Geduldet, gefördert, vertuscht: Das braune Netz

CWI-Deutschland

Die Untersuchungen der Bundesregierung zu den Hintergründen des Zwickauer Terror-Trios helfen den deutschen Sicherheitsbehörden zur Ehrenrettung. Tatsächliche Erkenntnisse liefern sie indes nicht.

Unisono wird von Seiten der Untersuchungskommission zu den Vorfällen um die Zwickauer Neonazi-Terrorzelle, die sich selbst den Namen „Nationalsozialistischer Untergrund“ gab wiederholt, dass es zwar große Versäumnisse durch LKA, BKA und Verfassungsschutz gegeben habe, aber keine Zusammenarbeit. Schon diese Aussage macht die Oberflächlichkeit der Untersuchungen deutlich. Man kennt noch immer nicht alle Hintermänner des Terror-Trios, gibt jedoch vor bereits zu wissen, dass keiner von diesen mit MitarbeiterInnen der Sicherheitsbehörden zusammengearbeitet hat. Aber auch die bislang bekannten Fakten, die Fragen, die sich auftürmen, die Ungenauigkeiten und nicht verfolgten Spuren legen den Schluss nahe, dass etwas vertuscht werden soll.

Ein halbes Dutzend Chancen zum Zugriff nicht genutzt – mindestens

Inzwischen kann als gesichert gelten, dass LKA, BKA und Verfassungsschutzämter verschiedener Länder zwischen 1998 und 2001 jedes Jahr wenigstens einmal Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt aufgespürt hatten, jedoch nicht zugriffen. Auch in den Jahren danach waren die drei alles Andere als „einfach verschwunden“. Deutsche Zielfahnder spürten die drei 1998 in Budapest auf. Ein Jahr später sagte das LKA Thüringen einen Zugriff des Sondereinsatzkommandos gegen die drei kurz vor dem Losschlagen ab. Die aufgebrachten Beamten wurden ins Thüringer Innenministerium zum Gespräch gebeten – der Inhalt desselben bis heute geheim.

Im Jahr darauf werden die drei in Bulgarien gesichtet – Amtshilfe von den bulgarischen KollegInnen wurde nicht erbeten. Mundlos wurde bis 2005 mehrfach im Heimatort der später vom NSU ermordeten Polizistin Michele Kiesewetter – auch eine der Eigenartigkeiten dieses Falles – gesichtet. Zschäpe wurde gar von einem Pressefotografen 2008 auf einer Demonstration in Geithain bei Leipzig fotografiert worden sein. Die Bilder wurden wenige Tage später bei einem Einbruch in seine Wohnung entwendet. Nur vier von ihnen hatte er bereits an verschiedene Presseorgane gesandt, sie sind bis heute erhalten und werfen Fragen auf. Diese werden mit der einfachen Antwort abgetan, 2008 seien die Vorwürfe gegen die drei Nazis bereits verjährt, die neuen Taten noch unbekannt und somit die drei Personen für die Verfolgungsbehörden nicht mehr interessant gewesen.

Wer half den dreien – Verfassungsschutz, Polizei, oder beide?

Diese „Pannenserie“ ist mit Unvermögen nicht mehr zu erklären. Der stark in die Kritik geratene Helmut Roewer, von 1994 bis 2000 Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz, wehrte sich unlängst im Interview mit der „Zeit“, seine Behörde habe mit den drei Nazis nicht gekungelt. Vielmehr habe es aus den Reihen der Polizei einen Informationsabfluss gegeben. Dieser habe Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos beim Untertauchen und Verstecktbleiben geholfen. Er selbst sei vom Innenministerium beauftragt worden die undichten Stellen in der Polizei zu finden. Witterte gar eine Verschwörung gegen den damals frisch ins Amt gelangte SPD-Innenminister als Motiv für die Protegierung rechter Strukturen.

Sollte dies mehr als nur eine Nebelkerze sein, die von Roewers skandalösem Umgang mit militanten rechten Strukturen ablenken soll, hätte das Innenministerium Thüringens den Bock zum Gärtner gemacht. Roewer selbst hatte genau die Nazi-Strukturen, aus denen das Terror-Trio hervorging, den „Thüringer Heimatschutz“, über seinen V-Mann, Tino Brandt, in den neunziger Jahren 200.000 DM zukommen lassen. Dieser sprach selbst gar von 250.000 Euro, die er vom Verfassungsschutz für seine zweifelhaften Dienste bekommen habe. Sie flossen direkt in den Aufbau des THS. Roewer selbst soll in seinem Büro eine Handkasse besessen haben, mit denen er nach seinem Gutdünken rechte V-Leute finanzierte – Inhalt, schlappe 60.000 DM. Und heute schreibt Roewer für den rechtsradikalen Ares-Verlag.

Thüringens Innenminister Jörg Geibert (CDU) forderte Roewer auf, endlich auszupacken und auch Namen zu nennen. Dieser will der Aufforderung nachkommen, allerdings nur vor dem Untersuchungsausschuss. Eine Vorladung vor denselben erhielt Roewer bislang nicht! Hat man Angst vor dem was der einstige Verfassungsschützer zu berichten hat?

Wie schaffte es Böhnhardt sich von einer sächsischen Behörde einen falschen Pass ausstellen zu lassen – auch das ist bislang nicht abschließend geklärt.

Nicht verfolgte Spuren, lustlose Untersuchungen

Obwohl man inzwischen von Seiten der untersuchenden Behörden einräumt, dass die drei Rechtsterroristen Unterstützung gehabt haben müssen, werden ganze Bündel von Spuren nicht verfolgt. Die Verbindungen mit dem berüchtigten Rechtsterroristen Karl-Heinz Hoffmann, der sich 2005 ebenfalls in Westsachsen ansiedelte, bleibt ausgeblendet. Obwohl dessen Ideen für das Vorgehen rechter Terrorgruppen für den NSU Pate standen.

Die Zusammenarbeit zwischen dem „Thüringer Heimatschutz“ und dem schleswig-holsteiner Neonazi-Kader Peter Borchert werden nicht thematisiert. Dabei könnte diese bedeutungsvoll sein. So ist Borchert nicht nur von 2000-2003 Landesvorsitzender der NPD in Schleswig-Holstein gewesen, er war auch einer der ersten autonomen Nationalisten. Wichtiger jedoch ist, er ist auch ein extrem gewaltbereites Mitglied der Rockergruppe „Bandidos“. Es ist hinlänglich bekannt, dass militante Nazi-Strukturen derartige Verbindungen in der Vergangenheit immer wieder für die Bechaffung von Waffen genutzt haben. Woher kamen die Waffen der NSU? Vielleicht von Strukturen um Borchert, der sich aktuell in der „Kameradschaft Kiel“ engagiert.

Als ebenso ergiebig könnte sich einer Überprüfung des Neonazi-Labels „PC Records“ in Chemnitz ergeben. Schon 2010 nahm man dort das Lied „Döner-Killer“ von „Gigi und den braunen Stadtmusikanten“ auf. Das Album wurde indiziert. Von Interesse sind besonders Textstellen, die den Schluss nahelegen, dass sich PC Records, Gigi und die braunen Stadtmusikanten (wer sich genau hinter diesem Namen versteckt ist noch unklar) und der NSU kannten. So heißt es im Text: „Neun mal hat er bisher brutal gekillt, doch die Lust am Töten ist noch nicht gestillt.“ Und an anderer Stelle: „Der Döner bleibt im Halse stecken, denn er kommt gerne spontan zu Besuch, am Dönerstand, denn neun sind nicht genug.“

Damals, als das Lied erschien, ging dieser Spur zu den verharmlosend als „Döner-Morde“ bezeichneten Terror-Akten niemand nach und auch heute muss sich Yves Rahmel, der Besitzer des Labels, scheinbar nicht vor peinlichen Befragungen durch die Polizei in Acht nehmen.

Insgesamt ist das Vorgehen der Behörden merkwürdig bis lächerlich: Da gehen schon Tage vor der Verhaftung die Namen der potentiellen UnterstützerInnen durch die Presse. Was erhofft man dann noch bei den Durchsuchungen der Wohnungen zu finden? Oder will man besser nichts finden? Die Ehefrau des festgenommenen Andre E, Susann E., die der NSU ihre Bahncard zur Verfügung gestellt haben soll, befindet sich weiterhin auf freiem Fuß. Bis die Behörden tätig wurden, um Andre E. festzunehmen vergingen Tage. Ralf Wohlleben, Organisator des NPD-Festes „Fest der Völker“ (benannt nach dem gleichnamigen NS-Propagandafilm über Olympiade von 1936) und stellvertretender Vorsitzender der NPD Thüringen, wird als Verbindungsmann des NSU immer wieder genannt, seine Wohnung ist inzwischen durchsucht worden, aber er bleibt in Freiheit.

Die Vorwürfe gegenüber Holger G. sind inzwischen auf Unterstützung einer kriminellen Vereinigung, nicht mehr Mitgliedschaft in derselben, herabgestuft.

Milde gegen rechts, Härte gegen links

Mehr und mehr erscheinen die Maßnahmen des Staates in Bezug auf den Fall NSU als Kosmetik. Wie geht man seit Jahren gegen das Bündnis Dresden nazifrei vor. Bei diesem Bündnis handelt es sich um Leute, die friedliche Blockaden gegen den größten Neonazi-Aufmarsch in Europa organisiert haben, nachdem der Staat gut 10 Jahre lang zuschaute. Noch in der Nacht nach den erfolgreichen Blockaden wurde der Sitz der Dresdner LINKEN von einem Sondereinsatzkommando der Polizei überfallen, Türen aufgebrochen, Leute die nichts getan hatten festgenommen, Computer beschlagnahmt. Da wartete man nicht mehrere Tage. Gut 36 MitgliederInnen des Bündnisses, die sich teilweise nicht einmal persönlich kennen, haben Anzeigen laufen wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung.

Man bedenke: Die haben keine Menschen umgebracht und abartige Propagandafilme darüber gedreht. Diese Menschen wollten etwas gegen Nazis, die zu solchem Terror fähig sind, tun.

Michele Kiesewetter

Rätsel gibt auch der Mord an Michele Kiesewetter auf: Tappte die Polizei angeblich jahrelang im Dunkeln, fand man jetzt vielfältige Kontaktpunkte der Familie Kiesewetter mit den späteren Tätern – als wären diese Erkenntnisse plötzlich vom Himmel gefallen: Ihre Familie wollte eine Kneipe anmieten, die dann an Leute aus dem Umfeld des späteren NSU ging. In einer anderen Kneipe, die dem Stiefvater von Kiesewetter gehörte, soll ein Koch namens Zschäpe gearbeitet haben. Dieser Gasthof soll auch ein Treffpunkt für Nazis gewesen sein.

Bislang hatte man, schon wegen des Altersunterschieds von Opfer und Täter, jede Verbindung bestritten. Jetzt ist die Rede von „Beziehungstat“. Welchen Charakter diese Beziehung gehabt haben soll ist indes unklar. Unklar auch warum das bislang nie auffiel. Bei einem Polizistenmord kommt alles auf den Prüfstand: Alte Festnahmen, persönliche und familiäre Beziehungen, soziales Umfeld. Warum sind die Berührungspunkte von Familie Kiesewetter und Thüringer Neonazi-Szene bislang niemandem aufgefallen?

Michele Kiesewetter sprang an diesem Tag für einen kranken Kollegen ein. Die Tat eventuell nur ein Zufall? Die fehlenden Erkenntnisse nur Pannen?

Was der Fall zeigt

Was der Fall zeigt ist, dass dieser Staat zu wirklicher Aufklärung nicht fähig oder willens ist. Dass er eher gegen links, denn gegen rechts vorgeht. Aber erzeigt noch etwas anderes: Die Verbindungen, die die Grundlage des braunen Terror-Netzwerks bilden, wurden auf Konzerten, Demonstrationen, Veranstaltungen, dem „Fest der Völker“ usw. geknüpft. Jede derartige Veranstaltung, die durch antifaschistische Mobilisierungen verhindert wird, schwächt dieses Netzwerk! Der antifaschistische Kampf ist nicht zu ersetzen!

Die Frage bleibt, ob eine Justiz, eine Polizei und ein Verfassungsschutz, die so lasch mit dem Problem der militanten Rechten umgegangen sind und umgehen, überhaupt ein moralisches Recht haben AntifaschistInnen zu verfolgen.