„Amerika befindet sich im Krieg“: Wird der US-Imperialismus den Iran angreifen?

Am 16. März veröffentlichte US-Präsident George Bush in einem 49-seitigen Dokument die „neue nationale Sicherheitsstrategie“ der Vereinigten Staaten. Gegenüber dem Papier, das noch vor dem Krieg gegen den Irak veröffentlicht wurde, hat sich nicht viel geä
Toufan Azadi, CWI-Köln

Der erste Satz der Einleitung von US-Präsident Bush macht die Ausrichtung des gesamten Programms deutlich: „Amerika befindet sich im Krieg.“ Vor diesem Hintergrund muss auch die neue Eskalationsstufe zwischen USA und dem Iran bewertet werden.

Das iranische Atomprogramm

Seit einigen Monaten verschärft sich der Ton zwischen Washington und Teheran. Die iranische Regierung besteht auf die Fortsetzung ihres Atomprogramms, offiziell zu Forschungszwecken. Für die Entwicklung von iranischen Atomwaffen gibt es bisher keine Fakten. Der Chef der Atomenergie-Organisation IAEO, El-Baradei, konnte „keine Anzeichen“ für die Entwicklung von waffenfähigem Material feststellen.

Während Condoleezza Rice den Iran zur „größten Bedrohung für die freie Welt“ erklärt, wird das Land von Atommächten umzingelt. Kürzlich haben die USA Indien unter die Arme gegriffen und außer der Lieferung modernster Atomwaffentechnologie Verträge über umfassende Waffengeschäfte abgeschlossen. Als Reaktion auf die Atommacht Indien hat die Militärdiktatur in Pakistan angekündigt, ebenfalls atomar aufzurüsten. Auch die Türkei will nachziehen. In Israel sind schätzungsweise 200 Atomraketen stationiert, in Russland 2.000.

Die iranische Bevölkerung kann sich durchaus bedroht fühlen. Der iranische Präsident Ahmadinedschad genießt für das Nuklearprogramm die Unterstützung der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung. In seiner Propaganda erklärt er, dass „das iranische Volk sich das Recht auf Forschung“ nicht nehmen lasse, solange „Staaten ganze Völker unterdrücken und Atomwaffen auf sie richten“. Es ist dennoch wahrscheinlich, dass die Machthaber in Iran die Herstellung von Nuklearwaffen anstreben. Ob und wann das gelingt, ist nicht abzusehen.

UNO, EU und USA

Seit einigen Wochen berät der Uno-Sicherheitsrat das weitere Vorgehen. Dabei wird deutlich, dass es unter den Hauptakteuren Deutschland und den fünf Vetomächten unterschiedliche Positionen gibt. Während Deutschland und Frankreich den Iran durch die Drohung von Sanktionen zum Einlenken bewegen wollen, setzen USA und Großbritannien auf eine härtere Konfrontation. Bislang haben sich Frankreich, Großbritannien und die USA auf einen Resolutionsentwurf geeinigt, der noch keine Strafmaßnahmen vorsieht. Dieser wird auch von Deutschland unterstützt. China und Russland, auch mit Vetorecht ausgestattet, streben bisher eine „diplomatische Lösung“ an und warnen davor, dass Resolutionen gegen den Iran die Lage eskalieren lassen könnten.

Die Londoner Times veröffentlichte kürzlich Details eines Strategiepapiers von John Sawers, Staatsekretär im britischen Außenministerium, für seine amerikanischen, deutschen und französischen Kollegen. Sein Vorschlag besteht darin, ein Angebot an die iranische Regierung zu wiederholen, das von ihr bereits im August 2005 abgelehnt worden war, welches um einige „wirtschaftlichen Anreize“ zu ergänzen sei. Sollte das Angebot in Teheran erneut abgelehnt werden, wäre der Weg für Sanktionen und möglichen militärischen Handlungen eröffnet. Eine solche Eskalation wird vor allem von den USA immer wieder ins Spiel gebracht.

„Es hat den Anschein, dass die USA den Konflikt bewusst eskalieren lassen wollen“, sagte ein Diplomat am IAEO-Sitz in Wien. Immer wieder tönt es aus dem Weißen Haus und dem Pentagon, dass der Iran die momentan größte Bedrohung ist. „Das ist ein Test für den Rat“, sagte John Bolton, amerikanischer Botschafter bei den Vereinten Nationen. Wenn der Iran sein „aggressives Streben nach Nuklearwaffen“ nicht einstelle, „werden wir eine Entscheidung treffen müssen, was der nächste Schritt sein wird.“ Eine weitere Eskalation, ob mit oder ohne UNO, ist zu erwarten.

Konkurrierende Machtblöcke

Nachdem Saddam Hussein angekündigt hatte, Öl in Euro abzurechnen statt wie üblich in US-Dollar, begann bald darauf der Krieg gegen den Irak 2003. Nun hat auch die iranische Führung angekündigt, eine Internationale Ölbörse (International Oil Bourse – OIB) auf der Freihandelsinsel Kish im Persischen Golf in Betrieb zu nehmen, auf der Öl erstmals in Euro abgerechnet werden soll. Dieses Vorhaben Teherans wird von Washington als zusätzliche Provokation gesehen

Noch vor dem Anschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 formulierten die USA ihre strategischen Ziele für die kommenden Jahre. Das offizielle Sitzungsprotokoll des Unterausschusses Asien und Pazifik des US-amerikanischen Repräsentantenhauses aus dem Jahr 2000 lässt sich wie folgt zusammenfassen: Neuorganisierung der gesamten Region mit dem Ziel der Sicherung der Energieversorgung des Westens unabhängig vom russischen und iranischen Einfluss. Staaten mit „fantastischen Öl- und Erdgasvorräten“ in Zentralasien sollen der Einflusssphäre Russlands entzogen werden.

Iran auf dem Weg zur Regionalmacht

„Vor allem wollen die USA verhindern, dass ein einzelnes Land die Kontrolle über diese Region erlangt.“ In den letzten Jahren konnte der Iran seinen Einfluss ausbauen. Wirtschaftlich ist der Iran zu einem Faktor geworden. Er hat von 2002 bis 2004 die Einnahmen aus dem Export von 23,9 auf 33,9, also um zehn Milliarden Dollar erhöht. Der Hauptteil des Exports ist mit 80 Prozent nach wie vor das Öl und das Erdgas. Es haben aber auch die Einnahmen aus dem Export von Industrieprodukten zugenommen. Zwischen 2003 und 2004 konnten diese von 5,2 auf 6,6 Milliarden US-Dollar erhöht werden.

Auf Grund der momentanen Schwäche anderer Staaten im Nahen Osten rechnen sich die Machthaber in Iran Chancen aus, zu einer Regionalmacht aufzusteigen. Der Iran hat Zugang zu den wichtigen Ölquellen am Persischen Golf und im Kaspischen Meer. Gleichzeitig wächst der Einfluss der iranischen Mullahs auf die schiitische Bevölkerung im Süden des Irak, wo es ebenfalls Ölquellen gibt. Mit Atomwaffen würde Iran seinen Anspruch, eine Regionalmacht zu werden, auch militärisch unterstreichen.

Die Interessen der USA und des Iran geraten damit zunehmend aneinander. Auch die Meinungsverschiedenheiten innerhalb des Uno-Sicherheitsrates sind auf die unterschiedlichen strategischen und wirtschaftlichen Interessen zurückzuführen. Frankreich und vor allem Deutschland sind wichtige Handlespartner des Iran. Einer Neuorganisierung der ganzen Region unter der Vorherrschaft des US-Imperialismus stehen sie skeptisch gegenüber. Dennoch sind sie nicht daran interessiert, dass der Westen die Kontrolle über die Region verliert und Regionalmächte entstehen, die ihnen die Rohstoffquellen und Absatzmärkte streitig machen.

China und Russland

China und Russland sind die wichtigsten Konkurrenten der USA in der Region. Beim Staatsbesuch Putins in China Mitte März 2006 warnten die Staatsoberhäupter Russlands und Chinas andere Staaten vor Versuchen, „die Welt dominieren zu wollen“. Dies war eine klare Botschaft an die USA. Sowohl China als auch Russland unterhalten engere Beziehungen zu Iran und wollen außerdem gegen die Interessen der USA ihre Position in Zentralasien nicht schwächen. Vor dem Hintergrund bauen sie zunehmend gemeinsame diplomatische, wirtschaftliche und militärische Beziehungen auf, um einen Block gegen die USA und den Westen zu formieren. Bei dem erwähnten Staatsbesuch wurde beschlossen, den gemeinsamen Handel, der im vergangenen Jahr einen Wert von 29 Milliarden Dollar erreichte, bis 2010 auf das Doppelte zu steigern. Neben Rohstoffen verkauft Russland in großem Umfang auch Waffen an China. Immer mehr wird deutlich, dass die „Freunde“ von gestern ihre eigenen Machtansprüche auf Kosten der Anderen ausbauen. Zunehmende Blockbildung und wachsendes Eskalationspotenzial sind die Folgen und das gerade mal 16 Jahre, nach dem George Bush senior „eine Ära des Friedens und der Freiheit“ verkündet hatte.

„Neue nationale Sicherheitsstrategie“ der USA

Der Iran ist für Bush, Rumsfeld und Co. das nächste Glied in der Kette, um ihrem langfristigen Ziel der Neuorganisierung der Region in ihrem Interesse, näher zu kommen. In dem Dokument „Neue nationale Sicherheitsstrategie“ wird mehr oder weniger offen erklärt, dass der US-Imperialismus Interessen deutlich über den Streit im Bezug auf das iranische Atomprogramm hinaus verfolgt. „Die Atomfrage und unsere übrigen Befürchtungen können nur dann abschließend beigelegt werden, wenn das iranische Regime die strategische Entscheidung trifft, seine Politik zu ändern, sein politisches System zu öffnen und seiner Bevölkerung die Freiheit zu gewähren. Hierin besteht letztlich das politische Ziel der USA.“ Das bedeutet, dass der Iran pro-westlich werden muss. Die „Freiheit“ für die Bevölkerung, welche hier verlangt, wird ist relativ. Saudi-Arabien und Pakistan beispielsweise sind Diktaturen, mit denen das Weiße Haus keine Probleme hat, da sie ihm gegenüber loyal sind. Nachdem in dem Papier Iran (und Norkorea) als die Hauptbedrohung festgemacht wird, heißt es weiter: „ (...) schließen wir den Einsatz von Gewalt nicht aus, um einen Angriff zu verhindern, auch wenn Ungewissheit über Zeit und Ort eines feindlichen Angriffs herrscht.“ Das Recht auf Krieg, ohne bedroht zu werden, behalten sich die USA vor.

Die Strategen in Washington haben sich festgelegt: In Teheran soll ein Regimewechsel her. Der Weg dort hin ist noch nicht entschieden. Mitte Februar bat US-Außenministerin Condoleezza Rice um weitere 75 Millionen Dollar, um Oppositionsgruppen innerhalb und außerhalb des Irans zu finanzieren. Ein Artikel in der Washington Post enthüllte im März diesen Jahres, dass das US-Außenministerium dem Iran die höchste Prioritätsstufe einräumt und eine spezielle Regierungsabteilung in diesem Zusammenhang personell von zwei auf zehn Mitarbeiter aufgestockt wird.

Die US-Regierung dürfte momentan verschiedene Optionen durchgehen. Ein Militärschlag gegen den Iran hätte unkalkulierbare Folgen. Vor dem Hintergrund der katastrophalen Lage im Irak und der wachsenden Opposition an der „Heimatfront“ gegen Bushs Kriegspolitik dürfte jede andere mögliche Option bevorzugt werden. Über die Hälfte der US-Bevölkerung lehnt die Irak-Politik Bushs ab. Von einer Stabilisierung des Irak entfernt sich die US-Armee jeden Tag mehr. Gleichzeitig wächst im gesamten arabischen Raum der Hass gegen den Westen. Bei einem Militärschlag gegen den Iran könnte der ganze Nahe Osten außer Kontrolle geraten, mit unabsehbaren Folgen weltweit.

Da die US-Armee mit ihren Kräften im Irak völlig überlastet ist, kann sie derzeit nicht auch noch eine Invasion mit Bodentruppen gegen ein Land von 70 Millionen Menschen vornehmen.

Ahmadinedschad

Der seit Juli 2005 amtierende iranische Präsident Ahmadinedschad hat es mit sozialen Versprechungen und radikaler Rhetorik gegen Großkonzerne und Großmächte geschafft, eine Basis innerhalb der Bevölkerung aufzubauen. Die instabile Lage, wie sie unter der Präsidentschaft des Reformers Khatami vorherrschte, ist vorübergehend überwunden. Ahmadinedschad hat ein sehr weitgehendes Sozialprogramm versprochen: Junge Paare können zinsfreie Kredite aufnehmen, die sie in kleinen Raten zurückzahlen dürfen. In ländlichen Gebieten, in denen es zum Großteil noch nicht mal Abwassersysteme gibt, sollen Infrastruktur, Wasserleitungen und Elektrizität aufgebaut werden. Bildung und medizinische Versorgung soll für alle frei zugänglich sein. Mit solchen Versprechungen hat er es geschafft, dass ein Teil der iranischen Bevölkerung, vor allem die ländliche und städtische Armut, wieder Hoffnungen in den islamistischen Staat hat. Die wachsende Unterstützung Ahmadinedschads zeigt sich in Massendemonstrationen für die Regierung. Auch skeptischere IranerInnen sind momentan abwartend. Die Reformer haben jedes Vertrauen der Bevölkerung verspielt.

Ahmadinedschad ist und bleibt ein Reaktionär. Er vertritt nicht die Interessen der iranischen Bevölkerung. Mit seiner Rhetorik und seiner Politik versucht er nur in einer Phase der Konfrontation mit dem Westen die Unterstützung der Bevölkerung zu sichern. Noch glauben ihm viele. Die Grundlage für die momentane Unterstützung ist die wachsende Perspektivlosigkeit in den letzten Jahren und die Enttäuschung mit den Reformern. Allerdings gibt es derzeit auch wichtige betriebliche Auseinandersetzungen wie den Busfahrerstreik in Teheran. Zudem entwickelt sich eine kritischere Haltung gegenüber dem Regime unter vielen Jugendlichen. Das Potenzial für Widerstand gegen Unterdrückung und soziale Ungerechtigkeit ist auf jeden Fall vorhanden.

Allerdings existieren momentan keine nennenswerten oppositionellen Gruppen, die im Sinne von Bush und Co. agieren. Das Ziel des Regimewechsels in Iran kann also auf diese Weise nicht durchgesetzt werden, solange es keine solche Opposition gibt, die in der Bevölkerung eine Basis hat und solange Ahmadinedschad es schafft, die Unterstützung für seinen Weg aufrechtzuerhalten. Das kann bedeuten, dass die US-Regierung sich doch gezwungen fühlen könnte, militärisch einzugreifen.