Di 01.06.1999
„Die Armut des Habens – wider den feigen Rückzug vor dem Neoliberalismus“ Unter diesem kämpferisch klingenden Titel haben die beiden Herausgeber des Buches, Erwin Weissel, Ökonom und Aktivist der Bewegung Rotes Wien, und Josef Schmee, Mitarbeiter der Arbeiterkammer, eine Reihe von AutorInnen versammelt.
Kurt W. Rothschild bringt die „neue Phase des Kapitalismus“ auf den Punkt: „das Paradox, daß wir (...) um ein Vielfaches produktiver und reicher sind als in den ‘goldenen’ Sechzigerjahren und trotzdem mit mehr ökonomischen und sozialen Problemen konfrontiert sind als damals, daß bei ständig steigendem Vermögen auf der einen Seite Armut und Arbeitslosigkeit auf der anderen zunimmt, daß soziale Errungenschaften, die in den weit ärmeren Zwanzigerjahren erkämpft wurden, zunehmend in Frage gestellt werden.(...)“
Es stellt sich die Frage nach den Lösungen. Gibt es ein Zurück zur „guten keynesianischen“ Wirtschaftspolitik – also einem (vermeintlich) gezügelten Kapitalismus mit Vollbeschäftigung? Muß die ArbeiterInnenbewegung wieder kämpferischer gegen das Kapital vorgehen oder muß der Sozialstaat umgebaut werden? Die AutorInnen geben zwar äußerst unterschiedliche Antworten, gemeinsam ist ihnen jedoch, daß sie sich in ihren Alternativkonzepten (sofern vorhanden) kaum über minimale Reformansätze hinaus bewegen.
Klaus Firlei etwa gibt sich ganz postmodern. Er bietet die soziale Grundsicherung als Lösung an. Der Autor führt die Einwände dagegen selbst an: Kapitulation vor der Massenerwerbslosigkeit und ärmliche Mindestsicherung. Trotzig hält er dem entgegen: Die Krise der Erwerbsarbeitsgesellschaft ist eine Chance zur Befreiung der Arbeit.
Wer das verstehen will, muß zuerst wissen: „Revolutionen sind unmöglich geworden. Die Klasse ist verschwunden. Die Konflikte gehen quer durch die Subjekte.“ Diese Analyse bringt uns offenbar nicht weiter, sondern in die Resignation.
Am anderen Rand des Spektrums der Beiträge steht der von Sepp Wall-Strasser, der den ÖGB von links kritisiert und anhand der Kampagne des ÖGB-Oberösterreich „Kapitalismus pur – uns reichts“ zeigt, wie man die sozialpartnerschaftliche Gewerkschaft durch Kampagnen wieder politisieren, die Basis motivieren und internationale Solidarität und Gewerkschaftskontakte herstellen kann.
Der Gesamteindruck des Buches hinterläßt gemischte Gefühle: Einerseits zeigt sich, daß es doch noch „Intellektuelle“ gibt, die sich dem neoliberalen Zeitgeist widersetzen, andererseits jedoch sind die Beiträge weitgehend vom Entwickeln einer gesamtgesellschaftlichen Gegenperspektive noch einen guten Schritt entfernt; dies sollte sich jedoch in kommenden Auseinandersetzungen ändern. Denn die „mutige Defensive“ ist zuwenig.
Promedia-Verlag
ISBN 3-85371-144-8