„Elemente einer vorrevolutionären Situation“

Interview mit Nikos Anastasiadis von Xekinima (Schwesterorganisation der SLP in Griechenland)

Vorwärts: Wie sind die Pläne der griechischen Regierung?

Nikos Anastasiadis: Der Plan ist alle drei Monate ein großes Kürzungspaket durchzusetzen. Sie wollen nicht alle Kürzungen auf einmal bekannt geben, weil sie wissen, dass das große Unruhen hervorrufen würde. Insgesamt wollen sie eine Gesellschaft wie in der Dritten Welt schaffen. Sie haben schon 30 % Lohnkürzungen und die Heraufsetzung der Kündigungsrate von 2% im Monat auf 4 % angekündigt (Zahl der Entlassungen im öffentlichen Dienst; Anm.). Sie wollen außerdem die Abfindungen kürzen und in mehrere Raten teilen. Sie heben die Mehrwertsteuer an und wollen die Pensionen senken.

Das große Thema jetzt ist auch die Pensionsreform, wo die Regierung versucht, über verschiedene Wege das Pensionsantrittsalter auf 65 bis 67 oder sogar 70 Jahre hochzusetzen und gleichzeitig die Höhe der Pensionen zu senken. Heute liegt das durchschnittliche Pensionsantrittsalter bereits bei 61,4 Jahren (das ist höher als in Österreich; Anm.)

V: Wie ist der Zustand der Bewegung?

NA: Wir können sagen, dass Griechenland in eine Phase getreten ist, die Elemente einer vor-revolutionären Situation hat. Die Wut ist wirklich groß innerhalb der arbeitenden Bevölkerung und Jugend. Wir sehen soziale Explosionen - in der Bildungsbewegung vor ein paar Jahren oder in den Dezembertagen 2008 und wir sehen sie jetzt. Der Generalstreik am 5. Mai war nur der Anfang einer ganzen Periode von Kämpfen der ArbeiterInnenklasse gegen die Kürzungspakete.

Die ArbeiterInnenbewegung sollte sich bewusst werden, dass dieser Streik der Anfang einer ganzen Periode des Widerstands werden sollte. Das sollte regelmäßige Generalstreiks beinhalten, die mit Streiks in verschiedenen Betrieben kombiniert werden, aber auch mit Besetzungen, wo das möglich ist. Das sollte auch verbunden werden mit Schul- und Unibesetzungen sowie Straßenblockaden durch Bäuerinnen und Bauern.

V: Es gab Berichte über die Gewalt in Athen und die drei toten Bankangestellten. Wie siehst Du dieses Ereignis?

NA: Der Tod der drei Bankangestellten hat eine Diskussion in der griechischen Gesellschaft eröffnet. Wir würden zuerst sagen, dass alle Gruppen, die diese Form von blinder Gewalt verwenden und Gebäude anzünden, eine Verantwortung für diesen Vorfall tragen. Es sind anarchistische Gruppen, die diese Methoden anwenden oder auch Provokateure, die vom griechischen Staat angeheuert werden. Man wird es wohl nie wissen, wer es war, aber es macht auch keinen Unterschied. Diese Methoden nehmen Todesopfer unter ArbeiterInnen in Kauf und sind kontraproduktiv für den Aufbau unserer Widerstandsbewegung.

Aber es gibt auch Verantwortung bei der Regierung und der Geschäftsleitung der Bank. Wenn die Regierung mit ihren Angriffen fortfährt, wird es zwangsläufig weitere Zwischenfälle von sozialen Explosionen und auch von blinder Gewalt geben. Eine direkte Verantwortung trägt der Boss der Bank. Er zwang die Angestellten dazu, an dem Streiktag zu arbeiten. Ihnen wurde gedroht, dass sie am nächsten Tag entlassen werden, wenn sie nicht erscheinen. Außerdem waren die Türen verschlossen und es gab keine vernünftigen Notausgänge. Und das obwohl bekannt war, dass Demonstrationszüge an der Bank vorbei ziehen würden und die Wahrscheinlichkeit von Angriffen auf das Bankgebäude hoch war.

Die Schlussfolgerungen, die die Bewegung jetzt daraus ziehen sollte, ist dass sie konkrete Schritte unternehmen muss, die Provokateure und solche Anarchisten zu isolieren, die für Gewalt sind. Wir müssen die Demonstrationen gegen Provokationen und gegen Polizeigewalt schützen und es wird ab jetzt einen OrdnerInnendienst geben.

V: Wie soll es weiter gehen? Wer soll für die Krise bezahlen?

NA: Nötig ist ein Forderungskatalog, angefangen bei der Forderung, die Schuldenzahlung zu stoppen bis zur Verstaatlichung des Bankensystems und der Verstaatlichung der größeren privatisierten Unternehmen ohne Entschädigung der großen Aktieneigner. Das soll mit einem Plan von massiven Investitionen im öffentlichen Sektor, Bildung und Gesundheit sowie einem Produktionsplan verbunden sein, um die Wirtschaft wieder zu beleben und Wachstum nach den Bedürfnissen der Beschäftigten zu schaffen. Das ist eine wirkliche Alternative zur Krise. Wenn wir den Vorschlägen der Regierung folgen, haben wir hier ein Dritte Welt Situation und trotzdem ist dann nicht sicher, ob man die Zahlungen an den IWF in drei Jahren begleichen kann und Griechenland würde dann pleite gehen, so wie es auch in Argentinien passiert ist.

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