Spekulationsblasen ohne Ablaufdatum?

Was passiert mit der Weltwirtschaft?
Lynn Walsh, CWI England&Wales

Die Weltwirtschaft erhielt besonderen Auftrieb durch einen Anstieg der Liquidität, einer regelrechten Flut billiger Kredite. Das nährte die verrückten Spekulationen der letzten Jahre, eine Goldgrube für die Superreichen. Dieser Entwicklung liegen aber unhaltbare Ungleichgewichte und sich vertiefende Widersprüche in den weltwirtschaftlichen Beziehungen zu Grunde. LYNN WALSH geht diesen Prozessen auf den Grund.

ENDE FEBRUAR erlitten die Börsen der Welt und andere Sektoren der Finanzmärkte (Unternehmensanleihen, Schuldverschreibungen, Warenterminhandel, etc.) scharfe Einbrüche, die eine Periode des Zitterns überall im globalen Finanzsystem eröffnete. Die Delle wurde augenscheinlich von einem 9%-Rückgang an den beiden wichtigsten chinesischen Börsen (Shanghai & Shenzen am 27./28. Februar 2007) ausgelöst. Der Kursrückgang in China wurde durch die Ängste der InvestorInnen ausgelöst, die chinesische Regierung könnte den Zugang zu billigen Krediten zum Kauf von Aktien einschränken und so den jüngsten Anstieg der Aktienpreise (130% im Jahr 2006) abwürgen.
Aber der Effekt der Einbrüche an den chinesischen Börsen überstieg bei weitem deren Bedeutung auf den globalen Finanzmärkte. China spielt zwar ohne Zweifel eine immer bedeutendere Rolle in der Weltwirtschaft, aber auf die chinesischen Aktienmärkte entfällt nur ein verschwindend geringer Anteil an der Gesamtkapitalisierung der weltweiten Aktienmärkte. Die Gesamtkapitalisierung aller chinesischen Börsen zusammen beträgt nur etwa 5% des Werts der US-Märkte. Morgan Stanley Capital International (MSCI) schätzt, dass chinesische Aktien, die von internationalen InvestorInnen gekauft werden können (im Gegensatz zu Aktien, die chinesischen InvestorInnen vorbehalten sind) rund 11% des gesamten „Emerging Markets“-Index ausmachen und lediglich minimale 0,9% des MSCI-Welt-Indexes. Das heißt, dass die Kapitalisierung der chinesischen Aktienmärkte geringer ist als jene Taiwans oder Südkoreas in etwa gleich mit jener Russlands und Brasiliens. „Der chinesische Einfluss auf die globalen Aktienmärkte“, bemerkte ein Kommentator, „ist eher psychologisch als fundamental. [Der chinesische Aktienmarkt] gleicht eher einem Kasino als einem legitimen Investitionsstandort.“ (Michael Sesit, China Not Yet in Driver’s Seat, International Herald Tribune, 2. April 2007) 

Die Einbrüche an den chinesischen Börsen lösten jedoch einen weltweiten Rückzug der SpekulantInnen aus hoch riskanten Anlageformen aus, was die weitverbreiteten Ängste reflektiert, dass Aktien und andere Anlagen massiv überbewertet und reif für eine „Korrektur“ wären. Es scheint, als hätten Aktien am meisten unter diesem Rückzug gelitten, de facto waren aber alle Anlageformen betroffen.

Das Ergebnis war eher eine Erschütterung als ein Erdbeben. In den USA wurden zum Beispiel am 28. Februar rund 580 Mrd. US Dollar an Aktienwerten ausradiert. Dennoch ging der Savings & Poor 500 Index, der am breitesten gestreute Index der Wall Street nur um 3,5% zurück. Von einer „Korrektur“ spricht man allerdings erst ab 10% Rückgang, ab 20% von einem Einbruch.  (Die Wall Street fiel um 21% an einem Tag während des Crashs im Oktober 1987). Aber trotzdem war dies der größte Rückgang in den USA seit dem Platzen der dotcom-Blase 2000/2001, ein Erinnerungswink an die SpekulantInnen, dass Zocken auf den Finanzmärkten nach wie vor Risiken birgt.

Die Februar-Erschütterung war nicht so sehr eine Frage der Ansteckungsgefahr, eine Situation, in der Ereignisse in einer Region sich mittels Domino-Effekt auf andere Teile des weltweiten Finanzsystems ausbreitet, als seine Frage der Synchronisierung. Der Rückgang in China erinnerte die SpekulantInnen auf der ganzen Welt, dass weltweit die gleichen Bedingungen existieren. Der schnelle und simultane Fall der Märkte zeigt, wie weit die Finanzmärkte bereits globalisiert sind – das ganze globale Finanzsystem funktioniert praktisch als ein einziger Markt.

Im Februar waren die InvestorInnen darüber hinaus noch von einer Reihe anderer Faktoren beeinflusst. Der wichtigste Faktor waren neuerliche Anzeichen für eine Verlangsamung der US-Wirtschaft. Ende Jänner wurde das Wachstum des BIP für das vierte Quartal 2006 von 2,5% auf 2,2% herunter revidiert. Im Vergleich dazu wurde im ersten Quartal 2006 noch ein Wachstum von 5,6% verzeichnet. Diese Verlangsamung wurde hauptsächlich durch den Einbruch am US-Immobilien-Markt, der ein wesentlicher Faktor im Erhalt der Inlandsnachfrage am Konsummarkt war, hervor gerufen. Die Abkühlung am Immobilienmarkt führte zu einer Krise am Subprime-Markt. Der Subprime-Markt ist jener Kreditmarkt, in dem Hypothekarkredite an Schuldner mit mangelhafter Kreditwürdigkeit, gelistet sind. Das heißt es handelt sich um Kredite zu höheren Zinsen an Schuldner, die sich schon normale Zinsen eigentlich nicht leisten können. Einige der Firmen und Banken, die in den Subprime-Markt involviert sind, haben bereits große Verluste gemeldet, während andere bereits in den Bankrott getrieben wurden. Es existieren große Ängste unter den seriösen kapitalistischen KommentatorInnen, dass sich die Subprime-Krise auf andere Bereiche des Finanzsektors ausweiten könnte. Diese Krise hat definitiv das Potential eine breitere Finanzkrise auszulösen.

Das Zittern wurde verstärkt durch kolportierte Aussagen vom früheren Chef der US-Notenbank Alan Greenspan gegenüber einer Gruppe von InvestorInnen. Die Presse berichtete, dass er davor gewarnt hätte, die USA schiene am Ende einer langen Expansion angelangt zu sein und dass solche Zeiten normalerweise die Saat der Rezession mit sich brächten. Greenspan, der noch immer von vielen als unfehlbarer Guru betrachtet wird, warnte, dass „InvestorInnen in Gefahr wären, zu selbstgefällig und zu sicher zu sein, die gute Mischung aus niedriger Inflation und stabilem Wachstum ginge einfach so weiter.“ (International Herald Tribune, 3. März 2007)

Die neuesten Geschäftsberichte deuten jedoch an, dass nach 19 aufeinander folgenden Quartalen mit Profitzuwächsen von mehr als 10% geschätzt wird, dass sich das Profitwachstum 2007 auf 4–5% verlangsamt. „Das letzte Mal, dass ein solcher Rückgang zu verzeichnen war“, kommentierte die Business Week, „war im April 2000, einen Monat nach dem Beginn des Bären-Markts (Markt mit fallenden Kursen, Anm. Übersetzer) und elf Monate bevor die Wirtschaft in eine Rezession schlitterte.“ (Volatility is Back, Ominous Signs Loom, 12 März 2007)

Die Preise für Kapitalanlagen wurden durch verrückte Spekulation auf Basis immer größerer Mengen an billigen Krediten unglaublich aufgeblasen. Das Rekordwachstum der Weltwirtschaft ist in starker Abhängigkeit von einer Reihe von Blasen. Das Finanzsystem scheint zunehmend von der Realwirtschaft, der Produktion von Gütern und Dienstleistungen, abgekoppelt zu werden. Dennoch hätte das Platzen einer dieser Blasen – ein Finanzcrash – verheerende Auswirkungen auf das Wachstum der Weltwirtschaft.

Ein wahrer Spekulationsrausch

WÄHREND DER LETZTEN drei, vier Jahre kam es zu einer regelrechten Orgie des Spekulationsrausches. Ein Drittel der Unternehmensprofite in den USA kamen aus dem Finanzsektor. Das ist sogar eine größere Größenordnung als in den späten 1990ern, als die US-Wirtschaft scheinbar vom so genannten dotcom-Boom getrieben wurde. Die Spekulation mit Aktien von Firmen im Informations- und Kommunikationstechnologie-Sektor trieb die Preise der Aktien in Höhen, die weit über jeder realistischen Aussicht auf Profitabilität lagen. Heutzutage hat diese Art der Spekulation den letzten Winkel der globalen Wirtschaft erobert. Heute gibt es nicht nur eine Blase, sondern eine ganze Reihe: Aktien, Fremdwährungen, „aufstrebende Märkte“, Konsumgüter, Risikoanleihen, Rohstoffe, Übernahmen, und so weiter.

Diese Blasen wurden von einem scheinbar endlosen Angebot an billigen Krediten und aggressiver Aktivität der großen SpekulantInnen genährt. Diesmal haben sich viele superreiche EinzelinvestorInnen, die ihre riesigen Verluste 2000–2001 nicht vergessen haben, aus den riskanteren Märkten zurückgezogen in dem sie Zuflucht bei Staatsanleihen suchten oder einfach ihre Unmengen an Geld in Bank-Depots legten. Die Finanzmarkt-Aktivitäten werden so zunehmend von den „großen Spielern“ dominiert: Hedge Fonds, Finanzhäuser (Goldman Sachs, Morgan Stanley, Merrill Lynch, etc.) und Beteiligungs-Firmen, die mit Privatkapital Beteiligungen aufkaufen (Private Equity). Zur selben Zeit folgten auch Firmen, die traditionell eher vorsichtiger agierten, wie Investmentfonds, Versicherungen und Pensionsfonds, in Zeiten niedriger Zinssätze dem Beispiel der abenteuerlichen Raubritter auf der Suche nach höheren Renditen. Diese Institutionen nützen kleine Preisdifferenzen zwischen verschiedenen Typen von Anlagewerten und regionalen Märkten, in dem sie mittels riesiger Kredite in hohen Volumina spekulieren. Oft sind mehr als zwei Drittel ihrer Investition eigentlich auf Pump. Vor 50 Jahren war der US-Finanzsektor de facto schuldenfrei, heute hat er Schulden in der Höhe von 100 % des BIP der USA angehäuft.

Alle Anlagewerte, ob Unternehmenskredite oder Ressourcen wie Öl oder Getreide, werden heute „verbrieft“. Das heißt, dass sie in Form von Papieren auf schnelllebigen Märkten gehandelt werden können. Diese Märkte sind äußerst liquide, enorme Geldflüsse fließen in atemberaubender Geschwindigkeit.

Derivate, eine Spezialform dieser Wertpapiere, die ihren Wert aus dahinter liegenden Werten beziehen (Optionen, Futures, Swaps, … in Bezug auf Währungen, Ressourcen, Schulden, Aktien, …), wurden zu einem der wichtigsten Zugpferde spekulativer Aktivitäten. Sie wurden entwickelt, um die Risiken auf eine große Anzahl von TeilnehmerInnen am Finanzmarkt zu streuen. In einem wachsenden Markt scheinen sie diese Aufgabe auch zu erfüllen. Sie sind allerdings extrem komplizierte Finanz-Instrumente und sogar ExpertInnen geben zu, dass sie keine Ahnung haben, wo bzw. an wem die Risiken schließlich hängen bleiben werden. Was wird passieren, wenn es zu einer größeren Korrektur bzw. einem Crash kommen sollte? „Die Flut weltweiter Liquidität“, kommentierte Tony Jackson (Financial Times, 6. Februar 2007), „deformiert die Kreditmäkte“, und niemand „wisse, wo die Risiken im System lägen“.

Aktien oder Unternehmensbeteiligungen sind die beliebteste Form der Investitionen. Generell betrachtet bieten sie höhere Renditen als Anleihen und viele andere Investitionsmöglichkeiten. Durch relativ wenige neue Börsengänge kommt es allerdings zu einer Knappheit an Aktien am Markt. Das treibt die Aktienpreise in die Höhe, obwohl sie in realen Werten noch nicht die Spitzen der späten 1990er erreicht haben.

Da Aktienkurse zu einem der wesentlichsten Faktoren in der Bewertung des Unternehmenserfolgs wurden, kaufen viele Unternehmen eigene Aktien zurück, um den Preis der verbleibenden Aktien hoch zu halten. In den letzten Jahren kauften 29 von 30 Unternehmen, die im Dow-Jones-Industrial-Average-Index gelistet sind, zumindest einige ihrer eigenen Aktien zurück. 2006 betrug der Wert der gesamten Rückkäufe von Unternehmen im Dow-Jones-Industrial-Average-Index 370 Milliarden US-Dollar, das vierfache von 2003. Es wird geschätzt, dass in den ersten neun Monaten des Jahres 2006, Aktien um rekordverdächtige 600 Mrd. Dollar aus allen US-Aktienmärkten zurückgekauft wurden. In vielen Fällen kauften die betroffenen Firmen einen Teil ihrer Aktien auf Kredit zurück. Dieser Prozess macht die Idee, dass an der Börse Kapital für neue Investitionen lukriert würde, zur Farce. In Wirklichkeit kommen Investitionen aus den zurückgehaltenen Profiten bzw. aus Krediten.

Viele Aktien wurden durch Übernahmen vom Markt genommen, hauptsächlich durch fremdkapitalfinanzierte Unternehmensübernahmen (leveraged buy-outs, LBOs) durch Private-Equity-Firmen. 2006 hatten diese LBOs in den USA ein Gesamtvolumen von US$ 420 Milliarden. „Fremdkapitalfinanziert“ heißt in diesem Zusammenhang durch Kredite finanziert. Diese Schulden werden danach dem aufgekauften Unternehmen „umgehängt“.

Hoch-Risiko-Investionen

AUFGRUND DER KNAPPHEIT von Aktien und der relativ niedrigen Renditen der Staatsanleihen (10-Jahres-Anleihen in den USA weisen im Schnitt Renditen von 4–5% auf.) wandten sich die großen SpekulantInnen auf der Jagd nach höheren Renditen riskanteren Märkten zu. Es kam zu einem kometenhaften Anstieg von Investitionen in so genannte Junk-Bonds (Hochrisiko-Anleihen), das sind Unternehmensanleihen, die als äußerst riskant gelten. „Seit Jahresbeginn verzeichnen wir einen bemerkenswerten Anstieg von Investitionen im Bereich ‚Emerging-Market-Unternehmen“, hauptsächlich Junk-Bonds. (Financial Times, 21. Februar 2007) In der Vergangenheit hatten Junk-Bonds aufgrund des damit verbundenen Risikos Renditen, die 8–10% über jenen der Staatsanleihen lagen. In den letzten Jahren fiel diese „Risiko-Prämie“ auf bescheidene 2%. Die SpekulantInnen wurden zunehmend selbstgefällig, ganz als ob Risiko etwas aus der Vergangenheit wäre. „Die Schulden, die das größte Risiko bergen, steigen als Begleitprodukt des Junk-Bond-Marktes. Das löst Ängste aus, die nächste Runde an Unternehmenspleiten könnte deutlich schwerwiegender ausfallen als die letzte.“ (Financial Times, 15. Jänner 2007)

Martin Fritzen schreibt in Leverage World „Ich glaube nicht, dass irgendjemand bestreitet, dass in den letzten Jahren eine Menge prekär finanzierter Deals am Markt verkauft wurden.“ Das Problem, meint er, ist, dass „Liquidität da ist, wenn sie nicht gebraucht wird, in einem Markt mit hohen Renditen.“ Darüber hinaus gab es die größten Zuwächse im Junk-Bond-Markt in so genannten „aufstrebenden Märkten“, in vielen Fällen eher halbentwickelte Märkte, wo Unternehmen, die solche Anleihen ausstellen, kaum überprüft werden.

In den letzten Jahren stiegen die Investitionen in den Immobilienmarkt stark an, vor allem in den Sub-Prime-Sektor (US-Hypothekenkreditmarkt, Anm.), in dem die Renditen hoch waren. Hypotheken auf Immobilien wurden in so genannte „besicherte Schuldverschreibungen“ (collateralised debt obligations, CDOs) gepackt. Das sind sehr komplexe Finanz-Instrumente, die Anleihen verschiedener Risikoklassen zusammenpacken. Große Mengen dieser CDOs mit hohen Renditen wurden von Hedgefonds und anderen großen SpekulantInnen mittels billiger Kredite gekauft, die hauptsächlich von japanischen Gläubigern stammen, da dort das Zinsniveau sehr niedrig ist.

Diese Art von Geschäften wurde von den Immobilienblasen in den USA und anderswo unterstützt. Steigende Preise und stark wachsende Hypotheken auf Immobilien ermöglichten riesige Profite durch den Handel mit diesen Hypotheken. Der Einbruch auf dem US-Immobilienmarkt und das Schrumpfen des Sub-Prime-Sektors bedroht die Stabilität der Finanzmärkte im Allgemeinen. „Analysten zeigen sich besorgt, dass das Schrumpfen des Sub-Prime-Sektors der Auslöser für ein Ende des einfachen Zugangs zu billigen Krediten sein könnte.“ (Financial Times, 16. März 2007)

Chen Hooi von EON Capital in Kuala Lumpur kommentierte: „Das Problem des US-Sub-Prime-Sektors wirft dunkle Schatten auf Asien. Die Angst ist, dass diese Krise die US-Wirtschaft bremsen könnte und dies einen Domino-Effekt auf die Weltwirtschaft haben könnte.“ (New York Times, 14. März 2007)

„Ein weiteres [Problem] ist das rasante Wachstum bei den Derivaten. Die Probleme im Sub-Prime-Sektor haben die Aufmerksamkeit auf die Filettierung der Risiken mittels ausgeklügelter Instrumente, wie die ‚besicherten Schuldverschreibungen“ und „Kreditausfalls-Wechsel“ (Credit default swaps), gelenkt. Die Banken benutzen diese Instrumente, um Kreditrisiken los zu werden. Aber es ist völlig unklar, bei wem die Risiken nun liegen.“ (Market Turmoil, Rethinking Risk; The Economist, 28. Februar 2007)

Tim Lee, ein Stratege bei pi Economics, beschreibt das gesamte Finanzsystem zutreffend als „gigantisches Pyramidenspiel“. Die Buttonwood-Kolumne des Economist (17. März 2007) kommentierte das so: „Der amerikanische Immobilienmarkt scheint unter der Enthüllung eines Pyramidenspiels zu leiden. Sub-Prime-Kredite wurden zu günstigen Konditionen vergeben, die implizit oder explizit auf steigenden Preisen für Immobilien beruhten. Die Banken packten diese Kredite zusammen und verkauften sie auf dem Kreditmarkt an InvestorInnen, die sich hohe Renditen versprachen. Das sollte das Finanzsystem absichern, hat jedoch lediglich die Risiken breiter verteilt.

Aber was passiert nun? Die KäuferInnen dieser Kredite wollen die Kredite den ursprünglichen KreditgeberInnen  zurückverkaufen. Nur die haben das Geld nicht dafür. Das Vertrauen, das die Bilanzen im grünen Bereich hielt, ist geschwunden. Das bringt vielen großen Ärger.“

Überakkumulation

DIE UNMITTELBAREN QUELLEN für die Flut an Liquidität ist die lockere Politik der Notenbanken und eine Art Recycling der enormen Überschüsse der exportierenden Wirtschaften (China, Japan, Südkorea, …) und seit Kurzem auch der ölproduzierenden Länder. Diese Flut an Liquidität ist allerdings nicht nur ein monetäres Phänomen. Würden die Notenbanken einfach nur Geld drucken, gäbe es eine massive Inflation der wichtigsten Währungen, trotz der sinkenden Preise für Konsumgüter aus Niedriglohnländern.

Hinter der Flut an Liquidität steht eine tiefere Ursache, die Überakkumulation von Kapital. Die KapitalistInnen investieren nur, wenn sie profitable Felder für ihre Investitionen finden. Seit der letzten Phase des Nachkriegsaufschwungs (1945–1973) wurde es immer schwieriger für die KapitalistInnen, profitable Anlagemöglichkeiten in der Produktion zu finden. Trotz des Wachstums neuer Produkte und Sektoren der Wirtschaft gibt es in vielen Bereichen der Wirtschaft Überkapazitäten im Vergleich zur Nachfrage von KonsumentInnen, die auch für diese Produkte bezahlen können. Milliarden von Menschen bräuchten Güter des täglichen Bedarfs, ganz abgesehen von Luxusgütern. Aber ihnen fehlt das Einkommen und damit die „Kaufkraft“, um die an sich vorhandenen Produkte und Dienstleistungen am kapitalistischen Markt zu kaufen.

Dennoch intensivierte die KapitalistInnenklasse die Ausbeutung der ArbeiterInnenklasse seit Beginn der 1980er. Hauptsächlich in dem sie den Anteil der Profite am BIP auf Kosten des Anteils der Löhne und Gehälter erhöhten (sinkende Lohnquote, Anm.). Als die Profite sprudelten, wurde der „Überschuss“ an Kapital noch deutlicher – und die KapitalistInnen wandten sich zunehmend der Spekulation, dem Kauf und Verkauf von papierenen Werten statt Investitionen in neue produktive Kapazitäten, zu. Es ist der Überschuss an Kapital aus der Überakkumulation (die die fundamentalen Grenzen des kapitalistischen Systems aufzeigt), der der gegenwärtigen Flut an Liquidität zugrunde liegt. Das Zocken in den Kasinos der globalen Finanzmärkte ist hauptsächliche ein Kampf um die Neu-Verteilung der Profite zwischen den superreichen SpielerInnen, die in diesem Bereich aktiv sind. Die Reduktion der Reallöhne untergräbt weiter den Markt für kapitalistische Produkte und Dienstleistungen und verschärft somit weiter die Überakkumulation an Kapital. So wird unausweichlich eine Krise des Systems vorbereitet.

Die Flut an Liquidität

DIE MEISTEN KOMMENTATORiNNEN schreiben den Überfluss an Liquidität den Notenbanken zu – sie würden die Zügel schleifen lassen. Allen voran wird hier die US-Notenbank genannt, die früher von Alan Greenspan geleitet wurde. Ohne Zweifel war das eine wichtige Quelle für die ansteigende Liquidität. Als Antwort auf eine Reihe von Krisen senkten die Notenbanken wiederholt die Leitzinsen und erleichterten so den Zugang zu billiger werdenden Krediten. So pumpten sie riesige Mengen Geld in die Finanzmärkte, um deren Zusammenbruch zu verhindern. So geschehen 1997 nach der Asienkrise und erneut beim Zusammenbruch des Long Term Capital Management Hedge Fonds 1998, auch nach dem Platzen der dotcom-Blase 2000 in besonders großem Ausmaß und nochmals nach den Anschlägen vom 11. September 2001.

Die Liquiditätsspritzen, die der Finanzwelt verabreicht wurden, schwächten zweifellos die Effekte der Instabilität und der wirtschaftlichen Abkühlung ab. Die lockere Politik der Notenbanken wurde von einer Reihe bedeutender Faktoren gestärkt. China, Japan und andere südostasiatische Exportnationen hatten wiederkehrende Handelsüberschüsse mit den Vereinigten Staaten und anderen entwickelten kapitalistischen Ländern. Sie recycelten ihre Überschüsse, in dem sie ihre Fremdwährungsreserven dazu nutzen, im großen Stil in US-Staatsanleihen zu investieren und so den „Markt der letzten Hoffnung“, die US-Wirtschaft, zu stützen. Klarerweise taten sie dies aus Eigeninteresse. Auf der anderen Seite bot dies der US-Regierung, US-Unternehmen und US-KonsumentInnen relativ billige Kredite. Ohne diesen Effekt hätte die USA ihr gigantisches Handelsbilanzdefizit von derzeit über US$ 800 Milliarden pro Jahr niemals aufrecht halten können. Das Handelsbilanzdefizit zeigt, dass die USA derzeit mehr konsumiert als sie produziert. Dies kann nur auf Basis von Verschuldung funktionieren.

Eine andere Quelle der globalen Liquidität ist der so genannte „Mitnahme-Handel“ (Carry-Trade) vor allem im Zusammenhang mit Japan. Als Reaktion auf nahezu ein Jahrzehnt der wirtschaftlichen Stagnation in Kombination mit fallenden Preisen bei Konsumgütern (Deflation) fährt die japanische Regierung eine Politik der Null- oder Nahezu-Null-Zinsen. So konnten internationale SpekulantInnen sehr billig Yen ausborgen, in andere Währungen tauschen und in Anlageformen mit höheren Renditen auf der ganzen Welt investieren. Dieser Mitnahme-Effekt war eine wesentliche Quelle für Spekulationskredite. Darüber hinaus hielt dies den Yen auf niedrigem Niveau, was japanische Exporte am Weltmarkt unterstützte.

In den letzten Jahren akkumulierten die ölproduzierenden Länder große Fremdwährungsüberschüsse aufgrund der steigenden Öl- und Gaspreise. Der Ölpreis stieg von US$ 25 pro Barrel im Jahr 2002 auf rund US$ 66 pro Barrel im Jahr 2006 und blieb seither stabil in dieser Höhe. Der Gesamtüberschuss der erdölexportierenden Länder schoss von 0,1% des globalen BIP 1999 auf 1,4% im Jahr 2006 empor. In den letzten 5 Jahren wurden rund US$ 1,8 Billionen, etwa 4% des globalen BIP, an Einkommen von den ölverbrauchenden zu den ölproduzierenden Ländern transferiert. Der überwiegende Anteil dieser Überschüsse, hauptsächlich in US-Dollar gehalten, wurde von den Regierungen und Unternehmen dieser Länder in die entwickelten kapitalistischen Länder zurückinvestiert, in dem sie Staatsanleihen aber in zunehmenden Maße auch in Spekulation auf diesen Märkten investierten. (vgl. Serhan Cevik, Tracking Petrodollars, Morgan Stanley Global Economic Forum, 14. Februar 2007)

Die Petrodollars wurden so zu einer immer wichtigeren Quelle des billigen Kredits für die Weltwirtschaft.

Kapital und Arbeit

DIE KAPITALISTiNNEN konnten weltweit ihre Profite wieder auf die Höhen des Nachkriegsaufschwungs heben. Der Anteil der Löhne und Gehälter am Volkseinkommen wurde brutal zurückgedrängt, vor allem für ungelernte ArbeitnehmerInnen aber zunehmend auch für FacharbeiterInnen, da einige Dienstleistungen in Länder wie Indien verlagert wurden. In der G7-plus-Gruppe (USA, Japan, Euro-12, Britannien und Kanada) sank der Anteil der realen Vergütung (Löhne/Gehälter plus Sozialleistungen) am gesamten Einkommen dieser Länder von 56% im Jahr 2001 auf 53,7% im Jahr 2006, den niedrigsten Wert seit Beginn der Aufzeichnungen. Die Bank of International Settlements (BIS) kommentiert dazu: „Der langfristige Rückgang der Inflation ging Hand in Hand mit großer Zurückhaltung bei der Entwicklung der Nominallöhne… und der Anteil der Löhne an der Gesamtwirtschaft fiel in den letzten 3 Jahrzehnten um ca. 5%.“ (BIS Jahresbericht 2006, Seite 18)

Der rasante Anstieg der Profite auf Kosten der Löhne und Gehälter ist in den USA besonders ausgeprägt. Ein Kommentator schreibt: „…Löhne und Gehälter machen heute den geringsten Anteil am BIP seit 1947 aus, als die Regierung begann solche Dinge zu messen. Unternehmensprofite sind im Gegensatz dazu auf den größten Anteil seit den 1960ern angestiegen – und dies geschah in erster Linie auf Kosten der amerikanischen ArbeiterInnen.“ (Harold Meyerson, Devaluing Labor, Washington Post, 30. August 2006)

In Bezug auf die Erholung der US-Wirtschaft nach dem Platzen der dotcom-Blase im Jahr 2001, stellt das Economic Policy Institute fest: „Der Anstieg des Anteils der Unternehmensprofite am BIP ist – bei weitem – der größte der 19 Quartale nach einer Konjunkturspitze seit dem Zweiten Weltkrieg auftrat und er ist beinah acht mal so stark wie der durchschnittliche Anstieg, der frühere Aufschwünge gekennzeichnet hatte. Wären Lohn- und Gewinnquote konstant geblieben, wären die Einkommen der ArbeiterInnenschaft heute US$ 346 Milliarden höher.“ (EPI Snapshot, 30. März 2006)

Anders als während des Nachkriegsaufschwungs führt steigende Produktivität nicht zu einem Zuwachs beim Anteil der Löhne und Gehälter am produzierten Wohlstand. In den USA stieg die Produktivität zuletzt im Schnitt um 2,8% pro Jahr, doppelt so viel, wie die schwachen 1,4% zwischen 1974–1995. Stephen Roach von Morgan Stanley fast das so zusammen: „Ganze zehn Jahre spektakuläre Produktivitätszuwächse und die Reallöhne bleiben nahezu stagnierend, die Lohnquote sinkt weiter.“ (Labor Versus Capital, Global Economic Forum, 23. Oktober 2006)

Diese Verschiebung weg von den Löhnen und hin zu den Profiten ist der Hintergrund für das rasante Aufgehen der Schere zwischen Arm und Reich sowohl in den entwickelten kapitalistischen Ländern als auch in vielen aufstrebenden Nationen wie z.B. China. Im Kapitalismus wird Reichtum durch die Ausbeutung der Arbeitskraft im Produktionsprozess generiert. ArbeitnehmerInnen bekommen nur einen Teil jenes Wertes, den sie produzieren, in Form von Lohn bezahlt. Den Rest, in der marxistischen Terminologie „Mehrwert“ genannt, eignet sich die KapitalistInnenklasse, die privaten BesitzerInnen der Produktionsmittel, an. Die Aufteilung des Mehrwertes zwischen Löhnen und Profiten ist Gegenstand des Klassenkampfes. In der Periode nach dem Zweiten Weltkrieg konnten die ArbeiterInnen, aufgrund des Kräfteverhältnisses zu dieser Zeit, ihren Anteil vergrößern. Die relativ hohen Produktivitätszuwächse ließen es zu, dass Reallöhne und Profite simultan gewachsen sind.

Seit dem Ende des Nachkriegsaufschwungs verschoben sich die Kräfteverhältnisse allerdings zu Ungunsten der ArbeiterInnenklasse. Wirtschaftliche und politische Faktoren spielten dabei eine Rolle.

Der Niedergang der Schwerindustrie vor allem in den entwickelten kapitalistischen Ländern untergrub die Basis der „schweren Bataillone“ der organisierten ArbeiterInnenschaft. In neueren Sektoren der Industrie und vor allem im Dienstleistungsbereich entstanden verstärkt prekäre Arbeitsverhältnisse. Unter dem Diktat des Neoliberalismus kam es zu einem Generalangriff auf gewerkschaftliche Rechte und so zu einer Schwächung dieser Organisationen.

Die Schwächung der ArbeiterInnenklasse ist auch mit politischen Rückschlägen verbunden. Hier ist vor allem der Rückgang im Bewusstsein nach dem Zusammenbruch der stalinistischen Staaten 1989–1991 hervorzuheben. Die Konfusion, Desorientierung und Schwächung der traditionellen Organisationen der ArbeiterInnenklasse brachte ohne Zweifel günstige Bedingungen für die neoliberale Offensive der KapitalistInnen mit sich.

Gleichzeitig wurde die ArbeiterInnenklasse durch die Globalisierung auf internationaler Ebene geschwächt. Es kam zu einer Verdoppelung der ArbeiterInnenklasse, die in die kapitalistische Weltwirtschaft integriert war. In China, Indien und Russland kamen zur WeltarbeiterInnenklasse rund 1 ½ Milliarden neue ArbeiterInnen hinzu. Dies bedeutet potentiell eine enorme Steigerung des Gewichts und der Macht der ArbeiterInnenklasse innerhalb der Gesellschaft. Unter den gegenwärtigen Bedingungen kippte das Kräfteverhältnis allerdings zu Gunsten der KapitalistInnen, da es ihnen gelang, aufgrund des zurückgeworfenen Bewusstseins Kampfkraft und Organisation der ArbeiterInnenklasse zu schwächen. Die Verhandlungsmacht der ArbeiterInnen in den entwickelten kapitalistischen Ländern wird durch die niedrigen Lohnniveaus (z.B. China 3% des ‚westlichen“ Lohnniveaus) untergraben. Gleichzeitig bremste auch der verstärkte Zuzug von MigrantInnen (aufgrund ihrer schwachen Position am Arbeitsmarkt, Anm. des Übersetzers) in Länder wie die USA oder Britannien die Lohnentwicklung.

Schwache Investitionen

TROTZ STEIGENDER PROFITABILITÄT und der Dominanz der wirtschaftsfreundlichen neoliberalen Politik, sank die Rate der Kapitalakkumulation in den entwickelten kapitalistischen Ländern (inkl. Japan, Südkorea, Tawain,…) kontinuierlich seit Mitte der 1960er. Die jährliche Steigerung des fixen Kapitalstocks, die auch den Verschleiß bzw. Veralterung von angelegtem Kapital (Maschinen, Technologie,…) mit einberechnet, fiel in den Vereinigten Staaten von 4% in den 1960ern auf 3% in den 1990ern und weiter auf 2,6% zwischen 2000 und 2004. Noch stärker ist dieser Rückgang in Japan, das im Nachkriegsaufschwung als „Superakkumulator“ gesehen wurde. Der jährliche Zuwachs an fixem Kapital fiel von 12,5% in den 1960ern auf 4% in den 1990ern und auf 2,1% zwischen 2000–2004. China bildet natürlich die Ausnahme zu diesem Trend. Dort stieg diese Rate von 1,9% in den 1960ern auf 10,9% in den 1990ern. (Vgl. Andrew Glyn, Capitalism Unleashed, Seite 86)

Es gab einen Rückgang der Kapitalinvestitionen (‚capex“ – kurz für ‚capital expenditure“ [Kapitalanlagen]) trotz dem Faktum, dass erstens das weltweite Arbeitskräfteangebot sich im letzten Jahr durch die rasante Entwicklung in China, Indien, … fast verdoppelt und so den Kapital-Arbeit-Quotient (eingesetztes Kapital pro Arbeitskraft) signifikant verringert hat und zweitens der immer rasanteren Entwertung des vorhandenen Kapitals, weil Hi-Tech-Anlagen schneller veraltern als frühere Anlagen und so mehr Kapital aufgewendet werden muss, um den Stand der Dinge aufrecht zu erhalten.

Bis vor kurzem gab es wenig Diskussion dieses Phänomens in der Finanzpresse. Allerdings betonten kürzlich eine Reihe von AnalystInnen bei Morgan Stanley das „lächerlich geringe Grundkapital bzw. die Kapitalaufwendung“ in der Welt.

„Es gab eine gerade zu lächerliche Zurückhaltung von Seiten der Unternehmen weltweit, in reale Anlagen zu investieren, das heißt “capex“ war überraschend gering, obwohl der globale Kapital-Arbeit-Quotient historisch niedrig ist“. (Stephen Jens, Global Economic Forum, 23. Februar 2007) Er bemerkte weiters, dass außerhalb Chinas die Investitionsraten in Asien (Japan, Taiwan, Südkorea, …) „kollabiert sind, auch wenn die massiven Investitionen in China in Betracht gezogen werden.“

Jens und andere kapitalistische AnalystInnen bieten eine Reihe von Erklärungsmodellen an. Es gäbe, so schreiben sie, eine massive Unsicherheit bezüglich der Aussichten für die Weltwirtschaft und Ängste dass die US-Wirtschaft, abhängig von überhöhten Immobilien- und Aktienpreisen, zusammenbrechen könnte. Multinationale Konzerne scheinen darüber hinaus extrem vorsichtig zu sein, in den aufstrebenden Märkten (Brasilien, Russland, Vietnam, …) ihre Kapazitäten auszuweiten, da es dort viele Unabwägbarkeiten politischer und wirtschaftlicher Natur gäbe.

Ein anderer Faktor ist mit der Dominanz des Finanzkapitals verbunden. Niedrige Investitionsraten, euphemistisch Kapitaldisziplin genannt, trugen zu den hohen Unternehmensprofiten bei, die die hohen Bewertungen ihrer Aktien an den Börsen ermöglichten.

Einige Morgan Stanley AnalystInnen warnen, dass die ‚Capex-Anorexia“ (Anorexia = Appetitlosigkeit, Magersucht, Anm. des Übersetzers), so sie nicht überwunden wird, das Wachstum der Weltwirtschaft untergraben wird. Kapitalakkumulation ist der Schlüssel für Produktivitäts- und Produktionswachstum. Gerard Minack bemerkt, dass „Investitionen seltsamerweise auf Eis gelegt wurden, obwohl es Rekord-Profitmargen und relativ niedrige Zinsen gibt.“ (The Global Capex Debate, Morgan Stanley Global Economic Forum, 16. Februar 2007)

Diese „Capex Anorexie“ tritt trotz des so genannten globalen Spar-Überschusses, jenem gigantischem Missverhältnis zwischen Mitteln, die aus Profiten und anderen Einkommen gespart wurden, und der Kapital-Investition in die Entwicklung der Produktionsmittel, auf.

In der Morgan Stanley „Capex“-Debatte streicht Stephen Roach den zunehmenden Strom von Unternehmensgeldern aus entwickelten kapitalistischen Ländern zu „Offshore-Investitionen in brachliegende Kapazitäten in Niedriglohnländern.“ heraus. Das würde bedeuten, dass der heimische Anteil an den Unternehmensinvestitionen vor allem zum Rückkauf eigener Aktien und dem Ersatz verschlissener Kapazitäten aufgebracht würde. Möglicherweise ist derzeit alles, was man sich wünschen kann, ausreichende Investitionen, um das Grundkapital in den “reiferen“ Ländern zu erhalten, wohl kaum die Saat für ein ordentlichen “capex“-Anstieg, der für den Aufschwung notwendig wäre.“

Aufgrund der schnellen Entwicklung neuer Technologien, vor allem der Computer- und Softwaretechnologien, verlieren Anlagen heute sehr schnell ihren Wert. Es wären 6-7% jährliche Steigerung in Anlageinvestitionen in den USA notwendig, nur um den „Grundkapital-Produktions-Quotient“ auf gleichem Niveau zu halten. Richard Berner schreibt dazu: „Das in Anlagen und Software gebundene Kapital in den USA sank in den letzten vier Jahren in Relation zum BIP. Die reale Produktion (ohne Landwirtschaft) stieg durchschnittlich um 3,9% jährlich, während das Grundkapital lediglich um 3,5% stieg. Um diese Quote zu erreichen, mussten allerdings die Aufwendungen für Anlagen und Software um durchschnittlich 6,2% erhöht werden.“

Berner fährt fort: „Es gibt keinen Zweifel, in den letzten drei Quartalen gab es einen bemerkenswerten zyklischen Abwärtstrend beim ‚capex’-Wachstum, vor allem in Bezug auf Anlagen und Software. Die Aufwendung dafür grundelten bei mickrigen 1,4% in den letzten neun Monaten des Jahres 2006 herum, verglichen mit 9,5% während der zwei Jahre zuvor.“ (Global Economic Forum, 16. Februar 2007)

In seinem eigenen Kommentar zum „Capex-Rätsel“ (Global Economic Forum, 9. März 2007) schreibt Berner: „Die US-Unternehmen scheinen zunehmend unwillig, Kapital aufzuwenden, obwohl es eigentlich ein moderat positives Umfeld gäbe…“ Berner schätzt, dass es ca. 6% Steigerung der Aufwendungen für Anlagen bräuchte, um den Kapital-Produktions-Quotienten in den USA konstant zu halten. Dies käme daher, dass „heute bereits gigantisches Anlagekapital vorhanden sei und Technologien heute sehr schnell entwerten.“

Das Grundkapital an Anlagen und Software ging in den letzten vier Jahren im Vergleich zum BIP sogar zurück. Andrew Glyn merkt an, dass „der Investitionsboom in den späten 1990ern den scheinbar unaufhaltsamen Trend zu immer höheren Kapitalakkumulationsraten stoppte, der in den 1960ern begann. Darüber hinaus fiel am Ende des Booms im Jahr 2000 die Kapitalakkumulationsrate stärker als je zu vor.“ (Capitalism Unleashed, Seite 134)

Die KapitalistInnen stehen vor einem Dilemma. Wenn die Investitionsrate gerade dazu reicht, die Kapitalisierung aufrecht zu erhalten, wird dadurch zukünftig Wachstum und Produktivität untergraben. Steigt die Investitionsrate, sinkt die „Sparquote“ der Unternehmen, was die Zinsen in die Höhe treiben würde. Das wiederum untergräbt die Basis der „Blasen“-Wirtschaft, jener Reihe von Blasen, die die Weltwirtschaft in den letzten Jahren nach oben trieb.

Im Moment gibt es wenig Anzeichen, dass die großen Unternehmen an einer Steigerung der Kapitalakkumulationsrate interessiert wären. Börsennotierte Unternehmen geben riesige Summen dafür aus, ihre eigenen Aktien zurück zu kaufen, um deren Wert zu steigern und die Profite an Ihre Anteilsinhaber auszuschütten. Während des vierten Quartals 2006 haben US-Unternehmen (ohne Finanzunternehmen) Aktien im Wert von US$ 701 Mrd. zurückgekauft und dabei Schulden in der Höhe von US$ 605 Mrd. angehäuft. (Vgl. Berner, Global Economic Forum, 9. März 2007)

Die Wirtschaftskapitäne und superreichen SpekulantInnen sind wesentlich mehr daran interessiert, mit exisiterenden Wertpapieren und Anlagewerten zu spekulieren, als Kapital in die reale Produktion zu investieren und damit die Produktionsmittel zu entwickeln.

Wo wird das alles enden?

SEIT DER REZESSION, die dem Kollaps der dotcom-Blase 2000–2001 folgte, kam die Weltwirtschaft rasch wieder auf die Beine. Derzeit liegen die Wachstumsraten bei rund 5% pro Jahr. Unternehmensprofite schossen in die Höhe. „Der Markt“, die großen Finanzunternehmen, die im globalen Kasino spielen – sie sind fast alle überaus optimistisch. Alles ist bestens in der besten aller kapitalistischen Welten. Das trotz der gefährlichen internationalen Ungleichgewichte und tiefen Widersprüche, die in der Weltwirtschaft existieren. Es gibt ein bespielloses Missverhältnis zwischen dem Defizit des US-Kapitalismus und den Fremdwährungsreserven der großen Exporteure China, Japan und OPEC, die ihre Überschüsse hauptsächlich in den Märkten (USA, Europa), von denen Sie abhängig sind, investieren und nicht ihre eigenen Märkte entwickeln.

Das Außenhandelsdefizit der USA und die Abhängigkeit der US-KonsumentInnen von Verschuldung können auf lange Sicht nicht aufrecht erhalten werden. Die massive Anhäufung von Dollar-Reserven in China, Japan und anderen Exportnationen kann ebenfalls nicht endlos weitergehen. An einem bestimmten Punkt wird der anhaltende und möglicherweise schneller werdende Niedergang des Dollars eine Flucht aus dem Dollar auslösen, was – zumindest – Aufruhr im Weltfinanzsystem nach sich ziehen wird.

Die US-Wirtschaft verlangsamt sich im Moment und wird möglicherweise in eine Rezession schlittern. OptimistInnen sind der Ansicht, dies könnte durch das Inlandswachstum in Europa und Japan, sowie das chinesische Inlandswachstum, das an Fahrt gewinnen sollte, aufgefangen werden. Diese Ansicht zieht allerdings nicht die massive Abhängigkeit dieser Volkswirtschaften vom amerikanischen Markt in Betracht. Es entstand ein struktureller Zusammenhang zwischen dem auf Verschuldung basierenden US-Konsummarkt und den asiatischen Exporteuren, die das US-Defizit absichern. Auch eine sanfte Anpassung, die eine Reduktion des US-Defizit inklusive Rückgang bei Wachstum und Konsum und eine Neuorientierung der Überschüsse der asiatischen Exporteure und der ölproduzierenden Länder in deren Heimatmärkte beinhaltet, würde sehr schmerzhafte Einschnitte bedeuten, die massive Probleme in der Weltwirtschaft auslösen könnten.

Hinter dem Defizit-Überschuss-Zusammenhang liegen noch tiefere ökonomische und soziale Widersprüche. Es gibt eine wachsende Kluft, global und innerhalb sowohl der reichen als auch der armen Länder, zwischen den superreichen KapitalistInnen und der Mehrheit der Bevölkerung: die ArbeiterInnen und KleinbäuerInnen, die schuften, um all den Reichtum zu produzieren. Diese extreme Polarisierung zwischen den Klassen wirft die Gefahr von sozialem und politischem Aufruhr auf, eine Gefahr, derer sich die weitsichtigeren kapitalistischen StrategInnen zunehmend bewusst werden. Gleichzeitig schränken der kleiner werdende Anteil der Löhne am Nationaleinkommen und die sinkenden Lebensstandards der Massen die Märkte für den Kapitalismus weiter ein. Es gibt zwar keinen einfachen und beständigen Zusammenhang zwischen Lohnniveau und dem Markt für kapitalistische Waren. Dennoch müssen die KapitalistInnen ihre Waren und Dienstleistungen letztendlich verkaufen, um den Mehrwert als Profit zu lukrieren.

Trotz der guten Bedingungen für den Kapitalismus seit dem Zusammenbruch der stalinistischen Staaten konnte der Kapitalismus das Problem der Überakkumulation nicht überwinden. Im Gegenteil, es verschärfte sich sogar. Das rasante Wachstum der chinesischen Wirtschaft konnte diese Tendenz nicht umkehren. Überakkumulation ist nicht bloß ein kurzfristiges, zyklisch auftretendes Problem. Sie ist der Ausdruck für die organische Krise des Systems. Das Kapital ist – wie von Karl Marx vorhergesehen – innerhalb des Rahmens des privaten Eigentums an Produktionsmitteln und des Nationalstaates in einer Sackgasse gelandet. Nur durch Planung unter demokratischer Kontrolle durch die ArbeiterInnenklasse kann die Produktion auf ein höheres Niveau gehoben werden, in dem soziale Bedürfnisse statt der Gier nach Profiten befriedigt und die Produktion auf weltweiter Ebene organisiert werden. Die Orgie der Spekulation, ein Symptom der Überakkumulation, ist letztendlich Ausdruck für diese historische Limitierung des Kapitalismus.

Wie aber, so lautet mancher Einwand, kann die Weltwirtschaft zumindest in Bezug auf das BIP, wenn schon nicht in Bezug auf den Massenwohlstand, wachsen, wo es doch derart massive Ungleichgewichte und Widersprüche gibt? Wie schaffen es die KapitalistInnen trotz aller Sturmböen auf den Finanzmärkten und aller Turbulenzen auf den Meeren der Weltwirtschaft den Kurs zu halten?

Einer der Hauptgründe dafür ist die Flut an Liquidität. Zwischen 2002 und 2006 stieg die globale Liquidität um geschätzte US$ 3,9 Billionen, die Hälfte davon aus Asien, rund 40% aus den ölproduzierenden Ländern. Die billigen Kredite, die aus dieser Flut resultierten, nährten die Blasen, die die Weltwirtschaft über Wasser hielten. Der „Wohlstandseffekt“ der Immobilienblase in den USA, der mittels Kredit vorgenommene Transfer von höheren Immobilienpreisen zu den Konsumausgaben, hielt die US-Wirtschaft am Laufen. Ähnliche Effekte konnten in Britannien, Australien und anderen Ländern beobachtet werden.

Der globale „Wohlstandseffekt“ mehrerer paralleler Blasen (Konsumgüter, Hochrisikoanleihen, aufstrebende Märkte, …) dirigierte den Reichtum in die Taschen der Superreichen und ließ die Einkommen bestimmter Schichten der Mittelklasse in die Höhe schnellen. Dies war ein wesentlicher Faktor für das Wachstum in vielen Ländern. Diese Blasen erlaubten – gemeinsam mit der Schwäche der Kräfte der ArbeiterInnenklasse – bislang die Bewältigung der tiefer gehenden Probleme, vor denen sie eigentlich stünden.

Das Phänomen der Blasen kann Krisen allerdings nur hinauszögern, nicht verhindern. Die Krisen werden unweigerlich ausbrechen, wenn die zu Grunde liegenden Widersprüche zu stark werden. Je länger sie hinausgezögert werden, desto tiefer werden sie aller Wahrscheinlichkeit nach sein. Bedauerlicherweise ist es unmöglich, die genauen zeitlichen Abläufe bzw. die involvierten Prozesse exakt vorherzusagen. Die Idee, das Spekulation heutzutage nahezu risikolos sei und das kapitalistische Konjunkturzyklen der Vergangheit angehörten, sind allerdings die Wahnvorstellungen jener, die von den sprudelnden Profiten der letzten Jahre berauscht sind.

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