Mo 21.04.2008
Dies ist das Ergebnis von fast zwei Jahren „Mitte-Links”-Regierung unter Romano Prodi, unter der die Löhne soweit fielen, dass sie zu den niedrigsten in Europa zählen, „prekäre Arbeitsverhältnisse” sich noch weiter ausgebreitet haben, die Pensionen und der Öffentliche Dienst angegriffen wurden und die Preise der Grundnahrungsmittel emporgeschossen sind. Jetzt stehen die arbeitenden Menschen in Italien angesichts einer drohenden Wirtschaftskrise und noch brutaleren bevorstehenden Angriffen ohne eine politische Massenvertretung da. Zum ersten Mal seit dem Ersten Weltkrieg gibt es keineN „kommunistischen“ oder „sozialistischen“ AbgeordneteN oder Senatoren/in. Ihre Anzahl fiel von 150 auf Null!
Während der Wahlkampagne versuchte Walter Veltroni, Führer der Demokratischen Partei (PD), sich von den Fehlern der Prodi–Regierung (in der die PD die stärkste Partei war) zu distanzieren und die WählerInnen davon zu überzeugen, dass eine Stimme für ihn eine Stimme für etwas „Neues” sei, aber er konnte die Lücke zwischen der PD und der Berlusconi-Partei „Volk der Freiheit“ (PDL) nicht schließen. Berlusconi witzelte, die PD habe so viel von seiner Politik gestohlen, dass er erwogen habe, Veltroni auf den ersten Platz der PDL-Wahlliste aufzustellen! Zu einem gewissen Zeitpunkt schienen ein Senat ohne klare Mehrheitsverhältnisse und eine „Große Koalition” aus PDL und PD ein mögliches Ergebnis zu sein, aber am Ende gewann Berlusconis Koalition mit neun Prozent Vorsprung und einer klaren Mehrheit von einhundert Sitzen im Unterhaus und dreißig im Senat.
Den größten Stimmenzuwachs hatte jedoch Berlusconis Koalitionspartner Lega Nord zu verzeichnen, eine rechts-populistische, Anti-Migrations- Partei, die vor allem im Norden Italiens stark ist, wo sie am meisten von den Proteststimmen gegen das politische Establishment profitieren konnte. Insgesamt verdoppelten sich die Stimmen für die Lega mit über acht Prozent nahezu, das höchste Stimmenergebnis seit 1996, als sie zehn Prozent erreichte. In der Lombardei gewann sie 21,3 Prozent der Stimmen für den Senat und 26,1 Prozent in Venetien, nur zwei Prozentpunkte weniger als die PDL. Sie konnte auch Proteststimmen außerhalb ihres Kernbereiches im Norden mobilisieren, so gewann sie 7,1 Prozent in Emilia Romagna, einer traditionell „linken” Region, doppelt soviel wie die Sinistra arcobaleno. Es gibt keinen Zweifel daran, dass viele Stimmen für die Lega von ArbeiterInnen kamen, die in der Vergangenheit für die Linke gestimmt hätten, aber nun keine Partei mehr sehen, die für ihre Interessen kämpft. In Turin zum Beispiel konnte die Partei ihr Stimmenergebnis auf 6,5 Prozent mehr als verdoppeln. „Wir sind jetzt die ArbeiterInnenpartei” erklärte Lega-Führer Umberto Bossi.
Bossi sagte, seine Partei werden die PDL nicht „in Geiselhaft nehmen“, aber sie werde zweifellos einen bedeutenden Einfluss innerhalb der Koalition haben. Die Lega wird sowohl Druck für mehr finanzielle Autonomie machen, welche dem reicheren Norden begünstigen auf Kosten des verarmten Südens würde, als auch für härtere Politik gegen MigratInnen und für protektionistische Wirtschaftspolitik. Zwischen der PDL und der Lega haben sich bereits Differenzen aufgetan: So sagte Berlusconi, er sei bereit, mit der PD in bestimmten Reformen zusammenzuarbeiten während Bossi die Koalition aufrief, allein zu arbeiten. Diese Gräben könnten sich leicht ausweiten, besonders unter dem Einfluss eines Wirtschaftsrezession und betrieblicher und sozialer Kämpfe.
Der Preis für den Verrat
Die vier Parteien, welche die Sinistra arcobaleno (Regenbogen-Linke) bilden – die PRC (Partei der Kommunistischen Neugründung), die PDCI (Partei der Italienischen Kommunisten), die SD (Demokratische Linke) und die Grünen – zahlten einen hohen Preis für ihre Beteiligung an einer kapitalistischen Regierung und für ihr Unvermögen, die Interessen der ArbeiterInnen und Jugendlichen zu verteidigen. Die Sinistra arcobaleno gewann gerade mal drei Prozent, ein katastrophales Stimmenergebnis, weniger als das Ergebnis der PRC bei den Wahlen 2006 als sie alleine antrat. Zusammen verloren diese Parteien nahezu 75 Prozent ihrer früheren Stimmen - insgesamt drei Millionen!
Es wird geschätzt, dass vierzig Prozent dieser Stimmen zur PD gegangen sind, da Leute sich haben einreden lassen, eine „nützliche Stimme“ abzugeben, wie es die beiden großen Parteien nannten, um einen Sieg Berlusconis zu verhindern. Andere werden für die beiden kleinen antikapitalistischen Parteien gestimmt haben – die „Kommunistische Arbeiterpartei” (PCl) und die „Kritische Linke (Sinistra Critica), die zusammen um die ein Prozent bekamen – und ca. zwei Prozent scheinen zur Lega Nord gegangen zu sein.
Viele andere jedoch blieben einfach zu Hause und sahen es nicht ein, überhaupt zu wählen. Der Rückgang der Wahlbeteiligung (3,5 Prozent) war der größte seit dem Zweiten Weltkrieg - in einem Land, wo die Wahlbeteiligung gewöhnlich sehr hoch ist. Der Rückgang war am stärksten in den so genannten „roten“ Regionen wie Ligurien (5,4 Prozent) und der Emilia Romagna, was den hohen Grad an Wut, Frustration und Demoralisierung unter vielen ArbeiterInnen widerspiegelt, die sich von den Parteien der “Linken” komplett verraten fühlen.
Nachdem er die katastrophale Politik der Kollaboration mit Prodi und der PD initiiert und weitergeführt hat, trat Fausto Bertinotti als „Führer“ der Sinistra arcobaleno zurück. Aber er hat nichts aus dieser Erfahrung gelernt. Er hat der Beteiligung an kapitalistischen Regierungen nicht abgeschworen und erklärte in der Wahlnacht, dass der größte Fehler gewesen sei, die Sinistra arcobaleno „zu spät” gegründet zu haben. Er und seine Anhänger sind immer noch entschlossen, den Aufbau einer „vereinigten“ Partei voran zutreiben. Aber Einigkeit mit wem? Die PDCI befand es nicht einmal für nötig, in der Wahlnacht bei der Pressekonferenz aufzutauchen und bereitet sich offensichtlich auf einen Alleingang vor. Die Wahlkatastrophe wird die falschen Linien aufbrechen, die bereits innerhalb und zwischen der SD, den Grünen und der PRC existieren.
Dieses Ergebnis ist eine scharfe Warnung für alle, die versuchen neue ArbeiterInnenparteien zu gründen. Wenn eine solche Partei nicht unabhängig bleibt, sich aus Koalitionen mit kapitalistischen Parteien nicht heraushält und nicht auf der Grundlage wirklich sozialistischer Politik kämpft, kann sie ihre Basis rapide verlieren, desintegrieren oder sich sogar in kapitalistische Formationen auflösen.
Krise und Instabilität
Italien hatte 62 Regierungen in 63 Jahren und Berlusconi ist der einzige Premierminister, der die gesamten fünf Jahre lang im Amt geblieben war. Zweifellos wird das einige Menschen, die ihn wählten und auf eine “stabile” Regierung hofften, beeinflusst haben. Berlusconi selbst hat erklärt, dass er weitere fünf Jahre regieren wird. Trotz seiner klaren Mehrheit wird seine Regierung jedoch wahrscheinlich eine Regierung der Krise sein, die vor Ablauf der Amtsperiode fallen könnte.
Die italienische Wirtschaft befindet sich bereits in äußerster Not bevor sich die US-Rezession in Europa niederschlägt. Die Financial Times druckte vor kurzem eine „Wetterkarte” des Wachstums in Europa ab, die sich auf Prognosen des IWF stützte. In Italien stürzten Regengüsse nieder und ein Wachstum von 0,3 Prozent für dieses Jahr wurde vorhergesagt, das niedrigste in Europa. Nach Aussagen der OECD sind die Löhne niedriger als in Griechenland und die Produktivität liegt auf dem Niveau von Mexiko!
Sogar Berlusconi musste die Probleme anerkennen, denen sich der italienische Kapitalismus gegenübersieht und erklärte, die „Wirtschaftskrise wird Opfer bedeuten“ und seine Regierung werde „unpopuläre Dinge " tun müssen. Natürlich wird es die ArbeiterInnenklasse sein, von der die größten Opfer erwartet werden, durch Kürzungen der Staatsausgaben, mehr Privatisierung und gesteigerte „Produktivität“. Vertreter des Big Business machen bereits Druck für rasche und tiefgreifende „Reformen”. Sie waren enttäuscht von der letzten Berlusconi-Regierung, die ihrer Meinung nach den größten Teil ihrer Zeit damit verbracht hatte, Gesetze durchzudrücken, die eher Berlusconis eigene Geschäftsinteressen schützen und eine Gefängnisstrafe verhindern sollten, als die allgemeinen Interessen des italienischen Kapitalismus zu verteidigen. Diesmal müsse Berlusconi „Sinn für Verantwortung“ haben, schrieb die Business-Zeitung „Il Sole di 24 hore“. Mit einer Mehrheit in beiden Kammern hat er keine Ausrede mehr.
Die herrschende Klasse fürchtet jedoch, dass der Widerstand und die Frustration der ArbeiterInnenklasse, angesichts der nun fehlenden Repräsentanz im Parlament, mit Generalstreiks und millionenstarken Demonstrationen gegen ihre Wirtschafts- und Außenpolitik in den „Piazzas“ explodieren wird, wie es unter den letzten beiden Berlusconi-Regierungen der Fall war. Selbst wenn die Wahl Berlusconis wahrscheinlich die Stimmung von Betroffenheit und Unsicherheit unter vielen ArbeiterInnen und Jugendlichen weiter verstärken wird, kann das sehr schnell den Weg für explosive Bewegungen ebnen. Sarkozy wurde in Frankreich als ein „starker”, entschlossener Führer, der das Land umkrempeln könne, zum Sieg geschwemmt. Innerhalb von Monaten gingen die ArbeiterInnen in die Opposition und seine Werte in den Meinungsumfragen sind in den Keller gegangen. Dies zeigt, wie schnell sich die Stimmung ändern kann.
Wenn die Führer der drei wichtigsten Gewerkschaftsverbände in Italien ihre Politik der „concertazione“ (mit der Regierung reden und Kämpfe zurückhalten) fortführen, könnten sie von wütenden ArbeiterInnen umgangen werden, die spontan und inoffiziell Aktionen durchführen. Bewegungen können auch um soziale Fragen herum ausbrechen, wie Atomenergie, Truppenaufstockung in Afghanistan oder Angriffe auf das Recht auf Abtreibung.
Wiederaufbau der Linken
Aus dieser Art Bewegungen, welche viele ArbeiterInnen und junge Menschen einbeziehen werden, für die kämpfen etwas völlig Neues ist, wird sich die Linke in Italien wiederaufbauen. Viele davon werden offen sein für eine Bewegung für eine neue antikapitalistische ArbeiterInnenpartei, um gegen Berlusconis Angriffe und für eine radikale Umwandlung der Gesellschaft zu kämpfen.
Es gibt immer noch tausende von AktivistInnen innerhalb der PRC und der anderen wesentlichen Bestandteile der Sinistra arcobaleno, die sich dagegen wehren, dass sich ihre Parteien in ein deutlich misslungenes politisches Projekt auflösen. Einige werden nach solch einer niederschmetternden Wahlniederlage keine Energie mehr für einen Kampf haben, aber andere werden bereit sein, die Schlacht um eine wirkliche ArbeiterInnenpartei zu führen. Es gibt auch viele andere ArbeiterInnen und Jugendliche in bereits vorhandenen Bewegungen, die in den Kampf für eine neue Partei einbezogen werden könnten.
Der Ruf nach einer solchen Partei müsste einen breiteren Anspruch ausdrücken als den einer Partei der „Avantgarde”, welche die Kommunistische ArbeiterInnenpartei fordert – was heißt, dass quasi jeder bei ihnen eintreten und ihr Programm und ihre Strukturen akzeptieren soll. Er sollte expliziter auf die ArbeiterInnenklasse orientieren, und wirkliche sozialistischer Ideen formulieren, statt der vagen „antikapitalistischen Plattform“, für die die Sinistra Critica wirbt.
Der Aufbau einer ArbeiterInnenpartei wird nach den letzten Erfahrungen von Rückschlägen und Niederlagen auf betrieblich-gewerkschaftlicher und politischer Ebene kein einfacher oder gradliniger Prozess sein. Aber er ist notwendig und muss jetzt von all denjenigen angegangen werden, die seine Wichtigkeit begreifen und bereit sind, dafür zu kämpfen. CWI-Mitglieder in Italien werden sich aktiv an diesem Prozess und den Kämpfen gegen Berlusconi und für ein revolutionäres sozialistisches Programm beteiligen.