Der talentierte Lehrer und seine Feinde

... oder: sind jetzt die LehrerInnen an allem schuld?
Albert Kropf

Seit einigen Wochen ist das Thema Schule wieder in den Medien vertreten. Auslöser dafür war nicht die Veröffentlichung der neuen PISA-Studie. Es war das Erscheinen des Buches "Der talentierte Schüler und seine Feinde" von Andreas Salcher.

Es liegt am System!

Bei PISA schneidet Österreich schlecht ab. Dabei wird nicht auswendig gelerntes Wissen abgeprüft, sondern die Anwendung von Erlerntem. Das bricht mit vielen herkömmlichen Prüfungsmethoden, die auch heute noch z. B. zu 100 Prozent auf den Universitäten angewandt werden. Jedesmal gab es viel Diskussion, geändert hat sich allerdings noch nicht viel. Die verantwortlichen PolitikerInnen schieben sich seit Jahren gegenseitig den "Schwarzen Peter" zu. Dabei stand de facto außer Zweifel, dass der Grund für den Misserfolg ein "Systemfehler" ist. Bis jetzt.

Bequeme Parolen

Salchers Buch bietet  eine bequeme Lösung für die Verantwortlichen: Es liegt nicht an den politischen Weichenstellungen, sondern an den LehrerInnen. Seitdem hagelt es Kritik und Negativbeispiele werden aufgebauscht. Plötzlich gibt es auch schon viele "gute" Ideen, wie die Qualität der LehrerInnen (nicht der Schule oder Ausbildung!) gehoben werden. Ganz oben steht die "Qualitätskontrolle" für LehrerInnen. Von Zeit zu Zeit soll ausgesiebt werden. Zum Schutz für den talentierten Schüler - versteht sich. Das wären dann Großteils ältere LehrerInnen, bei denen z. B. die Burn-Out Rate eine der Höchsten im Vergleich zu anderen Berufsgruppen ist.

Die Gesellschaft ändert sich

Natürlich gibt es auch wirklich schlechte LehrerInnen. Jeder/m von uns fällt sofort eine/r aus der eigenen Schullaufbahn ein. Aber darum geht es jetzt nicht. Über die Schule und ihre Aufgaben wird diskutiert seit es die Schule gibt. Die Schule ist immer ein Spiegelbild unserer Gesellschaft. In ihr finden sich nicht nur alle gesellschaftlichen Trends wieder, sie sind teilweise sogar verstärkt. Eine Gesellschaft, die zunehmend auf Konkurrenzdruck aufgebaut ist, darf sich nicht wundern, wenn die Schattenseiten davon plötzlich auch in der Schule auftreten.
Auch die "heilige" Familie als Keim unserer Gesellschaft zerbricht an der Realität. Es gibt nur noch wenige Familien, wo nicht beide Elternteile arbeiten müssen, um die Familie über Wasser zu halten. Die durchschnittliche Arbeitszeit steigt durch Überstunden bzw. durch Menschen, die zwei oder drei Jobs zum Überleben brauchen. Da bleibt nicht mehr viel Zeit für die Kinder und deren Erziehung.
Vor 20 Jahren, als die SPÖ noch eine ArbeiterInnenpartei war, ist sie für eine verstärkte öffentliche Kindererziehung eingetreten. Die Frauen sollten auch die Möglichkeit nach einer Verwirklichung im Berufsleben haben - und noch wichtiger - sie sollten unabhängig(er) von den Männern werden. Für die ÖVP damals tabu. Heute aber gesellschaftliche Realität nur mit der wesentlichen Einschränkung, dass es nur unzureichende öffentliche Kindererziehung gibt!

Jugend ohne Perspektiven

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Perspektivenlosigkeit vieler Jugendlichen noch in der Schule. Die vor zwei Jahren wegen ihrer gewalttätigen SchülerInnen in Berlin bekannt gewordene Rütli-Schule zeigt sehr gut wohin die Reise geht. Die überwiegende Mehrzahl der AbgängerInnen dieser Schule, wusste, dass sie keine Chance auf einen Job oder Ausbildungsplatz hat. Und das mit 16 Jahren! Gewalt als Resultat von Perspektivenlosigkeit.
Eine Studie aus dem Frühjahr 2006 zeigt, dass auch in Österreich 41,5 % der 11- bis 15-Jährigen in den vergangenen Monaten zumindest einmal schikaniert wurden. 40,5 % der gleichen Altersgruppe war innerhalb eines Jahres an einer körperlichen Auseinandersetzung in der Schule beteiligt (Quelle: GÖD 3/2008).

Gewerkschaftsführung ohne Antworten

Fassen wir zusammen. Die Mehrzahl der Probleme an den Schulen sind keine schulspezifischen Probleme. Es sind Probleme der Gesellschaft, die sich in der Schule widerspiegeln. Sollen sie gelöst werden, müssen sie gesellschaftlich gelöst werden. Die Politik will nur den Druck auf die LehrerInnen erhöhen, was sie gestresster und damit sicher nicht besser macht.
Die Antworten, die von Seiten der Gewerkschaft (GÖD) gefunden wurden, gehen in die falsche Richtung oder kratzen nur an der Oberfläche. Natürlich müssen die jetzigen und bald kommenden Angriffe zurückgeschlagen werden. Die Forderung nach der Aufrechterhaltung eines "differenziertes" Schulsystem und einer Teilung der Wissensvermittlung in der Schule und die Erziehung als Aufgabe der Eltern, hat mit der Realität nichts mehr zu tun. Stattdessen braucht es eine Schulreform zu einer Gesamtschule mit integrierter Berufsorientierung und -ausbildung.

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