Ein Jahrmarkt für Chavez

Sonja Grusch, Caracas

Die Jugendfestspiele laufen nun schon einige Tage. Es ist ein ständiger Strom von Delegierten, HelferInnen und StrassenhändlerInnen, der die Festivalorte dominiert. Immer mehr wird es zu einem grossen Jahrmark für Chavez-, und Che Guevara-, Fanartikel. Chavez in allen Groessen als Poster, in Staatsrobe vor einem Bild von Bolivar, Chavez auf T-Shirts, auf Schlüsselanhängern, auf kleinen handlichen Bildchen für die Geldbörse. Chavez-Reden auf CD. Ausserdem Kappen, Hüte, Tücher, T-Shirts, Bikinis... in den venezuelanischen Farben. Unser Infostand sticht heraus, weil er als einziger beim Eingang des Teatro Teresa Carenno politisches Material hat.

Der Personenkult um Chavez erinnert an den hier ebenfalls vorhandenen rund um Che, aber auch um jenen um die Person von Fidel Castro. Die Delegation aus Vietnam ergaenzt um Ho Chi Minh und andere um Mao.

Die Begeisterung für die Veränderungen in Venezuela ist nachvollziehbar und verständlich. Der unkritische Personenkult - der vor allem von TeilnehmerInnen der ausländischen Delegationen betrieben wird - ist aber etwas anderes. Chavez ist zweifellos eine zentrale Person in diesem Prozess, aber weder die einzige, noch unfehlbar. Chavez kann die Organisierung und die Bewegung der ArbeiterInnenklasse nicht ersetzen. Im Gegensatz zu vielen VenezuelanerInnen (und ich meine hier nicht die Opposition), die Chavez durchaus auch kritisch sehen, ist für viele ausländische Chavez-Fans Kritik schon fast Blasphemie.

Ich habe eine derartige Ablehnung jeglicher - auch linker - Kritik, schon 1997 bei den Weltjugendfestspielen in Kuba erlebt. Anstatt darüber zu diskutieren, wie die Errungenschaften der kubanischen Revolution erhalten werden können (die ja unter anderem auch von der kubanischen Bürokratie abgebaut werden) wurde an einer "Fidel hat immer Recht"-Filosofie festgehalten.

Ähnliches kommt auch hier. Entweder ist Chavez unfehlbar, oder er hat nur die falschen BeraterInnen. Dass ein revolutionärer Prozess aber mehr braucht, um erfolgreich sein zu können, ist ein Gedanke, den unkritische Fans nicht zulassen. Damit wird der revolutionäre Prozess aber keinesfalls unterstützt. Diskussionen, das Abwägen verschiedener Vorschläge, die Entwicklung von Perspektiven, das Lernen aus der Vergangenheit - ohne diese Dinge kommt eine Revolution nicht aus. Die aktive Beteiligung der ArbeiterInnenklasse, der Jugend und der armen Bevölkerung in Entscheidungen und den Diskussionprozess - ohne diese Beteiligung kann ein revolutionärer Prozess niemals zu echtem, demokratischem, Sozialismus führen.

Bei der - impovisierten aber mit Interesse aufgenommenen - Veranstaltung des CWI zur Frage von "Was ist Sozialismus und wie kommen wir dorthin?" meinte ein linker venezolanischer Jugendlicher, das Festival sei mehr eine große Werbeveranstaltung für die Regierung (was angesichts der Flut von staatlichem Werbematerial - was das wohl kostet? - nicht ganz von der Hand zu weisen ist). Tatsächlich sind viele froh über die Möglichkeiten zur Diskussion bei unserem Infostand, was in den großen Foren logischerweise viel schwerer ist.

Alles Gerede über eine unpolitische Jugend stellt sich wieder einmal als falsch heraus. Jugendliche aus fast allen Ländern der Welt sind hier um zu diskutieren. Dass unsere Gesellschaft eine "entsolidarisierte" sei wird durch die enorme Bereitschaft zur Solidarität durch die TeilnehmerInnen am Festival aber auch die VenezuelanerInnen in den Misiones und anderen neuen Strukturen bewiesen. Dass der Mensch nicht zu schlecht für den Sozialismus ist - wer daran noch Zweifel hatte - ist nach diesem Besuch klar: nicht der Mensch ist zu schlecht für den Sozialismus, sondern der Kapitalismus zu schlecht für den Menschen.

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