Freiwillig fett und träge?

Zu wenig Bewegung in Schule und Arbeit - teure Freizeitindustrie liefert keinen Ausgleich.
Stefan Brandl

Studien und Statistiken zeigen, dass Kinder und Jugendliche immer häufiger übergewichtig oder adipös (fettleibig) sind. Als Problem wird oft genannt, dass Kinder zu viel sitzen und zu wenig Bewegung haben. Wie auch, wenn es an Schulen die tägliche Turnstunde nicht wirklich gibt? In den kurzen Pausen haben Lernende lediglich Zeit, kurz auf die Toilette zu gehen oder die Materialien für die nächste Stunde herzurichten. Der Unterricht findet überwiegend sitzend statt und das natürliche Bedürfnis, sich zu bewegen, wird als Nervosität und schlechtes Benehmen abgestempelt. Kinder werden mit Medikamenten sogar „ruhiggestellt“.

Im Beruf müssen viele Beschäftigte stundenlang sitzen. Es gibt keine regelmäßigen Pausen oder Angebote zur Bewegung am Arbeitsplatz. Schulbuffet und Werksküchen gibt es immer weniger, und so wird aus Alternativlosigkeit und Zeitmangel vermehrt Fastfood konsumiert, um dann schnell wieder zurück an die Arbeit zu können.
Für Sport und Bewegung gibt es ganz bewusst keinen Raum in der Arbeit und der Schule (außer in Eliteschulen und für Spitzenkräfte)! Darüber hinaus pendeln viele stundenlang zur Arbeit oder zum Ausbildungsplatz. Weitere Faktoren wie andauernde Überlastung und Stresszustände sowie - gezwungenermaßen - schlechte Ernährung tragen zusätzlich zu Essstörungen und Übergewicht bei.

Der Kapitalismus bietet hier eine profitable private Lösung für das gesellschaftliche Problem: Eine zunehmend boomende und teure Freizeitindustrie. Fast alle von uns kennen jemanden, der in einem Fitnessstudio angemeldet ist oder mit einer kostenpflichtigen App versucht, Gewicht zu verlieren. Zwar gibt es in größeren Städten Parks mit öffentlichen Trainingsangeboten und man kann auch immer kostenlos laufen, aber auch das wird immer mehr zur Zeitfrage. Nach einer Zwölf-Stunden-Schicht oder wenn man wieder bis in die Morgenstunden für eine Prüfung lernen muss, ist ein ausgewogenes Bewegungspensum nicht die oberste Priorität. 

Sport degeneriert in Folge dessen für viele zu einer weiteren Verpflichtung, der man nachkommen muss, um den negativen gesundheitlichen Rahmenbedingungen des Alltags entgegenzuwirken. Statt hart zu arbeiten und dann hart zu trainieren, braucht es eine gesunde Verbindung von Arbeit und Freizeit. 

Nur in einer sozialistischen Gesellschaft, wo aus Arbeit und Freizeit kein Widerspruch gemacht wird, können wir Rahmenbedingungen für ein selbstbestimmtes und gesundes Leben schaffen. Das bedeutet einerseits eine massive Arbeitszeitverkürzung, um Erschöpfung und Überarbeitung entgegenzuwirken und um gleichzeitig mehr Zeit für körperliche Betätigung zu haben; und andererseits braucht es öffentliche Angebote, um gemeinsam mit Freund*innen aus Arbeit, Schule oder Wohnort, Sport zu betreiben. Gemeinsame Bewegung wird so gesellschaftlich aufgewertet, anstatt allein – mit Kopfhörern isoliert – laufen oder ins Studio gehen zu müssen, um einen Ausgleich zur Arbeit zu finden.

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