Der Klassenkampf

Jack London

Jack London - Als Romanautor bekannt geworden, war auch politisch aktiv. Bereits 1896 schloß er sich der Sozialistischen Arbeiterpartei Amerikas an, nach ihrer Spaltung der Sozialistischen Partei. Diese Seite Jack Londons wird natürlich von den bürgerlichen Verlagen verschwiegen, der größte Teil seiner sozialistischen Artikel und Schriften wurde nie ins Deutsche übersetzt und seit den 20er Jahren auch nicht wieder publiziert. Warum gerade diese Schrift von Jack London - “Der Klassenkampf”. Sie stammt aus einer Sammlung sozialistischer Essays, die Jack London im April 1905 bei Macmillan in New York unter dem Titel “Krieg der Klassen” herausbrachte, bis 1908 erschienen sechs Auflagen. Londons Aussagen (und Wörter) muß man natürlich kritisch im Licht der damaligen Zeit und der Entwicklung der Arbeiterbewegung und der Gesellschaft in den USA sehen. Auch Jack Londons Leben war sehr widersprüchlich, oft vermischen sich reaktionäre Ansichten mit seiner offensiven, sozialistischen Einstellung. In diesem Sinne verkörpert er auch die Entwicklung der nordamerikanischen Arbeiterbewegung. Seine politische Entwicklung muß man auch im Zusammenhang mit der Situation der Arbeiterbewegung, besonders der Sozialistischen Partei sehen. Dieser Text wurde zuerst im November 1903 in der linksgerichteten Zeitschrift “The Independent” in New York veröffentlicht. Jack London räumt mit der Vorstellung auf, daß es EIN Gemeinwohl gibt, daß Arbeiterschaft und Kapitalisten gleiche Interessen haben und daß es “Klassenfrieden” geben könnte. Die bürgerliche Ideologie verbreitet zwangsläufig diese Vorstellung, denn diese kapitalistische Gesellschaft funktioniert für die besitzende Klasse. Es stehen sich Kapital und Arbeiterschaft gegenüber, das hat sich seit Londons Zeit nicht geändert. Bevor wir jemand von der Notwendigkeit überzeugen können, daß diese kapitalistische Gesellschaft verändert werden muß, müssen wir diese Unversöhnlichkeit der Interessen von Kapitalisten und Arbeiterschaft in jedem Beispiel aufdecken.

Die internationale Gewerkschaftsbewegung hat viel durchgemacht - wir wollen aus ihren Erfahrungen lernen. Londons Text ist ein Ausgangspunkt, ein geschichtlicher Diskussionsbeitrag.

Der Klassenkampf

Unglücklicherweise oder auch nicht neigen die Menschen dazu, an eine solche Realität der Dinge zu glauben, wie sie sie gerne hätten. Das kommt von dem munteren Optimismus, der dem Leben selbst angeboren ist; mag er auch manchmal mißbilligt werden, so darf man ihn doch nie verurteilen, denn in der Regel führt er zu mehr Nutzen als Schaden und so ziemlich zu jeder Errungenschaft, die es in der Welt gibt. Es gibt Fälle, in denen dieser Optimismus unheilvoll war, wie bei den Leuten, die in Pompeji lebten in den letzten, von den Vorläufern des Bebens erfüllten Tagen; oder bei den Aristokraten zur Zeit Ludwigs XVI.(1), die zuversichtlich erwarteten, daß die Sintflut über ihre Kinder oder ihre Kindeskinder hereinbrechen würde, aber niemals über sie selbst. Es ist jedoch kaum wahrscheinlich, daß der Fall von verrücktem Optimismus, den wir hier betrachten wollen, in einer solchen Katastrophe enden wird, während wir allen Grund haben anzunehmen, daß die große Veränderung, die sich jetzt deutlich in der Gesellschaft zeigt, auf ihrem Höhepunkt so friedlich und geregelt sein wird, wie bei ihrer gegenwärtigen Entwicklung.

Aus seinem angeborenen Optimismus heraus, und weil Klassenkampf eine verabscheuungswürdige und gefährliche Sache ist, behauptet das große amerikanische Volk einhellig, es gäbe keinen Klassenkampf. Wobei mit “amerikanischem Volk” die anerkannten und maßgeblichen Stimmen des amerikanischen Volkes gemeint sind, die Presse, die Kanzel und die Universität. Die Journalisten, die Prediger und die Professoren erklären praktisch einstimmig, daß so etwas wie ein Klassenkampf zur Zeit nicht stattfände und es in Zukunft erst recht niemals zu einem Klassenkampf in den Vereinigten Staaten kommen werde. Und diese Erklärung geben sie ständig angesichts einer Vielzahl von Fakten ab, die nicht so sehr ihre Aufrichtigkeit in Frage stellen, als vielmehr ihren Optimismus bekräftigen.

Man kann von zwei Seiten an das Thema Klassenkampf herangehen. Die Existenz dieses Kampfes kann theoretisch gezeigt oder durch Tatsachen belegt werden. Damit es in einer Gesellschaft Klassenkampf geben kann, muß es, erstens, eine Klassenungleichheit geben, eine obere Klasse und eine untere Klasse (gemessen an ihrer Macht); und zweitens müssen die Ventile verschlossen sein, durch welche die Stärke und Gärung der unteren Klasse früher einen Ausweg fanden.

Viele bestreiten energisch, daß es überhaupt Klassen in den Vereinigten Staaten gibt. Aber es ist unbestreitbar, daß, wenn sich eine Gruppe von Individuen bildet, deren Mitglieder durch gemeinsame Interessen zusammengehalten werden, die speziell ihre Interessen sind und nicht die Interessen von Individuen außerhalb der Gruppe, es sich bei einer solchen Gruppe um eine Klasse handelt. Die Kapitalseigner mit den von ihnen Abhängigen bilden eine derartige Klasse in den Vereinigten Staaten; das arbeitende Volk bildet eine ähnliche Klasse. Das Interesse der kapitalistischen Klasse ist zum Beispiel hinsichtlich der Einkommenssteuer dem Interesse der arbeitenden Klasse ganz entgegengesetzt und umgekehrt, was die Kopfsteuer (2) betrifft.

Wenn es zwischen diesen Klassen einen eindeutigen und wesentlichen Interessenskonflikt gibt, sind alle Faktoren vorhanden, die einen Klassenkampf ausmachen; aber dieser Kampf wird ruhen, wenn die starken und fähigen Angehörigen der unteren Klasse diese Klasse verlassen und sich den Reihen der oberen Klasse anschließen dürfen. Die Kapitalistenklasse und die Arbeiterklasse haben in den Vereinigten Staaten lange Zeit nebeneinander existiert; aber bis jetzt waren alle starken, energischen Angehörigen der Arbeiterklasse in der Lage, sich über ihre Klasse zu erheben und Kapitalbesitzer zu werden. Sie waren imstande, das zu tun, weil ein unentwickeltes Land mit einer expandierenden Grenze Chancengleichheit für alle bot. In der fast mit einer Lotterie zu vergleichenden Jagd nach dem Besitz riesiger Bodenschätze, die noch keinen Eigentümer hatten, und in der Ausbeutung der Schätze, bei der das Kapital gar nicht oder kaum unter Konkurrenzdruck stand (das Kapital selbst erwuchs erst aus der Ausbeutung), fand das fähige, intelligente Mitglied der arbeitenden Klasse ein Betätigungsfeld, wo es seinen Kopf für seinen eigenen Vorteil benutzen konnte. Anstatt entsprechend seiner Intelligenz und seinem Ehrgeiz unzufrieden zu sein und unter seinen Kollegen seinen Fähigkeiten entsprechend einen Geist der Revolte zu verbreiten, überließ er sie ihrem Schicksal und bahnte sich seinen Weg zu einem Platz in der oberen Klasse.

Aber die Tage der expandierenden Grenze, der lotterieartigen Jagd nach dem Besitz von Bodenschätzen und des Aufbaus neuer Industrien sind vorbei. Der äußerste Westen wurde erreicht, und eine enorme Menge von Surplus-Kapital streift auf der Suche nach lohnender Investition umher und erstickt die geduldigen Bemühungen der embryonalen Kapitalisten, durch langsamen Zuwachs aus kleinen Anfängen aufzusteigen, im Keim. Zu einer Chance nach der anderen wurde das Tor verschlossen - verschlossen für alle Zeiten. Rockefeller (3) hat die Tür zum Öl zugemacht, die American Tobacco Company zum Tabak und Carnegie zum Stahl. Nach Carnegie kam Morgan, der die Tür dreifach verschloß. Diese Türen werden sich nicht wieder öffnen, und vor ihnen bleiben Tausende von ehrgeizigen jungen Männern stehen, um den Anschlag zu lesen: KEIN DURCHGANG.

Und Tag für Tag werden mehr Türen verschlossen, während weiterhin ehrgeizige junge Männer geboren werden. Sie sind es, die, weil ihnen die Gelegenheit zum Aufstieg aus der Arbeiterklasse verwehrt ist, der Arbeiterklasse die Revolte predigen. Wäre er fünfzig Jahre später geboren worden, wäre Andrew Carnegie (4), der arme schottische Junge, vielleicht zum Vorsitzenden seiner Gewerkschaft oder eines Gewerkschaftsverbandes aufgestiegen; aber es ist ebenso sicher, daß er niemals der Erbauer von Hoestead und der Gründer zahlreicher Bibliotheken geworden wäre, wie es zutrifft, daß irgendein anderer Mann die Stahlindustrie entwickelt hätte, wenn Andrew Carnegie niemals geboren worden wäre.

Theoretisch sind also in den Vereinigten Staaten alle Faktoren vorhanden, die zu einem Klassenkampf führen. Es gibt die Kapitalisten und die arbeitende Klasse, deren Interessen zueinander im Widerspruch stehen, während die Arbeiterklasse nicht länger in dem Ausmaß geschwächt ist wie früher, als ihr das beste Blut und besten Köpfe entzogen wurden. Ihre fähigeren Mitglieder können nicht länger aus ihr aufsteigen und die große Masse führerlos und ohne Hilfe lassen. Sie bleiben und bilden die Führung.

Aber die optimistischen Sprecher des großen amerikanischen Volkes, die selbst gewiefte Theoretiker sind, lassen sich nicht von bloßer Theorie überzeugen. Daher muß die Existenz des Klassenkampfes auch durch Fakten bewiesen werden.

Wenn sich fast zwei Millionen Männer, die einander durch bestimmte, nur ihnen eigene Interessen verbunden sind, in einer starken Organisation zusammentun, um diese Interessen offensiv zu verfolgen, wird offensichtlich, daß die Gesellschaft eine feindselige und Krieg führende Klasse in sich trägt. Aber wenn die Interessen, die diese Klasse im Kampf verfolgt, scharf und wesentlich mit den Interessen einer anderen Klasse zusammenstoßen, entsteht ein Klassenantagonismus, und ein Klassenkampf ist das unvermeidliche Resultat. Allein eine große Arbeiterorganisation in den Vereinigten Staaten bringt es auf 1,700.000 Mitglieder. Es ist die American Federation of Labor (AFL), und außer ihr gibt es viele andere große Organisationen. Alle diese Männer haben sich zu dem freimütig bekannten Zweck vereinigt, ihre Lage zu verbessern ungeachtet des Schadens, der dadurch allen anderen Klassen zugefügt wird. Sie stehen in offenem Antagonismus zur kapitalistischen Klasse, und ihre Führer legen in ihren Manifesten dar, daß der Kampf niemals zu einem Ende kommen kann, bevor nicht die kapitalistische Klasse vernichtet ist. Ihre Führer werden diese letzte Feststellung zum großen Teil verneinen, aber eine Prüfung ihrer Äußerungen, ihrer Handlungen und der Situation wird einem solchen Dementi zuvorkommen. In erster Linie geht es bei dem Konflikt zwischen Arbeit und Kapital um die Teilung des gemeinsamen Produkts. Kapital und Arbeit bearbeiten das Rohmaterial und machen daraus ein fertiges Produkt. Die Differenz zwischen dem Wert des Rohmaterials und dem Wert des fertigen Produkts ist der Wert, den sie durch gemeinsame Anstrengung hinzugefügt haben. Dieser hinzugefügte Wert ist deshalb ihr gemeinsames Produkt, und um die Aufteilung dieses gemeinsamen Produkts geht der Kampf zwischen Kapital und Arbeit. Die Arbeit nimmt ihren Anteil in Form von Löhnen. Das Kapital nimmt seinen Anteil als Profit. Es ist offenkundig, daß die Arbeit zugrunde gehen würde, nähme das Kapital das ganze Produkt als Profit. Und es ist ebenso offensichtlich, daß das Kapital zugrunde ginge, wenn die Arbeit sich das ganze gemeinsame Produkt als Lohn aneignen würde. Aber das letztere ist genau das, wonach die Arbeit trachtet und daß sie niemals mit weniger zufrieden sein wird als mit dem ganzen gemeinsamen Produkt, wird deutlich aus den Worten ihrer Führer.

Samuel Gompers, Präsident der American Federation of Labor, hat gesagt: “Die Arbeiter wollen mehr Löhne; mehr von den Annehmlichkeiten des Lebens; mehr Freizeit; mehr Chancen zur Selbstverwirklichung als Menschen, als Gewerkschafter, als Bürger. Das waren unsere Ansprüche gestern; dies sind unsere Ansprüche heute; dies werden unsere Ansprüche morgen und übermorgen sein. Der Kampf mag neue Formen annehmen, aber er hat das uralte Ziel, - das Bestreben der Produzenten, ein zunehmendes Maß von dem Reichtum zu bekommen, der aus ihrer Produktion erwächst.”

Mr. Henry White, Sekretär der Textilarbeitergewerkschaft (United Garment Workers of America) und Mitglied des Industriekomitees der Nationalen Bürgerföderation (Industrial Commitee of the National Civic Federation), sagte in einer Rede vor der Nationalen Bürgerföderation kurz nach ihrer Gründung: “Sich in die Arme zu fallen, Freundschaft zu bekennen, Bedauern über das geschehene Unrecht auszudrücken, würde die Fakten, die die Situation kennzeichnen, nicht ändern. Die Arbeiter werden weiterhin mehr Bezahlung fordern, und der Unternehmer wird ihnen natürlich Widerstand leisten. Die Bereitschaft und Fähigkeit der Arbeiter zu kämpfen, wird wie gewöhnlich, zum großen Teil die Höhe ihrer Löhne oder ihren Anteil am Produkt ihrer Arbeit bestimmen... Aber der Haken liegt in der Aufteilung des Produzierten. Wir können auch anerkennen, daß es umso besser ist, je größer das Produkt durch die Anwendung arbeitssparender Maßnahmen wird, weil dann mehr zum Teilen vorhanden sein wird; aber wieder ist da die Frage der Teilung... Ein Schlichtungskomitee, welches das Vertrauen der Gemeinschaft genießt und das sich aus Männern zusammensetzt, die praktische Kenntnisse über die Vorgänge in der Industrie besitzen, kann deshalb helfen, diesen Antagonismus zu mildern, vermeidbare Konflikte zu verhindern, einen Waffenstillstand herbeizuführen; ich verwende das Wort “Waffenstillstand”, weil es nur zeitweise Verständigung geben kann.”

Hier ist ein Mann, der vielleicht Vieh auf tausend Hügeln besessen hätte, ein Holzbaron oder ein Eisenbahnkönig gewesen wäre, wenn er ein paar Jahre früher geboren wäre. So wie die Dinge jetzt liegen, bleibt er in seiner Klasse, ist Sekretär der United Garment Workers of America und ist so tief durchdrungen vom Klassenkampf, daß er von der Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit in der Terminologie des Krieges spricht, - Arbeiter kämpfen mit Arbeitgebern; es ist möglich, einige Konflikte zu vermeiden; in einigen Fällen mögen, vorläufig, Waffenstillstände erreicht werden.

Da der Mensch ein Mensch ist und ziemlich wenig den Engeln gleicht, ist der Streit über die Teilung des gemeinsamen Produkts unversöhnlich. In den letzten zwanzig Jahren gab es in den Vereinigten Staaten im Durchschnitt mehr als tausend Streiks pro Jahr; und Jahr für Jahr nimmt das Ausmaß dieser Streiks zu, und die Schlachtreihe der Arbeiterarmee wird imposanter. Und das ist Klassenkampf, klipp und klar. Die Arbeit kämpft als Klasse mit dem Kapital als Klasse. Die Arbeiter werden weiterhin mehr Bezahlung verlangen und die Unternehmer werden sich ihnen weiterhin widersetzen. Das ist der Leitgedanke des Laissez faire, - jeder für sich und den letzten hole der Teufel. Gerade darauf gründet der zügellose Individualist seinen Individualismus. Es ist die Laß-mich-in-Ruhe-Politik, der Kampf ums Dasein, der den Starken stärkt, den Schwazer stört und eine feinere und fähigere Menschenrasse hervorbringt. Aber die Zeit des Individuums ist vorüber und die Gruppe ist an seine Stelle getreten, ob man das nun besser oder schlechter findet, und der Kampf wird heute nicht zwischen Individuen, sondern zwischen Gruppen ausgetragen. So erhebt sich die Frage: Hat der Individualist niemals damit gerechnet, daß die Gruppe der Arbeiter stark genug werden könnte, um die Gruppe der Kapitalisten zu vernichten und die Maschinerie der Industrie für sich selbst einzusetzen? Und weiter, hat der Individualist niemals darüber nachgedacht, daß dies immer noch ein triumphaler Ausdruck von Individualismus sein würde - von Gruppenindividualismus -, wenn diese Verwechslung der Begriffe gestattet ist.

Aber die Tatsachen des Klassenkampfes sind tiefer und bedeutsamer, als wir bis jetzt gezeigt haben. Es können sich vielleicht eine Million Arbeiter zur Verfolgung ihrer Interessen organisieren, was zu Klassengegensatz und -kampf führt, ohne daß sie sich bewußt sind, was da im Gange ist. Aber wenn vielleicht eine Million Arbeiter unmißverständliche Zeichen dafür setzt, daß sie sich ihrer Klassenzugehörigkeit bewußt sind, - kurz gesagt, daß sie klassenbewußt sind -, dann wir die Lage ernst. Der kompromißlose und furchtbare Haß des Gewerkschafters gegen den Streikbrecher ist der Haß einer Klasse gegen einen Verräter an dieser Klasse, während der Haß eines Gewerkschafters auf die Miliz der Haß einer Klasse auf eine Waffe ist, die von der gegnerischen Klasse gehandhabt wird. Kein Arbeiter kann seiner Klasse treu sein und zugleich Mitglied der Miliz: das ist die Maxime der Arbeiterführer.

In der Heimatstadt des Autors werden die guten Bürger, wenn sie eine Parade zum 4. Juli (5) aufstellen und die Gewerkschaften zur Teilnahme einladen, von den Gewerkschaften in Kenntnis gesetzt, daß sie nicht in der Parade mitmarschieren werden, wenn die Miliz mitmarschiert. Artikel 8 der Satzung der Gewerkschaften der Maler und Dekorateure von Schenectady legt feste, daß kein Mitglied “Milizionär, Sonderpolizeibeamter oder Bevollmächtigter (Deputy-Marshall) im Dienst von Gesellschaften oder Individuen bei Streiks, Aussperrungen oder anderen Arbeiskonflikten sein darf und daß jedes Mitglied, das eine der genannten Positionen inne hat, ausgeschlossen wird.” Mr. William Potter war Mitglied dieser Gewerkschaft und Mitglied der Nationalgarde. Das hatte zur Folge, daß er aus seiner Gewerkschaft ausgeschlossen wurde, weil er einer Anweisung des Gouverneurs gehorchte, als seine Kompanie den Befehl bekam, einen Aufruhr zu unterdrücken. Außerdem verlangte seine Gewerkschaft von seinem Arbeitgebern, Shaffer & Barry, ihn aus ihrem Dienst zu entlassen. Dem beugten sie sich, um den angedrohten Streik zu vermeiden.

Mr. Robert L. Walker, erster Leutnant der Light Guards, einer Milizeinheit in New Haven, quittierte vor kurzem den Dienst. Als Grund gab er an, er sei Mitglied der Automobilarbeitergewerkschaft, und die Mitgliedschaft in beiden Organisationen vertrüge sich nicht. Vor kurzem quittierte während eines Streiks der Straßenbahnfahrer von New Orleans eine ganze Kompanie der Miliz geschlossen den Dienst, als sie aufgerufen wurde, Nichtgewerkschafter zu schützen. Mr. John Mulholland, der Präsident der Internationalen Assoziation der Vereinigten Metall-Mechaniker (International Association of Allied Metal Mechanics), hat klargestellt, daß er nicht möchte, daß die Mitglieder seiner Gewerkschaft der Miliz beitreten. Die Local Trades’ Assembly von Syracuse, New York, hat einstimmig eine Resolution verabschiedet, in der Gewerkschaftsmitglieder, die Angehörige der Nationalgarde sind, bei Strafe des Ausschlusses aufgefordert werden, den Dienst zu quittieren. Die Vereinigte Blecharbeiter-Assoziation (Amalgamated Sheet Metal Workers’ Association) hat in ihre Satzung eine Ergänzung aufgenommen, nach der “jedes Mitglied der regulären Armee oder der Staatsmiliz oder der Marine-Reserve” von der Mitgliedschaft in ihrer Organisation ausgeschlossen wird. Die Arbeiterföderation von Illinois (Illinois State Federation of Labor) verabschiedete vor kurzem auf ihrem Gewerkschaftstag ohne Gegenstimme eine Resolution, in der erklärt wird, daß die Mitgliedschaft in militärischen Organisationen eine Verletzung von Gewerkschaftspflichten darstelle, und in der alle Gewerkschaftsmitglieder aufgefordert werden, die Miliz zu verlassen. Der Präsident der Föderation, Mr. Albert Young, erklärte, daß die Miliz nicht nur für die Gewerkschaften, sondern für alle Arbeiter im ganzen Land eine Bedrohung sei.

Man könnte Tausende solcher Beispiele anführen. Die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter werden sich ihrer Klassenzugehörigkeit und des Kampfes bewußt, den ihre Klasse mit der kapitalistische Klasse führt. Mitglied der Miliz zu sein, bedeutet Verräter an der Gewerkschaft zu sein, weil die Miliz eine Waffe ist, die von den Unternehmern benutzt wird, um die Arbeiter im Kampf zwischen den kriegführenden Gruppen niederzuschmettern.

Ein anderes interessantes und sogar noch gewichtigeres Stadium des Klassenkampfes ist sein politischer Aspekt, wie er von den Sozialisten entfaltet wird. Fünf Menschen, die zusammenstehen, mögen Wunder vollbringen; wenn 500 Männer marschieren, wie es die historischen Fünfhundert von Marseille taten, können sie einen Palast plündern und einen König stürzen; aber 500.000 Menschen, die leidenschaftlich den Klassenkampf propagieren, diesen Klassenkampf nach politischen Richtlinien führen und durch die moralische und intellektuelle Hilfe von weiteren 10 Millionen Menschen mit gleichen Überzeugungen in der ganzen Welt unterstützt werden, können doch wohl eine Wirkung entfalten, die dem Ausbruch des Klassenkampfes in unseren Vereinigten Staaten ziemlich nahe kommt. Im Jahre 1900 erhalten diese Menschen 150.000 Stimmen; zwei Jahre später, 1902, erhalten sie 300.000 Stimmen; und 1904 sind es 450.000 Stimmen. Hinter sich haben sie eine äußerst eindrucksvolle philosophische und wissenschaftliche Literatur; sie besitzen eigene illustrierte Magazine und Zeitschriften von hoher Qualität, Würde und großem Rückhalt, sie besitzen zahllose Tages- und Wochenzeitungen, die im ganzen Land zirkulieren, und einzelne Blätter, die Hunderttaussende von Abonnenten haben; und sie überschwemmen die arbeitenden Klassen buchstäblich mit einem Meer von Flugblättern und Broschüren. Keine politische Partei in den Vereinigten Staaten, keine kirchliche Organisation oder Missionsvereinigung hat so unermüdliche Arbeiter wie die Sozialistische Partei. Sie arbeiten für zwei, kennen keine Anstrengung und kein Opfer, das zu groß wäre, um es für die Sache zu bringen; und die “Sache” wird bei ihnen mit Großbuchstaben geschrieben. Sie arbeiten dafür mit religiösem Eifer und würden mit ähnlicher Bereitschaft wie die christlichen Märtyrer dafür sterben.

Diese Menschen predigen einen kompromißlosen und unerbitterlichen Klassenkampf. Sie sind in der Tat auf der Grundlage des Klassenkampfes organisiert. “Die Geschichte der Gesellschaft”, sagen sie, “ist eine Geschichte von Klassenkämpfen. Der Patrizier kämpfte gegen die Plebejer im frühen Rom; der König und die Bürger gegen die Adeligen im Mittelalter; später der König und die Adeligen gegen die Bourgeoisie; und heute ist der Kampf zwischen der siegreichen Bourgeoisie und dem aufsteigenden Proletariat entbrannt. Mit ‘Proletariat’ ist die Klasse von Leuten gemeint, die ihre Arbeitskraft für ihren Lebensunterhalt verkaufen müssen.”

“Daß das Proletariat siegen wird”, (man bemerke die fatalistische Note), “ist so sicher wie der Sonnenaufgang. Genauso wie die Bourgeoisie des achtzehnten Jahrhunderts Demokratie in der Politik wollte, so will das Proletariat des zwanzigsten Jahrhunderts Demokratie in der Industrie. Wie die Bourgeoisie über die Regierung klagte, daß sie von den Adeligen und zu deren Gunsten betrieben werde, so klagt das Proletariat die Regierung und die Industrie an, daß sie von der Bourgeoisie und für sie betrieben werden; und so wird sich das Proletariat in den Fußstapfen seiner Vorgängerin der Regierungsgewalt bemächtigen, Demokratie in der Industrie einführen, das Lohnsystem abschaffen, das nur ein legalisierter Diebstahl ist, und die Angelegenheiten des Landes nach seinem eigenen Interesse führen.”

“Ihr Ziel ist es”, sagen sie, “die Arbeiterklasse und diejenigen, die mit ihr sympathisieren, in einer politischen Partei zu organisieren mit dem Ziel, die Regierungsmacht zu erobern und sie zum Zwecke der Umwandlung des bestehenden Systems des Privatbesitzes der Mittel für Produktion und Verteilung in kollektiven Besitz des ganzen Volkes einzusetzen.”

Kurz gesagt ist dies der Schlachtplan dieser 450.000 Menschen, die sich “Sozialisten” nennen. Und angesichts der Existenz einer so kämpferischen Gruppe von Menschen kann der Klassenkampf von den optimistischen Amerikanern nicht so einfach geleugnet werden, da die sagen: “Ein Klassenkampf ist abscheulich. Sir, es gibt keinen Klassenkampf”. Der Klassenkampf ist da, und die optimistischen Amerikaner täten besser daran, sich für die Schlacht bereit zu machen, und ihn zu stoppen, anstatt untätig da zu sitzen und zu deklamieren, daß das, was nicht sein darf, nicht ist und niemals sein wird.

Aber die Sozialisten, auch wenn sie Fanatiker und Träumer sein mögen, legen eine Voraussicht und Einsicht und ein Organisationsgeschick an den Tag, das die Klasse, mit der sie sich im offenen Krieg befindet, beschämt. Weil ihnen ein schneller Erfolg versagt blieb, als sie bloße politische Propaganda betrieben, und weil sie herausfanden, daß sie sich dem intelligentesten und am leichtesten zu organisierenden Teil der Wähler entfremdeten, lernten die Sozialisten aus der Erfahrung und wandten ihre Energie der Gewerkschaftsbewegung zu. Die Gewerkschaften zu gewinnen, bedeutete beinahe, den Krieg zu gewinnen, und jüngste Ereignisse zeigen, daß sie weit mehr getan haben als die Kapitalisten, um in dieser Richtung voranzukommen.

Anstatt sich die Gewerkschaften zum Gegner zu machen, was früher ihre Politik gewesen war, kamen die Sozialisten zu einer Aussöhnung mit den Gewerkschaften. “Jeder gute Sozialist soll der Gewerkschaft beitreten, die für seinen Beruf zuständig ist”, lautet die Erklärung weiter. “Bohre von innen und übernimm die Gewerkschaftsbewegung.” Und diese Politik, die nur einige Jahre alt ist, hat Erfolge gebracht, die weit über ihre optimistischsten Erwartungen hinausgehen. Heute sind die großen Arbeitergewerkschaften durchsetzt von Sozialisten, “die von innen bohren”, wie sie ihre Unterminierungsarbeit bildlich bezeichnen. Bei der Arbeit und in der Freizeit, beim Geschäftstreffen und bei der Versammlung geht ihre hinterlistige Propaganda weiter. An der Seite des Gewerkschafters steht der Sozialist, der mit ihm sympathisiert, ihm mit Kopf und Hand hilft, wobei er darauf hinweist, ununterbrochen darauf hinweist, daß politische Aktion notwendig ist. Wie das Journal, eine republikanische Zeitung in Lansing, Michigan, bemerkte: “Die Sozialisten in den Gewerkschaften sind unermüdliche Arbeiter. Sie sind aufrichtig, energisch und aufopferungsvoll... Sie halten zur Gewerkschaft, arbeiten ständig und erzielen so Ergebnisse, die. gemessen an gewöhnlichen Maßstäben, in keinem Verhältnis zu ihrer Zahlt stehen... Ihre Sache gewinnt immer mehr Anhänger unter Gewerkschaftsarbeitern, und ihr langer Kampf für die Verwandlung der Föderation in eine politische Organisation wird wahrscheinlich erfolgreich sein.”

Sie lassen keine Gelegenheit aus, auf der Notwendigkeit der politischen Aktion zu beharren, auf die Notwendigkeit, sich der politischen Maschinerie der Gesellschaft zu bemächtigen, zu verweisen, um die Gesellschaft beherrschen zu können. Ein Beispiel dafür ist die Emsigkeit, mit der sich die amerikanischen Sozialisten auf die berühmte Taft-Vale-Entscheidung in England stürzten, die durchsetzen sollte, daß eine nicht zugelassene Gewerkschaft verklagt und ihr Vermögen mittels Gerichtsverfahren eingezogen werden konnte. Überall in den Vereinigten Staaten zogen die Sozialisten in ähnlicher Weise ihre Lehre daraus wie der “Social-Democratic Herald”, der den Gewerkschaftern riet, angesichts dieser Entscheidung damit aufzuhören, das Kapital mit Geld zu bekämpfen, woran es ihnen mangelte, und damit anzufangen, mit dem Stimmzettel zu kämpfen, der ihre stärkste Waffe sei.

Tag und Nacht, unermüdlich und unnachgiebig mühen sie sich für ihre selbstgestellte Aufgabe ab, die Gesellschaft zu unterminieren. Mr. M.G. Cunnif, der kürzlich eine vertrauliche Studie über die Gewerkschaftspolitik verfaßte, sagt: “Überall in den Gewerkschaften sickert der Sozialismus durch. Fast jeder zweite ist ein Sozialist, der predigt, die Gewerkschaftspolitik sei nur ein Notbehelf.” “Zum Teufel mit Malthus”, sagten sie ihm, “denn es werde die gute Zeit kommen, da jeder Mann mit seiner Familie in Wohlstand leben könne.” In einer Gewerkschaft mit zweitausend Mitgliedern fand Mr. Cunnif, daß alle Sozialisten waren, und nach seinen Erfahrungen mußte Mr. Cunnif gestehen, “ich lebte in einer Welt, die zeigte, daß die Fundamente unseres industriellen Lebens durch unaufhörliche Gärung von unten ins Wanken gebracht werden.”

Die Sozialisten haben schon die Föderation der Bergarbeiter des Westens (Western Federation of Miners), die Union der Hotel- und Restaurant-Bediensteten (Western Hotel and Restaurant Employees Union ) und die Nationalunion der Modellschreiner (Patternmakers National Union) übernommen. Die Bergarbeiter-Föderation des Westens erklärte kürzlich auf einem Gewerkschaftstag: “Der Streik konnte den arbeitenden Klassen ihre Freiheit nicht sichern; wir rufen daher die Arbeiter auf, sich wie ein Mann an der Wahlurne für ihre Freiheit zu schlagen... Über uns selbst stellen wir fest, daß wir dem Programm der unabhängigen politischen Aktion verpflichtet sind... Wir stimmen der Plattform der Sozialistischen Partei zu und akzeptieren sie als Erklärung der Prinzipien unserer Organisation. Wir rufen unsere Mitglieder individuell dazu auf, sofort mit der Organisation der sozialistischen Bewegung in ihren jeweiligen Städten und Staaten zu beginnen und in jeder Weise für die Förderung der Prinzipien des Sozialismus und der Sozialistischen Partei zu arbeiten. In Staaten, wo die Sozialistische Partei ihre Organisation noch nicht ausbauen konnte, empfehlen wir, daß von unseren Mitglieder jede Hilfe für dieses Ziel geleistet wird... Wir rufen deshalb dazu auf, daß Organisatoren, die fähig und in dem ganzen Programm der Arbeiterbewegung versiert sind, in jeden Staat geschickt werden, um die Notwendigkeit der Organisation auf dem politischen wie auf dem ökonomischen Gebiet zu propagieren.”

Die Kapitalistenklasse hat einen Schimmer von Ahnung des Klassenkampfes, der sich mitten in der Gesellschaft herausbildet; aber den Kapitalisten als Klasse scheint die Fähigkeit zur Organisierung, zum Zusammenschluß zu fehlen, so wie sie die arbeitende Klasse besitzt. Kein amerikanischer Kapitalist hilft jemals einem englischen Kapitalisten im gemeinsamen Kampf, während Arbeiter internationale Gewerkschaften gebildet haben, die Sozialisten eine weltweite internationale Organisation, und auf allen Seiten Raum und Rasse überbrückt werden im Bemühen, Solidarität zu erreichen. Symphatieerklärungen und, genauso wichtig, finanzielle Unterstützung, gehen hin und her über den Ozean, wo auch immer die Arbeiterbewegung regelrechte Schlachten liefert.

Aus verschiedenen Gründen fehlen der kapitalistischen Klasse dieser Zusammenhalt und diese Solidarität: Dabei steht der Optimismus, den der frühere Erfolg hervorgebracht hat, an erster Stelle. Und wiederum ist die kapitalistische Klasse gespalten; sie führt in sich selbst einen Klassenkampf von nicht unerheblichem Ausmaß, der dazu führt, sie zu verbittern und zu ermatten und die Lage zu verwirren. Der kleine und große Kapitalst liegen miteinander im Streit um das, was Achille Loria die “doppelte Aufteilung der Einkünfte” nennt. Ein ebensolcher Kampf wurde, wenn auch unter etwas anderen Bedingungen, zwischen den Großgrundbesitzern und den Fabrikanten Englands ausgefochten, als die einen die Annahme des Factory Act (Fabrikgesetz) durchsetzen wollten und die anderen die Aufhebung der Getreidegesetze.

Hier und da sehen jedoch bestimmte Mitglieder der kapitalistischen Klasse klar die gesellschaftliche Spaltung, an welcher der Kampf zu erscheinen beginnt, während die Presse und die Zeitschriften anfangen, gelegentlich ihre beunruhigte Stimme zu erheben. Zwei Bünde klassenbewußter Kapitalisten wurden gebildet, um auf ihrer Seite den Kampf zu organisieren. Wie die Sozialisten beschönigen sie die Dinge nicht, sondern stellen keck und offen fest, daß sie kämpfen, um die gegnerische Klasse zu unterwerfen. Es ist der Kampf der Barone gegen die Gemeinen. Einer dieser Bünde, die Nationale Industriellenvereinigung (National Association of Manufacturers) schreckt bei dem, was sie als Kampf auf Leben und Tod ansieht, vor nichts zurück. Mr. D.M. Parry, Vorsitzender der Vereinigung, außerdem Vorsitzender der Nationalen Metallhändlervereinigung (National Metal Trades’ Association), läßt nichts unversucht bei dem, was er als verzweifelte Bemühung empfindet, seine Klasse zu organisieren. Er hat den Ruf zu den Waffen in Worte gefaßt, die alles andere als zweideutig sind: “Noch ist Zeit in den Vereinigten Staaten, die Anwendung des sozialistischen Programms zu verhindern, das unser Land mit Sicherheit zugrunderichten wird, wenn wir es nicht aufhalten.”

Wie er sagte, geht es darum, “die Unternehmer zu verbünden, damit wir mit einer Einheitsfront allen Angelegenheiten begegnen können, die uns betreffen. Dazu müssen wir früher oder später kommen... Die Arbeit, die unmittelbar vor der Nationalen Industriellenvereinigung liegt, besteht darin: erstens, das verwerfliche Acht-Stunden-Gesetz zu Fall zu bringen; zweitens, die Anti-Injunction-Bill(6) zu verwerfen, die dir dein Geschäft nimmt und es in die Hände deiner Angestellten legt; drittens, die Annahme des Gesetzesentwurfs für das Ministerium für Handel und Industrie zu sichern; letzterer würde im Nu durchgehen, gäbe es nicht die einschüchternde Opposition der organisierten Arbeiterbewegung.” Dank diesem Ministerium, so meinte er weiter, “hätten die Interessen der Wirtschaft eine direkte und wohlwollende Vertretung in Washington.”

In einem späteren Brief, der an zahlreiche Kapitalisten außerhalb des Bundes gesandt wurde, weist der Vorsitzende Parry auf den Erfolg hin, den die Bemühungen des Bundes in Washington schon zu erzielen beginne. “Wir haben mehr als jede andere einflußreiche Gruppe zu der schnellen Annahme des neuen Gesetzes über das Handelsministeriums beigetragen. Man sagt, daß die Aktivitäten dieses Amtes zahlreich und befriedigend sind; aber darüber darf ich nicht zu viel sagen - oder besser überhaupt nichts... In Washington ist die Vereinigung kaum vertreten, weder direkt noch indirekt. Manchmal erfährt man in einer äußerst wirksamen Weise, daß sie mit Tatkraft und Geschlossenheit vertreten ist. Manchmal erfährt man nicht, daß sie überhaupt vertreten ist.”

Die zweite klassenbewußte kapitalistische Organisation heißt Nationaler Wirtschaftsbund (National Economic League). Er legt die Freimütigkeit von Männern an den Tag, die ihre Zeit nicht mit Worten vertrödeln, sondern sagen, was sie vorhaben, und sie beabsichtigten, einen langen und harten Kampf aufzunehmen. Ihr Einladungsschreiben an zukünftige Mitglieder beginnt kühn. “Wir gestatten uns, Sie zu informieren, daß der Nationale Wirtschaftsbund sich in den Dienst einer überparteilichen erzieherischen Bewegung gegen Sozialismus und Klassenhaß stellen wird.” Unter seinen klassenbewußten Mitgliedern, Männern, die erkennen, daß die ersten Schüsse des Klassenkampfes gefallen sind, seien die folgenden Namen erwähnt: Hon.(7) Lyman J. Gage, ehemaliger Finanzminister der USA; Hon. Thomas Jefferson Coolidge, ehemaliger Gesandter in Frankreich; Reverend(8) Henry C. Potter, Bischoff der New Yorker Diözese; Hon. John D. Long, ehemaliger Minister für die US-Marine; Hon. Levi P. Morton, ehemaliger Vizepräsident der Vereinigten Staaten; Henry Clews; John F. Dryden, Vorsitzender der Prudential-Lebensversicherung; John A. McCall, Vorsitzender der New Yorker Lebensversicherung; John L. Greatsinger, Vorsitzender der Brooklyn Rapid Transit Gesellschaft; die Schiffsbau-Firma von William Cramp & Söhne; die Southern Railway System und die Atchison, Topeka & Santa Fe-Railway Company (Eisenbahngesellschaft).

Beispiele für die beunruhigte redaktionelle Stimmung waren nicht selten in den letzten paar Jahren. Es gab viel Geschrei der Presse während der letzten Tage des Glanzkohle-Streiks, daß die Minenbesitzer durch ihre Halsstarrigkeit beklagenswerterweise den Samen des Sozialismus säten. Die World’s Work vom Dezember 1902 schrieb: “Die nächste wichtige Tatsache ist die Empfehlung der Arbeiterföderation von Illinois, daß alle Mitglieder der Gewerkschaften, die auch Mitglieder der Miliz sind, den Dienst bei der Miliz quittieren sollen. Dieser Vorschlag wurde von einigen anderen Arbeiterorganisationen mit Wohlwollen betrachtet. Er hat mehr als jede andere einzelne Erklärung oder Aktion der letzten Zeit dazu beigetragen, öffentliches Mißtrauen gegenüber den Gewerkschaften zu erregen, die ihn unterstützen. Er weist auf eine Klassenspaltung hin, die wiederum auf Anarchie hindeutet.”

Der Outlook vom 14. Februar 1903 bemerkt zu den Unruhen in Waterbury: “Daß dieser ganze Aufruhr in einer Stadt mit dem Charakter und der Intelligenz von Waterbury geschehen konnte, zeigt, daß der Kriegsgeist in der Industrie keineswegs auf die eingewanderten oder unwissenden Arbeiterklassen beschränkt ist.”

Präsident Roosevelt(9) hat den Rauch der Feuerzone des Klassenkampfes gerochen, wie aus seinen Worten deutlich wird: “Vor allem müssen wir uns daran erinnern, daß jede Art von Klassenfeindseligkeit im Bereich der Politik sich sogar noch zerstörerischer - wenn das noch möglich ist - auf das nationale Wohlergehen auswirkt, als regionalistisch, rassisch oder religiös begründete Feindseligkeit.” Zuallererst ist hier die stillschweigende Anerkennung der Klassenfeindschaft im Bereich der Industrie durch Präsident Roosevelt festzustellen und seine Furcht, die sprachlich nicht stärker ausgedrückt werden könnte, daß diese Klassenfeindschaft auf den politischen Bereich übergreift. Aber dies ist gerade Politik, welche die Sozialisten in ihrer Kriegserklärung gegen die gegenwärtige Gesellschaft angekündigt haben - die politische Maschinerie der Gesellschaft zu übernehmen und mit dieser Maschinerie die gegenwärtige Gesellschaft zu zerstören.

Der New Yorker Independent vom 12. Februar 1903 erkannte uneingeschränkt den Klassenkampf an. “Es ist unmöglich, die Methoden der Gewerkschaften richtig anzugehen, oder Pläne zu ersinnen, ohne anzuerkennen, daß die Gewerkschaften auf dem Gegensatz der Klassen beruhen und ihre Politik von den Notwendigkeiten der sozialen Kriegsführung bestimmt ist. Ein Streik ist eine Rebellion gegen die Inhaber des Eigentums. Die Eigentumsrechte werden von der Regierung geschützt. Und wenn eine bestimmte Aufreizung vorhanden ist, kann ein Streik so weit gehen, wie der Generalstreik in Belgien vor einigen Jahren, als praktisch die gesamte lohnabhängige Bevölkerung die Arbeit einstellte, um politische Zugeständnisse von den besitzenden Klassen zu erzwingen. Das ist ein extremer Fall, aber er zeigt anschaulich die wahre Natur der Arbeiterorganisationen, nämlich eine Art Kriegsdienst mit dem Ziel zu sein, daß eine Klasse die andere bezwingt.”

Es wurde theoretisch und praktisch gezeigt, daß es einen Klassenkampf in den Vereinigten Staaten gibt. Der Streit um die Teilung des gemeinsamen Produkts ist unversöhnlich. Die Arbeiterklasse verliert ihre stärksten und fähigsten Mitglieder nicht mehr. Diese Männer, denen der Raum für ihren Ehrgeiz in den Reihen der Kapitalisten versagt ist, bleiben und werden zu Führern der Arbeiter, um sie zur Unzufriedenheit anzuspornen, sie klassenbewußt zu machen, sie zur Revolte zu führen.

Diese Revolte, die spontan in allen Bereichen der Industrie in Form von Forderungen nach größerem Anteil am gemeinsamen Produkt auftritt, wird sorgfältig und schlau in Richtung auf einen politischen Angriff gegen die Gesellschaft gesteuert. Mit der Sorglosigkeit von Fatalisten zögern die Führer nicht einen Augenblick, ihre Absichten der ganzen Welt mitzuteilen. Sie beabsichtigen, die Arbeiterrevolte zur Übernahme der politischen Maschinerie der Gesellschaft hinzuführen. Wenn sie erst einmal die politische Maschinerie in der Hand haben, womit sie auch die Kontrolle über die Polizei, die Armee, die Marine und die Gerichte ausüben, werden sie, ob mit oder ohne Entschädigung, alle Besitztümer der kapitalistischen Klasse enteignen, die für die Produktion und Verteilung der notwendigen Dinge und der Luxusgüter gebraucht werden. Damit beabsichtigen sie, das Gesetz über die Enteignung aus Gemeinnutz auf das Land anzuwenden und seinen Anwendungsbereich so weit auszudehnen, daß er die Minen, die Fabriken, die Eisenbahnen und die Ozeanschiffe umfaßt. Kurz gesagt, sie beabsichtigen, die heutige Gesellschaft zu zerstören, von der sie behaupten, daß sie gemäß den Interessen einer anderen Klasse funktioniert, und aus den Elementen eine neue Gesellschaft aufzubauen, die ihren Interessen entspricht.

Auf der anderen Seite beginnt die Kapitalistenklasse, sich ihrer selbst und des Kampfes, der geführt wird, bewußt zu werden. Sie bildet bereits offensive und defensive Bündnisse, während sich einige der prominentesten Persönlichkeiten der Nation darauf vorbereiten, sie zum Angriff gegen den Sozialismus zu führen.

Es geht nicht um die Lösung der Frage des Malthusianismus (10), um die “Planung der Effizienz” oder um Ethik. Es handelt sich um eine Frage der Macht. Welche Klasse auch immer siegen wird, sie wird kraft ihrer überlegenen Stärke siegen; denn die Arbeiter beginnen zu sagen, so wie sie es gegenüber Mr. Cunnif taten: “Zum Teufel mit Malthus!” In ihren eigenen Vorstellungen finden sie keine Rechtfertigung für die Fortsetzung des individuellen Kampfes für das Überleben des Stärksten. Wie Mr. Gompers sagte, wollen sie mehr und immer mehr. Die ethische Vorstellung von Mr. Kidds Plan, wonach die heutige Generation sich mit weniger zufrieden geben solle, damit ein rassischer Nutzeffekt in einer fernen Zukunft erzielt wird, übt keinen Einfluß auf ihre Handlungen aus. Sie weigern sich, die “glücklichen Hundsfotte” zu sein, die von Nietzsche so glühend beschrieben werden.

Es bleibt abzuwarten, wie schnell die kapitalistische Klasse auf den Ruf zu den Waffen antworten wird. Von ihrer Schnelligkeit hängt ihre Existenz ab, denn wenn sie untätig sitzen bleibt und wahrsagerisch verkündigt, daß nicht sein kann, was nicht sein darf, wird sie erleben, wie ihr die Dachbalken über dem Kopf zusammenkrachen.

Die kapitalistische Klasse ist zahlenmäßig in der Minderheit und ist auf dem besten Wege, überstimmt zu werden, wenn sie der enormen Propaganda, die von ihrem Feind betrieben wird, nicht Einhalt gebietet. Es ist nicht länger die Frage, ob es einen Klassenkampf gibt oder nicht. Nun steht die Frage: Welchen Ausgang wird der Klassenkampf nehmen?

Fußnoten:

  1. Ludwig XVI., französischer König seit 1774, in

    der Revolution 1792 hingerichtet.

  2. Poll tax: ohne Bezahlung dieser Steuer kein

    Wahlrecht.

  3. John Davidson Rockefeller (1839-1937),

    Begründer einer der reichsten Industriefamilien der Welt, gründete 1872 die

    Standard Oil Company.

  4. Andrew Carnegie (1835-1919), einer der Begründer

    der amerikanischen Stahlindustrie, Hoestead liegt im Staat Pennsylvania, USA.

  5. Amerikanischer Nationalfeiertag,

    Unabhänigkeitstag.

  6. Beschneidet das Weisungsrecht der Kapitalisten.
  7. Hon. vor Eigennahmen bedeutet: “Der

    Ehrenwerte”, ein Titel, der heute nur noch bei Richtern im anglo-amerikanischen

    Recht gebräuchlich ist: “Euer Ehren”.

  8. Titel protestantischer Geistlicher.
  9. Theodor Roosevelt (1852-1919), Republikaner.

    Seit 1900 Vizepräsident, von 1901-1908 Präsident der USA.

  10. Thomas Robert Malthus (1777-1834) steht in der

    Tradition der englischen liberalen Wirtschaftstheorie. Sein “Essay on the

    Principle of Population...” (Versuch über das Bevölkerungsgesetz, 1798) gilt

    als eines der ersten Werke zur Bevölkerungssoziologie. Es war als Streitschrift

    gegen die Einführung einer gesetzlichen Armenfürsorge gedacht. Malthus nahm an,

    daß sich die Bevölkerung alle 25 Jahre verdopple und also in geometrischer

    Reihe anwachse, während die Nahrungsproduktion nur linear (in arithmetischer Reihe)

    zunehmen könne. Daraus folgte für Malthus, daß der Mensch die Wahl habe

    zwischen Enthaltsamkeit und Katastrophen wie Hungersnöten und Kriegen. Durch

    sie würden die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft umkommen, wodurch das

    Gleichgewicht zwischen Nahrung und Bevölkerung wiederhergestellt wird. Viele

    Sozialisten waren im 19. Jahrhundert und um die Jahrhundertwende von Malthus’

    Theorien beeinflußt, so zum Beispiel Ferdinand Lasalle, dessen “Eisernes

    Lohngesetz” ebenfalls malthusianische Züge trägt.