Wessen Katalonien?

Franz Neuhold

Die Ereignisse seit dem Referendum vom 1. Oktober beweisen, dass im Kapitalismus selbst demokratische Prinzipien wie das Selbstbestimmungsrecht von Massenbewegungen erkämpft werden müssen. Das spanische Bürgertum hat Katalonien tatsächlich nicht mehr zu bieten als juristische Formalitäten, königliche Ansprachen und Schlagstöcke.

Das gegen die Unabhängigkeit geführte Argument, das reiche Barcelona wolle ja nur die Solidarität mit den armen Regionen aufkündigen, mag mitunter auf das nationalistische katalanische Bürgertum zutreffen. Doch dieses stellt sich ebenso wie Rajoys konservative Regierung in Madrid mit neoliberaler Politik und Sozialkürzungen gegen die Mehrheit. Für viele Menschen sind die Unabhängigkeits-Bestrebungen mit dem Kampf gegen kapitalistische Unterdrückung verwoben. Wenn sich Puigdemont (Chef der katalanischen Autonomie-Behörden) und die PDeCAT mit ihrem neoliberalen Kurs halten, wird für die meisten Menschen durch Unabhängigkeit kaum etwas gewonnen sein. Die Bruchlinie zwischen Puigdemont und den Massen wurde am 10. Oktober offenkundig, als er die Unabhängigkeitserklärung aussetzte. Die katalanische Linke muss nun die Zeit nutzen, um einen echten Dialog zu führen: mit jenen in der Bevölkerung, die gegen die Unabhängigkeit oder (noch) skeptisch sind. Auch der Generalstreik gegen Polizeigewalt (3.10.) wurde von „unten“ dominiert. Ob HafenarbeiterInnen, öffentlich Bedienstete oder SchülerInnen. Durch sie war dieser Protest in den Augen des spanischen Innenministers eine „Aufstachelung zur Rebellion“. DAS ist für den spanischen Kapitalismus das eigentliche Problem. Ein Katalonien, welches sich Richtung ArbeiterInnen-Regierung bewegt, könnte auf der ganzen Halbinsel zu Aufständen führen. Eine Kettenreaktion, die den Kapitalismus erschüttert, wäre gestartet. Dadurch könnte sich eine Einheit von katalanischen und spanischen ArbeiterInnen erneuern; ob als Föderation, mit Autonomie oder durch Wiedervereinigung. Entscheidend ist, dass unter den Bedingungen sozialistischer Republiken aufgrund gesellschaftlichen Eigentums, geplanter Wirtschaft (auf technologisch hohem Niveau) und umfassender ArbeiterInnen-Demokratie die sozialen Gräben gemeinsam zugeschüttet werden könnten.

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