Nachtzug-Killer und Nachtzug-Retter

Breite Kampagne fordert: Ausbau des Nachtzugnetzes
Winfried Wolf

Zynischer hätte man es kaum arrangieren können: Ausgerechnet auf der Fahrt eines Promi-Sonderzugs zum Klimagipfel in Paris, im Dezember 2015, verkündete der Ex-Kanzleramtschef und neu installierte Bahnvorstand Ronald Pofalla, die Deutsche Bahn AG beabsichtige im Dezember 2016 die Einstellung aller Nachtzüge. Diese seien „total unwirtschaftlich“.Man habe „alles Erdenkliche unternommen“, doch „trotz der Sanierungsbemühungen“ seien dies Züge „stark defizitär.“ Im übrigen gäbe es „keinen ausreichenden Bedarf für dieses Marktsegment.“ Mit Rio Reiser gilt: ALLES LÜGE!

LÜGE Nummer 1 – „alles unternommen“

Das Gegenteil trifft zu. Die Deutsche Bahn AG betreibt seit mehr als fünf Jahren eine systematische Politik, um die Nachtzüge auf den Prellbock zu dirigieren. Das hat System. Auf diese Weise wurde Ende der 1990er Jahre die beliebte Zuggattung InterRegio (IR) kaputt gemänätscht. Damals nahm man zuerst die Speisewagen aus den Zügen, entfernte sodann die beliebten Kindersitze und legte schließlich die IR-Fahrplan-Daten so, dass Anschlüsse nicht mehr klappten. 2001 wurde verkündet: Operation geglückt – Patient Inter-Regio tot.

Genau dieses Kaputt-mach-Modell kam in jüngererZeit bei den Nachtzügen zum Einsatz. So wurden Ende 2014 moderne Schlaf- und Liegwagen ausgemustert, damit man 2015 jammern konnte, es herrsche „Fahrzeugmangel“. Jahrelang erhielt man bei Onlinebuchungen bei den Nachtzügen die Frust-Mitteilung „Preisauskunft nicht möglich“. Wichtige Verbindungen (so Hamburg – Paris und München – Hamburg) waren wochenlang überhaupt nicht buchbar und fuhren entsprechend fast leer im Netz.

LÜGE Nummer 2 – „keine ausreichende Nachfrage“

Tatsächlich nutzten bisher Jahr für Jahr 2,7 Millionen Fahrgäste die Nachtzüge – trotz der angestrengten Bemühungen des Bahnvorstands, die Züge auf den Prellbock rollen zu lassen. Dabei wird systematisch mit statistischen Tricks gearbeitet – so wenn von einer „sehr niedrigen Auslastung“ der Nachtzüge die Rede ist. Tatsächlich erscheinen in der Statistik der DB ausgebuchte Schlafwagen oft als nur mit 33 Prozent oder gar zwanzig Prozent „Auslastung“, obgleich sie in Wirklichkeit zu einhundert Prozent belegt sind. Wie das? Weil die Dreibettabteile durch Politiker oder Geschäftsleute mit Single-Buchung oder für Pärchen mit Double-Buchung reserviert sind und die Reisenden womöglich nur auf einer Teilstrecke unterwegs sind. Dabei kassiert in solchen Fällen die Bahn ja zu hundert Prozent, behauptet aber eine krass niedrige Auslastung, weil sie solche Sonderbelegungen nicht berücksichtigt beziehungsweise die Belegung auf die zurückgelegten Kilometer umrechnet. Wer jedoch in den letzten Jahren einen Nachtzug buchen wollte, stellte fest, dass diese oft Wochen vor der Fahrt komplett ausgebucht sind. Und überhaupt: Leben wir nicht in einer Gesellschaft, in der die Nacht zum Tag wird und viele Anbieter – siehe „Die lange Nacht der Museen“ – darauf „marktgerecht“ reagieren.

LÜGE Nummer 3 – „völlig unwirtschaftlich“

Auch diese Behauptung kann im Detail zerpflückt werden. Hier nur zwei Hinweise. Erstens: Die Wirtschaftlichkeit der Nachtzüge hängt stark von den Trassenpreisen ab. Das ist die „Schienenmaut“, die Nachtzüge an DB Netz, eine andere Bahntochter, zu bezahlen haben. Damit sind aber die Kosten (und eventuell Verluste) der Nachtzüge zugleich Gewinne bei DB Netz. Wer also bei den Nachtzügen „spart“, senkt die Bahngewinne anderswo. Zweitens: Die Österreichische Bundesbahnen (ÖBB), die grundsätzlich ja auch mit Wasser kochen, bauen den Nachtzugverkehr aus. Sie rechnen im Detail vor, dass Nachtzugverkehr profitabel betrieben werden kann. Warum dort und nicht hier? Grotesk: Die Österreicher wollen Teile der deutschen Nachtzüge übernehmen, wenn die DB AG wirklich aus dem Segment aussteigt. Können Ösis nicht rechnen?

Gegen das Aus bei den Nachtzügen hat sich ein breites Bündnis gebildet. An diesem sind die Betriebsräte der betroffenen Bahntochter (DB ERS – DB European Railservice), die Grünen im Europaparlament, die LINKE im Bundestag, Umweltverbände und die GDL beteiligt. Im Mai erscheint ein Sonderheft der Zeitschrift Lunapark21 zu den Nachtzügen und ein Faltblatt, in dem ein konkretes Modell für ein europaweites Nachtzug-Netz vorgestellt wird. Im Juni wird es medienwirksame Aktionen gegen das Nachtzug-Aus geben.