Mo 01.05.2000
Arisierungen und Zwangsarbeit waren die wichtigsten Stützpfeiler der Kriegswirtschaft sowie der Sozial- und Beschäftigungspolitik des Dritten Reiches. Alleine 1944 wurden über sieben Millionen ZwangsarbeiterInnen in der deutschen Produktion eingesetzt. Während deutsche und österreichische Konzerne bis heute von den Leistungen dieser Menschen und der durch sie erwirtschafteten Gewinne profitieren, warten die Betroffenen immer noch auf Entschädigungen.
Die austrofaschistische Diktatur war unfähig gewesen, die Auswirkungen der kapitalistischen Weltwirtschaftskrise in den Griff zu bekommen: Massenarbeitslosigkeit prägte die Zeit von 1934 bis 1938. Die beispiellose Rüstungskonjunktur in NS-Deutschland - zwischen 1933 und 1938 wurden die öffentlichen Investitionen in die Wehrmacht mehr als verzwanzigfacht - setzte nach dem "Anschluss" auch in Österreich ein. Mit großem Propagandaaufwand wurden Großprojekte wie Autobahnbau, Kraftwerksbauten und die Errichtung der Hermann -Göring-Werke in Linz begonnen. Bereits vor der "Volksabstimmung" waren die ersten großen Rüstungsaufträge vergeben worden. Mit einem Schlag wurde so nicht nur die Arbeitslosigkeit beseitigt, sondern auch ein erheblicher Arbeitskräftemangel herbeigeführt. Allein 1938 nahm die Zahl der unselbständig Beschäftigten in Österreich um 180 000 zu. Der Krieg erhöhte den Bedarf an Arbeitskräften dramatisch. Vor allem die besetzten Gebiete in Osteuropa - für die die Nazis Kolonisierung, Versklavung und Vernichtung großer Teile der Bevölkerung aus "rassischen Gründen" vorsahen - wurden zum (Zwangs-) Rekrutierungsfeld für die deutsche Wirtschaft. Die österreichische Wirtschaft war in diese Prozesse voll integriert: Die österreichischen Schlüsselindustrien übernahmen 1938 deutsche Großkonzerne wie IG- Farben, Krupp und Henschel. Die wichtigste Form der "Eigentumsumschichtung" betraf jenen Bevölkerungsteil, der als jüdisch galt: Zunächst spontan begonnene Pogrome der österreichischen Bevölkerung gegen Jüdinnen und Juden leiteten die "wilden", später die "organisierten" Arisierungen ein. Insgesamt wurde die österreichische Wirtschaft von 1938 bis 1945 von rund 1 Million ZwangsarbeiterInnen auf und ausgebaut.
Hunderte Milliarden vorenthalten
Österreich ging nach dem zweiten Weltkrieg nicht nur auf Kosten der eingesetzten Konzentrationslagerhäftlinge und ZwangsarbeiterInnen industrialisiert hervor. Die NS-Politik bedeutete eine massive Vermögensverschiebung, sowohl in Österreich selbst wie auch in den von den Nazis besetzten und ausgebeuteten Gebieten und den von dort transferierten Gütern. Berechnungen über die geleistete Arbeit und den materiell erfassbaren erlittenen Schaden der ZwangsarbeiterInnen würde unglaubliche Schadenersatzsummen zu Tage bringen: Ariel Muszicant (Isrealitische Kultusgemeinden) schätzt den Wert des nicht rückerstatteten jüdischen Vermögens in einer Größenordnung von 200 Milliarden ein. Von der offiziellen österreichischer Seite wurde all das konsequent ignoriert. Die Rückstellung des jüdischen Vermögens fand nur bedingt statt: Vor allem die Rechtsgeschäfte mit staatlichen Transaktionspartnern (sprich Zwangsverkäufe) und die bei allen Verkäufen jüdischen Vermögens eingehobenen, extrem hohen Steuern (Reichsfluchtsteuer und sogenannte Sühneleistung) - sind vernachlässigt worden. Weder die Erträge aus diesen Unternehmen, noch der durch die Notsituation und den Massenverkauf erzielte extrem niedrige Kaufpreis - ganz zu schweigen von Zinsen und Zinseszinsen - wurden berücksichtigt. Nach 1945 wurden keine entsprechenden gesetzlichen Regeln geschaffen, um diese "Geschäfte" auf zivilrechtlicher Ebene einklagen zu können. Darüber hinaus zeigte der österreichische Staat weder in der Rückstellungsfrage noch in der Entschädigungsfrage den politischen Willen, sich der in der NS Zeit entstandenen ökonomischen Bereicherung zu stellen.
Die Sache in die Länge ziehen
"Ich bin dafür, die Sache in die Länge zu ziehen" - das ist die bezeichnende Äußerung des österreichischen Innenministers Helmer (SPÖ) über die Entschädigung der Jüdinnen und Juden. In dieser Frage herrschte Konsens zwischen den Partnern der Nachkriegskoalition ÖVP und SPÖ. Die Grundlage für diese Haltung ist die Geschichtslüge "Österreich war das erste Opfer Nazideutschlands". Das "Vergessen" auf die Frage nach den österreichischen Tätern, bedeutete nicht nur ein rasches Ende der sogenannten Entnazifizierung. Auch der Punkt der ökonomischen Bereicherung der Konzerne an den Opfern blieb dadurch bis heute ausgeblendet. Die nationale Identität Österreichs wurde zu einem guten Teil auf dem Rücken dieser Opfer aufgebaut.
Täter und Opfer
Mehr als eine Million Österreicher waren in die Wehrmacht eingezogen worden oder hatten sich zur SS gemeldet. Viele davon - wie der ehemalige Bundespräsident Waldheim nahmen, direkt oder indirekt, am Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion und den Wehrmachtsverbrechen am Balkan teil.
Nahezu 700 000 waren Mitglieder der NSDAP. Österreicher wie Ernst Kaltenbrunner oder Adolf Eichmann waren an zentralen Stellen der NS-Vernichtungsmaschinerie eingesetzt. Demgegenüber standen mehr als 60 000 österreichische jüdische Opfer, etwa 11 000 Sinti und Roma, zehntausende Opfer von Euthanasie. Etwa 25 000 ÖsterreicherInnen wurden als politische RegimegegnerInnen ermordet. Der organisierte und militärische Widerstand war nur marginal, die meisten Hingerichteten waren Opfer des weitverbreiteten Denuziantentums -es reichte vor allem gegen Ende des Krieges oftmals ein politischer Witz oder Abhören eines fremdländischen Senders. In breiten Teilen der österreichischen Bevölkerung wurde die Entnazifizierung nicht als notwendiger Prozess gesehen,sondern als Strafe der Sieger. Als 1947 ein neues Entnazifizierungsgesetz verabschiedet wurde, das nunmehr zwischen "belasteten" Nationalsozialisten und sogenannten "Mitläufern" unterscheiden sollte, stimmten diesem Gesetz nur 14% der Befragten zu, 24% lehnten es ab, 44% äußerten keine Meinung. 1948 forderten im Rahmen einer Befragung zur Amnestie für sogenannte "Minderbelastete" in den US-Zonen Wiens und Linz 25% eine Generalamnestie für alle ehemaligen Nazis - in Salzburg waren es 33%. Vor allem nach 1949 hatten weder SPÖ noch ÖVP die Intention an diesem dramatischen Zustand des Bewusstseins der Bevölkerung etwas zu ändern - im Gegenteil, von beiden Parteien begann eine notorische Reinwaschung der als Wählerpotential geschätzten "Ehemaligen".