Iran: Eine Generation im Aufstand

Wie kann die Bewegung in Iran erfolgreich sein – Forderungen und Perspektiven
Albert Kropf, Charly Mittersteger, Laura Rafetseder, Sebastian Kugler und Sonja

Hunderttausende IranerInnen auf der Straße. Zehntausende ExiliranerInnen demonstrieren in Solidarität mit der Bewegung international. Die Farbe der Bewegung ist Grün, in Anlehnung an die Farbe des unterlegenen/betrogenen Kandidaten Moussavi (und in Anlehnung an Grün als die Farbe des Islam). Was in der Bewegung fehlt, ist ein "roter Flügel" - d.h. eine Kraft, die sozialistische Forderungen einbringt. Aber ist das überhaupt sinnvoll? Steht es uns - hier "im Ausland" - überhaupt zu, Vorschläge zu machen oder gar Kritik zu üben?
Als SozialistInnen verfolgen und analysieren wir Entwicklungen in verschiedenen Ländern, heute aber auch jene in der Vergangenheit. Wir wollen aus den Erfahrungen lernen und Schlussfolgerungen ziehen, um Fehler nicht zu wiederholen. Als InternationalistInnen sehen wir es als unsere Verantwortung, auch zu Ereignissen in anderen Ländern Stellung zu beziehen und Vorschläge zu machen, wie Bewegungen vorwärts gehen können.

Volle demokratische Rechte

Die mehrheitlich jugendliche Bevölkerung ging gegen den vermuteten Wahlbetrug auf die Straße. Doch rasch ging es um mehr. Die Demonstrationen waren ein Ventil für den seit Jahren wachsenden Unmut. Freie Presse oder das Recht, Flugblätter zu produzieren und zu verteilen, gibt es nicht. Mit Ausnahme der kurzen Periode von 1979, als die ArbeiterInnenklasse die Machtfrage stellte, gab es in Iran nie umfassende bürgerliche Freiheiten. Der vom Westen gestützte Schah stand mit freien Gewerkschaften auf Kriegsfuß. Solange die islamische "Republik" Iran als Bollwerk gegen "den Kommunismus", bzw. gegen den Irak für die USA von Nutzen war, wurde die Unterdrückung der Opposition und der Frauen kritiklos akzeptiert. Auch Moussavi & Co. haben kein Interesse an wirklicher Demokratie. Denn eine freie Presse würde über die Rolle von Moussavi als Premierminister (1981-89) berichten und über seine Verantwortung für die Ermordung zehntausender Oppositioneller. Die Durchsetzung demokratischer Grundrechte ist daher nicht mit, sondern gegen die "grünen Reformer" möglich.
Zu den demokratischen Grundrechten gehört auch die volle Gleichstellung aller ethnischen und religiösen Gruppen, sowie der volle Schutz der Rechte von Minderheiten. Da nur 52% der Menschen in Iran PerserInnen sind, gibt es eine - von den Herrschenden gewünschte - Spaltung entlang ethnischer Linien. Auch wenn es paradox klingen mag: diese Spaltung kann nur durch die Verteidigung der kulturellen/ethnischen Rechte durch die Massenbewegung überwunden werden.   

Freilassung aller politischen Gefangenen

In Iran gibt es wohl zehntausende politische Gefangene, darunter auch eine Reihe prominenter Oppositioneller bzw. RegimekritikerInnen. Die Behandlung der Gefangenen ist brutal. Mittels Schauprozessen wird versucht die Oppositionellen in der Öffentlichkeit zu diffamieren. Das drückt auch die Verzweiflung des Regimes aus, das hofft, durch besondere Brutalität die Bewegung unterdrücken zu können.
Gleichzeitig hat Iran hat den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte der UNO unterzeichnet und ratifiziert. Westliche Regierungen protestieren gegen die Behandlung der Opposition. Auch wenn Einzelne durch die prominente Unterstützung befreit werden können, ändert das wenig. Die Homosexuellen und die GewerkschafterInnen sind dem Westen egal. Es ist scheinheilig, wenn der deutsche Außenminister Steinmeier die Freilassung der politischen Gefangenen in Iran fordert, gleichzeitig aber Deutschland der zweitwichtigste Handelspartner von Iran ist und diesen auch mit Überwachungstechnologien von Siemens oder Elektroschlagstöcken aus deutscher Produktion beliefert.
Wenn sich die politischen Gefangenen auf internationales Recht und die westlichen Regierungen verlassen, haben sie verloren. Die Freilassung aller politischen Gefangenen muss insbesondere von den Organisationen der ArbeiterInnenbewegung aufgestellt und aktiv verfolgt werden. Wenn z.B. die TransportarbeiterInnengewerkschaft die Einfuhr iranischer Waren verhindert oder Gewerkschaften massive Proteste vor iranischen Einrichtungen organisieren, dann baut das einen enormen Druck auf.

Keine Zusammenarbeit mit iranischen Behörden

Die Erfahrung lehrt: die österreichischen Behörden stehen nicht auf Seiten der Opfer, sondern der jeweiligen Regierungen. In Folge der "Kurdenmorde" 1989 konnten die mutmaßlichen Täter in der iranischen Botschaft untertauchen und unbehelligt ausreisen. Der Staat hat die Aufgabe, die Interessen von Wirtschaft und herrschender Klasse zu schützen. Dabei hat er auch kein Problem, Geschäfte und enge Kontakte zu brutalen Regimes zu haben. 1967 z.B. konnten Angehörige des iranischen Geheimdienstes in Westberlin DemonstrantInnen verprügeln, die gegen einen Besuch des Schahs protestierten. Die deutsche Polizei sah zu (und erschoss später den Studenten Benno Ohnesorg).
Es ist also davon auszugehen, dass es auch heute enge Kontakte zwischen den Behörden gibt. Es ist nicht auszuschließen, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung - BVT Daten an die iranischen Behörden weiterleitet. Je größer diese Demonstrationen sind, umso schwerer ist ihre Überwachung. Es ist die Aufgabe österreichischer TeilnehmerInnen, die iranischen KollegInnen kollektiv vor der Bespitzelung zu schützen.

Schluss mit der Frauenunterdrückung

Die Bewegung wird stark von Frauen getragen. Die getötete Studentin Neda ist zu ihrem Symbol geworden. Es geht den Iranerinnen nicht um Lippenstift und westliche Kleidung, sondern um ein selbstbestimmtes Leben. Die westliche Beschränkung darauf, dass "der Islam frauenfeindlich" ist, greift zu kurz. Wie alle Religionen ist der Islam frauenfeindlich, weil er die "biologische Rolle" ins Zentrum rückt. Wie aber ebenfalls bei allen Religionen gibt es sehr unterschiedliche Auslegungen. Die katholische Kirche verweigert Frauen den Zugang zu Priesterämtern und verbietet Scheidung. Manche islamische Strömungen bestehen auf einer Verschleierung der Frau. Seit ihrer Machtergreifung 1979 hat sich die Situation von Frauen in Iran massiv verschlechtert. Gleichzeitig ist der Bildungslevel stark angestiegen. Die Alphabetisierungsrate der 15-30jährigen liegt bei 97%. Ein Drittel der Beschäftigten sind weiblich, 63% der Studierenden und ein Drittel aller AkademikerInnen mit Doktortitel ebenfalls. Aber es gab seit 1979 keine weiblichen MinisterInnen mehr. Dass Ahmadinejad jetzt wieder welche ins Amt holt, ist ein Tribut an die Bewegung.
Der Kampf für die Rechte von Frauen in Iran beschränkt sich nicht auf die Frage der Verschleierung. Es geht um die politische Partizipation und v.a. um soziale Rechte. Gerade für Frauen sind daher gewerkschaftliche Rechte wichtig - denn nur wer ein Einkommen hat, von dem ein eigenständiges Leben möglich ist, kann ein solches auch praktisch führen.

Für die Trennung von Religion und Staat

In Iran gibt es eine reiche Geschichte der ArbeiterInnenbewegung, die nicht religiös gefärbt ist. Dass 1979 ein "Gottesstaat" errichtet wurde, obwohl eine soziale Revolution der ArbeiterInnenklasse begonnen hatte, die ganz real die Machtfrage stellte, liegt in den Fehlern der linken Organisationen. Die moskautreue Tudeh-Partei meinte damals, es wäre "zu früh" für eine sozialistische Gesellschaft und gab die Parole für eine "demokratische Islamische Republik" aus. Sie marschierte hinter der kapitalistisch-islamischen Geistlichkeit her, anstatt die Macht, die auf der Straße bzw. in den Händen der demokratischen Komitees, der Shoras lag, zu ergreifen. Die religiösen Führer waren weniger zimperlich, entrissen der iranischen ArbeiterInnenklasse die Macht und verfolgten Linke und GewerkschafterInnen.
Die Trennung von Religion und Staat ist eine bürgerliche Grundforderung, die aus dem Bedürfnis des Kapitals entstanden ist, die profit-beschränkenden feudalen Grenzen zu überwinden. Aufgrund der verzögerten Entwicklung des Kapitalismus in Iran ist nie eine unabhängige starke bürgerliche Klasse entstanden, die diese Trennung hätte vollziehen können. Religion sollte Privatsache sein - um das durchzusetzen braucht es eine starke nicht-religiöse ArbeiterInnenbewegung.

Aufbau demokratisch gewählter Komitees

Die Bewegung verläuft in vielen Bereichen spontan. Das gibt Teilen der herrschenden Schicht, z.B. rund um Moussavi die Möglichkeit, sie zu steuern und den eigenen Einfluss auszubauen. Aber Moussavi & Co. haben andere Ziele als die Studierenden, die ArbeiterInnen und die Armen, die an den Protesten teilnehmen. Sie müssen daher ihre eigenen, demokratischen Strukturen aufbauen, in denen die Ziele und die nächsten Schritte im Kampf diskutiert, entschieden und umgesetzt werden. Sie müssen sich gleichberechtigt aus Frauen und Männern zusammensetzen und die Religion ist Privatsache in solchen Komitees. Im Gegensatz zu bürgerlichen Parlamenten haben solche Komitees keine starren Regeln, sondern können auf Veränderungen reagieren, weil ihre TeilnehmerInnen selbst entscheiden, was geschieht - und wer sie vertritt (oder eben auch nicht mehr). Solche Komitees gab es schon in der Revolution von 1979 in Form der Shoras. Sie sind die logischen Strukturen, die entstehen, wenn die ArbeiterInnenklasse und die Armen in den Kampf eintreten. Nur sie können sowohl den Kampf organisieren als auch sicherstellen, dass künftige Wahlen frei und demokratisch ablaufen.

Organisierung und Kämpfe der ArbeiterInnenbewgung

In Iran leben 70% der Menschen in den Großstädten, die ArbeiterInnenklasse ist die stärkste Kraft in der Gesellschaft. Seit 2004 haben Streiks und Arbeitskämpfe wieder zugenommen. Teheraner Busfahrer, Beschäftigte in den Zuckermühlen im südiranischen Haft Tapeh, LehrerInnen, TextilarbeiterInnen und die AutobauerInnen bei Iran Khodro haben Streiks und Kämpfe um Arbeitsplätze und Löhne organisiert. Es ging immer auch um das Recht, freie Gewerkschaften zu gründen. 2005 führte ein landesweiter Streik- und Protesttag im Juli sogar zu Streiks in der heiligen Stadt Qom. In diesem Jahr wurden bei den Mai-Demonstrationen im Laleh-Park in Teheran mehr als 80 AktivistInnen festgenommen. Obwohl illegal und verfolgt, gibt es gewerkschaftliche Strukturen.
Der ÖGB ist aufgefordert, alle gewerkschaftlichen und betrieblichen Strukturen in Iran aktiv zu unterstützen. Die Forderung nach freien Gewerkschaften ist zentral für den weiteren Kampf. Die ArbeiterInnenklasse ist die entscheidende Kraft dafür, ob die jüngste Bewegung erfolgreich sein kann. Wenn sie in Massen und als Klasse in den Kampf eintritt, dann kann sich das Regime nicht halten. Der Schah wurde durch einen Generalstreik gestürzt - auch heute kann ein Generalstreik ein entscheidender Schritt für den Sturz der Mullahs sein.

ArbeiterInnenkontrolle und -verwaltung

Iran ist als viertgrößter Erdölproduzent ein reiches Land. Trotzdem ist die soziale Situation der Mehrheit alles andere als rosig: die Arbeitslosigkeit liegt bei geschätzten 20 %, die Inflation bei 30 %. Die Erdölindustrie ist zwar verstaatlicht, aber weil Iran eben ein kapitalistisches Regime hat, wird mit voller Wucht gegen die Beschäftigten vorgegangen. Proteste der Erdölarbeiter hatten sich z.B. 2000 gegen den Abbau von 40.000 Beschäftigten gerichtet.
Ahmadinejad war u.a. auch mit seiner Ankündigung an die Macht gekommen, die massive Korruption in der Erdölindustrie zu bekämpfen. Bei den Machtkämpfen in der iranischen Elite geht es auch um wirtschaftliche Fragen - Ahmadinejad steht mehr für einen protektionistischen Kurs, Chatami und Rafsanjani für eine Öffnung der Wirtschaft zum Westen (d.h. für eine Privatisierungspolitik). Iran zeigt, dass die Eigentumsform (privat oder staatlich) allein noch nichts darüber sagt, wie es den Beschäftigten geht.
Damit die IranerInnen tatsächlich vom Reichtum ihres Landes profitieren können, müssen sie den Reichtum selbst kontrollieren und verwalten. Das gilt insbesondere für die Öl- und Gasindustrie.

Neuwahlen, Sozialistische Partei und eine Regierung der ArbeiterInnen

Eine zentrale Forderung der Bewegung sind Neuwahlen. Diese allein würden wenig ändern. Es braucht Wahlen, bei denen alle KandidatInnen zugelassen sind (und nicht wie jetzt nur wenige durch die Mullahs handverlesene) und bei der alle Parteien antreten können. Es braucht neue Parteien - insbesondere Parteien der ArbeiterInnen. Eine sozialistische Partei in Iran kann rasch Massenunterstützung gewinnen, wenn sie die demokratischen Forderungen der Studierenden mit den sozialen Forderungen der ArbeiterInnen verbindet und basierend auf den demokratischen Komitees für eine sozialistische Gesellschaftsveränderung eintritt. Sie kann die berüchtigten Basidsch-Milizen neutralisieren, in der viele sehr arme IranerInnen aktiv sind, indem sie auf Basis sozialer Forderungen Teile davon für eine revolutionäre Veränderung gewinnt.
Bei Neuwahlen geht es nicht nur darum, die AkteurInnen im jetzigen Iran auszuwechseln, sondern um einen gänzlich anderen Staat. Die Wahlen dürften also nicht eine bloße Wiederholung der letzten sein, sondern müssten Wahlen zu einer revolutionären verfassungsgebenden Versammlung sein. Eine neue Regierung würde eine völlig andere politische und soziale Basis haben. Es braucht eine Regierung der ArbeiterInnen und BäuerInnen, die eine sozialistische Veränderung der Gesellschaft konkret angeht.

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