Europa am Ende?

Egal wie die „Lösungen“ von Politik und Wirtschaft aussehen- die ArbeiterInnen sollen sie bezahlten.
Lisa Wawra

Spätestens seit August ist klar, dass die weltweite Wirtschaftskrise, die 2007 mit dem Platzen der US-Immobilienblase begann, nie überstanden war. Im Gegenteil, die nächste Krise steht schon vor der Tür. Auch Europa scheint sich nicht und nicht zu erholen. In Griechenland, Spanien und anderen Ländern gehen immer mehr Menschen auf die Straße um sich gegen die brutale Kürzungspolitik zu wehren.

Die EU ist eine Wirtschaftsunion, die zur Umsetzung der Profitinteressen des europäischen Kapitals dient. Für EU und Euro gab es mehrere Gründe. Zentral war die Idee eines starken europäischen Wirtschaftsblocks gegen die großen Wirtschaftsblöcke USA und Asien. Die EU ist aber auch ein Instrument gegen die europäische ArbeiterInnenklasse um Sparmaßnahmen besser durchsetzen, und ArbeiterInnen verschiedener Länder gegeneinander ausspielen. Frankreich erhoffte sich eine stärkere Position gegen das wirtschaftlich starke (wiedervereinte) Deutschland und beide profitierten von der gemeinsamen Währung. Denn diese verhinderte, dass sich schwächere Länder (wie z.B. Griechenland) durch Abwertung einen Exportvorteil verschaffen konnten.

Doch die EU war und ist ein Schönwetterprojekt des Kapitals, das solange einigermaßen funktionierte, solange die Wirtschaft wuchs. Mit Einsetzen einer fundamentalen Krise, deren Ende nicht abzusehen ist, treten aber die inneren Widersprüche wieder offen zu Tage. Daraus ergibt sich seit 2007 eine Serie – durchaus widersprüchlicher – Maßnahmen, die offensichtlich die Probleme nicht lösen: Hilfskredite, Rettungsschirm, Schuldenstreichung, Sparmaßnahmen, Bankenrettungen. Manche setzen auf mehr Kürzungen, andere auf neue Kredite, manche auf die EZB, andere auf die großen Privatbanken. Die jüngste Schuldenstreichung für Griechenland bietet vielleicht eine Verschnaufpause – lösen wird sie nichts.

Die EU konnte die nationalen Widersprüche des Kapitals nie überwinden. Wir haben von Anfang an analysiert, dass eine gemeinsame Währung in einem kapitalistischen Europa auf Dauer nicht funktioniert. In den 1990 Jahren gab es v.a. von der Sozialdemokratie große Illusionen in die EU. Sie wurde als Friedensprojekt und Sozialunion verkauft. Es wurde über einen Bundesstaat als Weiterentwicklung des Staatenbunds EU phantasiert. Schnell stellte sich aber heraus, dass das im Kapitalismus nicht möglich ist, da das Kapital den Nationalstaat gerade in Krisenzeiten als seine Interessensvertretung nützt. Auch „multinationale Konzerne“ haben ihre Wurzeln meist nach wie vor in einem Nationalstaat. In Krisenzeiten brechen die Widersprüche offen auf, führen zu Konflikten und nationale Interessen werden immer dominanter.

Die Politik und damit die herrschende Klasse sind zurzeit hin und hergerissen. Die EU ist ein wichtiges Mittel um rigorose Sparmaßnahmen auf Kosten der Bevölkerung durchzusetzen und gleichzeitig, um sich nach außen hin in der Weltwirtschaft zu behaupten. Ein Scheitern wäre teuer. Andererseits gibt es einen enormen Durck aus den Nationalstaaten, das jeweils eigene Kapital zu stützen und ihm Vorteile zu verschaffen. Jede Maßnahme führt zu neuen Problemen. Sie müssen Griechenland, Irland etc. retten um Schlimmeres zu verhindern. Andererseits können sie sich das nicht leisten und wissen, dass dann die nächsten Staaten folgen (Spanien, Portugal, Italien...) und dass das "zu viel" wird.

Beim EU-Gipfel am 26.10. einigten sie sich auf eine Ausweitung des Rettungsschirms auf eine Billion Euro, damit Spanien und Italien auch darunter Platz finden, sowie zur Schuldenstreichung von 50% bei Griechenland. Woher das Geld für den Rettungsschirm kommen soll, ist noch unklar, vorgeschlagen sind private Investoren - und die wollen daran verdienen. Ähnlich bei der Schuldenstreichung: um die Ausfälle für die Banken nicht zu schmerzhaft werden zu lassen, wird auch hier Geld fließen. Versuche, die Schuld an der Misere gänzlich den Finanzmärkten zuzuschreiben, zeigen die Ohnmacht der Politik gegenüber der Wirtschaft. Die Finanzmärkte sind kein Parasit am Kapitalismus, sondern ein integraler Bestandteil dieses Systems. Bezahlen soll alle Maßnahmen auch wieder in der einen oder anderen Form die ArbeiterInnenklasse. Doch selbst bürgerliche WirtschaftsexpertInnen halten diese Maßnahmen für nicht weitreichend genug. Die Angriffe werden also weiter gehen.

Die EU wird immer undemokratischer. Die EU war immer schon undemokratisch doch mit dem EU-„Sixpack“ wird das massiv verschärft. Es verleiht der Europäischen Komission noch mehr Macht und stärkt die starken Staaten weiter. Sanktions- oder Disziplinierungsmaßnahmen gelten von vornherein als beschlossen, und können nur durch einen Mehrheitsbeschluss aufgehoben werden. Länder, die schon verwarnt wurden, oder ebenfalls Strafzahlungen leisten müssen, sind nicht stimmberechtigt. Außerdem wurde eine intensivere Überwachung der Staatshaushalte beschlossen. Ziel ist die Umsetzung rigoroser Sparmaßnahmen gegen die Bevölkerung, ohne dass nationale Regierungen unter dem Druck von Massenprotesten „in die Knie“ gehen.

Der Kapitalismus hat keine echten Lösungen.

Aktuell gibt es Massenbewegungen in ganz Europa. ArbeiterInnen und Jugendliche sind zu Recht unzufrieden mit dem System. Viele wollen, dass endlich die Wirtschaft und Gesellschaft für uns 99% da ist und nicht für das 1% KapitalistInnen. In diesen Bewegungen entstehen neue Organisationsformen und in Zukunft auch neue ArbeiterInnenparteien. Es gibt Diskussionen über das „wie weiter“, über Alternativen zum Kapitalismus, über ein System, das sich an den Bedürfnissen der 99% orientiert, nicht an Profiten. Geld für Soziales und Bildung wird es nur geben, wenn die Massenbewegungen und ihre neuen Organisationen es erkämpfen. Neue Regierungen, die sich aus echten Parteien der ArbeiterInnenklasse zusammensetzen können sich weigern, die Schulden zu bezahlen statt einer Schulden“streichung“ zuzustimmen, die nur wieder von der ArbeiterInnenklasse zu zahlen ist. Notwendig sind Investitionen im Sozialbereich, in der Bildung und im Gesundheitssystem, um entschieden gegen die wachsende Armut und Arbeitslosigkeit in Europa vorzugehen. In den letzten Jahren wurden einige Banken notverstaatlicht bzw. mit staatlichem Geld aufgepäppelt – um dann weiter zu machen wie bisher. Wir sind für eine ganz andere Verstaatlichung des Bankensektors. Und zwar unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung durch die arbeitende Bevölkerung und die Gewerkschaften. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Ersparnisse der ArbeiterInnen auch ausgezahlt werden können und nicht nur neue Spekulationsblasen entstehen. Ein solches Programm stellt die kapitalistische Logik in Frage. Und es steht im Widerspruch zu nationalistischen Konzepten der Rechten (und auch mancher Linker). Denn nur in einem freiwilligen und wirklich demokratischen Zusammenschluss von sozialistischen Staaten in Europa ist ein Europa für die Bedürfnisse aller, und nicht für die Profite einiger Weniger, möglich.

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