Zeit-Tafel Polen

Diese Zeittafel wurde für den Arbeitskreis zu Polen auf den Sozialismustagen der SLP am 1. April 2006 erstellt.
Franz Breier jun.

1812-13

Die polnische National-Bewegung setzt auf Napoleon. Es folgen schwere Niederlagen der polnisch-napoleonischen Abteilungen im Russland-Feldzug.

1815

Am „Wiener Kongress“ wird Polen in das „Königreich Polen“, die „Republik Krakau“ sowie das „Großherzogtum Posen“ dreigeteilt.

November 1830

Nationaler Aufstandsversuch gegen russische Unterdrückung. Keine Ausweitung, da die Führer der Bewegung nicht an revolutionären Zugeständnissen an die Bauernschaft interessiert sind.

1846

Erfolgloser Aufstand im österreichischen Teilungsgebiet führt zur Eingliederung Krakaus in die Donaumonarchie.

März 1848

Die Märzrevolution bringt frischen Schwung für Polen. Das preussische Militär behält in Posen jedoch die Oberhand.

Jänner 1863

Gestärkt durch die Italienische Revolution und die russische Niederlage 1855 im Krim-Krieg bricht ein bewaffneter Aufstand aus. Er bleibt international isoliert und scheitert. Dies vor allem, da verschiedene Klasseninteressen in der Bewegung existierten und die führenden Kräfte des Adels keinen positiven Zugang zur Bauernschaft haben konnten.

1867

Im österreichischen Teil Galizien wird teilweise Autonomie gewährt. Kaiser Franz Josef erlitt zuvor herbe Rückschläge: die Erfolge der italienischen Bewegung der 50er sowie die Niederlage um den „Deutschen Bund“ 1866. Die polnische Autonomie wirft ihrerseits Fragen nach der Behandlung von UkrainerInnen und JüdInnen auf.

1871 und folgend

Nach der Gründung des Zweiten Deutschen Reiches verstärkt Preussen seine anti-polnische und germanisierende Politik weiter. Der Hauptangriffspunkt des sogenannten „Kulturkampfes“ ist der polnische Katholizismus.

1880er und Beginn der 1890er

Die zaristische Unterdrückung in „Kongresspolen“ war kulturell und politisch äußerst umfangreich. Durch die Entstehung der ArbeiterInnenschaft entwickeln sich sozialistische Organisationen (1892 Gründung der Polnischen Sozialistischen Partei).

1901

Schulstreik gegen die aufgezwungene deutsche und alleinige Schulsprache in Wreschen (bei rund 60 % PolInnen).

1904

Bewegung gegen Militär-Rekrutierungen für die Zaren-Armee im Russisch-Japanischen Krieg.

Jänner 1905

Dieser Krieg schürt auch das Feuer der Russischen Revolution von 1905. Die Ereignisse des „Blutsonntags“ in Petersburg finden Widerhall in der Industriestadt Lodz. Barrikadenkämpfe finden statt.

Oktober 1905

Niederlage der Revolution in Russland. In Polen wollen weder Nationaldemokraten noch die Kirche ernsthaft für nationale Befreiung und damit die Revolution kämpfen. Die ArbeiterInnenklasse wird nun endgültig zum Schlüssel der gesellschaftlichen Entwicklungen. Der ideologische Kampf innerhalb der Sozialistischen Bewegung zwischen Rechten (bzw. dem Einfluss bürgerlich nationalistischer Kräfte) und den InternationalistInnen ist von entscheidender Bedeutung.

Das rote Schlesien

Eines der Zentren der ArbeiterInnen-Bewegung ist Schlesien. 1905, 1918 und 1945 existieren dort jeweils für kurze Zeit sogar ArbeiterInnen-Räte. 1918 wird die „Arbeiter-Republik Schlesien“ ausgerufen (diese hält sich eine Woche).

1914

Der Erste Weltkrieg trifft Polen doppelt und dreifach. Durch die Gegenüberstellung von Zarenreich und Donaumonarchie kämpfen Polen gegeneinander. Gleichzeitig ist die polnische Nationale Frage nicht die einzige auf polnischem Territorium! Zaristische Erfolge in Galizien heizen antisemitische Pogrome an. Es kommt zu großen Fluchtwellen der JüdInnen.

November 1916

Militärische Erfolge ab 1915 erlauben den deutschen und österreischischen Kaisern, eine neue Politik umzusetzen: Ausrufung des „Königreichs Polen“ auf bisher russisch besetztem Gebiet.

Februar 1917

Die Februarrevolution (und in Folge die Oktoberrevolution) 1917 in Russland verändert die ganze Welt. Deutschland wähnt sich angesichts des Endes des Zarismus militärisch stark und will Polen zerschlagen: der neu entstehenden Ukraine sichert die Reichsführung polnisches Territorium zu. In dieselbe Richtung geht die Gründung Litauens mit Wilna als Hauptstadt.

1917 und folgend

Die Kooperation der polnischen Eliten sowie relevanter militärischer Kräfte mit den Entente-Mächten Frankreich und England verstärkt sich.

1918

Das revolutionäre Russland erreicht mit den Mittelmächten den Separatfrieden von Brest-Litowsk. Aufgrund der internationalen Lage ist Russland gezwungen, weite Bereiche an den Kapitalismus und deutschen Militarismus abzutreten.

Oktober 1918

Der deutschen Niederlage, der damit verbundenen Annullierung des Brester Friedens und den Verträgen von Versaille folgen die Proklamation eines unabhängigen polnischen Staates und der Krieg mit der Ukraine um Ostgalizien.

1920

Russland führt eine Offensive gegen Polen. Ziel ist die Absicherung nach Westen (auch gegen Gebietsansprüche durch die neuen polnischen herrschenden Klassen; vor allem um Kiew/Ukraine) sowie die Unterstützung der revoluionären Gärung unter den ArbeiterInnen in den betroffenen Gebieten. Führende Bolschewiki wie Leo Trotzki sprechen sich unter den gegebenen Bedingungen gegen den Feldzug aus. Er endet mit einer Niederlage Sowjet-Russlands.

1921

Dem Friedensschluß in Riga und der neuen Verfassung folgen schwache und schwankende Regierungen der Herrschenden in Polen. Die polnische ArbeiterInnenklasse war noch nicht in der Lage, die Entwicklung ähnlich in die Hand zu nehmen wie die russische einige Jahre zuvor.

Die 1920er

Die Nationale Frage behält weiters höchste Brisanz: das neue Polen ist vielfältig: Im hinzugekommenen Osten ist nur ein Viertel polnisch, die anderen ukrainisch, jüdisch oder weißrussisch.

1926

Der Zeit der Instabilität folgt ein Putsch und die Phase der Diktatur unter dem einstigen „gemäßigten Sozialisten“ Pilsudski (bis 1935). Das autoritäre Regime trat vor allem die Rechte der slawischen Minderheiten und die jüdische Bevölkerung mit Füssen. Pilsudkis Politik gegenüber den Deutschen im Lande trieb diese später in die Fänge der Nazis.

Die 1930er

Die Weltwirtschaftskrise zeigt die Sackgasse, in die der Kapitalismus die Menschheit geführt hat. Der 1. Weltkrieg hat kein Problem grundlegend gelöst. Die Niederlagen der deutschen ArbeiterInnen und die Politik ihrer Führungen ermöglichen dem Faschismus, die Gesellschaft in die Zwangsjacke zu stecken. Der Krieg als Expansionschance für das Kapital wird erneut zum einzigen „Ausweg“. Polen ist eine wichtige Etappe in den Plänen des deutschen Imperialismus. Die Übernahme der Macht aus den Händen der ArbeiterInnen-Räte in die der stalinistischen Bürokratie ist ein weiterer Grund für die Verschärfung der Lage.

1938

Der Hitler-Stalin-Pakt wird unterzeichnet. Er enthält die Auf- bzw. Zerteilung Polens. Die Moskauer Bürokratie vergewaltigt die Prinzipien des Internationalismus.

1. September 1939

Überfall Nazi-Deutschlands auf Polen - der II. Weltkrieg beginnt.

1. Oktober 1939

Warschau wird von der Wehrmacht eingenommen.

Ostern 1940

Erster Widerstandskampf des jüdischen Bundes (ArbeiterInnen-Organisation) gegen Pogrome (dessen Gewerkschaftsorganisation umfasste rund 30,000 Mitglieder). Vor Kriegsbeginn lebten rund leben 3 Millionen JüdInnen in Polen; ein großer Teil arbeitet bzw. arbeitete in kleinen Familien- und Handwerksbetrieben.

November 1940

Endgültige Festigung des Warschauer Ghettos durch Mauern und Stacheldraht.

1941

Erste unfassbare Berichte von Massen-Ermordung und Vergasungen tauchen im Ghetto auf. Im Oktober wird von Massenerschießungen in Wilna berichtet.

Jänner 1942

Gründung der Polnischen Arbeiter Partei (Neugründung der einstigen KP) in einem Teil Warschaus. Aufgrund des Verbechens des Stalinismus mit dem „Hitler-Stalin-Pakt“ hat sie kaum Zuspruch.

März 1942

Gründung des Antifaschistischen Blocks von links-zionistischen Organisationen, der Arbeiter-Partei und weiteren. Der Bund hält sich vorerst zurück. Der Block wird von den Faschisten zerschlagen.

Juli 1942

Die Massenvernichtung wird intensiviert. Täglich sollen 6000 Menschen ins Vernichtungslager Treblinka transportiert werden. Der „Juden-Rat“ macht sich zum Erfüllungsgehilfen und übt mittels seiner Polizei Druck aus, die befohlenen Massen für eine angebliche „Umsiedelung“ zusammenzubringen. Unter vielen gab es trotz der Gerüchte Unglaube bezüglich des Massenmords.

August 1942

Manche religiösen Führer lehnen Widerstand als hoffnungslos ab und verweisen auf Wunder. Sozialistische und zionistische (Jugend-)Gruppen bauen hingegen ein neues Aktionskomitee auf. Die rechte polnische Exilregierung half den JüdInnen nicht. Überhaupt zeichnen sich Teile des polnischen nationalen Widerstands durch Distanz und sogar Ablehnung gegenüber jüdischen und linken Widerstands-Gruppen aus. Einzelne Pistolen, die ins Ghetto geschmuggelt werden konnten, kamen vom kommunistischen Widerstand.

September 1942

In der Jüdischen Kampforganisation („ZOB“) fällt der Entschluss, von nun an bis zum Letzten Widerstand zu leisten. Gegen Jahrsende schließen sich der Bund und die extrem geschwächte Arbeiter-Partei an. Rechtszionisten formten einen eigenen Kampfbund. Gesamtstärke der ZOB: ca. 500 Mitglieder im Alter zwischen 13 und 30 Jahren.

Dezember 1942

Erst jetzt kommt erste Hilfe von der Polnischen Armee (unterstand der Exilregierung) in Form einiger Pistolen - viel zu wenig und zu spät.

Jänner / April 1943

Fünfzigtausend JüdInnen leisten in Warschau unter schwierigsten Bedingungen wochenlang bewaffneten Widerstand gegen ihre Ermordung durch die Nazi-Faschisten. Dieser Aufstand hat, obwohl militärisch chancenlos und in Blut ertränkt, gewaltige Auswirkungen auf die Psyche der polnischen Gesellschaft.

August 1944

In Warschau erheben sich PolInnen, darunter viele ArbeiterInnen, gegen die faschistische Diktatur. Der Gegenschlag der Nazis ermordet 200.000 Menschen.

Das Ende des Krieges überleben nur 200 Warschauer JüdInnen.

1945

Das faschistische Deutschland unterliegt im Weltkrieg. Sein Ausgang führt zu einer Stärkung der Sowjetunion auf Welt­eb­e­ne. Die stalinistische Bürokratie hat jedoch nicht im Sinn, in Polen den Aufbau einer sozialistischen ArbeiterInnen-Dem­okr­atie zu unterstützen. Die erste Phase nach 1945 ist gekennzeichnet von Zusammenarbeit mit Bürgerlichen und Koalitionsregie­rungen.

Die unerträgliche soziale Lage erzeugt ArbeiterInnen-Proteste. Der Stalinismus ist zumindest gezwungen, Polen in seine Struktur einzugliedern. Es fehlt zwar jegliche Räte-Demokratie, doch das Privateigentum wird abgeschafft, die Wirts­chaft in staatlichen Besitz übergeführt und durch die Bürokratie einer Planung unterzogen.

Musste sich die Bürokratie in Russland den Weg zur Macht über die Leichen der echten RevolutionärInnen bahnen, ist in Osteuropa die Errichtung der bürokra­tisc­hen Vorherrschaft auf nicht-kapitalistischer Grundlage von Beginn an möglich. Ein Großteil der internationalist­ischen RevolutionärInnen starb während der letzten Jahre, wurde ermordet oder befand sich in stalinistischer Gefangenschaft.

1950er und 1960er

Die Planwirtschaft erlaubt trotz der bürokratischen Einengung jährliche Wachstumsraten von 7 %. Der globale Durchschnitt lag damals bei rund 5 %. Gleichzeitig verbraucht die Bürokratie einen unverhältnismäßig großen Anteil für ihre Privilegien.

1956 - 1968 - 1970

Die Unzufriedenheit unter vielen ArbeiterInnen wächst. Gewaltige Zusammenstöße mit der Bürokratie finden in Ungarn 1956 sowie im „Prager Frühling“ 1968 in der Tschechoslowakei statt. Dieser wird von stalinistischen Panzern niedergewälzt. Polen wird 1970 zum nächsten Glied in der Kette des Kampfes um sozialistische Demokratie. Doch auch schon zuvor (1956) fand die ungarische Bewegung in Polen Widerhall (Strassenkämpfe in Posen).

Dezember 1970

Erster Versuch, in Polen eine freie und unabhängige Gewerkschaft aufzubauen. Auslöser der Proteste sind Angriffe der Bürokratie auf die Stützung der Nahrungsmittel-Preise sowie das 13. Monatseinkommen.

Wie der russische Revolutionär Trotzki bereits in den 1930er erklärt hatte, verteidigt die Bürokratie die nicht-kapitalistische Wirtschaft nur insofern, als sie die Grundlage ihrer Privilegien darstellt. Gleichzeitig wird sie immer stärker die Interessen der ArbeiterInnen attackieren. Dementsprechend ist der Schlüssel zur Veränderung der Aufbau unabhängiger Organisationen der ArbeiterInnen-Klasse gegen die Bürokratie.

1971 - 1973

Gewisse Verbesserungen im Lebensstandard der ArbeiterInnen sind spürbar. Grund: die Bürokratie richtet das Land stärker auf westliche Finanzhilfe aus. Kredite bringen Wachstum des Waren-Imports.

1974

Die weltweite Rezession trifft Polen hart aufgrund der verstärkten Abhängigkeit vom kapitalistischen Ausland. Exporte fallen, 60 % der Einnahmen werden vom Schuldendienst verschlungen. Die späten 1970er bringen im gesamten „Ostblock“ Stagnation.

1965

Verhaftungen regime-kritischer Intellektueller wegen „Offenem Brief“ an die Führer der „Vereinigten Polnischen Volkspartei“ (= stalinistische Partei).

1976

Bildung der Organisation KOR („Arbeiter-Verteidigungs-Komitee“), einem wesentlichen Teil in der Solidarnosc. Zusammenstösse mit der Polizei in Radom.

1977/1978

Erste unabhängige Gewerkschafts-Grüppchen bilden sich in Radom und Kattowitz, gefolgt von Danzig.

September 1979

In der illegalen ArbeiterInnen-Zeitschrift „Robotnik“ erscheint die „Charta der Arbeiterrechte“. Die gewerkschaftliche Bewegung entwickelt immer stärker eine politische Dimension.

1. Juli 1980

Preiserhöhungen für Grundnahrungsmittel lösen Streiks und Protestversammlungen aus. Die Zentren sind Warschau (Ursus Fabrik, Huta Stahl) und Danzig (Lenin-Werft).

1980

Intellektuelle KOR-Führer fordern Selbst-Beschränkung der revolutionären Bewegung und sprechen sich für einen historischen Kompromiss mit der stalinistischen Bürokratie aus.

14. August 1980

Die Belegschaft der Lenin-Werft in Danzig besetzt wie 1970 das Gelände. Das Streik-Komitee fordert die Wiedereinstellung der entlassenen StreikführerInnen wie z.B. Anna Walentynowicz. Das Regime versucht, Danzig von der Aussenwelt abzuschneiden. Doch die ArbeiterInnen-Bewegung lässt sich dadurch nicht stoppen.

30./31. August 1980

Partei und Regierung sind nach Verhandlungen in Stettin und Danzig gezwungen, den meisten der „21 Forderungen“ der ArbeiterInnen nachzugeben. Der Plan, damit die Bewegung eindämmen zu können, geht nicht auf. Die Ausdehnung wird von den Streikenden beschlossen. Obwohl die Parteiführung nun wieder zum Nachgeben bereit war und die Lohnforderungen bewilligte, konnte sie die Bewegung nicht mehr eindämmen.

Eine Auswahl der „21 Forderungen“, die wesentliche Parallelen zum Programm der russischen Linksopposition rund um Leo Trotzki in den 1920er hatte, als der Stalinismus immer stärker die Errungenschaften der Oktober-Revolution abbaute:

  • Für die Möglichkeit, unabhängige Gewerkschaften zu bilden
  • Für das Recht zu Streiken
  • Freie Meinungsäußerung und Zugang zu den Massenmedien für alle
  • Abschaffung der privaten Preisgestaltung für Lebensmittel
  • Koppelung der Einkommen an die Inflation
  • Offenlegung aller Informationen über die wirtschaftliche Situation
  • Ende der Privilegien der Polizei und Partei-Funktionäre
  • Senkung des Pensionsantritts-Alters
  • Mehr Schul- und Kindergarten-Plätze
  • Mehr Unterstützung für PendlerInnen

3. Oktober 1980

Der offiziellen Registrierung der „Solidarnosc“ folgt ein unfassbarer Zustrom von Mitgliedern. Am Höhepunkt sollten es 10 Millionen sein!

1981

Nach den Anfänglichen Zugeständissen durch das Regime setzt sich nun der Hardliner-Flügel durch. Zum Machterhalt der Bürokratie soll die ArbeiterInnen-Bewegung notfalls blutig zerschlagen werden. Angesichts der Unmöglichkeit eines historischen Kompromisses hätte die Solidarnosc-Führung einen Plan zur Übernahme der Macht in die Hände von ArbeiterInnen-Komitees entwickeln müssen, um die Bewegung so auf die Konfrontationen vorzubereiten.

So gut und wichtig die „21 Forderungen“ waren, blieben sie doch unvollständig. Sie enthielten keinen Aufruf zum Sturz der Bürokraten-Herrschaft und ihrer Ersetzung durch echte ArbeiterInnen-Demokratie. Nur eine Strömung, die „Trotzkistische Arbeiter-Tendenz in der Solidarnosc“, entwickelte diese Standpunkte in Flugblättern. Darin enthalten waren auch die Forderungen nach jederzeitiger Wähl- und Abwählbarkeit sowie dass kein/e Funktionär/in mehr verdienen soll, als ein Facharbeiter.

September 1981

Ein großer Kongress der Solidarnosc schafft es nicht, eine Trendwende gegen die Niederlage einzuläuten.

November 1981

Die Lage spitzt sich zu. Demos in Danzig, Warschau und Lodz werden brutal attackiert. In einer Kohlenzeche werden bei Kämpfen 9 Bergarbeiter umgebracht. Einige Minen werden wochenlang besetzt und gehalten.

13. Dezember 1981

Putsch und Erklärung des Kriegsrechts durch General Jaruzelski (mit voller Duldung durch den katholischen Erzbischof Glemp und des Vatikans). Die Militärherrschaft gegen die ArbeiterInnen-Bewegung geht mit einer Verhaftungswelle einher. Die Niederlage der ArbeiterInnen schuf die Grundlage für die gegen Ende der 1980er erfolgte Entwicklung hin zur Wiedereinführung des Kapitalismus.

Die Gegenrevolution gewinnt entscheidend an Boden. In den stalinistischen Bürokratien wächst der „Reform“-Flügel, der das Ziel hat, endgültig mit der Planwirtschaft zu brechen. Die ArbeiterInnen-Bewegung verfügt über keine Massenpartei und Führung, die den Kampf um ArbeiterInnen-Demokratie mit dem Erhalt von Planwirtschaft und gesellschaftlichem Eigentum verbindet.

1987

Die Versorgungslage verschlechtert sich wieder.

1988

Zwei Streikwellen mit starker Beteiligung der jungen Generation lassen die stalinistische Führung nun endgültig den Weg der kapitalistischen Öffnung beschreiten. Die Solidarnosc wird in diesen Prozess eingebunden und beteiligt sich aktiv daran.

August/September 1989

Beginn der Dritten Republik. Die Solidarnosc bildet die erste Koalitionsregierung mit ehemals stalinistischen Kräften. Die Moskauer Bürokratie hatte diesen Weg bereits abgesegnet. Die Fortsetzung dieser Entwicklung erreicht mit dem Fall der Berliner Mauer in der DDR ihren Höhepunkt. Die Wiedererrichtung des Kapitalismus in Polen wurde von vielen ArbeiterInnen mit großen Hoffnungen verbunden. Vor allem die Solidarnosc trat für diesen Standpunkt ein. In den Folgejahren waren mit Jan Bielecki und Jan Olszewski zwei ehemalige Solidarnosc-Funktionäre sogar Ministerpräsidenten.

Der Zusammenbruch des Stalinismus bringt die Wiedereinführung des Kapitalismus. Dies geht mit einer weltweiten Offensive des Kapitals und seiner Politik einher. Der „Neoliberalismus“, Abbau errungener Verbesserungen und direkte Angriffe auf den Lebensstandard der Massen, erlebt seine Hoch-Zeit. Ein großer Teil der ehemaligen Stalinisten schafft es, sich als neue Kapitaleigentümer und Besitzer ins neue System einzugliedern.

1990er

Einer der großen Solidarnosc-Führer, Lech Walesa, wird von 1990-95 Staatspräsident. Die Solidarnosc hat ihren Charakter und ihre Ausrichtung völlig geändert. Sie tritt für Kapitalismus und Neoliberalismus ein. Die Mitgliedschaft fiel auf 2 Millionen (heute weniger als 1 Million). Ein vormaliger Gewerkschaftsführer will nun als Minister „Streiks bekämpfen“.

1992/93

Massenproteste gegen Privatisierungen

12. März 1999

Polen tritt dem imperialistischen Militärbündnis NATO bei.

1999

Proteste von Beschäftigten im Gesundheitsbereich, BäuerInnen und Bergarbeitern.

Ende 2001

Die Wahlen bringen den vollständigen Zusammenbruch jener politischen Kraft, die sich mit dem Namen der Solidarnosc schmückte. Alle Parlaments-Sitze gehen verloren.

2002/03

Proteste in zig Fabriken. Ein tagelanger Kampf um die Fabrik Ozarow wird durch brutalen Polizeieinsatz vorläufig beendet.

2003

Polen tritt als Bündnispartner der USA und Britanniens in den 3. Irak-Krieg ein und beteiligt sich an der Okkupation des Zweistromlandes.

In Polen befinden sich Zigtausende in einer Streikbewegung im Kohle-Bergbau. Die „sozialdemokratische“ Regierung plant unter dem Druck der EU die Schließung mehrerer Zechen.

1. Mai 2004

Der Beitritt zur Europäischen Union erfolgt.

2005

Die zwei großen rechten Parteien gewinnen die Wahlen. Die „Sozialdemokratie“ wird extrem dezimiert und für ihre neoliberale Politik bestraft. Die Wahlbeteiligung ist sehr niedrig.

Der Widerspruch wächst: eine reaktionäre Koalition führt Angriffe auf ArbeiterInnen fort, während diese über keine Intere­ssensvertretung und unabhängige Kampf-Organisation verfügen. Der Name der polnischen Schwesterorganisation der SLP lautet in Anbetracht dessen nicht zufällig: „Gruppe für eine ArbeiterInnen-Partei“ - „Grupa na rzecz Partii Robotniczej“.

21. Jänner 2006

Gründung des „Komitee für die Verteidigung von ArbeiterInnen-Rechten“ (KPIORP). Das Komitee setzt sich aus verschiedenen Gewerkschaften, kämpferischen ArbeiterInnen und linken Gruppen zusammen. Die größte Kraft ist die noch kleine, jedoch rasch wachsende Gewerkschaft „August 80“, die an die ursprünglichen Traditionen der Solidarnosc anknüpft. Auch in den rechten und bürokratischen Gewerkschaften gibt es kämpferische KollegInnen, mit denen die Zusammenarbeit verstärkt wird. Vorrangige Aufgabe des Komitees ist die Verteidigung von GewerkschafterInnen, die von Behörden und Unternehmen attackiert bzw. entlassen wurden und werden. Der Start der Kampagne erfolgte in 20 Städten mit Kundgebungen für die Wiedereinstellung eines Bergarbeiter-Gewerkschafters. Waren die vorangegangenen eineinhalb Jahrzehnte in Polen von Niederlagen gekennzeichnet, gibt es seit letzter Zeit wieder Erfolge durch Arbeitskämpfe.

3. April 2006

Heute findet in Posen eine Demonstration von KPIORP und der polnischen Schwesterorganisation der SLP zur Unterstützung von Dariusz Skrzypczak statt. Er arbeitete in der Fabrik Goplana und wurde wegen gewerkschaftlicher Tätigkeit entlassen. Genosse Wojtek, der am Wochenende bei den „Sozialismustagen“ in Österreich dabei war, schätzt, dass bis zu 500 Menschen teilnehmen werden.

Der Wiederaufbau der sozialistischen ArbeiterInnen-Bewegung findet statt.

Die Geschichte ist nicht zu Ende.