Die Angriffe der Netanjahu-Regierung auf die Bevölkerung in Gaza bekämpfen

Soll sich die politische Linke in Deutschland an Gaza-Protesten beteiligen?
Aron Amm, CWI-Deutschland

Mit dem Beginn der Bombardierung des Gaza-Streifens durch die israelische Armee wird in der politischen Linken einschließlich der Linkspartei und gerade auch des Jugendverbandes Linksjugend ‘solid heftig darüber gestritten, ob man sich an Demonstrationen gegen die Regierung Israels beteiligen soll.

Von den KritikerInnen der Beteiligung an Gaza-Protesten werden verschiedene Argumente vorgebracht: „Eine Unterstützung der Demonstrationen kommt einer Unterstützung von Hamas und anderen islamistischen Kräften gleich“, „Gegnern Israels wird eine Plattform geboten“, „Dem Antisemitismus wird Vorschub geleistet“, „Bei der heutigen Zusammensetzung dieser Proteste und der Stimmungslage in der Bundesrepublik lässt sich für Linke wenig ausrichten“. Aber zuallererst geht es doch um die Frage: Wie hält man es mit dem Vorgehen der Herrschenden Israels gegenüber den PalästinenserInnen? Ist eine Ablehnung der Bombenangriffe und des Einmarschs israelischer Truppen in den Gaza-Streifen legitim?

Gaza ist das größte Gefängnis auf diesem Planeten. Ein Gefängnis, auf das seit Anfang Juli wieder Bomben nieder hageln. Hunderte von PalästinenserInnen, die meisten Teil der Zivilbevölkerung (darunter ein Viertel Kinder), verloren seit der erneuten Offensive der Regierung Benjamin Netanjahus bereits ihr Leben. Die Raketenangriffe seitens der Hamas und anderer palästinensischer Gruppen auf Israel sind klar abzulehnen. Allerdings sind die Ereignisse der letzten Wochen (angefangen mit der Entführung und Ermordung der drei jüdischen Jugendlichen) das Produkt von Besetzung, Siedlungsbau und nationalistischer Hetze der herrschenden Klasse Israels.

Vor diesem Hintergrund führt kein Weg daran vorbei, dass die politische Linke in Deutschland und international Farbe bekennt und ihre Solidarität mit den unterdrückten palästinensischen Massen leistet. Damit wird auch denjenigen AraberInnen und jüdischen Israelis der Rücken gestärkt, die den Mut haben (wie in Tel Aviv, Haifa und Jerusalem geschehen) zu Hunderten gegen Netanjahu und Co. auf die Straße zu gehen – obwohl sie sich damit der Gefahr von Übergriffen extrem rechter Kräfte aussetzen.

Israel bedeutet für die USA, Deutschland und die anderen westlichen Imperialisten den wichtigsten Stützpunkt in der Region. Aus historischen Gründen ist die Parteinahme für den kapitalistischen Staat Israel, wie Kanzlerin Angela Merkel (CDU) es nennt, Teil „der deutschen Staatsräson“. Würde die politische Linke in der Bundesrepublik jetzt auf Tauchstation gehen, würde sie damit auch vor den Herrschenden im eigenen Land einknicken.

Aber stärkt man unter den gegenwärtigen Umständen mit einer Teilnahme an den von PalästinenserInnen dominierten Demonstrationen nicht die Hamas und andere islamistische Kräfte? Was die Hamas derzeit in aller erster Linie stärkt, das sind die Militäraktionen der rechten Netanjahu-Regierung. Wenn die Linke bei den zutiefst verständlichen wütenden Protesten abseits steht, überlässt sie Hamas und anderen damit das Feld. Stattdessen sollte sie den Widerstand gegen die Aggression Netanjahus entschieden unterstützen. Dabei sollte mit Kritik an der Hamas nicht hinterm Berg gehalten werden. So sehr die palästinensische Bevölkerung jedes Recht hat, sich gegen die Attacken des israelischen Militärs zur Wehr zu setzen, so sehr spielen die Raketenangriffe auf Tel Aviv oder Jerusalem den Hardlinern in Israel in die Hände. Überhaupt vertieft die Politik der Hamas die Gräben zwischen jüdischen Israelis und AraberInnen. Ihren Zielen sind die PalästinenserInnen dadurch keinen Schritt näher gekommen. Darüber hinaus ist es unabdingbar, eine Alternative zur Spirale von Krieg, Terror und Vertreibung im Nahen Osten aufzuzeigen: für einen Abzug der israelischen Armee aus den Palästinensergebieten, für eine Beendigung der Abriegelung des Gaza-Streifens, für den Schulterschluss von jüdischen und arabischen ArbeiterInnen und Jugendlichen gegen nationalistische Spaltung, Krieg und Sozialkahlschlag, für die Schaffung einer politischen Interessenvertretung in Israel und Palästina, die für eine sozialistische Veränderung der Gesellschaft – für einen unabhängigen, demokratischen, sozialistischen Staat Palästina an der Seite eines demokratischen, sozialistischen Staats Israel eintritt, mit Jerusalem als Hauptstadt beider Länder, und für eine sozialistische Föderation im ganzen Nahen Osten. (Für diese Ziele engagiert sich auch die „Bewegung sozialistischer Kampf“, die SAV-Schwesterorganisation in Israel/ Palästina).

Aber was tun, wenn bei den Demonstrationen hierzulande nicht nur Palästina- und Türkei-Fahnen geschwenkt werden und „Allah ist groß“ skandiert wird, sondern auch noch Schilder zu sehen sind, die das Schicksal der PalästinenserInnen mit der Shoa gleichsetzen? Es ist keine Frage, dass man versuchen muss, mit anderen DemonstrantInnen ins Gespräch zu kommen, solche (den Faschismus komplett verharmlosenden) Vergleiche kritisiert und die eigenen Ideen zu vermitteln versucht.

Opposition zur Netanjahu-Regierung und zur israelischen Kapitalistenklasse hat indes nichts mit Antisemitismus oder anderen Formen von Rassismus zu tun. Es ist gerade in der deutschen Linken zentral, die „Kollektivschuldthese“ zu widerlegen und aufzuzeigen, dass sich damit nur die Unternehmerseite in Deutschland aus der Verantwortung für Hitler-Faschismus und Holocaust stehlen wollte. Sollten Nazis versuchen, als Trittbrettfahrer tätig zu werden, gilt es, sich von diesen deutlich zu distanzieren und Anstrengungen zu unternehmen, diese von solchen berechtigten Protesten fernzuhalten.

Sicherlich ist immer nach dem eigentlichen Charakter einer Demonstration zu fragen. Dieser muss nicht immer mit der vorgegebenen Zielsetzung in Einklang stehen – wie die „Montagsdemonstrationen“ zum Ukraine-Krieg zeigten. Diese waren nicht primär Proteste gegen den Krieg, sondern boten rechten „Querfront“-Ideologen eine Plattform. Zu den Faktoren, die den Charakter einer Demonstration bestimmen, gehören Anlass, Aufruf, Teilnehmerkreis, Redebeiträge. Im Unterschied zu den sogenannten Montagsdemonstrationen sind die Demos gegen die Bombardierung des Gaza-Streifens in der Regel erheblich größer, was es Einzelnen viel schwieriger macht, dort ihr eigenes „Süppchen zu kochen“.

Angesichts dessen ist es falsch und gefährlich, wenn Teile der Linken die Beteiligung an den Gaza-Protesten ablehnen. Das trifft auch auf den Artikel vom Münchner SAV-Mitglied Max Brym „Nahost-Konflikt – oder der Mut, beiseite zu treten“ zu, der zu dieser Frage leider keinerlei Diskussion innerhalb der SAV suchte, sondern seinen Beitrag im Alleingang auf „scharf-links“ veröffentlichen ließ. Abgesehen von den hier bereits widerlegten Thesen behauptet Max zudem, dass der Antisemitismus in Deutschland „die Straßen beherrschen“ würde. Zweifelsohne müssen Linke entschlossen dagegen halten, wenn antisemitische Vorurteile geschürt werden. Doch übertreibt Max bei der Einschätzung der Situation maßlos. Dazu kommt, dass man „das Massenbewusstsein“ heute nicht als „zutiefst reaktionär“ bezeichnen kann. Ohne Frage gibt es viel politische Verwirrung und Unsicherheit. Aber die meisten Menschen sehnen sich vor allem ein Ende von Gewalt und Krieg herbei und sind offen für den Gedanken, über ethnische und religiöse Grenzen hinweg gemeinsam gegen „die da oben“ vorzugehen. Bewusstsein ist nichts Starres. Darum ist es nötig und möglich, den Kampf um die Köpfe zu führen. Und die PalästinenserInnen müssen erfahren, dass in diesen Tagen und Wochen nicht nur Organisationen wie die Hamas gegen den Staatsterrorismus Israels aktiv sind.

Einzelnen führenden LINKE-Mitgliedern, die eine völlig unkritische Haltung gegenüber Israel einnehmen wie der Bundestagsabgeordnete Stefan Liebich vom Forum demokratischer Sozialismus (FdS) zum Beispiel (die damit auch Hindernisse für eine Regierungsbeteiligung im Bund aus dem Weg räumen wollen), muss dringend Paroli geboten werden.

Wenn DIE LINKE ihre Möglichkeiten zur politischen Aufklärung und Mobilisierung konsequent nutzen würde, dann könnten statt einigen hundert mehrere tausend Menschen auf der Straße sein. Erst Recht, wenn die Gewerkschaftsführung ebenfalls – wie in manchen anderen Ländern, zum Beispiel in Irland und Großbritannien zumindest teilweise – für eine Teilnahme an den Protesten werben würde.

Mehr noch: Linkspartei, Gewerkschaften und Kräfte der Friedensbewegung sollten selber Initiativen zur Organisierung von Demonstrationen starten, die unter dem Motto stehen könnten: Stoppt das Bomben! Für weitere Parolen solcher Demonstrationen sollten Losungen vorgeschlagen werden wie: Abzug der israelischen Armee aus den Palästinensergebieten! Schluss mit Besatzung und Siedlungsbau! Beendigung der Abriegelung des Gaza-Streifens! Außerdem sollte sich in der LINKEN, in den Gewerkschaften, in der Friedensbewegung dafür eingesetzt werden, den Kampf gegen Krieg und Unterdrückung mit der sozialen Frage und der herrschenden Politik hierzulande zu verbinden.