Deutschland: Linkskandidatur verspricht neuen Wind

Kim Opgenoorth (SAV Bundesvorstand)

„Letzte Woche sprachen meine Kollegen in der Pause noch über Fußball, diese Woche sprechen sie über Politik“, so die Aussage eines Berliner Gebäudereinigers. Es ist, als sei ein Schalter umgedreht worden. Die Ankündigung von Lafontaine für ein linkes Wahlbündnis aus WASG und PDS kandidieren zu wollen, hat die politische Landschaft in Deutschland mit einem Schlag verändert. Ein Kölner Schlosser berichtet: “Kollegen, die sich nie politisch äußern, legen die Zeitung weg und sagen, die wähle ich im September!” “Man muss es probieren”, sagen andere. Ein WASG-Basis-Mitglied meint sogar “Endlich tut sich was! Seit dem Fall der Mauer ist hier doch nichts mehr passiert”.

Auf einmal überschlagen sich die Ereignisse. Die SPD verliert die Wahl im bevölkerungsstärksten Bundesland NRW. Damit wird die Landkarte, bis auf ein paar Tupfer, komplett schwarz eingefärbt. Die CDU hat nicht viel Gelegenheit ihren Wahlsieg zu feiern. Schröder steht mit dem Rücken an der Wand und tritt die Flucht nach vorne an: Neuwahlen im September. Der ehemalige SPD-Vorsitzende Lafontaine kündigt seinen Austritt aus der SPD und seine Kandidatur für ein Linksbündnis an. Dies ist der Start für Verhandlungen zwischen PDS und WASG, einer von regionalen Gewerkschaftsfunktionären und ehemaligen SPD-Mitgliedern neugegründeten Partei. Stündlich wird darüber in den Nachrichten berichtet. Seit vier Wochen ist sie eine der ersten Meldungen. Kommt es zu einer linken Kandidatur mit Lafontaine an der Spitze, oder nicht? Es wird von der historischen Chance gesprochen, die Linke zu einigen. Die ersten Umfragen ergeben: 18 bis 25 Prozent der deutschen Bevölkerung könnte sich vorstellen einem solchen Bündnis die Stimme zu geben.

Die bürgerlich-konservative Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung schreibt: “ Die Zeit ist reif für neue politische Ideen. Gerade im Moment der größten Ausdehnung und Wirksamkeit der neliberalen Ideologie mehren sich die Zeichen, dass es den Leuten allmählich damit reicht.” In einer anderen Zeitung wird Marx und das Kommunistische Manifest zitiert. Lafontaine selbst warnt die kommende Regierung in Talkshows vor ihrer schicksalhaften Verantwortung. Wenn es ihr nicht gelänge, die Reformen sozialverträglich fortzusetzen, sei eine revolutionäre Situation unvermeidlich.

Die etablierten Parteien reagieren nervös. Sie entdecken ihr soziales Gewissen. Von einem Tag auf den anderen ist Links plötzlich “in”. Die SPD unternimmt hektische Kurs-Korrekturen an den Hartz IV-Gesetzen. Ältere Arbeitslosen sollen länger Geld bekommen, die Unternehmenssteuern doch nicht gesenkt werden. Der CDU wirft Schröder vor, dass sie der sozialen Marktwirtschaft den Boden entziehe. Die CDU will ihre Kürzungen angeblich “sozial” gestalten. Beide Parteien finden plötzlich höhere Lohnabschlüsse gerechtfertigt. Die Grünen bekommen Torschlusspanik. Sicher ist es nicht, dass sie wieder in den Bundestag einziehen. Obwohl Sozialpolitik für sie immer ein Fremdwort war, debattieren sie jetzt über eine armutsfeste Grundsicherung. Diese soll höher ausfallen, als das Alg II aus der von ihnen mitgetragene Hartz IV- Gesetzgebung. Die SPD will sich im Wahlkampf als die “linke Mitte” darstellen. Der Slogan der Grünen heisst “modern links”.

Das Linksbündnis wird auch zu Recht von den Rechtsextremen als gefährliche Konkurrenz gesehen. Diese hatten schon fest die Stimmen der Nichtwähler eingeplant, die sich politisch nicht mehr vertreten fühlten.

Kapitalismus-Debatte

Mit antikapitalistischen Phrasen hat der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering, noch kurz vor der NRW-Wahl, verzweifelt versucht das kommende Desaster aufzuhalten. Er sprach von Finanzinvestoren, die anonym und ohne Gesicht, wie Heuschreckenschwärme über Unternehmen herfallen, sie abgrasen und weiterziehen würden. An die Menschen würden sie nicht denken, deren Arbeitsplatz sie vernichten. Gegen diese Form von Kapitalismus würde die SPD kämpfen. Genützt hat es ihm nicht. 66 Prozent der Bevölkerung hielten Münteferings Kritik an der „Macht des Kapitals“ für berechtigt; doch 73 Prozent glaubten der SPD nicht, dass sie es ernst meint. Die Debatte jedoch, die er losgetreten hat, dauert noch Wochen nach seiner Äußerung an.

Das konservative Allensbach-Institut musste einräumen, dass „nur noch ein Viertel der Deutschen eine 'gute Meinung' vom Kapitalismus“ habe. Wirtschaftsvertreter beschweren sich über ihr Ansehen in der Gesellschaft. In den Kindernachrichten wird erklärt: ”Ein Kapitalist ist einer, der Gewinne macht und Arbeiter entlässt.”

Ein SPD-Funktionär beschreibt die Lage so: „In der Wirtschaftspolitik hat Rot-Grün alle Wünsche des großen Geldes erfüllt und manchmal sogar noch übertroffen. [...] Nach fünf Jahren Unterwerfung unter die Dogmen des Neoliberalismus sind die Reichen reicher, die Armen ärmer, die Alten mehr, die Kinder weniger geworden. Die Arbeitslosigkeit ist auf Rekordniveau, die Staatsfinanzen ruiniert und hunderttausend kleiner mittelständischer Existenzen vernichtet. Das alles soll jetzt durch ein bisschen Heuschrecken-Gezeter und Ackermann-Beschimpfung getüncht werden?“

 

Rot-Grün hat dem Kapital den roten Teppich ausgerollt. Sie haben großzügige Steuergeschenke an Unternehmer und Superreiche verteilt, gleichzeitig mit Hartz IV und Agenda 2010 eine Verarmung für große Teile der Bevölkerung per Gesetz beschlossen. Für Arbeitnehmer wird seit Jahren Lohnzurückhaltung gepredigt und umgesetzt. Massive Zuzahlungen werden im Gesundheitwesen verlangt, die soziale Absicherung und das Rentensystem faktisch zerschlagen. Die ehemals paritätische Finanzierung der Sozialversicherungssysteme wird immer mehr den Arbeitnehmern angelastet.
Rot-Grün hat mit den ersten Kriegsbeteiligungen auf dem Balkan und in Afghanistan militärische Auslandseinsätze salonfähig gemacht und mit ihrem Kampf für einen ständigen Sitz im UNO-Sicherheitsrat versucht, den imperialistischen Anspruch von Deutschland wieder auf die Tagesordnung zu setzen.

Das alles hat der Bourgeoisie nicht gereicht. Sie hat ihren Druck auf die Regierung erhöht. Rücksichten auf Wahlen können nicht genommen werden. Bei Rente, Gesundheit und in der Pflegeversicherung steht die nächste Runde an. Gleichzeitig stagniert die Wirtschaft. Die SPD ist in einer tiefen Krise. Zum ersten Mal seit 50 Jahren wird die Mitgliederzahl von 600.000 unterschritten. Der Druck in der Bevölkerung hat Schröder in die Enge getrieben. In seiner eigenen Fraktion ist er sich der Unterstützung nicht mehr sicher. Eine Neuformierung links von der SPD hat sich abgezeichnet. Durch vorgezogene Neuwahlen wird auch dem geplanten Verlauf ein Strich durch die Rechnung gemacht.

Linksbündnis

Das neue Linksbündnis muss sich wegen wahlbürokratischer Hürden nun sehr schnell formieren. Es kann sich keine langen Debatten leisten. So sehen es jedenfalls die Führer von PDS und WASG. Sie verhandeln über Spitzenkandidaten, Mandatsträger, Namen und Logo. Über das Programm wird nicht gesprochen. Sie wollen drittstärkste Partei im Bundestag werden. Ihnen selbst winken Bundestagsmandate entgegen. Klare Positionen scheinen da nur hinderlich. Die Verhandlungen werden im kleinsten Kreise geführt, Ergebnisse über die Massenmedien verbreitet. Parteitage und Urabstimmung finden zwar statt. Sie können aber eigentlich nur noch der bisherigen Einigung zustimmen, wenn sie nicht die Kandidatur als Ganzes in Frage stellen wollen. Obwohl eine Kandidatur der WASG auf den PDS - offenen Listen zuerst abgelehnt wurde, sieht die Einigung genau das vor. Ziel ist eine Fusion der beiden Parteien in den nächsten zwei Jahren. Bis dahin gibt es eine gemeinsame Kandidatur auf der PDS-Liste unter dem Namen Demokratische Linke/ PDS. Die Bedingungen scheinen weitgehend von der PDS diktiert zu werden. Dies wird mit dem Zeitargument begründet. Das PDS-Kürzel kann unter Umständen im West-Bundesländern weggelassen werden. Eine eigenständige Kandidatur der WASG wird von ihrer Führung gar nicht mehr thematisiert, obwohl dies die Möglichkeit für eine wirklich neue Alternative dargestellt hätte. Eine offensive Wahlkampagne hätte vor allem im Westen eine weitaus breitere Schicht der arbeitenden Bevölkerung angesprochen als die nun verhandelte PDS-Liste.

WASG

Hintergrund für die Gründung der WASG sind die Massenproteste der letzten beiden Jahre. Eine halbe Million Menschen beteiligte sich an dem ersten und einzigen Protest, den die Gewerkschaftsführung im Frühjahr 2004 gegen Rotgrün organisiert hatte. Gezwungen wurde die Gewerkschaftsbürokratie zu diesem Schritt, da von unten an ihnen vorbei, betriebliche Kämpfe und eine bundesweite Demonstration in Berlin gegen Schröders Agenda 2010 organisiert worden waren.

Im Sommer darauf gab es einige Monate lang Montagsdemos gegen Hartz IV, die in Ostdeutschland Massencharakter annahmen. Diese Bewegungen haben zu einem ersten Bruch zwischen Teilen der Gewerkschaften und der SPD geführt. Regionale Gewerkschaftsfunktionäre und Aktivisten dieser Bewegungen gründeten eine neue Partei, die WASG. Als SPD-Abspaltung aber auch als PDS-Alternative hatte sie schon 2004 eine große Medienresonanz erfahren. Sie wurde in den Medien als neue Linkspartei linker dargestellt, als sie eigentlich war und bekam hohe Resonanz bei Umfragen. Interne Querelen und ein Medienboykott bis nach der Landtagswahl lies sie jedoch in der Öffentlichkeit wieder in der Versenkung verschwinden.

Ihre Mitgliedschaft reicht von linken Christen über rechten Reformisten und Befürwortern einer “Sozialstaatspartei”, linken Reformisten bis hin zu Aktivisten, die sich als Sozialisten verstehen. Einer der Vorsitzenden und Verhandlungsführer Klaus Ernst meint zwar: »Sozialismus als Tagesaufgabe interessiert keine Sau mehr.« Das sehen in der Mitgliedschaft viele jedoch anders. 30 Prozent der Delegierten haben immerhin für Sascha Stanicic, Bundessprecher der SAV (Sozialistische Alternative, deutsche Sektion des CWI) gestimmt, der mit einem klaren sozialistischen Programm für den Bundesvorstand kandidiert hat. Die SAV setzt sich für die Ablehnung der kapitalistischen Sachzwänge ein und kämpft für eine sozialistische Perspektive. Sie hat sich mit ihrem klaren Programm eine starke Position innerhalb der WASG aufbauen können. In bundesweiten Medien wurden “die Trotzkisten der SAV” in den letzten Monaten immer wieder erwähnt.

Die Basis ist von Anfang an sehr kritisch mit ihrer eigenen Führung umgegangen. Demokratie-Defizite sind seit der Gründung Thema gewesen.

Auch gegenüber Lafontaine gibt es Vorbehalte. Viele nehmen ihm übel, dass er sich nicht schon im Landtagswahlkampf klar zur WASG bekannt hat. Ausserdem spricht seine Vergangenheit nicht gerade für eine neue, linke Politik. Seine Kandidatur hat zwar für einen großen Medienaufruhr gesorgt. Gleichzeitig beinhaltet sie aber auch die Gefahr der Stärkung der Rechten innerhalb der WASG und die Einschränkung der internen Demokratie. Der Wahlkampf wird auf die Personen Gysi, der redegewandte Spitzenkandidat der PDS, und Lafontaine zugeschnitten sein. Sie werden im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen und weiterhin mit ihren Äußerungen Fakten schaffen.

Lafontaine

In der Öffentlichkeit ist Lafontaine bekannt für seine Ablehnung von Agenda 2010, der EU-Verfassung und dem Kriegseinsatz in Jugoslawien und Afghanistan. Von vielen wird er als aufrechter Mann gesehen, der zu seinem Wort steht, der auch unangenehme Wahrheiten ausspricht.Die Arbeitsmarktreform "Hartz IV" bezeichnete Lafontaine als "völlig unzumutbar" und als "kalte Enteignung verdienter älterer Arbeitnehmer.” Er ist bekannt für seine Attacken gegen den “Finanzkapitalismus”, der letztlich die Demokratie zerstört und gegen Abgeordnete, die als “Handlanger der Wirtschaft”, die über die Köpfe des Volkes hinweg “Schandgesetze” verabschiedet hätten.

An der PDS findet er jedoch gut, dass sie sich für die Marktwirtschaft, freies Unternehmertum und Gewinne ausspricht. Längere Maschinenlaufzeiten und Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich sind Forderungen hinter denen er immer noch steht.

Für nationalistische Töne ist er sich nicht zu schade. Er ist für die Einschränkung des Asylgrundrechts, für die Abschottung Europas durch Flüchtlingslager in Nordafrika und ist mit Äußerungen, über “Fremdarbeiter” die in Deutschland Arbeitsplätze wegnehmen, in die Kritik geraten.

Lafontaine, der sich immer noch als Sozialdemokrat versteht, hat immerhin bis 1999 als SPD-Vorsitzender den Ausverkauf sozialdemokratischer Positionen mit betrieben.

Er betont gerne, dass er 25 Jahre öffentliche Ämter bekleidet hat. Das ist wahr. Als Bürgermeister von Saarbrücken, Ministerpräsident im Saarland und Finanzminister der Bundesregierung hat er Angriffe gegen die Arbeiterklasse vorangetrieben. Er ist in der Vergangenheitin Korruptionsaffären verstrickt gewesen. Im Saarland hat er die Schließung mehrerer Stahlwerke und den Abbau 1.000er Stellen betrieben. Lafontaine ist daher mit sehr viel Vorsicht zu genießen. Ein starker linken Flügel muss aufgebaut werden, der in der Lage ist, ihm etwas entgegen setzen und politisch unter Druck setzen zu können.

PDS

In der Öffentlichkeit gibt es auf den ersten Blick einen großen Druck zu einem gemeinsamen Auftreten der Linken. Für viele ist die PDS jedoch nicht wählbar. Ihr wird die stalinistische Vergangenheit angelastet. Das System in der DDR wird von ihr immer noch als sozialistisch betrachtet. Sie stellt mit der SPD die Landesregierungen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern und stellt in ostdeutschen Kommunen sehr viele Bürgermeister. Dort beteiligt sie sich an Sozialabbau und Kahlschlag. Die PDS sieht sich selbst als sozialistische Partei. In der praktischen Politik vergisst sie jedoch ihre Sonntagsreden. Montags demonstriert sie gegen Hartz IV, an den anderen Tagen beteiligt sie sich an dessen Umsetzung. Mit dem Argument, das Schlimmste zu verhindern verantwortet sie in Berlin u.a. die Privatisierung von Krankenhäusern, Fahrpreiserhöhung im öffentlichen Personennahverkehr und die Kürzung vom Blindengeld. 13.000 Mitarbeiter der Berliner Verkehrsbetriebe haben im Mai gegen den Senat von SPD und PDS gestreikt.
Ihre aktive Mitgliedschaft wird auf 6.000 geschätzt. Dies entspricht auch der Zahl der Funktions- und Mandatsträger der PDS. Der Rest der 60.000 Mitglieder existiert hauptsächlich auf dem Papier und befindet sich im hohen Rentenalter. Der Kern der PDS-Mitgliedschaft wird also von ihrem Apparat finanziert oder alimentiert.

In 15 Jahren hat sie es trotz Sitz im Bundestag nnicht geschafft, sich als linke Partei im Westen eine Basis zu schaffen. Bei den Landtagswahlen in NRW bekam die PDS mit ihren 120 kommunalen Mandatsträgern nur 0,9 Prozent der Stimmen. Die WASG erhielt als Kandidatur aus dem Nichts, trotz Medienboykott immerhin mehr als doppelt so viele Stimmen. Sie erzielte einen Achtungserfolg mit 181.000 Stimmen von 2,2%. Im Ruhrgebiet bekam sie in Arbeiterwahlkreisen 3-4 Prozent, unter Arbeitslosen insgesamt 9%.

Kritik

Bei der WASG-Basis gibt es großen Unmut über die starke PDS-Dominanz . Die Kritik kommt von rechts und von links. Die rechten Antikommunisten möchten nicht mit dem Begriff Sozialismus in Verbindung gebracht werden. Für die linken Kritiker hat die PDS sich mit ihrer Realpolitik in die Liste der restlichen etablierten Parteien eingereiht. Ausserdem gibt es die Befürchtung, als kleine, finanzschwache Partei von der PDS mit ihrem millionenschweren Apparat aufgesogen zu werden.

Die SAV hatte sich dafür ausgesprochen, von der PDS einen radikalen Politikwechsel zu fordern, sich an keinerlei Sozialabbau mehr zu beteiligen und Privatisierungen abzulehnen. EinAustritt aus den Regierungen wäre die Konsequenz daraus gewesen. Dies hätte ein ernsthaftes Signal für einen Aufbruch gegeben, der für eine wirklich neue linke Politik steht. Da diese Chance leider nicht wahrgenommen wurde, setzt sich die SAV nun für einen eigenständigen Wahlkampf der WASG innerhalb des Bündnisses ein.

Den Preis der schnellen Einheit zur Bundestagswahl wird das Bündnis mit künftigen Zerreisproben bezahlen müssen. Schon ein halbes Jahr nach der Bundestagswahl steht die Landtagswahl in Berlin an. SAV und viele andere befürworten eine eigenständige Kandidatur gegen die Berliner Regierungs-PDS. Dies wurde vom Landesparteitag der WASG Berlin auch beschlossen.

Perspektive

Die selbsternannten Führer der neuen linken Formation wollen die aktuellen Probleme mit Antworten aus den 70er Jahren lösen. Sie denken mit einem bisschen Keynsianismus würde sich die Marktwirtschaft schon bändigen lassen. Sie erkennen nicht an, in welch einem Stadium der Kapitalismus sich befindet, welch zerstörerische Ausmaße der weltweite Konkurrenzdruck angenommen hat, der Wettlauf um die Märkte, die enorme Kapitalkonzentration und die Angst der Bourgeosie vor sinkenden Gewinnmöglichkeiten. Die programmatische Begrenzung und die Orientierung auf den Parlamentarismus könnte das neue Bündnis sehr schnell in eine Sackgasse treiben, sollte zum Beispiel Lafontaine entgegen seiner heutigen Aussagen schnelle Koalitions- oder Tolerierungsangebote an SPD und Grüne machen.

Der Einzug in den Bundestag ist für das Linksbündnis so gut wie sicher. Ein Prozentzahl über 10 wäre möglich. Die bürgerlichen Massenmedien werden sich nicht nehmen lassen sowohl auf die internen Widersprüche als auch auf den Stalinismus in der PDS hinzuweisen. Dennoch ist das Vakuum für eine Partei, die die Interessen von Arbeitnehmern, Rentnern und Arbeitslosen vertritt sehr groß. Der Haß gegen die etablierten Parteien wird dem Linksbündnis viele Stimmen zuspülen.

Eine Regierungsbeteiligung wurde von Lafontaine nur für diese nächste Wahl ausgeschlossen. Für den Verkauf ihrer Ideale haben die Grünen an der Macht 10 Jahre, die PDS 5 Jahre gebraucht. Eine neue Formation wird von der Bevölkerung sehr kritisch beobachtet werden und weniger Zeit bekommen.

Auf der anderen Seite könnten die Führer des Linksbündnises von sozialen Protesten und der Stimmung in der Arbeiterklasse weiter nach links gedrückt werden, als ihr heute vielleicht lieb ist. Die CDU hat eine Kopfpauschale im Gesundheitswesen, Mehrwertsteuererhöhung und die Aufweichung des Kündigungsschutzes und der Mitbestimmung in den Betrieben angekündigt. Die Bourgeoisie wird erwarten, dass sie die rotgrünen Reformen nun konsequent weitertreibt. Den Widerstand dagegen wird die Gewerkschaftsführung unter einer schwarzen Regierung nicht mehr zurückhalten können.

Die Oppositionsrolle auch im Falle einer Großen Koalition gibt Lafontaine und den anderen Abgeordneten die Möglichkeit, links zu reden, ohne viel tun zu müssen. Bei einer CDU-geführten Regierung mit einer SPD-Opposition ist es möglich, dass sich WASG/PDS weiter links geben müssen, um sich zu profilieren.

Dies würde die schon in Ansätzen bestehende Aufbriuchstimmung verstärken.Die Massenbewegung im letzten Jahr gegen Hartz IV, der Widerstand in den Betrieben gegen Agenda 2010, Lohnkürzung, Entlassungen und Stilllegungen findet nun seinen politischen Ausdruck. Der angestauten Wut der letzten Jahre wird eine politische Form gegeben. Das Vakuum für eine solche Partei ist nicht zu übersehen.

Gegenargumente zum neoliberalen Einheitsbrei und die Angst vor einer CDU-Regierung werden in der Öffentlichkeit zu einer enormen Politisierung sorgen. Millionen Menschen werden nach den Jahren der Gehirnwäsche, in denen in jeder Talksendung und in jedem Politmagazin die gleichen neoliberalen Phrasen wider gekäut wurden, endlich einmal andere Ideen diskutieren. Der Verwirrung und Alternativlosigkeit, die bisher vorherrscht kann wird Hoffnung entgegengesetzt. Die neuen Entwicklungen werden eine Ermutigung für Widerstand und öffentliche Proteste darstellen. Wenn es einen kämpferischen Wahlkampf gibt, werden tausende ArbeiterInnen, Erwerbslose und Jugendliche den Weg zur WASG suchen, in der sie sich aktiv einbringen können.

Die Dynamik, die nun im Bundestagswahlkampf einsetzt muss von Sozialisten genutzt werden. Eine Anpassung an die PDS-Politik kann verhindert werden, indem die WASG weiterhin als selbständige und eigenständige Partei aufgebaut wird. Ein linker und sozialistischer Flügel muß dafür sorgen, dass die WASG statt einer Orientierung auf die Parlamente, den sozialen Widerstand auf der Straße und in den Betrieben zu ihrem Schwerpunkt in der Arbeit macht.

Der Prozess der Bildung einer neuen Arbeiterpartei hat in Deutschland eine neue Dimension angenommen. Was lange nicht vorstellbar war, wird nun für viele greifbar. Die gemeinsame Kandidatur bietet Sozialisten bei allen Begrenzungen extrem gute Möglichkeiten, innerhalb der Wahlplattform für eine klare sozialistische und antikapitalistische Alternative einzutreten. Dies wird der Grundstein sein für eine neue Partei, die die Interessen der Arbeiterklasse in Deutschland wirklich vertritt.

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