Irland: Staat will „Jobstown Not Guilty“ mundtot machen

Historische „Assembly for Justice“ (dt: Versammlung für Gerechtigkeit) trotzt den Versuchen, Proteste zum Schweigen zu bringen
von Danny Byrne, Komitee für eine Arbeiterinternationale (CWI)

Am 29. März vollzog der irische Staat eine drastische Wende hin zu einer autoritären Offensive. Diese Offensive versucht Widerstand zu kriminalisieren. Es geht insbesondere um den symbolischen Protest in Jobstown gegen Wassergebühren und Austerität, welcher das Auto der damaligen Vize-Premierministerin Joan Burton für kurze Zeit blockierte, als diese 2014 das Arbeiterviertel Jobstown in Dublin besuchte. Für ihre Teilnahme an diesem Protest wird 18 Menschen die absurde Anschuldigung der „Freiheitsberaubung“ angedichtet. Unter ihnen befindet sich auch der Parlamentsabgeordnete der linken „Solidarity“ (ehemals Anti-Austerity-Alliance) und Socialist Party (Schwesterorganisation der SLP in Irland) Mitglied Paul Murphy, sowie weitere Mitglieder der Socialist Party. Der Prozess soll am 24. April beginnen und kann bei vollem Strafmaß lebenslange Haft nach sich ziehen.

Die Kampagne Jobstown Not Guilty gründete sich als Antwort auf diesen Skandal. Sie fordert die Anschuldigungen fallenzulassen und organisiert Öffentlichkeitsarbeit, um die Wahrheit über die Hintergründe des Jobstown-Protests und die Unschuld der Angeklagten zu verteidigen.

Die Kampagne hat durch Aufklärungsflugblätter umfassend Solidarität organisiert und mobilisierte für eine Massenversammlung, eine „Versammlung für Gerechtigkeit“, in Dublin am 1. April. Die irische Arbeiterklasse antwortete mit Empörung auf diesen krassen Angriff auf das Recht auf Protest und auf die Kämpfe gegen die Wassergebühren und die Austerität. Unterstützung für die Kampagne und die Angeklagten ist weit verbreitet.

Staat schlägt aus Angst um sich – doch wird zurückgedrängt

Die Kampagne, sowie die dahinter steckende Gefahr von Aktionen und Radikalisierung der Arbeiterklasse, verkörpert einen Albtraum für das Establishment. Jenes hatte gehofft, die Beschuldigten kurz und schmerzlos vor die Gerichte zu zerren und dann (so zumindest die Hoffnung) direkt weiter ins Gefängnis zu schicken.

Doch als die Dynamik an Fahrt aufgenommen und hunderte Plakate in ganz Dublin die „Versammlung für Gerechtigkeit“ beworben hatten, schlugen sie aus Angst wild um sich und versuchten verzweifelt, jene die sie wegsperren wollten, mundtot zu machen.

Am 29. März berief die „Direktorin der öffentlichen Strafverfolgung“ (DPP – Beamte, die in Irland für alle strafrechtlichen Verfahren verantwortlich ist; Anm. d. Ü.) die Angeklagten vor Gericht ein – mit einer Vorankündigung von 24 Stunden. Sie behauptete, dass die Pläne und Aktivitäten der Jobstown Not Guilty-Kampagne die Integrität des Gerichts verletzen würden und versuchte, die Kautionsauflagen der Angeklagten auszuweiten, indem sie ihnen die Teilnahme an der Kampagne und an Protestveranstaltungen verweigern und sie sogar vom öffentlichen Reden über den Fall (oder Kommentieren in sozialen Medien) abhalten wollten. Damit wollte sie verhindern, dass die Beschuldigten die öffentliche Wahrnehmung dieses historischen Angriffs auf das Recht auf Protest steigern.

Die DPP forderte, dass die Angeklagten diese Einschränkungen befolgen sollten – andernfalls drohe ihnen sofortige Haft. Somit würden sie die gesamte Zeit bis zum Prozess verlieren, sowie die Zeit während des Prozesses selbst, welcher voraussichtlich mindestens sechs Wochen beanspruchen wird. Den Beschuldigten ein solches Ultimatum mit einer Vorankündigung von 24 Stunden zu geben, war offensichtlich ein Versuch sie durch Schikane zum Aufgeben zu bewegen.

Doch die Angeklagten zeigten beeindruckende Entschlossenheit und wiesen daraufhin, dass solche drakonischen Bedingungen vollkommen inakzeptabel seien. Sie bekräftigten, dass sie diese Kautionsauflagen nicht annehmen würden und dass sie bereit sind ins Gefängnis zu gehen, um das Recht auf Protest und ihre Unschuld gegen die Scheinanschuldigungen zu verteidigen. Die Kampagne wechselte in den fünften Gang. Die vielen Menschen, die erfuhren was gerade passiert, reagierten mit Schock, Fassungslosigkeit und Entrüstung.

Das war ein Versuch, die Jobstown Not Guilty-Kampagne zu eliminieren, die „Versammlung für Gerechtigkeit“ zu sabotieren und die Effektivität der Öffentlichkeitsarbeit zu untergraben. Jedoch ging der Schuss für das Establishment auf jede erdenkliche Art nach hinten los.

Der Parlamentsabgeordnete Paul Murphy sagte (am 30. März, also vor der „Versammlung für Gerechtigkeit): „Wir antworteten auf den neuesten Angriff auf das Recht auf Protest in der Form, wie wir das immer tun – indem wir dieses Recht ausüben. Das Resultat dessen war, dass die DPP den Antrag auf Ausweitung der Kautionsauflagen fallen gelassen hat. Stattdessen wurde uns eine eingeschränkte Verpflichtung auferlegt – obwohl wir morgen an der Versammlung für Gerechtigkeit teilnehmen und sprechen werden, werden wir den Prozess nicht erwähnen. Andere werden über unsere Kampagne gegen den Angriff auf das Recht auf Protest sprechen. Sobald die Versammlung beendet ist, steht es uns frei den Prozess wiederzuerwähnen, solange wir die Rechtsprechung nicht behindern, was auch nie unsere Absicht war. Wir werden uns weiter aktiv in die Jobstown Not Guilty-Kampagne und die Öffentlichkeitsarbeit einbringen.“

Das bedeutet, dass der Staat zumindest kurzzeitig in den 48 Stunden nach dem Antrag der DPP einen flüchtigen Eindruck jener massenhaften Empörung bekommen hat, die ein solcher Schritt nach sich gezogen hätte. Davon ausgehend ist er von dem Versuch, diese drakonischen neuen Bedingungen durchzusetzen, zurückgewichen. Alles was sie erreicht haben, war, dass sie nur noch klarer die undemokratische und drakonische Natur dieses Falls und ihrer Absichten gezeigt haben.

Assembly for Justice – eine historisches Zeugnis des Arbeiterwiderstands

Eine oder auch zwei Tränen sind in den Korridoren der Macht sicherlich geflossen als die Bilder und Videos aus der bekannten, gewerkschaftsnahen „Liberty Hall“ in Dublin veröffentlicht wurden. Am Samstag, den 1. April versammelten sich über 700 Menschen und zeigten eine historische Darbietung von Widerstand und Kampfgeist.

Die Veranstaltung begann damit, dass sich die Beschuldigten – mit Klebeband geknebelt – auf der Bühne aufreihten. Dieses Klebeband rissen sie ab und warfen es unter donnerndem Applaus und begeisterten Rufen beiseite. Die Veranstaltung war elektrisierend – ein massenhafter Ausbruch von Wut, Solidarität und Entschlossenheit unter solider Teilnahme aus der Arbeiterklasse. Prominente aus Medien, Kultur und Sport standen zusammen mit GewerkschafterInnen, MieteraktivistInnen und SozialistInnen auf der Bühne. Paddy Hill von den berühmten Birmingham 6, welcher tatsächlich für 16 Jahre durch den britischen Staat seiner Freiheit beraubt wurde, und Paul Murphy stachen durch besonders mitreißende Beiträge aus der dreistündigen Versammlung heraus, welche durchgängig von Ovationen unterbrochen wurde. Sie spiegelte das Zusammenkommen von verschiedenen Adern des Widerstands, Arbeitercommunities und ihren Kämpfen. Sie war sich der vereinigenden und überragenden Bedeutung dieses historischen Kampfes vollkommen bewusst.

Etwas faul im Staate?

Der einschneidende Schritt der letzten Woche kam von einem staatlichen Establishment, welches in eine Krise verwickelt ist, die ihre Autorität und Glaubwürdigkeit massiv untergräbt. In den letzten Wochen und Monaten waren die Schlagzeilen voll von Geschichten über Korruption und Vetternwirtschaft an der Spitze der Polizei – wobei besonders Chief Commissioner Nóirín O’Sullivan in der Schusslinie stand.

Das Offensichtliche, welches Teil all dieser Krisen ist, war dennoch Jobstown. Dieselbe Polizei-Commissioner hat sich direkt in den Fall eingemischt und ein Team von vier Polizisten aufgestellt, welches für Monate rund um die Uhr versucht hat, den Jobstown-Protest zu kriminalisieren. Sie haben eine Spionage-Operation gestartet (Operation Mizen, unter der Führung des Ehemanns des Commissioner), welche versuchte „im Dreck zu wühlen“ und Paul Murphy und anderen TeilnehmerInnen des Protests und der Anti-Wassergebühren-Bewegung etwas anzuhängen. Millionen Euros an Steuergeldern wurden ausgegeben, um 18 ArbeiterInnen aus Jobstown und anderen nachzustellen.

Die Polizeihierarchie ließ dann die Nachricht durchsickern, dass die Protestierenden der Freiheitsberaubung beschuldigt werden, bevor diese Beschuldigung überhaupt die Angeklagten erreichte!

Das alles ist offensichtlich ein abgekartetes Spiel. Die Angeklagten sind Opfer einer undurchsichtigen Staatsmaschinerie, welche in Skandale verwickelt ist und das bisschen Respekt und Legitimität noch verliert, welche sie unter ArbeiterInnen und Jugendlichen hat. Auf der Versammlung für Gerechtigkeit bekam Paul Murphy eine kräftiges Echo, als er über die Ansicht der Socialist Party sprach, dass eine wahrhaft demokratische, gemeindebasierte, alternative Polizei eine immer dringendere Notwendigkeit wird. Jobstown Not Guilty hat durch diesen Kampf das Potenzial hervorgerufen, grundlegend die wahre Natur des repressiven, irischen Staatsapparats den tausenden ArbeiterInnen und Jugendlichen zu offenbaren.

Neue Phase sozialer Konflikte

Die staatliche Offensive auf das Recht auf Protest und sich zu organisieren findet zu einer Zeit statt, in der der Kampf wichtiger denn je wird, da sich eine neue Phase von sozialen und gewerkschaftlichen Konflikten in Irland eröffnet. Am 31. März – dem Tag, an dem die Jobstown-Beschuldigten vor Gericht den letzten Skandal anfochten – befand sich das Land im Griff eines wilden Generalstreiks des Transportwesen. Zug- und BusarbeiterInnen legten im ganzen Land die Arbeit aus Solidarität nieder und weigerten sich, die Streikposten der Bus Eireann-ArbeiterInnen zu durchbrechen. Diese befinden sich seit über zehn Tagen nun im uneingeschränkten Ausstand. Das ist Teil der Wiederbelebung der Arbeitskämpfe. ArbeiterInnen im Transport- und Bildungswesen, sowie im Einzelhandel und anderen Sektoren versuchen mit immer kämpferischeren Methoden den Kampf gegen die chronische Zurückhaltung bei Löhnen aufzunehmen.

Wenn das Establishment in diesem Prozess gewinnt und friedlichen Protest als „Freiheitsberaubung“ brandmarkt, würden auch solche Aktionen leichter in einer ähnlichen Art und Weise so eingestuft werden. Das Recht, Streikposten aufzustellen, oder lediglich durch eine Stadt zu demonstrieren und den Verkehr zu verzögern, sind in Gefahr.

Vor diesem Hintergrund und angesichts der Bedeutung dieses Kampfes für die breitere Gewerkschaftsbewegung, lief eine Delegation der uniformierten, streikenden BusarbeiterInnen zur Versammlung für Gerechtigkeit und wurden mit riesigem Applaus empfangen. Ein führender Aktivist der NBRU (National Bus and Rail Union, dt: Gewerkschaft für Bus und Bahn und im Zentrum der gegenwärtigen Auseinandersetzung) sprach zur Versammlung, wie auch der Vorsitzende der UNITE-Gewerkschaft in Irland, Jimmy Kelly.

Ein entscheidender Kampf

Dies ist nur der Anfang der Schlacht. Sie kann eine entscheidende für den irischen Klassenkampf werden. Die Socialist Party, als Teil von Solidarity – The Left Alternative, steht im Zentrum sehr bedeutsamer Ereignisse, welche einen Wendepunkt für die Entwicklung einer neuen, kämpfenden Massenkraft der sozialistischen Linken darstellen können. Unsere sozialistische Vision der revolutionären Veränderung war ein Faden, welcher sich durch viele der Diskussionen vom Samstag spann. Er kann in den kommenden Monaten die Ohren vieler Tausender mehr erreichen.

Wir setzen uns dafür ein, die Kämpfe, Forderungen und Bedürfnisse von Jobstown Not Guilty, der massenhaften Frauenbewegung für Abtreibungsrechte und der anwachsenden Welle von Arbeitskämpfen zu einem politischen Kampf zusammenzubringen, welcher das verfallende Establishment der korrupten und rückständigen irischen, herrschenden Klasse durch eine echte, sozialistische Demokratie ersetzt.

Die Arbeiterklasse und Jugendbewegung in Irland und darüber hinaus sollte Jobstown würdigen – eine kleine, mutige, kämpferische und entschlossene Arbeitergemeinde. Ihr Zusammenhalt mit den Angeklagten und ihr Trotzen gegen die Verunglimpfung, Repression und Einschüchterung verdient Achtung und Solidarität von ArbeiterInnen, GewerkschafterInnen, Jugendlichen und SozialistInnen aus aller Welt.

Dieser Artikel erschien zuerst am 04. April 2017 in englischer Sprache auf www.socialistworld.net