Kuba 2007: Was blieb von Che Guevaras Erbe?

Gerhard Ziegler

Che Guevara, obwohl bereits vor 40 Jahren von bolivianischen Militärs ermordet, und Fidel Castro, der seit Ausbruch seiner schweren Krankheit vor einem Jahr die Regierungsgeschäfte an seinen Bruder Raúl abgetreten hat und seither fast vollständig aus dem öffentlichen Leben Kubas verschwunden ist, genießen als Führer der kubanischen Revolution bei der Bevölkerung der Zuckerinsel immer noch großes Ansehen. Doch: Was ist aus dieser Revolution geworden?

Die Leistungen der Planwirtschaft

Die herausragendsten Errungenschaften, die bis heute verteidigt werden konnten, sind zweifellos das flächendeckende Schulsystem und das vorbildliche Gesundheitssystem – beides gratis, beinahe unvorstellbar in einem Land der sogenannten "Dritten Welt". Konnte vor der Revolution in einigen Regionen mehr als die Hälfte der Bevölkerung nicht lesen und schreiben, wurde durch die Einführung einer 9-jährigen Schulpflicht und der Verdoppelung der LehrerInnen das Analphabethentum vollständig überwunden. Alle staatlichen Gesundheitsdienste sind kostenlos, Impfprogramme werden flächendeckend vom Kleinkind an durchgeführt, Malaria und Typhus sind vollständig ausgerottet. Die Zahl der ÄrztInnen hat sich von 6.000 auf etwa 60.000 verzehnfacht. Die Kindersterblichkeit wurde auf einen Stand vergleichbar der "1. Welt" gesenkt und die durchschnittliche Lebenserwartung auf Kuba liegt mit 74 Jahren mehr als zehn Jahre über dem lateinamerikanischen Durchschnitt.
Heute entsendet Kuba LehrerInnen und medizinisches Personal auch in befreundete Länder wie Venezuela, aber auch als Katastrophenhilfe in Länder und Regionen, wie etwa Pakistan oder Indonesien, die von Tsunami bzw. Erdbeben heimgesucht wurden und verschafft sich damit ein positives Image bei den Armen der Welt. Auf dem biomedizinischen Sektor gelang es Kuba sogar, sich gegen die Konkurrenz der US-amerikanischen und europäischen Multis als Lieferant von Niedrig-Preis-Produkten besonders in den Ländern der sogenannten "Dritten Welt" durchzusetzen. Kuba avancierte so zum weltgrößten Exporteur von Produkten im Bereich der Hautpflege und von Impfstoffen gegen Hirnhautentzündung, Hepatitis B und anderen Krankheiten.

Die Periode der  Isolation

Diese Erfolge zeigen eindrucksvoll, zu welch außerordentlichen Ergebnissen eine geplante Wirtschaft fähig ist. Trotzdem ist Kuba seit dem Zusammenbruch des Stalinismus  fast 20 Jahre lang einer außerordentlich starken politischen und wirtschaftlichen Isolierung ausgesetzt, die das Land und die Bevölkerung ökonomisch und in den Lebensbedingungen (auch im medizinischen Bereich) stark beeinträchtigen. Anfang der 90-er Jahre, mit Beginn dieser "periodo especial" (Sonderperiode), sank die Wirtschaftsleistung des Landes mehrere Jahre lang jeweils um mehr als 10 %. Infolge dieses wirtschaftlichen Zusammenbruchs wurde der Bevölkerung ein brutales Sparprogramm auferlegt. Die Grundnahrungsmittel wurden rationiert, Konsumgüter kaum mehr verfügbar. Eine der einschneidendsten Maßnahmen war auch die Kürzung des Energieverbrauchs um 50%. Der motorisierte Verkehr kam fast vollständig zum Erliegen. Der elektrische Strom wurde fast täglich für mehrere Stunden abgeschaltet.

Zugeständnisse an den Markt als Lösung?

Mit Zugeständnissen an den Markt wurde versucht, den totalen wirtschaftlichen Absturz zu verhindern. Durch die Legalisierung des Dollar entwickelte sich eine Parallelwirtschaft, die all jene privilegierte, die wie im Tourismus in Dollar ausbezahlt wurden. Diese "periodo especial" dauert im Wesentlichen bis heute an, wobei jedoch seit Anfang dieses Jahrhunderts eine gewisse ökonomische Stabilisierung bemerkbar ist. Diese basiert – neben dem Tourismus – auf den Erdöllieferungen Venezuelas und günstigen Handelskrediten mit China. Ingesamt wurden aber gleichzeitig gerade diejenigen, die im staatlichen Sektor der Planwirtschaft beschäftigt waren wie die LehrerInnen, das medizinische Personal, aber auch die Bau- und ZuckerrohrarbeiterInnen, benachteiligt und die Abhängigkeit vom Weltmarkt erhöht. Das unterminierte die Unterstützung der staatlichen Wirtschaft in der Bevölkerung. 1992 wurde auch das Außenhandelsmonopol abgeschafft. Kuba begab sich mit diesen Maßnahmen auf den Weg Richtung Kapitalismus. Es ist dort aber noch nicht angekommen, denn die wesentlichen Sektoren unterliegen nach wie vor der Planwirtschaft. Auch das Anziehen der Rohstoffpreise – vor allem bei Zucker und Nickel – stützt derzeit Kubas Exportwirtschaft. So wurden etwa vor zwei Jahren noch fast die Hälfte aller Zuckerfabriken wegen Unrentabilität geschlossen und die ArbeiterInnen in ein großes Schulungsprogramm bei Fortzahlung der Bezüge (für ein "Dritte-Welt-Land" eine grandiose soziale Leistung) geschickt. In diesem Jahr wurden viele dieser Fabriken, teilweise modernisiert, wieder eröffnet. Der gestiegene Zuckerpreis machte es möglich. Auch die Bauwirtschaft verzeichnet einen Aufschung und die Entlohnung der ArbeiterInnen sowie die Pensionszahlungen wurden – wenn auch von einer extrem niedrigen Ausgangsbasis – um 10 bis 20% angehoben.

Das Problem der Korruption und fehlender demokratischer Kontrolle

Der Mangel als Folge der wirtschaftlichen Schwierigkeiten förderte die soziale Ungleichheit, Korruption und Bürokratie. Viele kapitalistische Zugeständnisse wurden zurückgenommen, der Dollar durch den CUC (konvertibler kubanischer Peso) ersetzt und ein Prozess der Re-Zentralisierung eingeleitet. Damit einhergehend wurde eine große Antikorruptionskampagne gestartet. Auch innerhalb der kubanischen KP kam es zu einer Säuberungswelle. Doch diese Maßnahmen können das grundlegene Problem nicht lösen. Korruption, Bestechung und Bürokratismus sind in erster Linie nicht das Ergebnis von Menschen schlechten Charakters, sondern das Ergebnis einer Mangelwirtschaft gepaart mit fehlender Demokratie und mangelnder gesellschaftlicher Kontrolle. Diese Mängel gehören aber zu den "Geburtsfehlern" des "kubanischen Weges".

Internationale Perspektive notwendig!

Letzten Endes ist das Schicksal der kubanischen Revolution eng mit der weiteren Entwicklung am lateinamerikanischen Kontinent verbunden. Gelingt es den ArbeiterInnen, Jugendlichen und Armen in Stadt und Land, den US-Imperialismus und die mit ihm verbundenen bürgerlichen Kräfte in den einzelnen Ländern zu schlagen und eine revolutionäre Entwicklung Richtung Sozialismus einzuleiten. Diese basiert auf einer durch demokratisch gewählte ArbeiterInnen-Räte (die in den Betrieben, Gemeinden, Regionen und auf nationaler Ebene organisierten sind) geplanten und kontrollierten Wirtschaft. Dann wird auch die kubanische Revolution auf einer neuen, demokratisch-sozialistischen Ebene überleben können. Gelingt diese Alternative nicht, wird wohl auch in Kuba über kurz oder lang die Planwirtschaft von der Marktwirtschaft abgelöst werden und der breiten Masse der Bevölkerung soziales Elend bescheren. Diese Schicksalsverbundenheit war auch Che Guevara als glühendem Revolutionär und Internationalisten durchaus bewusst ...

Mehr zum Thema: 
Erscheint in Zeitungsausgabe: