Zwischen „dreckiger Zigeuner“ und „rassige Musiker“: Vorurteile und Diskriminierung

Die offizielle Politik findet schöne Worte – aber Geld für eine Verbesserung der sozialen Situation fehlt.
Sonja Grusch

Die Herkunft der Roma und Sinti ist umstritten, seit vielen Jahrhunderten leben sie in Europa. In vielen Ländern durften sie nur wenige Jobs ausüben – was das Herumziehen zu einer ökonomischen Notwendigkeit machte. Wo es ihnen möglich war, wurden sie sesshaft (z.B. im Burgenland seit über 400 Jahren). Sie waren, auch weil sie als Soldaten und Schmiede benötigt wurden, geduldet. Schon damals wurden sie aber auch verfolgt, u.a. von der – auch heute noch im Burgenland (einfluss)reichen – Familie Esterházy. Unter Maria Theresia und Josef II wurden die Roma und Sinti Ziel von Zwangsanpassungsprogrammen: Ihre Sprache und das Herumziehen wurde verboten, sie mussten in „Zigeuner-Häusern“ am Stadtrand leben, durften nur untereinander heiraten und die Kinder wurden ihnen weggenommen (eine Politik, die bis ins 21. Jahrhundert anhält und konträr zum Vorurteil ist, dass „die Zigeuner“ Kinder stehlen würden!). Die erzwungene Sesshaftigkeit steht auch in Zusammenhang mit der Etablierung eines starken Staates. Er wollte über „sein“ Staatsvolk Bescheid wissen und sah dieses je nach politischer, militärischer und wirtschaftlicher Notwendigkeit als Manövriermasse.

Auch in der Republik Österreich ging die Diskriminierung weiter. 1922 wurden im Burgenland per Erlass Roma und Sinti in ihren Heimatgemeinden festgehalten. 1925 wurden alle Roma und Sinti fotografiert. 1936 wurde in Wien die Internationale Zentralstelle gegen die „Zigeunerplage“ gegründet. Als die Nationalsozialisten 1938 auch in Österreich die Macht übernahmen, war die Vorarbeit schon geleistet. So waren sie z.B. im Burgenland in der „Zigeunerkartothek“ erfasst. Sie fielen nun unter die „Nürnberger Rassegesetze“. Die Vernichtungsquote bei Roma und Sinti war extrem hoch und wird auf bis zu 90 % geschätzt. Dies wohl auch, weil sie zu den Ärmsten gehörten und die für ein Visum – solange das überhaupt möglich war – nötigen Mittel fehlten. Aber nicht nur in Deutschland, auch von den Verbündeten wurden Roma und Sinti verfolgt und ermordet, in Jugoslawien, Frankreich, Italien, Ungarn. Insgesamt fielen geschätzte 300-600.000 Roma und Sinti dem Naziterror zum Opfer.

Entschädigung gab es nach 1945 kaum, dafür ging die Diskriminierung weiter – auch weil die Täter oft im Amt blieben, teilweise sogar als Gutachter bei Entschädigungsprozessen. Die meisten Roma und Sinti leben in Ländern, die nach 1945 vom Stalinismus beherrscht waren. Der Umgang war hier widersprüchlich. Sie wurden als Arbeitskräfte gebraucht, was einen gewissen sozialen Aufstieg ermöglichte. Es gab aber auch eine erzwungene Sesshaftmachung und eine Fortsetzung der Diskriminierung. Nach der Restauration des Kapitalismus gehörten Roma zu den ersten Opfern von Jobverlusten und sozialem Abstieg.

Von außen erzwungene „Wanderungen“ gab es im Zuge der Jugoslawienkriege, wo viele der Flüchtlinge nach Westeuropa Roma waren. Viele von ihnen leben seither in Westeuropa und sind immer wieder Opfer der Abschiebepolitik. Aber nicht nur die Vertreibung aus der neuen Heimat, sondern auch Verfolgung, bis hin zur Ermordung von Roma und Sinti kommen wieder häufiger vor. Im Februar 1995 wurden vier Roma in Oberwart/Burgenland bei einem Rohrbombenattentat getötet. Die dramatische soziale Lage der österreichischen Roma und Sinti ging damals durch die Medien. Angriffe und Berichte über die triste soziale Lage gibt es in ganz Europa.

Die Politik reagiert – zumindest formal: Wir befinden uns im „Jahrzehnt der Integration der Roma 2005-2015“, 2011 hat die Europäischen Kommission den „EU-Rahmen für nationale Strategien zur Integration der Roma bis 2020“ fixiert und der österreichische Ministerrat hat 2012 einen Beschluss zu seiner Umsetzung gefällt. Doch selbst die EU hat festgestellt, dass es zwar viele Beschlüsse und Vorschläge gibt, „sich an der Alltagssituation der meisten Roma wenig geändert [hat])“. Was logisch ist, da der Kern des Problems ein soziales ist. Die Arbeitslosigkeit bei Roma liegt in Kosovo/a bei fast 100 % – aber die Gesamtarbeitslosigkeit ebenfalls bei 45 %. Ist es da verwunderlich, wenn sich Menschen auf den Weg in andere Länder machen, um dort Arbeit zu finden? Und dass manche betteln, wenn sie keine Arbeit finden, kann auch wenig verwundern. Wobei die gesamte Betteldebatte eine verlogene ist. Nicht nur, dass Menschen für ihre Armut bestraft werden, es wird mit rassistischen Klischees und Vorurteilen gearbeitet. Es geistert eine „Bettelmafia“ durch die Medien. Für die gibt es aber, wenn konkret untersucht wird (wie eine jüngst in Salzburg veröffentlichte Studie zeigt), außer den Behauptungen der Politik wenig Anhaltspunkte. Und dass Politiker viel erfinden, um ihre rassistische Politik zu rechtfertigen, ist bekannt.

Natürlich gibt es überbelegte Wohnungen, in denen oft mehrere Familien auf engstem Raum zusammenleben – mit allen Problemen. Doch das liegt nicht daran, dass Roma und Sinti das so mögen, sondern dass sie wenig Geld haben und oft bei der Wohnungssuche diskriminiert werden. TrägerInnen von „typischen“ Roma-Namen“ oder Menschen die „so aussehen“, werden auch in Österreich 2013 bei Wohnen, Jobs, Lokalbesuchen diskriminiert.

In ganz Ost- und Südosteuropa hat sich die soziale Lage seit der Rückkehr des Kapitalismus verschlechtert. Menschen am Rand der Gesellschaft sind davon natürlich besonders betroffen – also auch Roma. So können 85 % der Romahaushalte in dieser Region keine ausreichende Ernährung sicherstellen. Die Kindersterblichkeit ist bei Roma und Sinti 2-6 mal höher – nicht, weil sie weniger auf ihre Kinder aufpassen, sondern weil das Gesundheitswesen insgesamt zusammengekürzt wird und die Ärmsten davon besonders betroffen sind.

Ähnlich beim Beispiel Bildung: Wo es die Möglichkeit für Bildung gibt, wird diese in der Regel auch angenommen: Nur 14 % der Roma und Sinti brechen den Schulbesuch ab, weil „das Kind genug kann“ (aber 23 % der Gesamtbevölkerung). In Frankreich wurde die 15jährige Roma Leonarda Dibrani bei einem Schulausflug abgeholt, um sie abzuschieben – das führte zu Protesten in ganz Frankreich. Auch bei der Bildung ist es eine soziale Frage: 51 % der Roma und Sinti (41 % der Gesamtbevölkerung) müssen die Schule aus Kostengründen abbrechen. Bezeichnend auch, dass ältere Roma und Sinti besser ausgebildet sind und die Analphabetenrate niedriger ist als bei jüngeren: eine direkte Folge des Kapitalismus und seiner Kürzungspolitik in den ehemaligen stalinistischen Staaten. Doch auch eine rassistische Politik des Staates kommt hier zum Tragen, wenn z.B. in Tschechien Roma-Kinder oft einfach in Sonderschulen abgeschoben werden – so wie es in Österreich lange mit „Ausländer-Kindern“ gemacht wurde.

Roma und Sinti gehören nach wie vor zu den ärmsten Schichten der Bevölkerung. Sie sind von der Sozialabbaupolitik und der zunehmenden Arbeitslosigkeit besonders betroffen. Sie sind nicht „anders“ – sie sind arm. „Die Sinti und Roma erscheinen auch als Stellvertreter eines regelrechter Hasses gegen die Armen bzw. jene, die man mit Armut assoziiert. Soziales Elend mag existieren, soll aber bitte nicht sichtbar sein. Durch den Antiziganismus wird eben nicht Mitgefühl, oder im besseren Falle Solidarität, für die von Armut oder Diskriminierung betroffenen geschaffen, sondern Verachtung und Hass erzeugt, auch bzw. besonders, wenn sich die Betroffenen wehren.“ schreibt der deutsche Sozialist Daniel Pannicke völlig korrekt.

 

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