Die Blockade des Suezkanal zeigt die Macht der Logistarbeiter*innen

Von Dan O'Rourke

Die jüngste Blockade des Suezkanals durch die "Ever Given" weist auf die Schwachstellen des profitorientierten globalen Logistiksystems hin. Es ist wahrscheinlich, dass dies der erste von vielen "Choke points" (Flaschenhälsen) ist, die den Welthandel in der kommenden Zeit aufhalten werden - weitere werden von Analyst*innen unter anderem in den Schwarzmeerhäfen, im Panamakanal und in der Straße von Malakka gesehen. Da sich die Wetterbedingungen im Zuge des Klimawandels verschlechtern, werden übergroße Schiffe wieder für Schlagzeilen sorgen, da sie den Welthandel zum Erliegen bringen.

 

Mit anderen Augen betrachtet, zeigt der Vorfall auch das Potenzial der Arbeiter*innen auf der ganzen Welt, die heute mehr denn je miteinander vernetzt sind, diese Schwachstellen zu ihrem Vorteil zu nutzen und ihre Interessen zu verteidigen und zu erkämpfen, wenn es nötig ist. Dabei sollten wir aus dem Beispiel früherer Logistikstreiks lernen, bei denen die Arbeiter*innen etwas erreicht haben.

 

Was hat die Blockade verursacht?

 

Der Zwang zur Kostensenkung führt dazu, dass Konstruktionsfehler in die kritische Infrastruktur der meisten profitorientierten Firmen eingebaut werden. Der Suez-Kanal ist da keine Ausnahme.

 

Als die Ever Given (so der Name des Schiffes der taiwanesischen Reederei Evergreen) den Kanal passierte, erfasste starker Wind die Seiten des massiven Schiffes und drückte es gegen das Ufer. Der Kapitän war gezwungen, die Geschwindigkeit zu erhöhen, um den Druck des Windes auszugleichen, der das Schiff auf Grund zu setzen drohte. Die Höchstgeschwindigkeit im Kanal liegt zwischen 7,6 und 8,6 Knoten. Die Ever Given war gezwungen, mit 13,5 Knoten zu fahren, um die Korrekturen vorzunehmen. Das ist fast das Doppelte des Tempolimits. Das Schiff hatte auch keine Schleppereskorte, die den beispiellosen Unfall hätte verhindern können.

 

Die enorme Größe des Schiffes, die Enge des Kanals, das Fehlen einer Schleppereskorte, der starke Wind und die erhöhte Geschwindigkeit trugen dazu bei, dass das Schiff auf Grund lief.

 

In den letzten zehn Jahren hat sich die Größe der Schiffe verdoppelt, von 10k auf 20k Container. In dieser Zeit hat die Internationale Seeschifffahrts-Organisation (IMO) keine Anpassungen der Besatzungsstärke oder der Technologie vorgeschrieben. Im Zuge des Klimawandels werden diese riesigen Schiffe, die größer als jeder Flugzeugträger sind, weiterhin für Schlagzeilen sorgen, da sie aufgrund ihrer unhandlichen Größe, des Mangels an moderner Technologie und der geringen Besatzungsstärke nur schwer gegen die sich verschlechternden Wetterbedingungen ankämpfen können.  

 

Potenzial für Arbeiter*innen

Die Logistik ist entscheidend für das Funktionieren des kapitalistischen Systems und dafür, dass die Produkte von der Fabrik oder dem Bauernhof zu anderen Fabriken, Einzelhändler*innen und schließlich zu den Verbraucher*innen gelangen. Das bedeutet, dass Arbeiter*innen in der Logistik und im Einzelhandel das Potenzial haben, die Mechanik des globalen Profitsystems durcheinander zu bringen, ganz gleich, ob es sich um die Arbeiter*innen auf einem riesigen Schiff handelt oder um die Hand, die das Endprodukt über den Barcode scannt.

 

Seit der Erfindung des Schiffscontainers nach dem 2. Weltkrieg hat sich die Logistikbranche zunehmend konzentriert und monopolisiert. Die Arbeiter*innen in der Logistik sind in weniger Unternehmen und an kleineren geografischen Standorten konzentriert. Dadurch haben sie ein besseres Potenzial, sich zu organisieren und solidarische Beziehungen aufzubauen. Der Versuch der gewerkschaftlichen Organisierung der Arbeiter*innen im Amazon-Werk in Bessemer ist ein solches Beispiel.

 

Heute sind Walmart und Amazon, zwei der größten Arbeitgeber*innen der Welt, im Wesentlichen Logistikunternehmen. Ihr Hauptexport ist Kapital und sie importieren physische Güter. Sie fungieren als wichtige Verteilungszentren für Konsumgüter für die Weltwirtschaft und sind auf schlecht bezahlte Arbeiter*innen angewiesen, um ihre schmalen Gewinnspannen zu halten. Die globale Liefer- und Produktionskette ist weitläufiger als je zuvor, wobei einige Materialien mehrfach um die Welt verschifft werden, bevor sie schließlich zusammengebaut und verkauft werden. Die moderne Produktion basiert auch auf "Just-in-Time"-Prozessen, was bedeutet, dass es nur sehr wenig Raum für Verzögerungen bei der Lieferung von Teilen und Materialien gibt. All dies schafft ein Logistiksystem, das extrem brüchig ist. Ein relativ kleiner, aber organisierter Streik könnte die Illusion eines reibungslosen Betriebs zerstören.

 

Im Folgenden schauen wir uns verschiedene Fälle an, in denen Arbeiter*innen der Logistik ihre Macht nutzten, um das kapitalistische System zum Stillstand zu bringen, um sich gegen Ausbeutung und Unterdrückung zu wehren. Einige sind bedeutender als andere, aber jeder einzelne stellt eine wichtige Lektion in Sachen Streik-Taktik dar:

 

Streik der Flugbegleiter*innen von EVA Air

Im Juli 2019 beendeten mehr als 2.300, zumeist weibliche, Flugbegleiter*innen der taiwanesischen EVA Air einen Streik, nachdem sie höhere Gehälter und weitere Zugeständnisse von den Eigentümer*innen der Fluggesellschaft errungen hatten. Durch den Streik wurden 1.200 Flüge gestoppt und 300.000 einzelne Flugreisen behindert. Ungezählte Mengen an Luftfracht wurden ebenfalls aufgehalten und umgeleitet. Auslöser für den Streik waren die Forderung nach mehr Lohn, bessere Arbeitsbedingungen und die schlechte Behandlung der Arbeiter*innen durch das überwiegend männliche Management.

Hongkonger Hafenarbeiter*innenstreik

Im Mai 2013 beendeten 500 Arbeiter*innen in Hongkong einen 40-tägigen Streik. Der Gewerkschaftsverband Hong Kong Confederation of Trade Unions (HKCTU), der die streikenden Arbeiter*innen vertrat, erzielte eine Vereinbarung über eine Lohnerhöhung von fast 10 %. Es war der längste Arbeitskampf in Hongkong seit dem Seemannsstreik von 1922, der 55 Tage andauerte.

Panamakanal

Der Panamakanal, das lateinamerikanische Pendant zum Suezkanal, der den Pazifik mit dem Atlantik verbindet, ist eine weitere von Menschenhand geschaffene Verkehrsader, die für die internationale Schifffahrt und den Handel lebenswichtig ist. Im Januar 2012 errangen die Arbeiter*innen des Erweiterungsprojekts des Panamakanals deutliche Lohnerhöhungen, nachdem sie nur sieben Tage lang gestreikt hatten. Die Geschäftsleitung stimmte einer Überprüfung der Überstundenzahlungen, des Urlaubsausgleichs und der Arbeitszeiten zu, sowie der Wiedereinstellung eines Arbeiters, der wegen eines Streits mit einem Vorgesetzten entlassen wurde.

Streik am Suez-Kanal

Die Arbeiter*innen am Suez-Kanal wissen um ihre Macht und haben sie bei zahlreichen Gelegenheiten wirksam eingesetzt. Nicht zuletzt während des "Arabischen Frühlings" in Ägypten, als sie sich 2011 am Generalstreik beteiligten. Der Streik war ein Schlüsselfaktor für das Ende der Herrschaft von Hosni Mubarak.

Streik der Chilenische Lkw-Fahrer*innen

Im September 2020 errangen die Fahrer*innen in Chile nach einem einwöchigen Streik wichtige Verbesserungen bei der Sicherheit. Der Milliardär-Präsident Sebastian Pinera gab den Forderungen nur widerwillig nach, verurteilte aber gleichzeitig die Taktik der Fahrer*innen. Der einwöchige Ausstand führte zu einem erheblichen Rückstau in den Häfen, wobei ein Hafenbeamter sagte, dass fast keine Exportsendungen wie geplant abfuhren.

Hafenstreik am Roten Meer während der sudanesischen Revolution

Während der sudanesischen Revolution 2019 riefen Arbeiter*innen im Hafen am Roten Meer, der nicht weit vom Suez entfernt liegt, zu einem Streik auf, um die Forderungen nach mehr Demokratie zu unterstützen. Port Sudan gehörte zu den ersten, die sich an der Revolution beteiligten, und hatte eine große und inspirierende Rolle bei der Ausbreitung des Aufstands auf den Rest des Landes. Der Hafenstreik wurde im Mai ausgerufen, und im Juni schlossen sich Millionen sudanesischer Arbeiter*innen einem Generalstreik an.

Streik der Arbeiter*innen von UPS 1997

Der Streik bei United Parcel Service von 1997, angeführt von der Gewerkschaft Teamsters, begann im August 1997 und betraf über 185.000 Angestellte. Der Streik legte den Betrieb von UPS für 16 Tage lahm und kostete UPS 600 Millionen Dollar. Der Streik war ein Sieg für die Arbeiter*innen, denn er führte zu einem neuen Vertrag, der ihre Löhne erhöhte, ihre bestehenden Leistungen sicherte und mehr Arbeitsplatzsicherheit bot. Der Streik war der größte, den das Land je gesehen hatte. Darüber hinaus stimmte UPS zu, dass das Unternehmen nun verpflichtet ist, künftige Erhöhungen der Gewichtsgrenzen für Pakete mit den Teamstern zu besprechen. UPS erklärte sich bereit, die Vergabe von Unteraufträgen mit Ausnahme von Spitzenzeiten einzustellen und aus Teilzeitstellen 10.000 Vollzeitstellen zu schaffen.

Mit Entschlossenheit vorwärts gehen

Mit dem Abklingen der Pandemie wird auch die finanzielle Nothilfe der unwilligen neoliberalen Staaten nachlassen. Ein sogenannter "K-förmiger" Aufschwung wird bedeuten, dass die Arbeiter*innen mit ähnlichen Bedingungen konfrontiert sein werden wie die oben erwähnten Arbeiter*innen. In der Zwischenzeit wird der Reichtum weiter in den Händen der ohnehin schon Wohlhabenden erstarren. Die Arbeiter*innen in der Logistik werden in den Kämpfen der kommenden Periode zweifellos wieder eine entscheidende Rolle spielen. Der Aufbau und die Stärkung der Organisation und der Solidaritätsverbindungen zwischen Logistikarbeitern*innen international ist eine dringende Aufgabe.