Der Zusammenbruch 1989 …

… und wie wir ihn vor 10 Jahren bilanzierten

Über die Bewegungen in Osteuropa:"Als vor zehn Jahren Menschen in Deutschland, der ehemaligen CSSR, Rumänien, später in Russland, auf die Straße gingen, war keineswegs von Anfang an klar, wohin diese Entwicklung führen würde. Die wichtigsten Forderungen waren jene nach demokratischen Rechten, nach ‘demokratischem Sozialismus’. Der Wunsch nach Konsumgütern aus dem Westen war zwar da, aber nicht das einzige Anliegen der Bewegungen."
Über die stalinistischen Regimes: "Im Gegensatz zur ‘offiziellen’ Geschichtsschreibung in Ost & West waren die osteuropäischen Staaten niemals (real)sozialistisch. Sie sind Übergangsgesellschaften zwischen Kapitalismus und Sozialismus...’Sozialistisch’ waren ihre Eigentumsformen - also Staatseigentum an Produktionsmitteln, kombiniert mit einer geplanten Wirtschaft. Demgegenüber stand eine Bürokratie an der Spitze dieser Gesellschaft die das enorme Entwicklungspotential der Planwirtschaft zunehmend lahm legte. Planwirtschaft und Bürokratie sind nur für eine ‘Übergangsperiode’ zusammen existenzfähig...Der sich abzeichnende ökonomische Bankrott der Sowjetunion zu Beginn der 80er Jahre läutete das Ende dieser Übergangsperiode ein. Historisch standen zwei Optionen offen: Entweder die Beseitigung der Bürokratie durch eine politische Revolution von unten, oder eine Konterrevolution und die Rückkehr zum Kapitalismus. In den Bewegungen 1989-1991 waren beide Elemente vorhanden. Die Bewegungen begannen als politische Revolutionen gegen die Bürokratie und stürzten diese in wenigen Tagen. Sie waren aber nicht in der Lage, aus sich heraus eine politische Alternative zur kapitalistischen Konterrevolution zu entwickeln. Jahrzehntelange stalinistische Diktatur hatte nämlich gerade die wirklich sozialistischen Kräfte fast restlos beseitigt."
Über die politische Instabilität: "Die wirtschaftlichen Probleme und die große Unzufriedenheit mit den Ergebnissen der kapitalistischen Restauration führen zu wachsender Unzufriedenheit und bilden die Basis für politische Instabilität...In ganz Osteuropa wechseln die Regierungen häufig und radikal. Die Konzepte der verschiedenen Parteien unterscheiden sich nicht fundamental. Sie alle orientieren sich an den Wünschen und Bedürfnissen des ausländischen Kapitals und an den Auflagen der ausländischen Kreditgeber wie IWF und Weltbank. Die Bevölkerung wechselt ihr Stimmverhalten bei Wahlen häufig in der Hoffung, dass eine neue Regierung Verbesserungen bringen wird. Hoffnungen, die dann allerdings rasch enttäuscht werden…Die extremste Form der politischen Instabilität ist das Anwachsen nationalistischer Bewegungen, die in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion aber auch im ehemaligen Jugoslawien zu Kriegen und Bürgerkriegen geführt haben."

Reprint aus Vorwärts 96 (September 1999)
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