Ein neuer Höhepunkt der Krise auf den Finanzmärkten

Wolfram Klein, CWI-Deutschland

Ende letzter Woche pumpten die Zentralbanken führender kapitalistischer Länder, allen voran die Europäische Zentralbank (EZB) so viel Geld in die Finanzmärkte wie zuletzt als Reaktion auf den 11. September 2001. Aber diejenigen, die diesmal die Welt bedrohen, sitzen in den Vorständen der Banken und Konzerne und den Ministerien, ihr Fundamentalismus heißt Marktwirtschaft.

Die Geldmarktkrise

Der unmittelbare Auslöser der Intervention der Zentralbanken war eine Krise auf dem Geldmarkt. Auf dem Geldmarkt leihen die Banken einander Geld, das sie kurzfristig nicht brauchen. Der Zinssatz, zu dem sie einander das Geld verleihen ist normalerweise minimal höher als die Leitzinsen der Zentralbanken. Aber am 9. August stiegen im Euro-Raum diese Zinsen plötzlich massiv, auf 4,7%, deutlich über den Leitzins von 4%. Die EZB reagierte auf diese plötzliche Unwilligkeit der Banken, einander zu den üblichen Konditionen Geld zu leihen, indem sie ihnen selbst 94,9 Milliarden Euro zu ihrem Leitzins von 4% anbot. An den folgenden Geschäftstagen wurden die Beträge kleiner. (Am Freitag waren es 61,05 Milliarden, am Montag 47,665 Milliarden Euro und am Dienstag 7,7 Milliarden Euro zu etwas anderen Konditionen.) Andere Notenbanken pumpten ebenfalls Beträge in den Geldmarkt: die US-Notenbank Fed am Donnerstag 24, am Freitag 38 und am Montag 2 Milliarden Dollar, die japanische Zentralbank am Freitag eine Billion (6,1 Milliarden Euro) und am Montag 600 Milliarden Yen (3,7 Milliarden Euro), die Notenbanken von Kanada 1,64 Milliarden kanadische Dollar am Donnerstag, 1,675 Milliarden am Freitag und 670 Millionen am Montag oder Australien kleinere Beträge… Da die Kredite der EZB nur eine Laufzeit von je einem Tag hatten, ersetzten die Kredite des folgenden Tages die des vorigen und waren nicht zusätzlich. Die sinkenden Beträge spiegeln also wider, dass sich die Verhältnisse auf dem Geldmarkt wieder normalisierten.

Die Turbulenzen auf dem Geldmarkt strahlten aber auf andere Märkte aus. Die Aktienkurse brachen am Donnerstag und Freitag stark ein, erst im Verlauf des Freitags erholte sich die New Yorker Wall Street wieder.

Besonders stark waren die Einbrüche an den Warenmärkten, wo sie ohnehin bestehende Trends verstärkten. Der London-Metal-Exchange-Index, der den Preis von 6 Basismetallen ausdrückt, verlor in zwei Wochen 15%. Ölpreise fielen seit Ende Juli um rund 10%

Die akute Geldmarktkrise ist vorbei, aber die wirtschaftlichen Entwicklungen, die sie ausgelöst haben, gehen weiter.

Banken und ihre Fonds

Denn dass die Banken plötzlich gezögert haben, einander Geld zu leihen, lag natürlich nicht daran, dass ihre Vorstände plötzlich einander unsympathisch geworden wären. Handfeste finanzielle Gründe führten dazu, dass sie plötzlich wechselseitig ihre Kreditwürdigkeit bezweifelten. Der Auslöser war die Ankündigung der französischen Bank BNP Paribas vom Donnerstagmorgen, drei Anlagefonds (Parvest Dynamics ABS, BNP Paribas ABS Euribor und BNP Paribas ABS Eonia), deren Wert vom 27. 7. bis 7. 8. von 2 auf 1,6 Milliarden Euro gefallen war, faktisch einzufrieren. Sie erklärte, wegen der Marktlage den Wert dieser Fonds nicht mehr „fair bewerten“ zu können und deshalb keine Auszahlungen mehr vorzunehmen. Etwa 30% der Gelder der Fonds waren in US-Hypotheken angelegt. Auch die deutsche Privatbank Sal. Oppenheim schloss einen Fonds mit einem Volumen von 750 Mio. Euro vorerst.

Das war ein Höhepunkt in einer ganzen Kette von Mitteilungen über Probleme mit Anlagefonds. Am Dienstag hatte die WestLB bekannt gegeben, den ABS-Fonds Mellon Compass Fonds vorübergehend zu schließen. Zuvor hatten schon Union Investment, HSBC Trinkaus und Frankfurt Trust ihre Fonds gesperrt. Ähnlich hatten die Hypo KAG in Österreich sowie Oddo und Axa in Frankreich gehandelt.

Bei der Londoner Großbank HSBC waren die Aufwendungen für Not leidende Kredite im ersten Halbjahr um 63% auf 6,346 Milliarden Dollar gestiegen.

Die US-Bank Bear Stearns hatte erhebliche Probleme. Im Juni pumpte sie mehr als 3 Milliarden Dollar in ihre Hedgefonds, um sie vor der Pleite zu retten. Trotzdem musste vor kurzem zwei ihrer Hedgefonds Konkurs anmelden, ein dritter fror Investorengelder ein. Auch der australische Hedgefonds Basis Capital hatte heftige Verluste.

Während den Tagen der Geldmarktkrise gingen die Erschütterungen im Finanzsektor weiter. Die HomeBanc in Atlanta, Georgia, die stark im Hypothekengeschäft tätig gewesen war, erklärte am Freitag ihren Bankrott mit Schulden von 4,9 Milliarden Dollar. Zu ihren Gläubigern gehören neben US-Finanzinstitutionen wie der Versicherung Fidelity auch die niederländische Bank Fortis, die erwähnte französische BNP Paribas und Deutsche Bank und Commerzbank.

Die Deutsche Bank selbst teilte am Freitag mit, dass der Wert des Fonds für forderungsbesicherte Anleihen (asset-backed securities, ABS) ihrer Tochter DWS um 30% gefallen sei. Dass die Deutsche Bank diesen Fonds trotzdem nicht einfror, sondern normal weiterlaufen ließ, war in der Wirtschaftspresse schon Schlagzeilen wert.

Am Freitag teilte die niederländische NIBC Holding Verluste von 189 Millionen Dollar mit US-Hypothekengeschäften mit. Der US-Baufinanzierer American Home Mortgage Investment teilte seinen Gläubigern mit, Kredite statt nach sieben erst nach 110 Tagen zurückzahlen zu können.

Ein entscheidender Grund für das wechselseitige Misstrauen der Banken ist, dass die Verluste, die im Hypothekenbereich bereits aufgetreten sein müssen, wesentlich größer sind als die Verluste, die die Banken bisher angegeben haben. Laut "Wall Street Journal online" durchleuchtet die US-Börsenaufsicht SEC die Bücher mehrerer großer Banken auf der Suche nach versteckten Verlusten.

Auch die deutsche Finanzaufsicht BaFin nimmt nach der Pleite der IKB (s.u.) jetzt andere Banken wie die SachsenLB unter die Lupe. Deren 17,5 Milliarden Dollar schwerer 2004 gegründeter Fonds Ormond Quay könnte ebenfalls Probleme haben. Die Postbank gab an, ihr eigenes Engagement im US-Hypothekenmarkt zu untersuchen.

Das Ende des US-Immobilienbooms und seine Folgen

Ein Großteil dieser Finanzprobleme sind direkte und indirekte Folgen der Krise im US-Immobiliensektor.

In den USA gab es einen jahrelangen Immobilienboom, der etwa bis zum Sommer 2006 andauerte. Im Landesdurchschnitt stiegen die Immobilienpreise um 70% schneller als die Preise allgemein. Die Immobilien stiegen um etwa 700 Milliarden Dollar jährlich im Preis. Insgesamt wurden die USA auf dem Papier durch den Immobilienboom etwa um 5 Billionen Dollar reicher. Ein beträchtlicher Teil dieses Wertanstiegs wurde zu Geld gemacht, indem die Eigenheime mit Hypotheken belastet wurden oder im Vertrauen auf ihren steigenden Wert andere Kredite aufgenommen wurden. Der Durchschnittshaushalt in den USA hatte letztes Jahr Schulden im Wert von 129% seines verfügbaren Einkommens. Als Folge dieser Verschuldung übertraf der Anstieg der Konsumausgaben den Anstieg der Löhne und Gehälter 2001-2006 um 270 Milliarden Dollar jährlich.

Aber nachdem die US-Notenbank auf das Platzen der dot.com-Börsenseifenblase und den 11. September 2001 mit drastischen Zinssenkungen reagiert und damit den Immobilienboom angeheizt hatte, erhöhte sie die Zinsen unter dem Eindruck steigender Ölpreise und von Inflationsgefahr wieder von 1% 2003 auf 5,25% 2006.

Mit dem Ende der Niedrigzinspolitik der US-Notenbank ging der Immobilienboom zu Ende. Immobilienpreise stagnierten oder fielen. Viele EigentümerInnen waren plötzlich überschuldet.

Im Verlauf dieses Booms wurden Kredite immer leichtfertiger vergeben. Es entstand ein Sektor von Hypotheken, deren SchuldnerInnen keine erstklassige Bonität haben, so genannte „subprime“ Hypotheken. Dabei handelte es sich z.B. um SchuldnerInnen, die in der Vergangenheit bei Krediten in Zahlungsverzug geraten waren, die gar einen Bankrott oder eine Zwangsversteigerung mitmachen mussten oder um Kredite, bei denen die Zinsen und Tilgungen mehr als die Hälfte des Einkommens ausmachten. Der Anteil dieser „subprime Hypotheken“ an dem Gesamtbetrag der Hypotheken von knapp zehn Billionen Dollar wird teils mit 14%, teils einem Viertel oder gar Drittel angegeben. Schon die Differenz zwischen diesen Zahlen ist nicht gerade beruhigend.

Diese „subprime“ Hypotheken haben häufig variable Zinsen, d.h. der Zinssatz wird in gewissen Zeiträumen an die Entwicklung der allgemeinen Zinsen angeglichen. Das war natürlich zu Zeiten fallender Zinsen für die SchuldnerInnen angenehm, bei dem Zinsanstieg der letzten Jahre war es oft fatal. Ebenfalls häufig waren kombinierte Zinsen (Hybrid), bei denen die Zinsen die ersten Jahre fest waren, oder ein niedriger Einstiegszins als Lockangebot (Teaser Rate). Wenn dann die Zahlungsfähigkeit nur für die niedrigen Einstiegszinsen geprüft wurde, war die Zwangsversteigerung schon fast vorprogrammiert. Aber für die Banken war das ein gutes Geschäft, so lange der Anstieg der Immobilienpreise als ein Naturgesetz erschien und nicht das Einkommen der SchuldnerInnen, sondern der Preis des Hauses als Sicherheit diente.

Von dem Immobilien- und Hypothekenboom profitierten aber nicht nur die Hypothekenbanken. Dass Hypotheken und andere Schuldverpflichtungen vom Gläubiger bei Bedarf weiter verkauft werden können (mit einem gewissen Abschlag), ist im Kapitalismus normal. Auf die Weise brauchten sie nicht zu warten, bis die Schuld fällig wurde oder konnten sich den Ärger mit säumigen Schuldnern ersparen. Aber in den letzten Jahrzehnten ist es immer gängiger geworden, Schulden nicht in Ausnahmefällen zu verkaufen, sondern in eine Art Wertpapier zu verwandeln, das wie eine Aktie oder Staatsanleihe an der Börse gehandelt wurde. Diese Entwicklung war Teil der allgemeinen Bedeutungszunahme von Börsen gegenüber direkten Beziehungen zwischen Geschäftspartnern im Kapitalismus seit etwa den 70er Jahren.

Damit die Hypotheken an der Börse gehandelt werden konnten, mussten sie standardisiert werden – indem verschiedene Hypotheken zu einem Paket zusammengefasst wurden. Der Wert solcher Hypotheken-Wertpapiere nahm in den USA von 2001 bis 2006 von 217 auf 773 Milliarden Dollar zu.

Der nächste Schritt war die Bildung von CDOs (Collateralized Debt Obligations). Ihr Handelsvolumen hat sich von 2003 bis 2006 auf 503 Mrd. $ mehr als verfünffacht.

Bei ihnen wurden aus einer großen Anzahl von Hypothekenkrediten verschiedene Pakete (Tranchen) gebildet, die ein verschieden hohes Risiko haben sollten. Das wurde aber nicht unbedingt dadurch erreicht, dass in der einen Tranche Kredite von zuverlässigen SchuldnerInnen und in der anderen Tranche Kredite von unzuverlässigen SchuldnerInnen zusammengepackt wurden. Oft wurden einfach mehr „subprime“-Hypotheken zusammengefasst, gewissermaßen eine Hypothek mit mehreren Häusern abgesichert (overcollateralization wurde das genannt), nach dem Prinzip „ein Teil von denen wird ja schon zahlen können“. Solche Gebilde erhielten dann von den weltbekannten Ratingagenturen wie Standard & Poor’s oder Moody’s Bewertungen wie „AAA“, wie sie z.B. die Staatsanleihen der mächtigsten Länder (USA, BRD etc.) bekommen. Wolfgang Münchau schrieb in der „Financial Times Deutschland“: „Mit einem Haufen schlechter Kredite kann man also eine ‚AAA’-Tranche erzeugen. Man hat einen Weg gefunden, aus Mist Geld zu machen.“

Die Banken vergaben ungehemmt Kredite und verkauften die Schulden in Form von CDOs weiter. Die Ratingagenturen strichen für ihre Bewertung der CDOs Gebühren ein.

Aber die Wahrscheinlichkeit, dass zweifelhafte Schuldner nicht nur im Einzelfall, sondern massenhaft nicht zahlen können, ist doch etwas größer als die Wahrscheinlichkeit, dass die BRD mit zig Millionen SteuerzahlerInnen als „Geiseln“ ihre Staatsschulden nicht mehr bezahlen kann.

Anfang April ging New Century Financial pleite. Die Firma war auf „subprime“-Hypotheken spezialisiert und boomte, bis sie schließlich mit 453,5 Millionen Dollar in den Miesen war. Der Verzug bei der Rückzahlung soll inzwischen bei „subprime“-Krediten 20mal so hoch wie bei normalen Krediten sein. Im Mai hatten Hypothekenkredite im Wert von 212 Milliarden Dollar Zahlungsschwierigkeiten, nach Schätzungen kann das Ausmaß auf über 530 Milliarden Dollar ansteigen.

Von Juni auf Juli ging das Volumen der ausgegebenen neuen CDOs um 34% zurück.

Structured Investment Vehicles (SIVs)

Die aktuelle Finanzkrise entstand teilweise einfach dadurch, dass Hedgefonds und andere Anlagefonds CDOs gekauft haben, deren Kurs dann in den Keller ging. Teilweise handelte es sich auch um kompliziertere Operationen, bei denen die Zinsdifferenz zwischen langfristigen und kurzfristigen Krediten ausgenutzt werden sollte. Es ist im Kapitalismus normal, dass Investoren, die ihr Geld langfristig anlegen und daher nicht darüber verfügen können, wenn sie es kurzfristig benötigen, dafür höhere Zinsen bekommen als für kurzfristige Kredite. Mit den CDOs war eine neue Form von langfristigen Kapitalanlagemöglichkeiten mit relativ hohen Zinsen entstanden. Denn sie waren ja aus Hypotheken, also langfristigen Krediten, entwickelt worden.

Ein Mittel, um mit dieser Zinsdifferenz Geld zu verdienen, sind SIVs (Structured Investment Vehicles). Wahrscheinlich hat der allergrößte Teil der Menschheit bis vor wenigen Tagen noch nie etwas von diesen possierlichen Tierchen gehört. SIVs, SIV-lites und SIV conduits (sie unterschieden sich dadurch, dass sie verschieden starken Reglementierungen und Kontrollen unterliegen) gehören zu den in den letzten Jahren aufgekommenen Finanzinstrumenten.

Das Prinzip bestand darin, dass die SIVs (oder SIV-lites oder SIV conduits) CDOs oder andere langfristige Wertpapiere mit hohen Zinsen kaufen und sie mit kurzfristigen Krediten bezahlen. Ebenso wie die langfristigen Schulden keine Schulden bei einer Bank mehr sind, sondern an der Börse gehandelte Wertpapiere, so sind auch diese kurzfristigen Kredite Schuldscheine, die Asset-backed Commercial Papers (ABCP, mit Forderungen besicherte Wertpapiere) genannt werden. Sie haben eine Laufzeit von wenigen Tagen bis ein paar Monaten (auf jeden Fall unter zwei Jahre) und müssen dann durch neue ABCPs ersetzt werden. Das war jahrelang kein Problem, der ABCP-Markt wuchs auf eine oder gar anderthalb Billion Dollar, bis die Krise der „Subprime“-Hypotheken und der CDOs Zweifel weckten, ob diese ABCP-Schuldscheine denn wirklich durch Werte gedeckt seien. Es wurde plötzlich zum Problem, neue ABCPs auf den Markt zu werfen.

Da die SIVs von Banken (die Großbanken HSBC und Citygroup haben zwei der größten SIV-Plattformen) geschaffen wurden, müssen die jeweiligen Banken mit ihrem Kapital einspringen, wenn sich das Kapital nicht auf dem Markt auftreiben lässt. Das wurde Anfang August der IKB in Düsseldorf zum Verhängnis.

Die Deutsche Industriebank IKB

Die IKB diente über viele Jahre ziemlich unspektakulär mittelständischen Unternehmen als Hausbank. Dabei betätigte sie sich auch bei „Verbriefungen“, das heißt, sie kaufte den Unternehmen Forderungen an andere Unternehmen ab und trieb sie selbst ein. Schließlich gründete sie eigene Investment-Vehikel, Rhineland Funding und Rhinebridge. Diese boomten prächtig und trugen kräftig zum Gewinn der Bank bei. Denn die IKB erkannte, dass man nicht nur mit Verbriefungen Geld verdienen kann, sondern auch mit dem Handel mit „subprime“ Hypotheken und CDOs. Im Juli 2007 belief sich das Vermögen von Rhineland auf 14 Milliarden Euro, zumindest auf dem Papier. Finanziert wurde das, wie in der Branche üblich, mit ABCPs. Ende 2006 hatte die Ratingagentur Moody’s die IKB für ihren Erfolg gefeiert und besonders gelobt, weil sie ihre Aktivitäten auf den neuen Bereich ausgedehnt hatte. Noch am 20. Juli präsentierte die IKB gute Quartalszahlen.

Ende Juli waren ABCPs der von Rhineland und Rhinebridge im Wert von 20 Milliarden Dollar auf dem Markt – und liefen teilweise aus, mussten also erneuert werden.

Aber inzwischen hatte die „subprime“-Krise das Geschäftsklima so geändert, dass das nicht lief. Deshalb musste die IKB mit ihrem eigenen Geld einspringen – und hatte nicht genug. Ihr eigener Börsenwert hatte im Frühjahr nur 2,6 Milliarden Euro betragen. Die IKB wäre Pleite gegangen, wenn nicht die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), Privatbanken, Genossenschaftsbanken und Sparkassen etc. eingesprungen wären. Die KfW gab der IKB einen Kreditrahmen von 8,1 Milliarden Euro, um die ausgefallenen ABCPs zu ersetzen.

Die Krise der IKB ist auch vor dem Hintergrund der Heuschrecken-Diskussion der letzten Jahre bemerkenswert. Jahrzehntelang war die IKB die Verkörperung von deutscher mittelständischer Bodenständigkeit – und stürzt sich in so spekulative Geschäfte. Braucht es einen weiteren Beweis, dass die „Heuschrecken“ nicht etwas sind, was von außen über die blühenden Felder des „rheinischen Kapitalismus“ hereinbricht, sondern etwas, was der Kapitalismus in seinem gegenwärtigen Stadium selbst hervorbringt?

Die Rettungsaktion führte nicht zu einer Beruhigung der Märkte. Die Zweifel der Investoren an den ABCPs stiegen weiter, die finanzielle Belastung der Banken stieg und auch ihr Geldbedarf. So wurde der Boden für die Geldmarktkrise der letzten Woche bereitet: Banken zögerten, einander Geld zu leihen, einmal weil sich der Schuldner als neue IKB entpuppen konnte, zum anderen, weil man nicht wusste, ob die eigenen SIVs ihren Geldbedarf auf dem Markt befriedigen konnten oder ob man Geld brauchte, um ihnen unter die Arme zu greifen.

Nur die Geldmarktkrise ist (vorübergehend) vorbei

Die Geldmarktkrise ist vorübergehend abgeklungen. Die Intervention der Zentralbanken hat die Banken beruhigt. Aber die Probleme, die die Krise auslösten bestehen weiter. In den letzten Tagen gab es zwar keine so spektakulären Meldungen wie letzten Donnerstag, aber die meisten Meldungen zeigen in die gleiche Richtung

Am Wochenende gab es Berichte, wonach die amerikanische Citigroup mit Kreditanleihen 500 Millionen Dollar verloren habe. Am Montag gab die US-Bank Goldman Sachs bekannt, 2 Milliarden Dollar zur Rettung ihres eigenen Hedgefonds Global Equity Opportunities (GEO) einzusetzen. Eine weitere Milliarde soll von außerhalb kommen. Angeblich hat er seit Jahresbeginn 30% an Wert verloren. Als Grund wird genannt, dass die Computerprogramme nicht richtig auf die Börsenentwicklungen reagierten. Da derartige Computerprogramme in der Branche weit verbreitet sind, ist das nicht gerade beruhigend. Die beiden anderen computergesteuerten (quantitativen) Hedgefonds von Goldman Sachs, Global Alpha und North American Opportunities, sollen auch Federn gelassen haben, Global Alpha 27% seit Jahresbeginn. Dienstag teilten Hedgefonds mit, dass Banken Fonds den Kredithahn zugedreht haben, die Hypotheken oder CDOs als Sicherheiten haben. Am Mittwoch gab die australische Hedgefonds-Gesellschaft Basis Capital bekannt, dass einer ihrer Fonds wahrscheinlich mehr als 80 Prozent seines Werts eingebüßt habe. Es heißt, dass die Deutsche Bank mit betroffen sei.

Auch direkt auf dem US-Hypothekenmarkt ging die Krise weiter. Der US- Hypothekenfinanzierer Homebanc hat 4,9 Milliarden Dollar Schulden, will dichtmachen und beantragte Gläubigerschutz. Zu den Gläubigern gehören Großbanken wie die US-Bank JP Morgan, die französische BNP Paribas und in Deutschland mal wieder Commerzbank und Deutsche Bank. Davor hatte American Home Antrag auf Gläubigerschutz gestellt, zu dessen Gläubigern auch die Deutsche Bank gehört. Auch die Hypothekenbank Countrywide räumte massive Finanzierungsprobleme ein.

Von der IKB wurde bekannt, dass sie stärker auf dem US-Hypothekenmarkt engagiert war, mit 7,8 Milliarden Euro. Die WestLB gab an, 1,25 Milliarden Euro in subprime-Hypotheken investiert zu haben, die Postbank gab an, mit 600 Millionen Euro beim IKB-Rhineland-Fonds drinzustecken.

Schwierigkeiten der Banken, ABCPs auf den Markt zu bringen, wurden vor allem aus Kanada gemeldet.

Dazu gab es immer wieder kräftige Kurseinbrüche an verschiedenen Aktienbörsen, z.B. in Ostasien und Australien. Neben den Aktienkursen bewegten sich dort auch die Devisenkurse. Der japanische Yen stieg deutlich (in einem Monat insgesamt um 6% gegenüber dem Euro, 4% gegenüber dem Dollar), während südostasiatische Währungen wie der malaysische Ringgit und die indonesische Rupie fielen.

Carry Trade

Das deutet darauf hin, dass eine weitere Spielart der Spekulation an ihre Grenzen stößt, der so genannte Carry Trade: Dabei machen Investoren Schulden in Yen (weil die Zinsen in Japan extrem niedrig sind) und legen das Geld dann in anderen Währungen an, in denen die Zinsen höher sind. Das Geschäft funktioniert natürlich nur, wenn der Yen im Kurs gegenüber diesen anderen Währungen nicht steigt und die Zinsgewinne durch Kursverluste aufgefressen werden. Das kann eine Weile gut gehen, weil der Carry Trade beinhaltet, dass Yen in andere Währungen gewechselt werden und diese Spekulation den Yen tiefer drückt, als ökonomisch gerechtfertigt wäre. Die Folge ist, dass das Pendel zurück schwingt, wenn die Spekulation erlahmt, und die Spekulanten, die nicht rechtzeitig aussteigen, mit Verlusten rechnen müssen.

Mittelfristige Folgen

Voraussichtlich werden die Schwierigkeiten auf den Finanzmärkten weitergehen. Banken werden kaum ABCPs loswerden und können deshalb in Schieflagen kommen wie die IKB. Das könnte z.B. die SachsenLB mit ihrem Ormond Quay betreffen oder die WestLB mit ihrem New Yorker Ableger Brightwater und deren ABCP-Vehikel Greyhawk.

Aber das Austrocknen des ABCP-Marktes betrifft nicht nur das Geld für die SIV-Spekulation mit Hypotheken und CDOs. Es betrifft auch die Finanzierung von Firmenübernahmen und -verkäufen. Der weltgrößte Finanzkonzern Citigroup hat es bereits im zweiten Quartal in vier Fällen nicht geschafft, Kredite, die er Investoren zur Finanzierung von Firmenübernahmen gewährt hatte, an Anleger weiterzureichen. Nächsten Monat hätten insgesamt 300 Milliarden Dollar zur Finanzierung von Firmenübernahmen aufgebracht werden sollen.

Wenn verschiedene Finanzinstitutionen wachsende Liquiditätsprobleme bekommen, werden sie zum Teil mit dem Verkauf von Aktien reagieren. Dass Unternehmen die eigenen Aktien kaufen, um ihre Kurse hochzutreiben, dürfte dagegen wesentlich seltener werden. Auch dass Firmenübernahmen die Kurse hoch treiben, dürfte seltener werden. Durch diese Faktoren geraten die Aktienkurse unter Druck, so dass weitere Kursrückgänge zu erwarten sind (sofern nicht Zinssenkungen der Zentralbanken dem entgegenwirken). Daran ändert auch die gegenwärtig relativ gute Verfassung der Realwirtschaft nichts, im Gegenteil werden sich die Finanzprobleme auch hier in verschiedener Beziehung negativ auswirken.

Zum einen wird die gestiegene Risikoangst der Banken dazu führen, dass sie bei der Kreditvergabe vorsichtiger werden. Das wird überschuldete Privathaushalte in den USA betreffen, kann aber zunehmend auch für Unternehmen gelten. Es kann das eintreten, was Kreditklemme oder Kreditkrise (credit crunch) genannt wird: dass die Gläubiger solche Angst haben, die Schuldner könnten die Kredite nicht zurückzahlen, dass auch hohe Zinsen keinen genügenden Anreiz bieten, Kredite zu vergeben.

Für Privathaushalte in den USA hieße das, dass sie finanzielle Engpässe weniger leicht überbrücken können. Zwangsverkäufe werden zunehmen und die Krise der Immobilienpreise verschärfen. Denn es wird oft argumentiert, dass ein Rückgang der Immobilienpreise ganz anders Verlaufe als ein Kurseinbruch an den Aktienbörsen: Bei niedrigen Immobilienpreisen bleiben die Eigenheimbesitzer einfach in ihren Häusern wohnen und warten mit einem etwaigen Verkauf auf bessere Zeiten. Aber das können sie eben nur, wenn ihnen keine Zwangsversteigerung widerfährt. Je mehr Zwangsverkäufe, desto mehr werden die Immobilienpreise gedrückt, desto mehr Hypothekenschuldner erscheinen als überschuldet und nicht mehr kreditwürdig. Es ist ein Teufelskreis, der nicht so spektakulär sein mag wie ein Börsenkrach, aber nicht weniger brutal ist.

Auf der anderen Seite bedeutet die Beschränkung der Kreditvergabe an Unternehmen, dass weniger Produktionserweiterungen stattfinden etc., die Wirtschaft gebremst wird.

Das geht damit einher, dass die wirtschaftlichen Schwierigkeiten von der Nachfrageseite her zunehmen werden. Nachdem jahrelang die Konsumausgaben in den USA um 270 Milliarden Dollar schneller wuchsen als die Löhne und Gehälter, werden früher oder später das Ende des Immobilienbooms und eine restriktive Kreditpolitik der Banken zu einer Kehrtwende führen. Es kann sein, dass jahrelang Millionen Familien sparen und Schulden abbauen werden. Die US-Wirtschaft stellt sich bereits auf eine schwächere Nachfrage ein. Die Einzelhandelskette Wal-Mart hat Mittwoch die Erwartungen für die nächsten Monate gedämpft. Der Goldman Sachs Confidence Index, bei dem Firmenvorstände bezüglich ihrer Erwartungen der Geschäftsbedingungen gefragt werden, brach ein von 57 im zweiten Quartal auf 33 im dritten Quartal, den niedrigsten Stand seit dem dritten Quartal 2002 (ein Wert über 50 bedeutet, dass die positiven Erwartungen überwiegen). Und dabei ist zu berücksichtigen, dass die Befragung der Vorstandsmitglieder in der letzten Juli- und ersten Augustwoche stattfand, also noch vor den Turbulenzen von letzten Donnerstag und Freitag.

Manche Wirtschaftskommentatoren behaupten noch, es bestehe kein Grund zur Panik, es kehre nur eine realistische Bewertung der Risiken ein. Wenn ein Mensch, der jahrelang mit einer rosaroten Brille herumgelaufen ist, diese Brille verliert, ist dieser Verlust tatsächlich kein Grund zur Panik. Aber wenn er gezwungen ist, die Welt um sich ohne seine rosarote Brille zu betrachten, kann er bemerken, dass diese Welt schon lange Grund zur Panik geboten hätte.

Das alles soll nicht heißen, dass morgen die große Krise ausbricht. Die Finanzmärkte sind gelegentlich mit einem Kartenhaus verglichen worden. Aber auch hier gilt das dialektische Prinzip, dass Quantität in Qualität umschlägt. Seit dem Beginn der 1980er Jahre gab es einen Anstieg der Aktienkurse, seit einigen Jahren einen Immobilienboom. Es gab im letzten Vierteljahrhundert zahlreiche Finanzkrisen in den USA (z.B. die Sparkassenkrise der späten 1980er Jahre) oder international. Trotzdem ist das Kartenhaus nie eingestürzt, sondern immer größer geworden, auch wenn der eine oder andere Gebäudeflügel des Kartenhauses eingestürzt ist. Das hat zu einem erheblichen Vertrauen der Investoren geführt, dass das in alle Zukunft so weitergehen werde. Dabei spielt auch eine Rolle, dass das Finanzmarktgebilde so riesig geworden ist, sein Einsturz so verheerend wäre, dass Notenbanken und Regierungen eingreifen müssen (ob mit Erfolg, ist eine andere Frage). Und die Rettungsaktionen für die IKB und den Geldmarkt haben zwar einerseits für Panik gesorgt, weil sie das Ausmaß der Krise deutlich gemacht haben, auf der anderen Seite aber demonstriert, dass der viel beschworene freie Markt seine Grenzen hat, wenn seine Opfer nicht entlassene ArbeiterInnen oder zwangsversteigerte Eigenheime sind, sondern Großinvestoren.

Deshalb wird dieses Finanzmarktgebäude erst nach einer Reihe von Erschütterungen einstürzen. Aber diese Erschütterungen haben schon vor Monaten begonnen und folgten in den letzten Wochen mit erstaunlichem Tempo aufeinander.

Die begrenzten Möglichkeiten der Notenbanken

Eine Illusion, die in den nächsten Jahren zu Bruch gehen wird, ist der Glaube, dass die Notenbanken mit ihrer Zinspolitik etc. die Wirtschaft ohne größere Krisen steuern können. Bis vor wenigen Jahren war die Inflationsgefahr sehr gering, so dass die Notenbanken sich bei ihrer Zinspolitik auf deren Folgen für das Wirtschaftswachstum und die Finanzmärkte konzentrieren konnten. Aber in letzter Zeit hat vor allem der Ölpreisanstieg zu Inflationsängsten geführt, die Notenbanken haben die Zinsen erhöht und damit zu den aktuellen Problemen beigetragen. Es kann sein, dass die Probleme der Finanzmärkte und der Wirtschaft insgesamt bald so gravierend sein werden, dass sie wieder umsteuern (auch, weil eine Abkühlung der Wirtschaft und ein Rückgang der Spekulation die Preise für Öl und andere Rohstoffe etwas sinken lassen kann). Aber wird das die gewünschten Folgen haben?

Bei der Geldmarktkrise der letzten Woche konnten die Notenbanken mit ihrer Intervention dafür sorgen, dass die Beziehungen der Banken untereinander sich wieder beruhigten. Aber ihre Beziehungen zu ihren Kunden konnten die Notenbanken nicht wirklich beeinflussen. Den Vertrauensverlust können sie nicht beseitigen. Und wenn es zu einer Kreditklemme kommt, würde sie die Grenzen der Zentralbankmacht drastisch zeigen. Es könnte passieren, dass die Banken bei ihrer Kreditvergabe eine so hohe „Risikoprämie“ auf die Leitzinsen zuschlagen, dass selbst eine Senkung der Leitzinsen auf Null die von den Banken festgesetzten Zinsen für die Unternehmen und die Privathaushalte nicht auf das von den Zentralbanken für richtig erachtete Niveau senken würde. Das würde verschärft werden, wenn die Überschuldung und die Einschränkung des Privatkonsums und der Nachfrage zu Deflation, zu allgemein fallenden Preisen führen würde. Dass das kein Hirngespinst ist, zeigt die Entwicklung in Japan Anfang der 1990er Jahre: Dort hatte die Notenbank die Zinsen ganz ähnlich wie die Fed erhöht (von 2,5 auf 6%), um einen Spekulationsboom zu stoppen. Die Folge war ein Absturz der Aktienkurse im Frühjahr 1990, dem ein paar Monate später die Talfahrt der Immobilienpreise folgte. Die Aktienkurse haben heute etwa 40% des damaligen Spitzenwerts, was zeigt, dass solche Einbrüche keineswegs vorübergehend sein müssen. Das Platzen der Spekulationsseifenblase ließ die Banken mit riesigen Bergen von faulen Krediten zurück. (Der Hauptunterschied zur heutigen Lage war, dass es sich um traditionelle Kredite bei bestimmten Banken handelte, nicht um auf dem Schuldenmarkt gehandelte Schuldscheine. Deshalb blieb die Krise weitgehend auf Japan beschränkt.) Die riesigen Schuldenberge zogen die japanische Wirtschaft in den folgenden Jahren wie ein Mühlstein um den Hals nach unten. Banken zögerten sehr bei der Kreditvergabe. Umgekehrt scheuten sich die Leute wegen der minimalen Zinsen und Überschuldung der Banken, den Banken ihre Ersparnisse anzuvertrauen. Eine der wenigen Branchen, die boomte, war die Herstellung von Tresoren, weil viele Vermögende ihr zu Hause sicherer aufgehoben fanden, als bei einer Bank. Der Konsum war im Keller. Wenn die Regierung die Einkommen erhöhte (z.B. durch Steuergeschenke), wurde das zusätzliche Geld nicht ausgegeben, sondern zum Schuldenabbau verwendet bzw. gespart. Denn die Preise fielen und es lohnte sich, mit Ausgaben zu warten, bis sie noch mehr gefallen waren. Vor lauter Verzweiflung wurde ernsthaft diskutiert, den Leuten statt Geld Einkaufsgutscheine zu geben, damit sie mit dem Horten aufhören.

Wegen der zentralen Rolle der US-Wirtschaft und ihrer Nachfrage für die Weltwirtschaft und der Globalisierung der Finanzmärkte (sichtbar in der Beteiligung der europäischen Banken an der Spekulation der letzten Jahre) besteht die Gefahr, dass sich die japanische Krise der 90er Jahre in den nächsten Jahren im globalen Maßstab wiederholen könnte.

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