach sieben Jahren Krieg, der über 600 Milliarden Dollar gekostet hat, in dem über 4.425 US-Soldaten getötet und über 30.000 verletzt wurden. Die Besatzungsmacht versucht nicht einmal, genau dokumentierte Zahlen der zivilen Todesfälle als direkte Folge des Konfliktes zu erstellen. Schätzungen liegen zwischen 100.000 und 600.000. Unabhängig von den genauen Zahlen ist es ein Massenmord an unschuldigen IrakerInnen.

Trotz Obamas „Rückzug“ aus dem Irak werden die USA mindestens 40.000 Soldaten zurücklassen, die eine Kette von US-Militärbasen errichten und den irakischen Staat schwer bewaffnen. Aber in einer von nationalen, regionalen und religiösen Spaltungen geprägten Situation das irakische Militär zu stärken ist mit Gefahren verbunden. Ein US-Militärberater, David Kilcullen, warnte im letzten Jahr, im Irak gäbe es die „klassischen Bedingungen für einen Militärputsch“. Wie bereits vom CWI beschrieben ist ein mögliches Ergebnis der Invasion und Besatzung die Entstehung mehrerer Saddam-ähnlicher Diktatoren.

Regionales Kräftegleichgewicht

Die US-geführte Invasion des Irak heizte Spannungen im Nahen Osten gewaltig an und schwächte die Position der am stärksten pro-amerikanischen Regimes. Dieser Effekt wurde durch die Wut der Bevölkerung über Israels militärische Angriffe auf den Libanon 2006 und Gaza 2009, den Überfall israelischer Spezialeinheiten auf ein Schiff mit Hilfsgütern für Gaza 2010 und die fortdauernde Unterdrückung der PalästinenserInnen verstärkt. Die herrschenden Eliten pro-westlicher Regimes, wie Jordaniens, Ägyptens und Saudi-Arabiens, die von den arabischen Massen als Komplizen der Unterdrückung betrachtet werden, sind in der eigenen Bevölkerung zunehmend verhasst. Die regierende Haschemiten-Familie in Jordanien hat vor den Parlamentswahlen im November die Wahlkreise neu zugeschnitten, um dünn besiedelten ländlichen Gebieten mehr Einfluss zu geben als den Städten, wo JordanierInnen palästinensischer Herkunft dominieren.

Die Konsequenzen der Besetzung des Irak haben das Kräftegleichgewicht in der Region verschoben, Iran und der sogenannte „Schiitische Bogen“ wurden gestärkt. Außerdem ist die Türkei mit 72 Millionen EinwohnerInnen und den zweitgrößten Streitkräften in der NATO nach den USA eine wachsende Regionalmacht und strebt nach einer größeren Rolle im Nahen Osten. Das herrschende AKP-Regime benutzt die wichtige geostrategische Position des Landes um zwischen den Regionen und den lokalen und globalen Mächten zu balancieren.

Wie im Weltbeziehungen-Dokument beschrieben kann der Imperialismus keine bleibende Lösung für den Irak oder Afghanistan von außen erzwingen. Nach den erfolglosen Jahren der Bush-Außenpolitik musste sich der Charakter der imperialistischen Intervention der USA ändern. Dennoch bleiben die USA mit Abstand die größte Militärmacht der Welt, die weiterhin intervenieren wird um ihre wirtschaftlichen und militärstrategischen Interessen zu sichern.

Ein US-Angriff auf den Iran, möglicherweise unter Mitarbeit Israels (oder ein von Israel „allein“ durchgeführter Militärschlag) bleibt möglich. Die sozialen, politischen und militärischen Folgen so eines Angriffes wären für die Region und darüber hinaus enorm. Zunächst würde ein US/Israelischer Angriff zu einem Anstieg der nationalistischen Stimmung im Iran führen und auch den arabischen Nationalismus, Antiimperialismus und Anti-Israelische Ressentiments in der ganzen Region stark anfachen. Die iranischen Revolutionsgarden und die internationalen Verbündeten Teherans, wie die Hisbollah, könnten militärische Vergeltungsmaßnahmen ergreifen. Unter riesigem Druck ihrer eigenen Bevölkerungen könnten der Iran und die arabischen Öl produzierenden Länder ihre Ölexporte vorübergehend stoppen oder einschränken und so der Weltwirtschaftskrise ein neues destabilisierendes Element hinzufügen.

Jemen und Somalia

Die USA sind in Somalia und Jemen zunehmend verwickelt, ohne jede Perspektive die Krisen zu lösen. Die USA finanzieren das „moderat“ islamistische Regime von Sharif Ahmed in Somalia, der die Sharia eingeführt hat, allerdings ist sein Machtbereich auf „ein paar heruntergekommene Straßen in der Hauptstadt“ beschränkt („The Economist“, London, 18.9.2010). In Wirklichkeit sind große Teile von Süd- und Zentralsomalia unter Kontrolle der islamistischen Shabab („Jugend“) Miliz. Etwa 20.000 ZivilistInnen sind 2010 wegen des Konfliktes aus Mogadischu geflohen und mehrere Tausend wurden getötet oder verletzt. Die USA wollen nach der gescheiterten Intervention 1993 nicht erneut in das Land einmarschieren, aber auch eine aggressivere US-Politik könnte nach hinten losgehen und Somalia zum neuen „Zentrum des globalen Dschihad“ machen.

„Al-Qaida in der Arabischen Halbinsel“ (AQAP) mit ihren Hauptbasen im Jemen wird von britischen Geheimdiensten als ebenso große Terrorgefahr wie die von Pakistan und Afghanistan ausgehende eingeschätzt. Es ist nicht schwer zu sehen, warum der Jemen eine Hochburg der „Dschihadisten“ geworden ist. Als ärmstes Land im Nahen Osten, dessen Bevölkerung beinahe zur Hälfte von zwei Dollar oder weniger am Tag lebt, liegt der Jemen zwischen einigen der reichsten Staaten der Welt, darunter Saudi-Arabien. Öl stellt 90 Prozent der jemenitischen Exporte und drei Viertel der Einnahmen, aber das heutige bloße Rinnsal „schwarzes Gold“ wird nach Schätzungen 2017 austrocknen. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 35 Prozent, und die Zahl der 23 Millionen EinwohnerInnen, von denen die Hälfte unter 24 sind, wird sich bis 2035 verdoppeln. Unter der kleptokratischen Herrschaft des Präsidenten Abdullah Salih leidet der Jemen unter separatistischen Konflikten im Norden und Süden. Präsident Salih nutzt die Bedrohung durch al-Qaida und die „Sicherheitslage“, um jede separatistische Opposition im Süden gnadenlos zu verfolgen und verstärkte Unterstützung aus Britannien und den USA zu verlangen. Die USA, die keine Truppen in ein weiteres potentielles militärisches Schlamassel schicken wollen, haben 300 Millionen Dollar, „zur Hälfte Entwicklungshilfe, zur Hälfte für militärische Nutzung“ an das Salih-Regime gezahlt. Presseberichten zufolge plant das Weiße Haus, seine „special operations“-Intervention im Jemen zu eskalieren, unter anderem durch mehr Angriffe mit amerikanischen Drohnen. Das wird der AQAP zweifellos die Rekrutierung erleichtern. Allerdings bekommen die „Dschihadisten“ im Süden des Jemens weniger Unterstützung. Tatsächlich interessieren sich die meisten Jemenis „viel mehr für Land und Geld als für Religion oder Ideologie“ („Observer“, London, 31.10.2010).

Im Kontext der sich verschlimmernden wirtschaftlichen Lage, des politischen Vakuums an der Spitze der Massenbewegungen, der Verfaulung der neokolonialen Bourgeoisie und der „antiimperialistischen“ Rhetorik der politischen Islamisten wird das heterogene Phänomen des politischen Islamismus und Terrorismus weiterhin eine Anziehungskraft auf Schichten der am stärksten entfremdeten Teile der Bevölkerung der Region ausüben. Aber die Massen lernen auch aus ihren unangenehmen Erfahrungen mit dem „politischen“ und „radikalen“ rechten Islam, wie die Massenopposition gegen die Herrschaft der Mullahs im Iran und die verbreitete Abscheu gegen die religiös motivierten Grausamkeiten al-Qaidas im Irak zeigen. Die Entwicklung von massenhaften Kämpfen der ArbeiterInnen und die Radikalisierung der Klasse werden zur Entwicklung von antikapitalistischen und sozialistischen Ideen führen, einen mächtigen Anziehungspol für die Massen und eine dem reaktionären politischen Islam und dem Terrorismus entgegengesetzte Tendenz bilden. Während dieser Prozess nicht geradlinig verlaufen wird und die Entstehung auch breiterer verwirrter Strömungen, wie antiimperialistischem „Panarabismus“, „Panislamismus“ und möglicherweise sogar „Linksislamismus“ wahrscheinlich ist, werden die bevorstehenden mächtigen Klassenkämpfe die Grundlage für das Wiedererstarken der einst mächtigen klassenkämpferischen und sozialistischen Ideen in der Region sein. Der Arbeiterbewegung zu helfen, die Lehren aus den Fehlern und dem Verrat der früheren FührerInnen der kommunistischen Parteien und anderer Massenorganisationen zu ziehen, ist eine unserer Aufgaben in diesem Prozess.

Palästina und Israel

Im September 2010 hat Präsident Obama mit großer Medienaufmerksamkeit neue „Friedensgespräche“ zwischen dem israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu und PalästinenserInnenführer Abbas einberufen. Das „Ziel“ der Gespräche, eine sogenannte „Zweistaatenlösung“, würde die Teilungslinien von 1967 beibehalten, so dass Israel beinahe 80 Prozent des Landes und Teile der West Bank behalten würde. Die PalästinenserInnen bekämen ein kleines, nicht lebensfähiges Gebiet, ohne Rückkehrrecht für Flüchtlinge. Netanjahu hat klargestellt dass Jerusalem unter israelischer Herrschaft bleibt und keine „geteilte Hauptstadt“ würde, und dass jeder palästinensische Staat von Israel überwacht würde.

Zweifellos erhofft sich die Obama-Administration einen Deal, der – natürlich auf Kosten der PalästinenserInnen – den Interessen der USA dient und langfristig die Position Israels, ihres Hauptverbündeten in der Region, erweitert und stärkt. Netanjahu; hin- und hergeworfen von den verschiedenen Fraktionen in der israelischen Koalitionsregierung, darunter die mit den Siedlern verbundenen Ultrarechten, und seiner eigenen Partei Likud, ist zu diesem Zeitpunkt nicht bereit US-Wünsche zu erfüllen. Allerdings könnte er sich schließlich amerikanischem Druck beugen, der durch Teile der israelischen herrschenden Klasse gestärkt wirkt, die Folgen demografischer Entwicklungen fürchten und die regionale und internationale Position des israelischen Kapitalismus bedroht sehen.

Die israelische herrschende Klasse sitzt in der Falle. Sie fürchten die „demografische Zeitbombe“, durch die die palästinensische Bevölkerung innerhalb Israels irgendwann zur Mehrheit werden könnte. Israels Sicherheitsminister Barak beschrieb das Problem, vor dem die herrschende Klasse steht, im Februar 2010 so: „Solange in diesem Gebiet westlich des Jordan nur ein politisches Gebilde namens Israel existiert, wird sie entweder nicht jüdisch oder nicht demokratisch sein.“ Weiter sagte er: „Wenn die in der West Bank lebenden Palästinenser bei zukünftigen israelischen Wahlen wählen könnten, würde Israel ein binationaler Staat. Andererseits, wenn die Palästinenser nicht wählen könnten, würden wir ein Apartheidstaat... Die Alternativen zwingen uns die Grenze eines Staates zu ziehen der eine jüdische Mehrheit enthält und auf der anderen Seite ist ein palästinensischer Staat.“

Die israelische herrschende Klasse fürchtet, dass jedes Zugeständnis an die palästinensischen Massen den Kampf gegen die Unterdrückung nur verstärken wird. Aber auch eine Verstärkung der staatlichen Unterdrückung hätte letztlich einen ähnlichen Effekt.

Der Aufstieg des Neoliberalismus in Israel hat die traditionelle Basis der großen Parteien der israelischen herrschenden Klasse zerstört, was schließlich im totalen Zusammenbruch der „zionistischen Linken“ gipfelte. Die Netanjahu-Regierung ist angesichts der historischen Krise des Zionismus an sich noch mehr als frühere Regierungen gezwungen, auf starken israelischen Nationalismus und Militarismus ebenso wie auf Islamophobie und anti-arabischen Rassismus zu bauen. Das hat zur Einbeziehung rechtsradikaler Parteien in die Regierung geführt und ihnen mehr Einfluss auf die traditionellen Hauptparteien des herrschenden Establishments verschafft. Diese Entwicklung bedeutet, dass diese Parteien weniger verlässliche Werkzeuge im Interesse der herrschenden Klasse werden.

Die israelisch-palästinensischen „Gespräche“ sind momentan ausgesetzt, nachdem der Bau von „Siedlungen“ auf palästinensischen Gebiet am 27. September wieder aufgenommen wurde. Selbst wenn Netanjahu unter starkem Druck der USA die Rechte ausreichend beruhigen kann um die aktuellen sogenannten Gespräche „am Leben“ zu erhalten (sogar mit Einbeziehung der Partei „Kadima“ in die Koalition) wird die israelische herrschende Klasse so wenig wie möglich abgeben und sicherstellen, dass sich kein wirklich unabhängiger palästinensischer Staat entwickelt.

Unter der jüdischen Bevölkerung ist eine Schicht, insbesondere von Jugendlichen, von Netanjahus Politik und den Rechtsradikalen abgestoßen und beginnt sich in offene Opposition zu begeben. Obwohl zahlenmäßig noch schmal, ist diese Entwicklung bedeutend.

Während der zionistische Nationalismus benutzt wird, um den Klassenkampf zu blockieren, besonders gemeinsame Kämpfe über die nationale Spaltung hinweg, haben in den letzten Jahren wichtige Kämpfe der Arbeiterklasse stattgefunden. Ein massiver LehrerInnenstreik, der die Regierung 2007 herausforderte, gipfelte in der Mobilisierung von 100 000 LehrerInnen, SchülerInnen und UnterstützerInnen zu einer Solidaritätskundgebung, wo der Gewerkschaftsvorsitzende durch die Stimmung gezwungen war zu weiteren Kämpfen für einen „Wohlfahrtsstaat“ aufzurufen. Selbst der Gewerkschaftsbund Histadrut hat seit 2006 mehr Mitglieder gewonnen. Zwischen 1996 und 2004 war die ehemalige Histadrut-Führung gezwungen, die größten Streiks in der Geschichte Israels zu führen. Nach den Niederlagen dieser Kämpfe ist es der neuen Führung seit 2005 gelungen, eine beispiellose Ruhe in den Betrieben zu erzwingen (die LehrerInnengewerkschaft ist nicht Teil der Histadrut). Sie haben unter dem Deckmantel der „nationalen Verantwortung“ faule Verträge mit den Unternehmen und der Regierung geschlossen. Allerdings gab es in vergangenen Jahren bereits einige kleine aber wichtige Beispiele, in denen die Bürokratie dazu gezwungen werden konnte, Dampf abzulassen (in einigen Fällen durch den Einfluss der neuen Arbeiterorganisation „Die Macht den Arbeitern“, an deren Gründung und Aufbau das CWI mitgewirkt hat), die darauf hinweisen, dass die industrielle Ruhe bald enden und der Griff der Bürokratie sich lockern wird. Das wird besonders der Fall sein, wenn die israelische Wirtschaft von der Rezession getroffen wird, die wahrscheinlich schwerer sein wird als die letzte Verlangsamung Anfang 2009. Um zukünftige Kämpfe gegen die Bosse zu gewinnen, werden die israelischen ArbeiterInnen ein Programm der Solidarität und des gemeinsamen Kampfes der jüdischen und arabischen ArbeiterInnen annehmen müssen. Das beinhaltet einen Bruch mit der herrschenden Klasse und ihrer Agenda der nationalen Unterdrückung, Besatzung, kolonialisierender Siedlungen und militaristischer Aggression gegen die Massen in der Region.

Für den Moment versucht die feige „Führung“ der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) auf Druck der US-Regierung noch verzweifelt, die Gespräche am Laufen zu halten, ebenso wie die kraftlose arabische Liga. Die Wahrheit ist, dass die aktuelle (Nicht-)Gesprächsrunde zu nichts führen wird. Während ein sehr begrenzter Schritt zu weiterer „Selbstverwaltung“ für PalästinenserInnen irgendwann zugestanden werden könnte, bis hin zur Ankündigung eines sogenannten „Palästinensischen Staates“, kann auf kapitalistischer und imperialistischer Grundlage keine bleibende oder grundlegende Lösung der palästinensischen Frage gefunden oder Frieden in die Region gebracht werden. Zusätzlich kann so eine Ankündigung als Vorwand für eine Eskalation der Unterdrückung gegen die PalästinenserInnen in Israel oder einen neuen militärischen Angriff auf die Hamas in Gaza, wo 1,5 Millionen Menschen unter brutaler Belagerung, mit riesigen Arbeitslosen- und Armutszahlen leben, dienen. Die Bedingungen in den palästinensischen Autonomiegebieten sind kaum besser. PalästinenserInnen, die in Israel leben werden durch die diskriminierenden Maßnahmen und die brutale Verfolgung und Repression gegen jede Form von Protest zunehmend entfremdet. Diese Entwicklung ist mit physischen Angriffen von Rechtsradikalen, wachsender Armut und Versuchen des israelischen Staates, das demografische Gleichgewicht zum Nachteil der PalästinenserInnen zu verschieben, verbunden.

Die israelische Armee droht weiterhin mit militärischen Angriffen gegen die Hisbollah im Libanon. Mehr militärische Konflikte und Kriege sind in der Situation impliziert. Wie die israelischen Angriffe gegen Libanon und Gaza werden solche Konflikte riesige Wut und Widerstand in der arabischen Welt und international entzünden. Statt Gesprächen die zu Frieden und Gerechtigkeit führen wird die nationale Frage vertrackter, was zu neuen Massenbewegungen und Revolten der unterdrückten PalästinenserInnen führt. Selbst die palästinensische herrschende Elite hat das teilweise anerkannt, sodass einige der nationalen Führer die angesammelte Frustration der Massen wiedergeben, wenn sie vom „Kampf“ sprechen. Natürlich versuchen diese „Führer“ die Drohung mit erneutem Kampf der Massen zu benutzen, um den Druck auf Israel und die westlichen Mächte zu erhöhen, einen Vertrag mit ihnen abzuschließen.

Alle signifikanten Errungenschaften für die PalästinenserInnen wurden durch Massenbewegungen erreicht, besonders durch die erste Intifada. Die aktuellen Entwicklungen sind die Grundlage für neue Massenaufstände. Der Kampf um die demokratischen und sozialen Rechte von PalästinenserInnen innerhalb Israels ist der wahrscheinlichste Bezugspunkt einer „3. Intifada“. Der massenhafte Kampf der PalästinenserInnen wird wie bei früheren Aufständen schnell auf Solidarität treffen, sowohl international als auch in der Region, darunter auch bei einem Teil der jüdischen ArbeiterInnen und Jugendlichen. Allerdings kann die Massenbewegung ohne eine klassenkämpferische Führung zu kontraproduktiven Kampfmethoden gelangen, die ihre Fähigkeit die brutale Repression des israelischen Regimes zu untergraben beschränken. Ein marxistisches Programm zur Lösung der nationalen Frage auf klassenkämpferischer und nationaler Grundlage ist notwendig um den Widerstand vorwärts zu bringen und eine mögliche Vertiefung der nationalen Spaltung zu überwinden.

Das Hamas-Regime in Gaza kanalisiert weiterhin teilweise die Wut der PalästinenserInnen über ihre schrecklichen Lebensbedingungen. Aber ihr rechtes Programm des politischen Islam bietet keine funktionierende alternative Strategie für die unterdrückten PalästinenserInnen und wird von Teilen der Bevölkerung in Gaza zunehmend in Frage gestellt. Tatsächlich hat die Hamas hinter den Kulissen mit dem US-Imperialisus verhandelt und unter ihrer Herrschaft werden Frauen zunehmend unterdrückt, ebenso wie jede Opposition gegen die Hamas.

Die Befreiung der palästinensischen Massen kann nicht auf kapitalistischer Grundlage erreicht werden. Ihre Wünsche und Hoffnungen können nicht durch einen gemeinsamen Kampf mit den korrupten und reaktionären arabischen Regimes befriedigt werden. Schließlich ist das Mubarak-Regime für die Blockade der Rafah-Grenze nach Gaza verantwortlich, während die libanesische herrschende Klasse weiterhin die PalästinenserInnen in den Flüchtlingslagern unterdrückt und diskriminiert. Der Kampf für Emanzipation muss mit dem Kampf für Sozialismus auf der Basis von Arbeitereinheit in der Region verknüpft werden. Nur durch vereinigte Massenbewegungen der Arbeiterklasse und der Armen in Palästina und Israel kann eine Lösung gefunden werden; gegen nationale Unterdrückung, die Parteien der Bosse und den Imperialismus; die echte Selbstbestimmung für PalästinenserInnen bringt – für ein sozialistisches, demokratisches Palästina und ein sozialistisches Israel als Teil einer gleichberechtigten und freiwilligen sozialistischen Konföderation des Nahen Ostens.

Die prinzipienfesten politischen Positionen, die die Kräfte des CWI in Israel und Libanon oft unter sehr schwierigen objektiven Bedingungen erstellt haben, spielen einer Schlüsselrolle in der Vorbereitung großer Schritte vorwärts für den Marxismus in der Region.

Libanon

Die komplizierte und sehr instabile politische Lage im Libanon – dominiert von pro-kapitalistischen, auf Religion basierten Parteien und der Einmischung regionaler und imperialistischer Mächte – wurde durch den Kurswechsel des Ministerpräsidenten Saad Hariri im letzten September in der Frage der Ermordung seines Vaters, des fünfmaligen Ministerpräsidenten Rafik Hariri, veranschaulicht. Saad Hariri erklärte, es sei falsch gewesen Syrien für den Autobombenanschlag 2005 verantwortlich zu machen. Die Ermordung führte zur vom Westen gestützten „Zedernrevolution“, die zum Abzug der syrischen „Friedenstruppen“ nach drei Jahrzehnten direkter syrischer Einflussnahme im Libanon führte. Saad Hariri kam während der Ereignisse an die Macht, aber er und seine Verbündeten hatten nur knappe parlamentarische Mehrheiten. Die pro-syrische Hisbollah (deren Ansehen nach dem israelischen Krieg gegen den Libanon 2006 stieg) und ihre Verbündeten zwangen Hariri 2008, die Macht mit ihnen zu teilen. Seitdem sind Hariris politische Bündnisse schwächer geworden und sein wichtigster ausländischer Unterstützer, Saudi-Arabien, hat seine Beziehungen zu Syrien verbessert. Jetzt belastet das UN-Tribunal, das das Attentat 2005 untersucht, angeblich die Hisbollah oder eine „verbrecherische Gruppe“ aus der Organisation. Solch ein Ergebnis wäre hochexplosiv und könnte eine neue politische Krise auslösen.

Unabhängig von ihren religiösen und ethnischen Differenzen teilen alle libanesischen Parteien eine pro-kapitalistische Wirtschafts- und Sozialpolitik. Der wichtige Kampf der LehrerInnen 2010 hat gezeigt, dass alle großen Parteien nicht den Interessen der Armen und ArbeiterInnen dienen. Wenn die ArbeiterInnen in neue Arbeitskämpfe treten, was angesichts des Privatisierungs- und Kürzungsprogramms der Regierung unvermeidbar ist, werden sie erkennen, dass sie sich zusammenschließen und die Arbeiterbewegung gegen neoliberale Politik aufbauen müssen und dass eine einheitliche politische Alternative zu Armut, Spaltung und Krieg notwendig ist. Indem es sein Programm und seine Kräfte kühn weiterentwickelt, kann das CWI im Libanon eine wichtige Rolle in diesem Prozess spielen.

Iran

Der Iran hat von der wachsenden Macht der Schiiten im Irak profitiert und seinen Einfluss in der Region ausgeweitet, wie Ahmadinedschads Besuch im Libanon im Oktober 2010 zeigt. Teheran versucht, bei der Schaffung einer schiitisch dominierten irakischen Regierung zu helfen. Diese würde Handelsverbindungen und wirtschaftliche Abhängigkeiten zwischen Iran und Irak verstärken und wäre hilfreich, um zu verhindern dass der Irak wieder eine militärische Bedrohung für den Iran wird, wie er sie unter Saddam war, oder als Ausgangspunkt für einen US-Angriff dient.

Unabhängig von den Bedrohungen von Außen durch den Imperialismus sind letztlich die Ereignisse im Inland für das weitere Schicksal der herrschenden iranischen Theokratie entscheidend. Wegen dem bürgerlichen Charakter der Führung der Opposition und dem Fehlen von Massenorganisationen der Arbeiterklasse wurde die „Grüne“ Massenbewegung 2009 durch die brutale Gewalt des Ahmadinedschad-Regimes unterdrückt und vorerst zerstreut. Aber diese bedeutende Massenbewegung ist nur das Vorspiel zu den revolutionären Massenkämpfen, die sich im Iran entwickeln werden. Millionen gingen nach den weithin als gefälscht angesehenen Wahlen im Juni 2009 trotz brutaler Repression durch die Basij-Miliz des Regimes auf die Straße. Es gab Berichte über Soldaten, die Befehle, Protestierende anzugreifen, verweigerten.

Im Dezember 2009 entwickelte sich das Bewusstsein der Bewegung weit über das ihrer sogenannten Führer hinaus und es gab Berichte über zunehmende Radikalisierung unter Studierenden. Allerdings ist das radikalisierte Bewusstsein mit dem Niedergang der Massenbewegung etwas zurückgegangen und Mousavi und Karroubi behielten ihre Rolle als „Führung“ der Opposition. Trotzdem kann sich das auf der Grundlage neuer Massenkämpfe schnell ändern, wie die Ereignisse bereits gezeigt haben.

Die wichtigste Lektion aus dem gescheiterten Versuch der Massenbewegung, das Regime zu stürzen ist, dass unabhängige Organisationen der Arbeiterklasse dringend notwendig sind. Solche Klassenformationen würden demokratische Forderungen (die in einer solchen Situation revolutionären Charakter annehmen) und Klassenforderungen aufstellen und die Waffen des Klassenkampfes anwenden, darunter der Generalstreik, um das Ende des reaktionären Regimes der Mullahs sicherzustellen. Schichten der Mittelklasse und einige Teile der Arbeiterklasse, insbesondere Beschäftigte im öffentlichen Verkehr, haben sich hinter die Massenbewegung 2009 gestellt. Aber diesem Potenzial fehlte eine vorausschauende sozialistische Führung, es entwickelte sich nicht zu einem Generalstreik und einer Klassenbewegung, die stark genug gewesen wäre das Regime zu stürzen.

Obwohl Ahmadinedschad sich knapp an der Macht halten konnte, leidet seine herrschende Fraktion seither unter internen Spaltungen, die teilweise eine sich verschlechternde wirtschaftliche und soziale Situation im Inland widerspiegeln.

Vom Westen auferlegte Sanktionen wirken sich aus, obwohl der Iran der fünftgrößte Exporteur von Rohöl weltweit bleibt. Die Ölproduktion wird jedoch nach Schätzungen des Magazins „The Economist“ bis 2015 um 15 Prozent fallen, der Ölexport um 25 Prozent. Ahmadinedschads Plan, Verbrauchersubventionen, die ein Viertel des BIP ausmachen, zu kürzen, wird zu heftigen Preissteigerungen für Nahrungsmittel und Benzin und im Nahverkehr führen. Die Aussicht auf weiteres schwaches Wirtschaftswachstum, hohe Arbeitslosigkeit und reaktionäre autoritäre Herrschaft bedeutet, dass die iranischen Massen nach ihrer ersten Erfahrung mit dem Massenwiderstand diesen Weg wieder einschlagen werden.

In der nach ihrer brutalen Niederschlagung noch desorientierten Massenopposition im Iran sind derzeit noch verständlicherweise Illusionen in die bürgerliche Demokratie verbreitet. Damit muss angesichts von drei Jahrzehnten theokratischer unterdrückerischer Herrschaft, des feigen Charakters der Mussawi-Opposition und dem Fehlen einer revolutionären sozialistischen Alternative für die Massen gerechnet werden. Mussawi repräsentiert heute einen Flügel der herrschenden Elite, der unter anderem ein Abkommen mit dem US-Imperialismus erzielen möchte. Er möchte außerdem die Repression abschwächen und einige demokratische Reformen zugestehen, um die soziale Basis des Regimes zu erweitern und die Massenbewegung aufzuhalten. Die mit Mussawis Programm und seinen Methoden gemachten Erfahrungen bedeuten, dass Teile der ArbeiterInnen und Jugendlichen sehr schnell radikalere Kampfformen und Ideen übernehmen können. Teile der Massenbewegung können die Grenzen des Mussawi-Programms schnell überwinden, das versucht, Deals mit dem Regime zu machen. Wir haben während der Bewegung 2009 gesehen wie sich Proteste gegen eine gefälschte Wahl zu einem Kampf für den Sturz der Diktatur entwickelten. Die Beerdigung von Ayatollah Hosein Ali Montazeri Anfang 2010 verwandelte sich in große Proteste gegen die Regierung, mit neuen, in dieser Massivität noch nie dagewesenen, Sprechchören gegen den Hardliner und „Obersten geistigen Führer“ Chamenei.

Auch die nationale Frage bedroht das iranische Regime. In den kurdischen Gebieten haben große Demonstrationen am 1. Mai und ein Generalstreik, der nach der Ermordung eines kurdischen Gewerkschaftsaktivisten ausgerufen wurde (allerdings auf klassenübergreifender Basis) den explosiven Charakter der unerfüllten Forderungen der Massen, darunter auch der nach nationalen demokratischen Rechten, gezeigt.

Natürlich ist es unmöglich, den zeitlichen Ablauf zukünftiger Massenbewegungen gegen die herrschenden Mullahs vorherzusagen. Sicher ist aber, dass die Massen sich, nachdem sie den offenen Widerstand begonnen haben, wieder bewegen werden um das fundamentalistische Regime zu beseitigen, obwohl sie vorübergehend unter Kontrolle gebracht werden konnten. Wenn die Bewegung für demokratische Rechte mit dem Massenwiderstand der Arbeiterklasse und der Armen verbunden wird, kann das Regime gestürzt werden. Die Rolle der Arbeiterklasse wird entscheidend sein. Obwohl Versuche, unabhängige Gewerkschaften oder Streiks zu organisieren, brutal unterdrückt werden haben die BusfahrerInnen in Teheran und ZuckerfabrikarbeiterInnen in Haft Tapeh in den letzten Monaten mutige Aktionen durchgeführt. Bereits im vergangenen Jahr gab es Streiks kurdischer ArbeiterInnen.

Neue Massenbewegungen im Iran werden auch in den benachbarten Ländern und weltweit riesigen Einfluss haben. Das unterstreicht die dringende Notwendigkeit, die Ideen und die Präsenz des CWI im Nahen Osten zu entwickeln, auf der Grundlage der großartigen Arbeit die getan wurde wo das CWI schon existiert. SozialistInnen rufen die iranische Arbeiterklasse und die zunehmend verarmenden Mittelschichten auf, unabhängig von der prokapitalistischen Opposition und den Fraktionen der herrschenden Elite zu handeln. Es ist notwendig, aus der bitteren Enttäuschung von 1979/80 zu lernen, als die neuer Elite „revolutionäre“ und religiöse Phrasen benutzte, um die Macht zu ergreifen und zu festigen. Die heutigen Oppositionsführer wollen die potentiell revolutionäre Macht der Massen mit „bürgerlich-demokratischen“ Phrasen und Versprechungen ablenken. Der Wiederaufbau der Arbeiterbewegung ist eine Schlüsselaufgabe, vor der die iranischen Massen stehen.

Selbst wenn das Ahmadinedschad-Regime gestürzt und durch ein „prodemokratisches“ bürgerliches Regime ersetzt wird – wegen des prokapitalistischen Charakters der Oppositionsführer, die Illusionen in die „westliche“ parlamentarische Demokratie ausnutzen, und vor allem wegen des Fehlens einer sozialistischen Alternative – wird sich neuer Massenwiderstand der ArbeiterInnen und Jugendlichen entwickeln. Eine neue kapitalistische Regierung würde sich wahrscheinlich zunächst auf den Illusionen der Massen stützen, jedoch schnell zu einer Krisenregierung werden. Nur eine Regierung der ArbeiterInnen und der Armen kann demokratische Rechte garantieren und die Transformation des Landes beginnen, indem sie den Griff der Elite und des Kapitalismus bricht.

Ägypten

Mit seinen 85 Millionen EinwohnerInnen, seiner geostrategischen Position in der arabischen Welt, einem gespaltenen Regime, wachsender Opposition und zunehmenden Arbeitskämpfen ist Ägypten ein weiteres Schlüsselland für den sich entwickelnden Klassenkampf in der Region. Der alternde Präsident Mubarak hat für ein noch unbekanntes Datum Ende November Parlamentswahlen angesetzt. Das wird von Barrieren, um Oppositionsparteien am Antreten zu hindern und allgemeiner Repression gegen AktivistInnen, insbesondere gegen UnterstützerInnen der Muslimbruderschaft, begleitet. Das Regime hat gute Gründe, freie Wahlen zu fürchten: bei der letzten Parlamentswahl 2005 gewann die Muslimbruderschaft trotz massiven Betrugs und staatlicher Gewalt ein Fünftel aller Mandate, obwohl sie nur in einem Drittel der Wahlkreise angetreten war. Wegen der zunehmenden Radikalisierung der gesellschaftlichen Opposition gegen die Herrschaft Mubaraks (und die geplante nepotistische Übergabe der Macht an seinen Sohn Gamal) haben sich innerhalb der Bruderschaft Spaltungen entwickelt, Oppositionelle prangern die Entscheidung der Organisation, zur Wahl anzutreten als Legitimierung der Wahlfarce an. Eine Wahlboykott-Kampagne unter der Führung von Mohammad al-Baradei, einem ehemaligen Chef der UN-Atomaufsichtsbehörde, sammelte fast eine Million Unterschriften.

Die schlechter werdende wirtschaftliche und soziale Lage Ägyptens und die Streikwelle der letzten Jahre sind die Hauptursachen der zunehmenden politischen Unruhe und der Spaltungen innerhalb der herrschenden Elite. ArbeiterInnen und Jugendliche stehen vor eine düsteren Zukunft mit wachsender Arbeitslosigkeit und steigenden Preisen. Die wachsende Inflation beeinträchtigt die Lebensstandards, während die Löhne stagnieren. Über 40 Prozent der Bevölkerung leben in Armut und fast 30 Prozent sind AnalphabetInnen. Die Spaltung zwischen Arm und Reich ist gewachsen, die Reichen leben in luxuriösen „Gated Communities“ und die Armen in heruntergekommenen Stadtvierteln.

Arbeitskämpfe und Proteste der ArbeiterInnen begannen im Dezember 2006, mit einer Besetzung der Textilfabrik Mahalla (mit 28.000 Beschäftigten die größte Fabrik im Nahen Osten) durch ArbeiterInnen. Die Bosse und die Regierung waren gezwungen, Löhne und Bedingungen zu verbessern, Andere wurden dadurch zum Streiken motiviert. Streiks gegen Privatisierungen und für Wiederverstaatlichung sind sehr bedeutend, ebenso wie Versuche, unabhängige Gewerkschaften zu gründen. Das Regime war zu Zugeständnissen gezwungen, so musste es ein Privatisierungsprogramm für Teile des öffentlichen Dienstes auf unbestimmte Zeit verschieben.

Mutige und wichtige Schritte zur Gründung unabhängiger Gewerkschaften unter den Bedingungen des Kriegsrechts wurden gemacht. Während der Kern der Massenstreiks vorwiegend von IndustriearbeiterInnen (zum Beispiel TextilarbeiterInnen und ArbeiterInnen in Aluminiumfabriken) organisiert wurde, konnte bis jetzt hauptsächlich eine Schicht von Angestellten (etwa Immobiliensteuer-EintreiberInnen, die erfolgreich eine Gewerkschaft gegründet haben, LehrerInnen, Beschäftigte in der Bildungsverwaltung und Postbeschäftigte) erfolgreiche Schritte zur Schaffung neuer Gewerkschaften machen. Allerdings werden in neuen Massenstreiks und Kämpfen andere Teile der Arbeiterklasse die Repression überwinden, Bewusstsein entwickeln und in die entscheidende Aufgabe hineingezogen werden, unabhängige Klassenorganisationen aufzubauen.

Der Druck der Arbeiterklasse und die wirtschaftliche und soziale Krise schlagen sich in den starken internen Differenzen des Regimes über die Nachfolge von Präsident Mubarak nieder. Teile des Regimes, insbesondere die Repräsentanten der Armee und der Staatsbürokratie, wollen nicht, dass Gamal Mubarak die Macht übernimmt. Die Spaltungen des Regimes geben den ägyptischen Massen das Selbstbewusstsein, um für demokratische Rechte zu kämpfen. Die Muslimbruderschaft versucht, von dem Prozess zu profitieren, aber sie hat sich in den letzten Jahren gegen viele der Streiks gestellt. In Wirklichkeit sind ihre Führer ein Sicherheitsventil für das regierende Establishment, was zu Differenzen mit den Schichten in der Bewegung geführt hat, die ihre Basis in stärker radikalisierten Mittelklassen haben.

In Abwesenheit von klassenkämpferischen Massenorganisationen orientieren sich große Schichten der ägyptischen Bevölkerung an Mohammad al-Baradei und seiner Nationalen Vereinigung für Veränderung. Das Regime betrachtet al-Baradei als Außenseiter und blockierte seine Kandidatur zur Präsidentschaftswahl 2012. Als Reaktion stützte sich al-Baradei auf Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Er forderte Reformen um „eine Revolution der Hungrigen zu verhindern“. Er hat eine Wahlboykott-Kampagne gestartet, die mit demokratischen Forderungen breite Unterstützung aus vielen gesellschaftlichen Schichten bekommt. Dies zeigt, wie wichtig demokratische Übergangsforderungen, verbunden mit der sozialistischen Transformation der Gesellschaft, in Ägypten und anderen Ländern des Nahen Ostens sind.

Al-Baradei ist eine etwas zufällige Figur, und es ist noch nicht klar, welchen Kurs er unter dem Druck der Ereignisse einschlagen wird. Aber es ist sicher, dass Ägypten in eine neue, für den Klassenkampf in der Region grundlegend wichtige Stufe eingetreten ist. Das Regime ist zunehmend gespalten und verliert viel von seiner traditionellen Unterstützung durch die unteren Ränge des Fachpersonals und die Staatsbürokratie. Nach der Welle von Arbeitskämpfen könnten die Präsidentschaftswahlen 2012 der Hauptfokus der Opposition gegen das Regime werden, möglicherweise mit explosiven Konsequenzen. Wie im Iran 2009 könnten versuchte Wahlfälschung und staatliche Repression der Auslöser für Massenkämpfe werden, die sich schnell in Versuche verwandeln, das Regime zu stürzen.

Alle despotischen und autoritären Regimes der Region haben berechtigte Furcht vor der Entwicklung massiver Oppositionsbewegungen im Iran, Ägypten und anderswo, die als Inspiration für ihre eigenen unterdrückten Bevölkerungen wirken würden. Allerdings kann sich die Massenopposition unterschiedlich entwickeln, wenn die Arbeiterklasse nicht die Führung solcher Bewegungen übernimmt. Ohne eine sozialistische Führung können sich Aufstände der Unterdrückten im Nahen Osten und in der neokolonialen Welt als Verzweiflungstaten wie Hungerrevolten und Plünderungen äußern.

Es ist klar, dass wir im Nahen Osten in einen langwierigen Prozess der wirtschaftlichen, politischen und sozialen Krise eingetreten sind. Dies wird mehr Konflikte und Kriege, aber auch Massenkämpfe der Arbeiterklasse, revolutionäre und konterrevolutionäre Bewegungen bedeuten. Die Fähigkeit der Arbeiterklasse unabhängige, mit sozialistischer Politik bewaffnete Massenorganisationen zu gründen und zu entwickeln wird der entscheidende Faktor sein, der das Ergebnis dieses Prozesses bestimmt. Das CWI in der Region wird in der beginnenden stürmischen Periode viele Möglichkeiten haben Einfluss zu gewinnen, wenn es kühn und geschickt seine Analyse, sein Programm und seine zahlenmäßige Stärke entwickelt.

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