Das Kleinbürgertum als Basis des Faschismus.

Marcus Volodarsky

Viele Theorien über das Wesen rechtsextremer und faschistischer Bewegungen führen den Faschismus einfach auf psychologische Merkmale oder die Leichtgläubigkeit von Menschen zurück, die sich in Krisenzeiten von DemagogInnen ansprechen lassen würden. Doch diesen Theorien fehlt ein Bezug auf die kapitalistischen Klassenverhältnisse, aus denen der Faschismus hervorgeht und auf die er sich stützt. Um den Faschismus zu verstehen, ist es aber nötig, auf seine sozialen Bedingungen einzugehen. Trotzki hat das Kleinbürgertum als Basis des Faschismus analysiert – eine bunte und widersprüchliche Mischung aus KleinunternehmerInnen, Gewerbetreibenden, höheren Beamten, Selbstständigen usw. Es existiert zwischen den zwei Hauptklassen, Proletariat und Bourgeoise, und schwankt dementsprechend zwischen ihnen. Es „will antikapitalistisch sein, ohne aufzuhören, kapitalistisch zu sein. Es will den schlechten Charakter des Kapitalismus zerstören, d.h. die Tendenzen, die es selbst ruinieren, und zugleich den 'guten Charakter' des Kapitalismus erhalten, der es ihm erlaubt, zu leben und sich zu bereichern.“ (Abraham Leon, Die jüdische Frage, 1940) Durch kapitalistische Krisen wird es verdrängt und bekommt Angst vor einer Deklassierung.
Wenn in Zeiten der schweren sozialen Krise die ArbeiterInnenbewegung auch unter einer politischen Krise leidet, die Führung also keinen revolutionären Ausweg zeigen und somit das Kleinbürgertum für einen gemeinsamen Kampf gewinnen kann, wird es für den Faschismus anfällig. Dieser verspricht ihm einen solchen „antikapitalistischen Kapitalismus“, vor allem durch den Antisemitismus: „Während er sich vor dem kapitalistischen System verbeugt, bekriegt der Kleinbürger den bösen Geist des Profits in Gestalt des polnischen Juden“ (Leo Trotzki, Porträt des Nationalsozialismus, 1933). Die kleinbürgerliche Basis ist auch bei heutigen rechtsextremen Bewegungen erkennbar: Eine von der Süddeutschen Zeitung veröffentlichte Untersuchung über die TeilnehmerInnen bei einer Pegida-Demonstration in Dresden 2015 ergab, dass sie überwiegend gut ausgebildet (28% hatten einen Hochschulabschluss) sind und über ein überdurchschnittliches Einkommen verfügen. Die Mitgliedschaft und Führung der FPÖ setzt sich stark aus KleinunternehmerInnen und AkademikerInnen (wie die Burschenschaften) zusammen.
Wenn sich die Krise radikal verschärft und nicht von links beantwortet wird, kann es in diesen Schichten ein faschistisches Potential geben, das zum Rammbock gegen die ArbeiterInnenbewegung eingesetzt werden kann: "Durch die faschistische Agentur setzt das Kapital die Massen des verdummten Kleinbürgertums in Bewegung, die Banden deklassierter, demoralisierter Lumpenproletarier und all die zahllosen Menschenexistenzen, die das gleiche Finanzkapital in Verzweiflung und Elend gestürzt hat." (Was Nun? 1932). An der Macht zerschlägt der Faschismus die ArbeiterInnenbewegung und alle ihre Organisationen zugunsten des Großkapitals – doch das Kleinbürgertum hat davon wenig bis nichts. Die versprochene Volksgemeinschaft erweist sich als Lüge, das Großkapital dominiert noch brutaler. Aus seiner zwiespältigen Position kann das Kleinbürgertum nur durch die Abschaffung aller Klassen durch den Sozialismus gerettet werden.

 

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