Libyen: „Humanitäre Hilfe“ verdeckt die zunehmende Intervention des Westens

ArbeiterInnen und Jugendliche in Libyen müssen auf ihre eigene Stärke bauen
Robert Bechert, CWI

Darüber, dass der Bevölkerung von Misrata von loyalen Kräften des Gaddafi-Regimes ein blutiger Zermürbungskrieg aufgezwungen wird, besteht kein Zweifel.

Das Gaddafi-Regime selbst führt zwar einen reinen Überlebenskampf, es ist aber hauptsächlich deswegen in der Lage, in diesem Kampf zu bestehen, weil der ursprüngliche Aufstand vom Februar ins Schwanken geraten ist. Jener Aufstand war durch die Revolutionen im benachbarten Tunesien und Ägypten beflügelt worden. Aufgrund einer fehlenden unabhängigen Führung wurde die Bewegung schließlich von Kräften übernommen, zu denen pro-westliche Elemente und Abtrünnige des Regimes gehören, die mit den wichtigsten imperialistischen Mächten verhandeln wollen. Diese Kombination half wiederum Gaddafi dabei, seine Herrschaft zumindestens bis jetzt stabilisieren zu können. Schreckensherrschaft und das Ausnutzen von Ängsten in der Bevölkerung, wonach man um die sozialen Errungenschaften der letzten vierzig Jahre (wie etwa im Bereich der Gesundheitsversorgung und der Bildung) gebracht werden könne, sind die Zutaten, die Gaddafi bislang erfolgreich agieren lassen.

Das Bündnis, das die Rebellen des Nationalen Übergangsrates (INC) mit dem Imperialismus und reaktionären arabischen Staaten geschmiedet haben, macht es diesen noch schwerer, glaubhafte Aufrufe an die Bevölkerung im Westen Libyens zu richten, wo zwei Drittel der LibyerInnen leben.

Die momentane militärische Pattsituation zwingt die wichtigsten Mächte, stärker über eine direkte Intervention am Boden nachzudenken, wollen sie sich Gaddafis wirklich entledigen. Dessen ungeachtet kann diesem Ansinnen schließlich auch unter dem Banner der „Humanität“ zum Erfolg verholfen werden. Die Europäische Union hat bereits einem 61-seitigen Dokument zugestimmt, das Pläne umfasst, nach denen 1.000 Soldaten auf eine „humanitäre Mission“ nach Misrata geschickt werden sollen, die „mit dem Mandat ausgestattet sind zu kämpfen, sollten sie oder ihre humanitären Schutzbefohlenen bedroht werden“. Ein EU-Vertreter sagte dazu: „Es würde darum gehen, See- und Landkorridore im Land abzusichern“. (The Guardian, London, Website, 18. April 2011)

Bedenkt man den Öl- und Gasreichtum Libyens, so ist es nicht überraschend, dass es unter den europäischen Mächten bereits zu Rivalitäten darüber gekommen ist, wer eine solche Bodenoperation anführen soll. Die deutsche Regierung hat – ganz im Gegensatz zu ihrer Enthaltung bei der UN-Abstimmung über die „Flugverbotszone“ im März – Anfang April angeboten, dass die 900 Bundeswehrsoldaten, die Teil der „Schnellen Einsatztruppe der EU“ sind, in einer solchen Mission eingesetzt werden können. Das wiederum hat Großbritannien und Frankreich verärgert. Und schon hat die britische Regierung eine unverhohlene Kehrtwende vollzogen, um – gegen ihre europäischen Rivalen – die Initiative an sich zu reißen. Sie hat angekündigt, „ergänzende“ Militäroffiziere zur „Unterweisung“ der Bodentruppen der Rebellen zu schicken.

Auch wenn einige LibyerInnen jede Unterstützung in ihrem Kampf gegen Gaddafi gutheißen mögen, so wäre jegliches Vertrauen in diese sogenannten „Freunde“ völlig fehl am Platze. Wenn Gaddafi ein verlässlicherer Verbündeter gewesen wäre, dann hätte der Imperialismus eine andere Haltung ihm gegenüber eingenommen. Als 2009 beim finalen Schlag der Regierung Sri Lankas gegen die Rebellen der „Tamil Tiger“ mehr als 50.000 ZivilistInnen getötet wurden, sind die Großmächte seltsam still geblieben. Man hoffte auf weiterhin gute Beziehungen zum dortigen Regime. Jetzt, da die militärische Intervention zu Ende ist, wird Kritik an der Regierung Sri Lankas geübt. Schließlich hat man an Unterstützung in Colombo verloren, und die dortige Regierung schmiegt sich mehr und mehr dem Rivalen China an.

Keine der Mächte – weder die, die die libyschen Rebellen unterstützen, noch die, die (wenn auch nur mittelbar) dasselbe mit dem Regime Gaddafi tun – kann den Nachweis erbringen, irgendetwas in Richtung Stärkung demokratischer Rechte in Nordafrika oder dem Nahen Osten zu tun. So werden die Rebellen zur Zeit beliefert und finanziert vom autokratischen und feudalistischen Regime in Katar, das noch nie demokratische Parlamentswahlen zugelassen hat.

Dass die westlichen Mächte die reaktionären Regimes im Nahen Osten unterstützen, ist bekannt. Auch im Falle der Angriffe Israels auf Gaza und den Libanon verharrte man in Schweigen. Und hinsichtlich der brutalen Repression des Regimes in Bahrain, wo es zu 500 Verhaftungen gekommen ist und eine Reihe von Inhaftierten im Gefängnis ums Leben gekommen sind, wird nur seichte Kritik geübt. Dieses Regime wird voll und ganz von Militärkräften aus Saudi Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) unterstützt. In den vergangenen Wochen haben auch die VAE, die von einer Bande feudaler Autokraten beherrscht werden, damit begonnen, Oppositionelle zu verhaften. Darunter war Ahmed Mansour, der am 8. April in Dubai festgenommen wurde, nachdem er eine Petition für ein gewähltes Parlament unterschrieben hatte.

Es überrascht nicht, dass der „Menschenrechts- und Demokratiebericht 2010“ des britischen Außenministeriums die VAE oder die innenpolitische Lage in Katar nicht einmal erwähnt; schließlich sind sie wichtige britische Verbündete. Zwar beinhaltet dieser Bericht auch Saudi Arabien, listet in diesem Zusammenhang aber lediglich „Frauenrechte, die Todesstrafe, Rechte ausländischer Arbeitnehmer und Rechtsreformen“ als die Bereiche auf, die für die Regierung als die vier Bereiche von Interesse gelten. Punkte über grundlegende, allgemeine demokratische Rechte und Parlamentswahlen fallen allein dadurch auf, dass sie nicht vorkommen. Denn der britische Imperialismus hofft, dass die saudische Familie die Kontrolle über das Land behalten wird.

Wie wir immer wieder betont haben, liegt der Ausweg aus dieser Situation in einer Bewegung der arbeitenden und jungen Menschen Libyens, die sich auf Grundlage eines Programms zusammentun, das nichts anderes intendiert als den Interessen der Masse der Bevölkerung gerecht zu werden. Solch ein Programm muss auf der Erlangung und dem Erhalt wirklicher demokratischer Rechte basieren, der Beendigung der Korruption und Privilegien, der Sicherstellung und Fortentwicklung sozialer Errungenschaften, die seit Beginn der Ölausbeutung erreicht wurden, der Opposition gegenüber jeder Form von Rekolonialisierung und muss die Perspektive einer demokratisch kontrollierten, in öffentlichem Eigentum befindlichen und geplanten Wirtschaft, um die Ressourcen des Landes im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung einzusetzen, aufzeigen.

Ein solches Programm kann religiöse und Stammesgrenzen – wie in Tunesien und Ägypten – überschreiten und die Masse der Bevölkerung gegen die Gaddafi-Clique und die imperialistischen Versuche vereinen, ihre Position in Libyen zurückzuerlangen und zu einem gemeinsamen Kampf für eine bessere Zukunft führen.

Trotz des UN-Mantels, den sie sich übergezogen hat, darf es für die imperialistische Intervention keine Unterstützung geben. Die arbeitenden Massen und die jungen Menschen Libyens sollten nicht das geringste Vertrauen in die sogenannten demokratischen Mächte zeigen. Sie sollten sich daran erinnern, dass die USA, Großbritannien, Frankreich etc. bis vor einigen Wochen noch die Freunde Gaddafis waren. Und sie sind immer noch die Freunde und Verbündeten von Diktaturen und verrotteten Regimes überall in der arabischen Welt wie Katar, Saudi Arabien und den VAE.

Der einzige Weg, die Pläne der Imperialisten zu durchkreuzen, die Diktatur zu beenden, den blutigen Bürgerkrieg zu einem Ende zu bringen und damit zu beginnen, die Lebensbedingungen der Masse der Bevölkerung zu verändern, besteht in der Gründung einer unabhängigen Bewegung libyscher ArbeiterInnen, armer Menschen und der Jugendlichen, die solch eine wirklich revolutionäre Transformation des Landes durchführen könnten.

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