Ich oder Du

Über die Anrede und warum es nicht egal ist
Albert Kropf

„Ich oder Du“ war 1984 ein Superhit von Hansi Lang. Schon lange her. Eine Zeit, wo Austropop noch mehr als patriotisch, reaktionäre angehauchte Volksmusik war und eine kaum mehr vorstellbare Breite unter Jugendlichen hatte. Aber auch eine Zeit, in der das soziale Gefälle noch klar in der Anrede ausgedrückt wurde. Beschäftigte hatten den/die Chef*in mehr oder weniger ausnahmslos mit „Herr“ oder wenigen Fällen auch „Frau“ anzureden. Anders war es umgekehrt, wo es - je weiter unten in der beruflichen Nahrungskette - als „normal“ galt, vom Chef wiederum geduzt zu werden. Auch heute wird diese Ungleichheit und Ungerechtigkeit oft zynisch als „freundschaftliches Du“ bezeichnet – z. B. von Polizei oder anderen Autoritäten gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund verwendet. Damit soll ein Machtgefälle und auch beim Untergebenen eine Machtlosigkeit ausgedrückt werden. Wenn der eine duzt und der andere siezen muss, befindet man sich einfach nicht auf Augenhöhe! Es ist daher kein Zufall, dass wir dieser ungleichen Kommunikation im Jahr 2021 noch immer an Schulen gegenüber Jugendlichen begegnen. In diesem Fall gilt dann der Stehsatz: Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir!

Ganz anders und dann doch nicht so verschieden ist es in vielen heutigen, modernen Unternehmen. Flache Unternehmens-Hierarchien sind ein Zauberwort spätestens seit dem Jahrtausendwechsel. Alle sind untereinander per Du, schließlich sitze man ja im gleichen Boot und ziehe am selben Strang. Passend dazu wird in den Schulen mit „Entrepreneurship-Education“ den Kindern und Jugendlichen unternehmerisches Denken in allen auch privaten Lebenslagen eingetrichtert. Natürlich sollen hier Hierarchien nicht aufgehoben, sondern verwischt und eine Illusion einer nicht vorhandenen Gleichheit im Kapitalismus aufgebaut werden. Denn betriebliche Entscheidungen, Stellenabbau oder auch Übergriffe werden ganz un-flach oben gefällt, auch wenn sie alle betreffen.

„Keine Angst“ war ein anderer Superhit von Hansi Lang aus der Zeit. Und keine Angst sollten wir haben, wenn es um dieses Thema geht, egal ob alt oder neu. Die für uns heute oft lächerliche Grußpflicht beim Bundesheer, hat seinen Ursprung hierin und wurde von den einfachen Mannschaftsgraden erkämpft. Alle müssen sich gegenseitig grüßen und den Gruß unabhängig vom Dienstgrad erwidern. Dieses Selbstbewusstsein der Arbeiter*innen-Klasse ist heute mit Niedergang und Entpolitisierung der Gewerkschaften stark zurückgegangen. Es ist aber mehr als an der Zeit, uns unserer Stärke wieder bewusst zu werden. Sei es bei Lohnforderungen, Arbeitszeit, Gleichberechtigung oder eben beim Grüßen. Dass das aber nur der erste Schritt sein kann, zeigt wieder das Heer. Trotz Grußpflicht bleibt es ein zutiefst undemokratischer Ort, in dem sich die soziale Herkunft wie kaum woanders in der Hierarchie der Dienstgrade ausdrückt. Um wirklich mit undemokratischen Strukturen zu brechen, müssen wir auch mit dem Kapitalismus brechen.

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