Anarchismus - Gar nicht so radikal

„Keine Macht für niemand!“
Simon Nagy

...so lautet eine der bekanntesten Parolen des Anarchismus. Der Anarchismus ist eine Idee, die aufgrund ihrer vermeintlichen Radikalität unter Jugendlichen wieder verstärkt Anklang findet.

Aber was steckt hinter der anarchistischen Weltanschauung? Anarchie ist griechisch und heißt Herrschaftslosigkeit. Dies ist nicht gleichzusetzen mit der oft chaotischen Vorangehensweise der Autonomen und AnarchistInnen auf Demos. Im Gegenteil: Anarchismus hat wie Sozialismus und Kommunismus eine klassenlose Gesellschaft ohne Unterdrückung, soziale Unterschiede, gesellschaftliche Zwänge oder bürgerliche Normen zum Ziel. Doch der Unterschied ist der Weg, zu diesem Ziel zu gelangen.

Propaganda der Tat

Das zentrale Mittel ist die „Propaganda der Tat“. Hier wird individuelles „Heldentum“ über eine kollektive und demokratische Organisierung und Aktivität von ArbeiterInnen und Jugendlichen gestellt. Durch Handlungen von Einzelnen sollen Ungerechtigkeiten aufgezeigt werden. Wie die Rote Armee Fraktion (RAF) – wenn auch im Selbstverständnis nicht anarchistisch, aber durchaus von selbigen bewundert - zeigt, ist die Konsequenz oft Gewalt gegen Objekte und Menschen, die aber am System kein bisschen ändert.

Frage der Organisation

Hier zeigt sich der große Unterschied: Bei der Russischen Revolution 1917 ist deutlich geworden, dass wütende Massen nicht genügen und es einer revolutionären, organisierten Kraft mit einem klaren Programm und demokratischen Strukturen bedarf. AnarchistInnen lehnen das ab, sie betrachten Parteien als an sich undemokratische, autoritäre Gebilde. Sie setzen auf eine „offene und flexible Organisation“. In der Praxis führt dieser „Pluralismus“ zu jeder Menge Problemen – und autoritären Entscheidungen. Entschieden wird nämlich von jenen, die am längsten in Plenas sitzen können (berufstätige Alleinerzieherinnen sind das in der Regel z.B. nicht). JedeR setzt individuell irgendwas um (oder auch nichts), es gibt kein gemeinsames Auftreten.

Genauso sehen AnarchistInnen auch Regierungen und Staaten: Sie betrachten sie nicht als den Ausfluss der jeweiligen wirtschaftlichen Machtverhältnisse, sondern als das Übel schlechthin. Während SozialistInnen die bürgerliche Regierung und den bürgerlichen Staatsapparat stürzen und durch eine ArbeiterInnenregierung und einen ArbeiterInnenstaat (also Demokratie in Gesellschaft UND Wirtschaft) ersetzen wollen, propagieren AnarchistInnen bloß, jegliche Staatsform müsse weg. Doch einen Plan zur Bewältigung dieser Aufgabe können sie nicht aufweisen.

Das Bewusstsein bestimmt das Sein?

Der russische Anarchist Berkman sagt: „Wenn Dein Ziel ist die Freiheit zu sichern, so musst Du lernen ohne Autorität und Zwang zu leben.“ Dabei wird aber ignoriert, dass auch links denkende Menschen im Kapitalismus unter materieller Abhängigkeit existieren und ihren Lebensstil nicht frei bestimmen. Hier wird die Arroganz der AnarchistInnen deutlich: Sich einfach ausklinken - für Menschen ohne Vermögen, aber mit Familie, vielleicht noch krank geht das nicht. Im Gegensatz dazu wollen MarxistInnen den Kapitalismus stürzen um die Grundlage für einen neuen, menschlicheren Menschen zu schaffen.

Radikal – oder einfach nur zukunftslos?

Anarchismus gibt sich als die radikalere Alternative zum Sozialismus aus. Doch was bewirkst Du, wenn Du auf einer Demo vermummt Steine auf PolizistInnen wirfst und dich bewusst von jeglichen organisierten Strukturen fernhältst? In Wahrheit ist Anarchismus keine Idee mit Zukunft, sondern bloß eine arrogante Einstellung einer abgehobenen Minderheit, die es sich leisten kann, ein „survival of the fittest“ ohne Regeln und Rechte auszuführen.

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