Das schöne Spiel zu einem viel zu hohen Preis

Interview mit Kevin Miles. Er ist internationaler Koordinator der englischen Football Supporters´ Federation und außerdem Mitglied der Socialist Party (Schwesterorganisation der SLP und Sektion des CWI in England und Wales). Momentan hält er sich mit der
John Reid, Autor des Buchs „Reclaim the Game“, interviewte Kevin

John Reid (JR): Es gab in England einen Aufschrei der Empörung darüber, dass eingefleischte England-Fans keine Karten für die Spiele ihres Teams bekommen hatten. Was sagst du zu den Ticketpreisen und der Art und Weise, wie die Eintrittskarten verkauft wurden?

Kevin Miles (KM): Trauriger Weise haben wir es hier mit einem Problem zu tun, das schon bei den letzten Turnieren vorhanden war. Die FIFA macht nicht den Eindruck, aus bereits gemachten Fehlern zu lernen. Die Rede ist von gut 40% der WM-Karten, die direkt bei den Sponsoren, in Gastgeschenken und bei nicht konkurrierenden Fußballverbänden landeten. Mit anderen Worten standen diese seitens der FIFA also erst gar nicht für die Fans zur Verfügung.

Das heißt zwar nicht, dass diese Eintrittskarten am Ende nicht auch bei „echten“ Fans angekommen sind. Es bedeutet aber, dass diese Fans Hunderte Pfund für Werbekosten mit bezahlen mussten, weil es nach unserer Erfahrung die Karten aus diesem Bereich waren, die am häufigsten auf dem Schwarzmarkt gehandelt wurden. Für die Karten zum Spiel England-Trinidad wurden beispielsweise 600,- € verlangt.

Der Schwarzhandel ist ein Skandal und er missbraucht die Liebe der Menschen für den Sport. Die meisten auf dem schwarzen Markt verkauften Karten stammten nicht von einzelnen Personen. Meist wurde der Verkauf von organisierten Cliquen in großem Stil betrieben.

Dennoch liefen alle Maßnahmen der FIFA, den Schwarzhandel zu bekämpfen, darauf hinaus, ausschließlich den Endverbraucher zu bestrafen. Sie zielten darauf ab, die Leute am Stadionbesuch zu hindern, die tatsächlich für die Karten gezahlt hatten.

Per Definition ist eine jede auf dem schwarzen Markt gehandelte Eintrittskarte eine Eintrittskarte, die ursprünglich von der FIFA einer Person zur Verfügung gestellt wurde, welche mehr Interesse daran hat, diese Karte zu Geld zu machen als sich selbst das Spiel anzusehen. Das ist das Wesentliche am schwarzen Markt.

Nur sehr wenige Eintrittskarten, die von England-Fans über die offiziellen Stellen erworben wurden, fanden ihren Weg auf den Schwarzmarkt. Ernsthafte Fußballfans würden sie niemals wieder für Geld hergeben.

Mikrokosmos

Beim Spiel Togo-Korea existierte eine Art Mikrokosmos des schwarzen Markts. McDonalds hatte ein Preisausschreiben über WM-Eintrittskarten ins Leben gerufen aber versäumt, ausreichend Flüge und Unterkünfte zu organisieren. Daher haben etliche Leute die von ihnen über McDonalds ergatterten Karten gar nicht erst eingelöst.

Als McDonalds realisierte, dass sie auf Hunderten von Eintrittskarten sitzen bleiben würden, gaben sie offiziell den Auftrag heraus, die Karten unter den Angestellten zu verteilen.

Tatsächlich aber vertrieben sie die Karten in der Innenstadt. Die Schwarzhändler waren die ersten, die diese Karten ergatterten. Sie gingen nach dem Verkauf einige Hundert Meter die Straße hinunter, um dieselben Karten dann für 200,- Pfund weiterzuverkaufen.

Es ist bewiesen, dass Sponsoren einfach zu viele Karten zugeteilt bekommen haben, dass sie nicht wirklich darauf Acht gaben, was am Ende mit den Karten geschehen würde und dass Eintrittskarten an Schwarzhändler gegangen sind. Genauso steht unter Beweis, dass letztere ein Vermögen damit machten.

JR: Generell hat man hier in England das Gefühl, dass die Stimmung unter den Fans ziemlich gut ist. Stimmt das?

KM: Die Atmosphäre ist sehr, sehr, sehr gut. Nach meiner Erfahrung ist der entscheidende Faktor, der bestimmt, ob ein Fußballturnier friedlich vonstatten geht oder nicht, das Verhalten der Polizei. Bei großen Menschenansammlungen ist es unvermeidlich, dass du auf alle möglichen Personen triffst. Und viele Leute trinken wesentlich mehr als ein vernünftiges Maß.

Entscheidend ist, ob die Polizei die ein, zwei geringfügigen Vorkommnisse als solche behandelt und ansonsten relaxed mit allen anderen Leuten umgeht oder ob sie die Dinge eskalieren lässt. Dann wird gegen ganze Gruppen von Menschen vorgegangen, egal, wer getroffen wird. Bisher fährt die deutsche Polizei die relaxte Schiene.

Es gibt eine Menge von England-Fans, die die Vorurteile gegen sie leid sind. Besonders leid sind sie die Konsequenzen, die das alles hatte: Ziemlich brutale Polizeieinsätze und Misstrauen sowie Feindseligkeit, die uns überall entgegengebracht wurde, wo wir hinkamen. Uns haftete in der Vergangenheit ein sehr schlechter Ruf an, der durch das unsägliche Verhalten einer kleinen Minderheit begründet wurde. In den letzten Jahren hat sich die Fangemeinde des englischen Nationalteams unheimlich verbreitert.

JR: Es ist nicht meine Meinung, aber viele behaupten, dass sich das Verhalten englischer Fans auch deshalb gebessert habe, weil mehr Leute aus der Mittelschicht dazu gestoßen sind. Wie siehst du das?

KM: Die Basis der englischen Fans ist breiter geworden. Dennoch ist der Anteil an Leuten aus der Mittelschicht, die die Nationalmannschaft unterstützen, gleich geblieben. Einige meinen, dass es nur Fans aus der Mittelschicht finanziell möglich war, der letzten WM in Japan beizuwohnen und dass das der Grund dafür gewesen sei, dass das Verhalten der Fans besser gewesen wäre.

Allerdings kam man nur an Karten des englischen Fußballverbands für die WM in Japan, wenn man sich für dessen sogenanntes Treue-System qualifiziert hatte. D.h. dass nur die Leute Tickets erhielten, die alle Qualifikationsspiele besucht hatten.

Natürlich waren es insgesamt weniger Leute, die sich das leisten konnten. Aber es ist das, wofür viele sparen wie für einen lang ersehnten Urlaub. Die WM alle vier Jahre ist das Ding.

JR: In England flattert die St. George"s Flagge (die englische Fahne mit dem roten Kreuz auf weißem Grund; Anm. d. Übers.) nicht nur inmitten der Hellhäutigen aus der Arbeiterklasse, sondern auch unter kleineren Teilen der dunkelhäutigen Menschen und denen mit asiatischer Abstammung. Wie ist dein Eindruck davon?

KM: Das St. George"s Kreuz wurde der extremen Rechten beständig entrissen. Der Ansatz, wonach englische Identität nationalistisch, fremdenfeindlich und rassistisch ist, ist vollkommen in den Hintergrund getreten.

Ich stehe auf einem Platz in Nürnberg und sehe, dass die meisten England-Fans immer noch hellhäutig sind. Allerdings sind mittlerweile auch viele darunter, die asiatischer Abstammung oder weiblich sind.

Die hellhäutigen Männer aus der Arbeiterklasse unterstützen immer noch das englische Team. Dennoch hat sich die Fangemeinde zweifellos darüber hinaus entwickelt. Fußballfans reflektieren alle anderen Tendenzen in der Gesellschaft und es wird weiterhin auch Rassisten unter den hellhäutigen englischen Fans geben. Der Gedanke jedoch, wonach man der St. George"s Fahne hinterher läuft und damit die extreme Rechte unterstützt, ist nicht mehr haltbar.

In all den Jahren, in denen ich diese Arbeit tue, ist die Stimmung insgesamt offener und freundlicher geworden. Es entwickelt sich auch im Laufe des Turniers weiter.

Beim ersten Spiel bemerken die Leute, dass sie sich im Ausland befinden und dass sie sich auch inmitten anderer Fans bewegen. Das ist dann der Moment, wo man sich von nationaler Identität weg bewegt. Und je länger das Turnier dauert, desto mehr mischen sich die Fans untereinander. Die Leute werden entspannter, besonders wenn sie nicht ständig auf Feindseligkeit treffen.

Im selben Augenblick existiert dann eine gesteigerte Identifikation mit der eigenen Nationalitätszugehörigkeit und die Wechselbeziehung zu anderen Nationalitäten – viel mehr als jemals sonst im Leben der einzelnen.

JR: Wie läuft das Projekt der Fan Embassy (Fan-Botschaft)?

KM: Wirklich gut. Je länger wir hier sind, desto mehr Zustimmung erfahren wir. Der Ansatz, dass es eine unabhängige Organisation von Fans für Fans gibt, wo man sich Tipps und Informationen holen kann, ist überaus beliebt geworden.

Der Grund dafür, warum uns ein so großes Vertrauen zukommt, ist, dass wir vollkommen unabhängig sind. Die Leute wissen, dass sie zu uns kommen können, egal wer sie sind.

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