Irak: Massenmord für Ölprofite

Drei Wochen nach Beginn des Angriffskrieges der USA und ihrer Verbündeten gegen den Irak zogen die imperialistischen Armeen in Bagdad ein. Das bedeutete zwar noch nicht das Ende der Kämpfe, markierte aber den militärischen Sieg für die herrschenden Klasse
Sascha Stanicic, Berlin

Damit ist die Kolonialisierung des Irak durch die führende kapitalistische Macht, die Vereinigten Staaten, besiegelt. Doch es ist eine Sache, den Krieg zu gewinnen und eine andere Sache „den Frieden zu gewinnen". Der militärische Sieg wird sich für die US-Regierung in einen Sumpf von Instabilität, Chaos und Widerstand verwandeln. Gleichzeitig jedoch wurden die rechten Hardliner innerhalb der herrschenden Klasse der USA gestärkt. Trunken von ihrem vermeintlichen Erfolg richten diese ihre Bomben und Raketen nun Richtung Syrien und Iran – nach dem Krieg ist vor dem Krieg. Für die weltweite Massenbewegung gegen den Krieg bedeutet das: keine Entwarnung! Und: Kampf den Ursachen von Kriegen.

Der Krieg verlief mit einigen Überraschungen und unerwarteten Wendungen. Aus der Ferne und angewiesen auf die von Zensur und Kriegspropaganda beeinflussten bürgerlichen Medien war es unmöglich den Kriegsverlauf vorher zu sagen. Der militärische Sieg für die imperialistischen Armeen war aufgrund der vielfachen militärischen Überlegenheit der US-Armee und der schwachen sozialen Basis des Saddam-Regimes immer die wahrscheinliche, ja sichere Perspektive.

In den ersten zwei Wochen straften die irakischen Truppen und die Bevölkerung des Landes die Propaganda der „Falken" in der US-Regierung Lüge. Statt eines militärischen Spaziergangs und schnellen Zusammenbruchs der irakischen Einheiten, trafen die Invasoren auf erbitterten Widerstand. Statt freudiger Begrüßung durch jubelnde irakische EinwohnerInnen, schlug den SoldatInnen Feindseligkeit, Ablehnung und offener Hass der Bevölkerung entgegen. Ein Slogan auf einer Häuserwand in Basra drückte die Stimmung der ersten Kriegswochen aus: „Liberators go home!"

Rumsfeld und Konsorten waren zu Opfern ihrer eigenen Propaganda geworden. In den USA begann eine heftige Debatte in der politischen und militärischen „Elite" des Landes und die militärische Führung war zu einer Veränderung ihrer Strategie gezwungen. Die Truppen wurden massiv aufgestockt. Die zweitgrößte Stadt des Irak, Basra, wurde entgegen der ursprünglichen Pläne zum militärischen Ziel erklärt. Und die imperialistischen Armeen gingen zu einer massiven Bombenkampagne und willkürlichem Massenmord über. Letzteres war ein entscheidender Faktor für die dann relativ schnelle Einnahme von Basra und Bagdad.

Auf den ersten Blick erschien es überraschend, dass der Widerstand im schiitischen – und traditionell dem Saddam-Regime oppositionell gegenüberstehenden – Süden des Landes ausgeprägter war, als in Bagdad. Der militärische Widerstand gegen die Invasion wurde von den verschiedenen staatlichen Einheiten getragen: der Armee, den Republikanischen Garden, den Fedain und Mitgliedern der Ba’ath-Partei. Offensichtlich konnten diese sich jedoch auf eine Stimmung in der Bevölkerung stützen, die die Invasion ablehnte. Diese Stimmung herrschte im schiitischen Süden genauso vor, wie in der Hauptstadt Bagdad. Als die US-Truppen Bagdad erreicht hatten, begannen sie mit einer massiven Bomben- und Mordkampagne, die den Widerstand der irakischen Einheiten schnell brach. Für diese und für die Bevölkerung stellte sich die Frage „Für Saddam sterben oder unter der Besatzung eine Chance auf Überleben haben?" Die meisten entschieden sich verständlicherweise für die letztere Alternative. Dies ist vor allem Ausdruck der geringen sozialen Basis, die das Regime in der Bevölkerung genoss. Die irakischen Massen wussten nicht wofür sie kämpfen sollten, folglich kämpften sie nicht und die große Mehrheit bewaffneten Einheiten gaben auf, sobald die US-Militärs ihre Angriffe eskalierten.

Willkürlicher Massenmord

Bisher gibt es keine offiziellen Opferzahlen – weder für die Zivilbevölkerung noch für SoldatInnen beider Seiten. Doch es ist sicher, dass viele tausend IrakerInnen in Bagdad abgeschlachtet wurden, zehn- und hunderttausende wurden verletzt bzw. haben ihre karge Lebensgrundlage verloren. Es gibt Berichte nach denen 25 Prozent der Gebäude in Bagdad beschädigt oder zerstört wurden. In den Krankenhäusern der Stadt herrschten und herrschen immer noch chaotische Zustände. An manchen Tagen wurden allein in einem Krankenhaus stündlich über einhundert Verletzte eingeliefert.

2 000 IrakerInnen sollen am 3. und 4. April bei den Kämpfen um den internationalen Flughafen von Bagdad getötet worden sein, 3 000 während des dreistündigen Vorstoßes der US-Truppen im Südwesten Bagdads am 5. April und weitere 1 000 beim Angriff auf den „Palast der Republik" am 7. April. Wenn alleine 6 000 Menschen bei diesen drei Gefechten getötet wurden, ist vorstellbar wie hoch die wirklichen Opferzahlen liegen und mit welcher Brutalität und Willkür die imperialistischen Truppen vorgegangen sind. Die Washington Post vom 8. April zitierte verletzte irakische Zivilisten unter anderem mit den Worten: „Wir haben ihnen nichts getan. Ich war hundertprozentig davon überzeugt, dass sie nicht auf Zivilisten schießen würden. Jetzt bin ich hundertprozentig sicher, dass sie es tun." Ein weiterer Mann wird mit dem Vorwurf zitiert:+ „die US-Truppen schießen auf jedes Auto, jede Person."

Die irakische Bevölkerung hat zwei Jahrzehnte von Krieg und Verelendung hinter sich. In den 80er Jahren der Iran-Irak-Krieg, 1991 der Golfkrieg, dann über zehn Jahre kontinuierliche Raketenangriffe in den von den USA und Großbritannien ausgerufenen Flugverbotszonen und die katastrophalen Folgen des UNO-Wirtschaftsembargos. Der dreiwöchige imperialistische Feldzug im März und April hat dieses Leid um ein vielfaches vergrößert. 1,5 Millionen Menschen im Südirak haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser und 17 Millionen, die von der UNO-Lebensmittelhilfe abhängig waren müssen der Gefahr des Hungerstodes ins Auge blicken.

Manchmal stehen Einzelschicksale stellvertretend für das Los ganzer Klassen oder Völker. Der zwölfjährige Ali Ismael Abbas verkörpert die Lage des irakischen Volkes. Er wurde bei einem Raketenangriff zum Waisen und verlor beide Arme. Der Daily Mirror vom 8. April zitiert ihn mit diesen Worten: „Können Sie mir helfen meine Arme wieder zu bekommen? Glauben Sie, dass die Ärzte mir neue Hände machen können? Wenn ich keine neuen Hände bekomme, bringe ich mich um. Ich wollte Armeeoffizier werden, wenn ich groß bin, aber das will ich nicht mehr. Jetzt will ich Arzt werden – aber wie soll ich das werden? Ich habe keine Hände."

Die Bilder der Toten und Verstümmelten treiben Millionen von Menschen auf der ganzen Welt die Tränen in die Augen. Bush, Blair, Rumsfeld und die anderen Kriegsverbrecher zucken darüber nicht einmal mit der Wimper. Die Einstellung dieser Leute zum Massenmord wurde deutlich, als die frühere US-Außenministerin Madeleine Albright in einem Interview einmal gefragt wurde, was sie zu den 500 000 an den Folgen der UN-Sanktionen gestorbenen irakischen Kinder sage. Ihre Antwort war, dass sich dieser Preis lohne.

Kriegsziele der USA

Aus Sicht der Reichen und Mächtigen, für die dieser Krieg geführt wurde, lohnt sich der „Preis" abertausender Menschenleben. Schließlich haben sie ihr Ziel erreicht: die Kontrolle über die irakischen Ölquellen. Im Irak lagern die zweitgrößten bekannten und wahrscheinlich die größten unerschlossenen Ölreserven der Welt und der Ausbau der Vormachtstellung des US-Imperialismus im Nahen Osten. Die US-Herrscher und Kapitalisten wollen die Ölquellen nach Möglichkeit privatisieren. Ob es zu einer vollständigen Privatisierung kommt oder ein US-Marionettenregime in Bagdad die Lizenzen für die Ausbeutung der Ölquellen an US-Firmen gibt: die Kontrolle über die und die Profite aus den irakischen Ölquellen wird in der Hand von US-amerikanischen Konzernen liegen. Die Kapitalisten der USA, deren Wirtschaft zu über fünfzig Prozent von Ölimporten abhängig ist, erhoffen sich dadurch eine nachhaltige Schwächung der OPEC (Organisation erdölexportierender Länder) und einen deutlichen Fall des Ölpreises.

Dementsprechend sind mit den SoldatInnen auch die Konzerne in den Irak einmarschiert. Die ersten großen Aufträge für Wiederaufbaumaßnahmen sind logischerweise an US-Firmen vergeben worden. Der Schutz der Ölquellen hat für die US-Armee oberste Priorität.

Und sie erhoffen sich durch den Aufbau permanenter Militärbasen im Irak die Festigung des Griffs des US-Imperialismus über den gesamten Nahen Osten. Diese Region ist aufgrund ihrer Ölvorkommen von entscheidender strategischer Bedeutung für den Kapitalismus. Die wirtschaftliche Krise und soziale Verelendung, die auch einstmals prosperierende Länder wie Saudi-Arabien ergriffen hat, hat auch zu gesellschaftlicher Polarisierung und einem Wachstum anti-imperialistischer Stimmungen unter den Massen der Jugend, der Arbeiterklasse und der Bauernschaft geführt. Das Anwachsen islamisch-fundamentalistischer Bewegungen ist aufgrund des historischen Versagens der linken Parteien und der Schwäche der Arbeiterbewegung eine Folge – und aus Sicht der Imperialisten eine Bedrohung ihres Zugangs zu den dortigen Rohstoffen. Um die Ausbeutung der Region unter den Bedingungen der kapitalistischen Krise aufrecht zu erhalten, müssen sie immer häufiger zu immer offenerer militärischer Gewalt greifen. Im Fall des Irak wird sogar eine offene Kolonialisierung des Landes betrieben. Die Verwaltung des Landes soll erst einmal in den Händen der USA liegen. Dazu wurden einige besonders vertrauenserweckende Gestalten gefunden: Jay Garner, ehemaliger General und eng mit der Rüstungsindustrie verbunden und James Woolsley, ehemaliger CIA-Direktor. Zu einem späteren Zeitpunkt wird dann möglicherweise eine irakische Exilregierung von Bushs Gnaden eingesetzt, die als demokratisches Feigenblatt die Drecksarbeit für die Imperialisten vor Ort machen darf – natürlich immer gut „behütet" von vielen tausenden US-SoldatInnen.

Kapitalistischer Niedergang

Symbolisiert dieser militärische Sieg über ein weitgehend entmilitarisiertes und verelendetes Land eine „Allmacht des US-Imperialismus"? Sind Bush und Co. noch zu stoppen? Welche Auswirkungen hat dieser Krieg auf den Nahen Osten und die Welt?

Um diese Fragen zu beantworten muss man von den allgemeinen Entwicklungsrichtungen des kapitalistischen Weltsystems ausgehen und man muss kurz- und mittelfristige Wirkungen des militärischen Sieges der USA unterscheiden.

Der Krieg wurde vor dem Hintergrund eines kapitalistischen Weltsystems geführt, dass sich in einem tendenziellen Niedergang (seit Anfang der 70er Jahre immer tiefere Krisen und schwächere Aufschwungphasen in denen die grundlegenden Probleme nicht gelöst werden) und einer akuten wirtschaftlichen Krise befindet. Die Zunahme von Kriegen und militärischen Auseinandersetzungen sind auch eine Folge der kapitalistischen Globalisierung, in der der Konkurrenzkampf zwischen den multinationalen Konzernen und den sie vertretenden Nationalstaaten sich verschärft hat. Diese Konkurrenz zwischen den verschiedenen imperialistischen Staaten hat sich seit dem Wegfall des Systemgegensatzes zwischen den diktatorisch regierten Planwirtschaften der Sowjetunion und des Ostblocks einerseits und den kapitalistischen Staaten andererseits verschärft. Der Systemgegensatz – die Bedrohung des Kapitalismus durch ein alternatives Wirtschaftssystem – schweißte die imperialistischen Konkurrenten gegen den gemeinsamen Gegner zusammen und milderte die zwischen den kapitalistischen Staaten bestehenden Interessensgegensätze ab. Diese brechen nun wieder offener aus. Die scharfen Auseinandersetzungen zwischen den USA, Großbritannien und ihren Verbündeten und Deutschland, Frankreich, Russland und anderen Staaten sind Ausdruck dieses tiefer liegenden Prozesses. Davon stark getroffen sind UNO und NATO, die weitgehend handlungsunfähig sind und von dem vorpreschenden US-Imperialismus an den Rand gedrängt wurden.

Der Kapitalismus ist nicht in der Lage, die menschliche Gesellschaft in sozialem, wirtschaftlichem und kulturellem Sinn weiter zu entwickeln. Technischer Fortschritt dient nicht mehr der Steigerung der Lebensqualität der Mehrheit der Menschheit, sondern der Verschärfung der Ausbeutung der Arbeiterklasse durch Rationalisierungen. Massenarbeitslosigkeit und Sozialabbau treffen alle Teile der Arbeiterklasse in allen Ländern. Für die neokolonialen Länder (die sogenannte „Dritte Welt") ist die Lage besonders katastrophal. Sie befinden sich in einer völligen ökonomischen Abhängigkeit der entwickelten kapitalistischen Staaten und der Institutionen des Weltkapitalismus wie IWF, Weltbank und WTO.

Der Ausgang des Irakkrieges wird diese Entwicklungsrichtung nicht umkehren. Er wird auch nicht zur Lösung der dramatischen ökonomischen Probleme der kapitalistischen Weltwirtschaft führen. Möglich, dass es dem Imperialismus gelingt, mittelfristig eine dauerhafte Senkung des Ölpreises, dem nach wie vor wichtigsten Energieträger, zu erreichen. Auf Grund der politischen Instabilität in anderen bedeutenden Ölstaaten, allen voran in Venezuela und Nigeria, aber auch in Saudi-Arabien, ist allerdings nicht einmal das garantiert. Reparatur und Ausbau der irakischen Ölförderanlagen werden jedenfalls viel Zeit und Geld in Anspruch nehmen. Die Kriegskosten werden die US-Schuldenkrise noch verschärfen. Wie ein Mühlstein hängen die öffentlichen und privaten Schulden der US-Wirtschaft, die sich auf einem einmaligen Rekordstand befinden, um den Hals und drohen sie in einen Strudel aus Profiteinbußen, Investitionsstopps, Firmenpleiten, Entlassungswellen, Kapitalflucht, sinkendem Dollarwert und deflationärer Krise zu reißen. Der Staat ist bereits mit mehr als zwei Billionen US-Dollar in den roten Zahlen. Deutschland befindet sich auf dem Weg in die erneute Rezession, während Japan nicht aus der Depression herausfindet. Damit stecken die drei größten Volkswirtschaften in einer tiefen Krise. Der Weltwirtschaft droht eine langgezogene Stagnationsphase.

Opposition im Irak

Unter den Bedingungen der kapitalistischen Krise ist es ausgeschlossen, dass im Irak eine stabile Ordnung errichtet werden kann. Die Plünderungen in Bagdad, die Selbstmordattentate, die Auseinandersetzungen verschiedener religiöser Gruppen, die fortgesetzten Gefechte in verschiedenen Teilen Bagdads und um die Stadt Tikrit und vor allem die ersten Massendemonstration gegen die US-Besatzung sind ein Ausdruck dieser simplen Tatsache.

Bush und Blair haben einen militärischen Sieg erzielt, aber keinen politischen Sieg. Sie haben nicht die Unterstützung des irakischen Volkes gewonnen. Die Behauptung von Politikern und Medien, die Bevölkerung Bagdads habe die US-SoldatInnen massenhaft jubelnd begrüßt sind eine Propagandalüge mit der der Krieg nachträglich rechtfertigt werden soll. Doch einem aufmerksamer Beobachter der Fernsehbilder wird aufgefallen sein, dass niemals Bilder von großen Plätzen mit wirklichen Massenansammlungen gezeigt wurden, sondern immer Bilder von kleinen Gruppen. Aus einem einfachen Grund: es gab keine Massenansammlungen, die die Invasion der US-Armee gefeiert hätten. Auch die auf allen Fernsehkanälen zu jeder Stunde gesendeten Bilder vom Niederreißen einer Saddam-Statue durch US-Panzer unter dem Jubel von IrakerInnen entpuppten sich als eine wohlorganisierte Aktion von weniger als 200 Menschen. Fotos des gesamten Platzes zeigen, dass dieser weitgehend leer und von US-Panzern umstellt war. Unter den ca. 150 jubelnden IrakerInnen wurden Exilanten identifiziert, die nur einen Tag zuvor mit dem Oppositionsführer Chalabi ins Land gereist waren.

Es ist schwer vorstellbar, dass die Besatzer „die Herzen des irakischen Volkes gewinnen" werden. Dazu wäre eine schnelle wirtschaftliche Entwicklung des Landes eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende, Voraussetzung. Alle Erfahrungen vom Balkan, aus den Palästinensergebieten und Afghanistan lassen nur einen Schluss zu: die irakische Bevölkerung wird wirtschaftlich und sozial weiter auf der Verliererstraße bleiben.

Zur Zeit ist die Situation im Irak von Chaos geprägt. Die massiven Plünderungen sind Ausdruck der Verelendung der irakischen Massen und des Hasses auf die reiche Elite des Landes. Der Zusammenbruch der staatlichen Ordnung hat ein Vakuum hinterlassen, dass von den Besatzern nur schwer gefüllt werden kann. US-SoldatInnen haben den Menschen geplünderte Gegenstände abgekauft, anstatt Plünderungen zu verhindern. Als Folge dieser Untätigkeit haben sich Ladenbesitzer und andere Bürger Bagdads bewaffnet und zum Teil zusammengeschlossen, um ihrerseits gegen die Plünderungen vorzugehen. Es sind das jahrelange Elend, die Entwürdigung der Menschen und auch die Schwäche der organisierten Arbeiterbewegung, die es ermöglichen, dass deklassierte und verwahrloste Teile der Bevölkerung sich unter diejenigen mischen können, die aus Armut und Wut in die Häuser und Paläste der Reichen eingestiegen waren und ihrerseits dann Museen, Krankenhäuser und kleine Läden überfielen. Nun müssen sich die US-Besatzer auf die alte Polizei des Saddam-Regimes stützen, um die Situation unter Kontrolle zu bekommen. 3 000 Polizisten sollen wieder angeworben werden, um gemeinsam mit den US-SoldatInnen die Straßen Bagdads zu patroullieren und die Lage unter Kontrolle bekommen. Gleichzeitig besagen Berichte, dass US- und britische Truppen die Anweisung bekommen haben so wenige irakische Panzer wie möglich zu zerstören, um die Basis für eine irakische Armee für die Zeit nach dem militärischen Sieg zu bewahren. Das deutet darauf hin, dass die Imperialisten die Reste des diktatorischen Regimes zur Unterdrückung der Bevölkerung instrumentalisieren wollen.

Diese Verbindung der alten Machtstrukturen mit den neuen Machthabern wird aus der Sicht der irakischen Massen nur ein Grund von vielen sein, den Besatzern mit Ablehnung gegenüber zu treten.

Die Financial Times Deutschland vom 14. April warnt die USA, nicht dieselben Fehler zu begehen, die in Afghanistan begangen wurden. Die wichtigsten Forderungen: wirtschaftlicher Aufbau, massive und flächendeckende Truppenpräsenz und eine Regierung, deren Mitglieder nicht als US-Marionetten betrachtet werden. Letzteres wird kaum zu erfüllen sein. Die USA stellen sich auf eine längere Phase direkter Kolonialverwaltung des Irak ein und haben noch keine Lösung für eine irakische Zivilregierung gefunden. Ahmad Chalabi, der Chef des Irakischen Nationalkongresses und erster Kandidat für die Führung einer solchen Pseudo-Regierung war in den letzten 38 Jahren im Ausland und hat keine wirkliche soziale Verankerung im Irak.

Wie genau sich die Ablehnung der Bevölkerungsmehrheit gegenüber der Besatzung und einem direkten bzw. zu einem späteren Zeitpunkt indirekten Kolonialregime entwickeln wird und welche Ausdrucksformen sie annehmen wird, bleibt abzuwarten.

Es ist nicht auszuschließen, dass Teile der Ba’ath-Partei versuchen werden aus dem Untergrund mit Anschlägen die Besatzungsmacht zu destabilisieren. Ebenso ist mit einem Zulauf für islamisch-fundamentalistische Kräfte zu rechnen, die auch zur Durchführung von Selbstmordattentaten übergehen können. Früher oder später wird sich auch breiter gesellschaftlicher Widerstand entwickeln. Der Irak hat zwar in den letzten zehn Jahren einen dramatischen wirtschaftlichen Niedergang erlebt, die Gesellschaft ist aber von einer großen Urbanisierung und der Existenz einer industriellen Arbeiterklasse geprägt, die sich in den nächsten Jahren ökonomisch und politisch reorganisieren und zu Widerstand übergehen wird. Die Erfahrung des Libanon, wo die Arbeiterklasse trotz jahrelanger Bürgerkriegszustände in der Lage war erfolgreiche Generalstreiks durchzuführen, sollten nicht vergessen werden.

Es ist schon zu ersten Großdemonstrationen gegen die US-Besatzung gekommen. In Nassirija haben 20 000 Menschen unter der Losung „Nein zu USA, nein zu Saddam" demonstriert. In Mossul sind bei einer Demonstration nach Augenzeugenberichten 12 Demonstranten von US-Soldaten erschossen worden. Sollte sich die Versorgungslage nicht bessern, können solche Demonstrationen öfters stattfinden und an Größe gewinnen.

Kurzfristig ist jedoch eher mit einer Situation von allgemeiner Instabilität und Chaos und mit regelmäßigen Ausbrüchen von spontaner Unzufriedenheit bei Demonstrationen und Auseinandersetzungen zu rechnen, als mit organisiertem Widerstand oder gar einem Guerillakrieg gegen die imperialistische Besatzung. Doch die ersten Selbstmordattentate nach dem B eginn der Besetzung Bagdads zeigen, wohin die Reise geht. Je länger die Besatzung dauern wird, je deutlicher für die irakischen Massen wird, dass die Versprechen von wirtschaftlichem Aufschwung sich nicht materialisieren werden, desto mehr wird es auch zu Widerstand in unterschiedlicher Form kommen.

Hinzu kommt die Möglichkeit, dass im Irak selber die nationalen und religiösen Konflikte zunehmen und es zu einem Bürgerkrieg kommt, der die zentrifugalen Kräfte im Land verstärken würde. Die USA wollen dem dadurch Rechnung tragen, dass der Irak in drei Verwaltungszonen eingeteilt werden soll. Doch das wird keine Lösung sein. Der Mord an einem schiitischen Geistlichen in Nadschaf und die ersten Berichte von Konflikten zwischen KurdInnen und AraberInnen im Norden des Landes sind eine Vorwegnahme möglicher größerer Auseinandersetzungen, die die Instabilität in der Region weiter verschärfen würden.

USA: Koloss auf tönernen Füßen

Ist der US-Imperialismus durch den Kriegsausgang gestärkt? Ja, unmittelbar verschiebt sich das Kräfteverhältnis in der Region und weltweit zugunsten der US-Kapitalistenklasse. In den USA selber gehen die rechten Hardliner wie Rumsfeld gestärkt aus dem Krieg hervor. Jeder Krieg ist auch ein Rückschlag für die Arbeiterklasse in einem allgemeinen Sinn. Die Tatsache, dass der Krieg nicht verhindert werden konnte, drückt eben aus, dass das Kräfteverhältnis aufgrund der politischen Schwäche der Arbeiterbewegung zur Zeit noch zugunsten des Imperialismus steht. Der Sieg der US-Truppen verschiebt auch das Kräfteverhältnis in der Region zugunsten der USA. Nicht nur, dass sie sich jetzt im Irak festsetzen können. Sie haben auch ein klares Signal an die Regierungen und Völker der Region entsendet. Die Drohungen Bushs und Rumsfelds gegen Syrien und den Iran sind keine hohlen Phrasen. Der US-Imperialismus ist bereit alle aus seiner Sicht notwendigen Mittel einzusetzen, um die Region zu kontrollieren. Zuerst werden Bush und Co. versuchen mit Drohungen und wirtschaftlichem Druck, das syrische Regime gefügig zu machen. Sollte dies nicht ausreichen, könnten sie zum nächsten Krieg schreiten. Mit der neuen Präventivschlag-Doktrin wird die Bush-Administration auch in zukünftigen Konflikten vorgehen, sieht sie sich doch durch den Kriegsverlauf im Irak bestätigt. Ob sie das politisch durchsetzen kann, hängt nicht zuletzt von der Stärke der Antikriegsbewegung ab (siehe dazu den Artikel in der Rubrik „Marxismus heute")

Aber diese unmittelbare Stärkung des US-Imperialismus ist Teil einer Niedergangsphase des Kapitalismus selber. Es ist eine Stärkung auf militärischem Gebiet und im Rahmen des internationalen ökonomischen Konkurrenzkampfes, aber nicht auf ideologischer Ebene oder im eigentlichen wirtschaftlichen Sinne.

Der Krieg hat die arabischen Massen mehr in ihrem Hass und in ihrer Opposition gegen den US-Imperialismus bestätigt, als dass er sie nachhaltig eingeschüchtert hätte, auch wenn unmittelbar Enttäuschung darüber vorherrschen kann, dass Bagdad und Tikrit mit relativ wenig Widerstand in die Hände der USA gefallen sind. Aufgrund der Schwäche der Linken werden wahrscheinlich erst einmal islamisch-fundamentalistische Kräfte die Hauptnutznießer davon sein. Aber Opposition und Widerstand zum Imperialismus werden wachsen und nicht nachlassen. Trotz aller militärischer Präsenz, Drohgebärden und möglicher weiterer Kriege wird es dem US-Imperialismus nicht gelingen, diesen Widerstand zu brechen und die Region unter seiner Kontrolle zu befrieden. Im Gegenteil kann es zu ungewollten Regimewechseln kommen, wenn zum Beispiel in Saudi-Arabien oder Ägypten islamisch-fundamentalistische Kräfte an die Macht kommen sollten.

Auch an der „Heimatfront" wird es den Imperialisten nicht gelingen, den Sieg im Irakkrieg dazu zu nutzen, politische Stabilität zu erzielen oder die soziale Frage dauerhaft in den Hintergrund zu drängen. Vor allem hat die weltweite Antikriegsbewegung eine Dynamik entfaltet, die nicht einfach verloren gehen wird. Künftige Antikriegsbewegungen, aber auch die Bewegung gegen die kapitalistische Globalisierung, werden auf den Erfahrungen und politischen Erkenntnissen der Bewegung gegen den Irakkrieg aufbauen.

In diesem Sinne zeigt sich auch im Irakkrieg die tieferliegende Schwäche des Imperialismus – trotz seiner erdrückenden Dominanz der Welt. Schwäche in dem Sinne, dass er unfähig ist nicht nur Wohlstand und Frieden zu erreichen, sondern auch unfähig ist, Stabilität zu erzwingen und Opposition dauerhaft zu unterdrücken. In diesem Sinne haben Bush und Co. einen zweifelhaften Sieg errungen. Ein Sieg, der neue Krisen hervorbringt und es dem Imperialismus nicht dauerhaft leichter macht, seine Vormachtstellung aufrecht zu erhalten. Ein Sieg, der in Zukunft mehr US-amerikanische Opfer durch Selbstmordanschläge auf die US-SoldatInnen in der Region und terroristische Anschläge in den USA selber verlangen wird. Ein Sieg, der die weltweite Revolte gegen die kapitalistische Globalisierung weiter antreiben wird.

Der russische Revolutionär Lenin hat den Kapitalismus als „Horror ohne Ende" bezeichnet. Für die irakischen Massen und für die Bevölkerungen vieler anderer Länder ist das traurige Realität. Die nächsten Jahre werden eine Zuspitzung der Spirale von Krisen, Konflikten und Kriegen mit sich bringen. Die „Falken" der US-Herrschenden sind von der Leine gelassen und werden in ihrer Strategie fortfahren. Sie haben aus der von Krisen geschüttelten Situation den Schluss gezogen, dass sie ihre Interessen brutal, ohne Rücksicht auf diplomatische Beziehungen und Menschenleben durchsetzen müssen, um ihre Macht und die Profite der Banken und Konzerne zu erhalten. Doch dieses Vorgehen wird immer mehr Menschen gegen sie aufbringen. Neben Krisen, Konflikten und Kriegen werden Klassenkämpfe das entscheidende Merkmal der nächsten Jahre sein. Die Streiks und Generalstreiks in Italien, Spanien, Griechenland und anderer Länder sind nur ein Vorbote der großen Kämpfe, die bevorstehen. Der US-amerikanischen Arbeiterklasse kommt dabei eine entscheidende Rolle zu. Auch wenn es die Bush-Administration geschafft hatte, eine Mehrheit der US-Bevölkerung von ihrem Kurs gegen den Irak zu überzeugen, gab es niemals zuvor vor und in den ersten Wochen eines Krieges einen so großen Widerstand in den USA. Der Streik der Hafenarbeiter an der US-Westküste im letzten Jahr war auch ein Anzeichen für die große Macht der US-Arbeiterklasse. Unmittelbar wird die Antikriegsbewegung und die Arbeiterklasse der USA durch den Kriegsausgang geschwächt sein und Bush und Rumsfeld können ihre Position stärken. Aber wenn offensichtlich wird, dass die US-Armee im Irak in einen Sumpf von Chaos, Opposition und Anschlägen gerät; wenn regelmäßig US-SoldatInnen ihr Leben verlieren; wenn vor einem solchen Hintergrund der nächste Krieg geplant wird und gleichzeitig der US-Arbeiterklasse die Rechnung präsentiert wird, dann wird sich auch innerhalb der US-Bevölkerung eine starke Opposition breit machen und es zu Kämpfen von ArbeiterInnen kommen.

Die Zukunft der Menschheit wird in diesen Kämpfen entschieden werden. Die Alternative hat nicht zuletzt der Irakkrieg deutlich gemacht: Sieg des Imperialismus und damit „Horror ohne Ende" oder Sturz des Imperialismus und der Aufbau einer grundlegend anderen Gesellschaft. Der Kampf gegen Kriege muss deshalb verbunden werden mit einem Kampf für die Ersetzung der kapitalistischen Profitwirtschaft durch eine sozialistische Demokratie, eine Gesellschaft in der die Wirtschaft demokratisch geplant wird und nach den Bedürfnissen von Mensch und Umwelt statt nach Profit produziert wird. Dazu sind ein sozialistisches Programm und starke sozialistische Arbeiterparteien in allen Ländern nötig.

Wir fordern:

  • Schluss mit der Besetzung des Irak: US-, britische und andere ausländische Truppen raus!
  • Selbstbestimmungsrecht für die Menschen im Irak, in Kurdistan und der ganzen Region
  • Nein zur Privatisierung der Ölindustrie und anderer staatlicher Unternehmen im Irak
  • Überführung der westlichen Ölkonzerne in öffentliches Eigentum bei demokratischer Kontrolle und Verwaltung durch die Beschäftigten
  • Finanzierung des Wiederaufbaus des Irak durch die Profite der Ölkonzerne, Rüstungsindustrie und Banken – keine Abwälzung der Kriegskosten auf die arbeitenden Menschen
  • Abzug der Bundeswehr aus Kuwait und allen anderen Auslandseinsätzen
  • Nein zum Umbau der Bundeswehr zu einer Interventionsarmee; Nein zur EU-Armee
  • Für den Aufbau einer politischen Alternative zu Bush, Blair & Schröder: Für neue sozialistische Arbeiterparteien international! Für den Aufbau einer neuen sozialistischen Internationale der ArbeiterInnen und Jugendlichen!
  • Für eine sozialistische Demokratie im Irak als Teil einer freiwilligen sozialistischen Föderation der Länder des Nahen Ostens
  • Für eine sozialistische Welt ohne Krieg und Terror

Sascha Stanicic, Berlin