Von Haiti bis Burkina-Faso: Massen kämpfen gegen Armut, Unterdrückung und Hunger

Steigende Lebensmittelpreise werden zum Auslöser von Aufständen
Jan Rybak

Weltweit sind ca. eine Milliarde Menschen chronisch unterernährt. Jeden Tag verhungern geschätzte 20.000 Menschen. Im letzten Jahr kam es in vielen Ländern der Welt zu einem weiteren massiven Anstieg der Preise für Grundnahrungsmittel und elementare Versorgungsgüter. Der Hunger hat heute neue Formen angenommen. Wo in der Vergangenheit schlechte Ernten und Umweltkatastrophen die hauptsächlichen Gründe für Hungersnöte waren, sind es heute oft die Preise. Die Leiterin des Welternährungsprogramms Josette Sheeran spricht in diesem Zusammenhang von einer neuen Qualität des Hungers: „Wir sehen mehr Hunger in den Städten als jemals zuvor. Wir sehen sehr oft, dass obwohl in den Regalen genug Essen steht, die Menschen hungern, weil sie es sich nicht mehr leisten können.“

Auch in den westlichen Ländern sehen sich die Menschen mit einem teilweise drastischen Anstieg der Preise für Grundnahrungsmittel konfrontiert. In Österreich stiegen die Lebensmittelpreise in den ersten zehn Monaten des Jahres 2007 um 3,6%. Im November um 6,6% und im Dezember sogar um 7,6%. Im März stiegen die Großhandelspreise so stark wie schon seit 1982 nicht mehr. Damit folgt Österreich, wenn auch nicht so drastisch wie in anderen Ländern, dem internationalen Anstieg der Lebensmittelpreise.

Besonders in den neokolonialen Ländern Lateinamerikas, Afrikas und Asiens hat sich die Situation der verarmten Massen dramatisch verschlechtert. Einer der Gründe dafür ist: Ein großer Teil der Landwirtschaftsproduktionen dieser Länder sind Monokulturen. Diese wurden im 19. Jahrhundert von den Kolonialmächten angelegt – das heißt die Bevölkerung wurde dazu gezwungen z.B. ausschließlich eine Getreidesorte anzubauen. Ziel war die Versorgung des us-amerikanischen bzw. europäischen Marktes und die verstärkte Abhängigkeit der Kolonialvölker, die dadurch entstand. Die Wirtschaften der neokolonialen afrikanischen Länder werden noch immer von europäischen Konzernen kontrolliert. An den Monokulturen, die eine ausreichende Versorgung der eigenen Bevölkerung unmöglich macht hat sich deswegen auch kaum etwas geändert. So waren 95% der Exporte von Guinea-Bissau im Jahr 2001 Cashewnüsse. 76% des Exports von Burundi war 2001 Kaffee. Als Folge davon sind diese Länder extrem von Lebensmittelimporten abhängig. Die Preise dafür sind in den letzten Jahren dramatisch gestiegen. Abdolreza Abbassian, Ökonom bei der FAO (Food and Agriculture Organisation) sagt: „Die Rechnung der Dritten Welt für die Einfuhr von Lebensmitteln wird heuer um 70 Prozent steigen und wird allein für Getreide 18 Milliarden Dollar ausmachen. Das ist das Vierfache im Vergleich zum Jahr 2000.“

In vielen Ländern beginnen sich jetzt die verarmten Massen gegen die Ausplünderung durch westliche Konzerne und den Hunger, den diese verursacht zur Wehr zu setzen. Oft sind das nur Verzweiflungstaten, so wie in Haiti in den letzten Wochen. Im ärmsten Staat der Karibik, der noch dazu eine internationale „Friedenstruppe“ im Land hat um es zu kontrollieren, kam es zu Aufständen und Plünderungen durch die hungernde Bevölkerung des Landes. Die massiv gestiegenen Lebensmittelpreise trieben in den vergangenen Wochen die Menschen auf die Straßen. Sie forderten den Abzug der UN-Truppen, eine Senkung der Lebensmittelpreise und die Öffnung der Getreidespeicher für die arme Bevölkerung. Als dies nicht geschah wurden einige Lebensmittelläden geplündert, Getreidelager gestürmt und der Inhalt verteilt. Die UN-„Friedens“truppen antworteten mit Schlagstöcken, Tränengas und scharfer Munition. Mindestens fünf Menschen wurden von Polizei und UN-SoldatInnen erschossen.

In Ägypten kam es seit Beginn des Jahres zu einer Reihe von Massendemonstrationen gegen die Erhöhung der Getreidepreise. Die Preise für Lebensmittel sind hier seit beginn des Jahrs um 35% gestiegen die allgemeinen Lebenserhaltungskosten um 50%. Verzweifelte Menschen stürmten Supermärkte und Bäckerein. Die Regierung setzte Militär und Polizei gegen die DemonstrantInnen ein. Allein im März wurden von den Sicherheitskräften zehn Menschen getötet und hunderte verletzt oder verhaftet.

Im Senegal, wo die Lebensmittelpreise im vergangenen halben Jahr um 83% angestiegen sind demonstrierten im November letzten Jahres Hunderttausende gegen die Regierung. Auslöser war, dass Präsident Wade den Straßenhandel verbieten lassen wollte. Hintergrund dafür ist, dass 2008 in der Hauptstadt Dakar die Konferenz der 57 islamischen Länder stattfinden sollte. Die Regierung bereitete sich darauf so vor, dass sie Millionen in neue Luxushotels und Prestigeprojekte wie vierspurige Autobahnen steckt, während ein großer Teil der Bevölkerung Hunger leidet. Der Straßenhandel sollte verboten werden, um das Stadtbild Dakars zu „verschönern“. Viele Menschen verdienen ihren Lebensunterhalt durch den Handel auf der Straße. Die Gewerkschaften riefen zum Streik und zu Demonstrationen auf. Jugendliche lieferten sich Straßenschlachten mit der Polizei und stürmten Luxushotels und andere Repräsentationsobjekte der Regierung. Die Polizei prügelte brutal auf die DemonstrantInnen ein. Ein Fernsehsender, der Bilder über das vorgehen der Sicherheitskräfte zeigte wurde Ende März von der Polizei gestürmt und demoliert. Präsident Wade war zum Rückzug gezwungen. Er entließ einen Teil seines Kabinetts und ließ vier neue Märkte in Dakar eröffnen.

In Burkina-Faso organisierten die Gewerkschaften einen zweitägigen Generalstreik gegen die Politik der Regierung und die steigenden Lebensmittelpreise. Trotz der Krise hatte die Regierung die Steuern auf eine Reihe von Grundnahrungsmitteln erhöht. Im ganzen Land fanden Demonstrationen statt. TransportarbeiterInnen und TaxifahrerInnen blockierten tagelang den gesamten Verkehr in der Hauptstadt Ouagadougou. Die Regierung musste sich zu mindest dazu bereit erklären die Zölle auf die Einfuhr einiger Grundnahrungsmittel zu senken.

In der Elfenbeinküste kämpften vor allem Frauen gegen die Erhöhung der Lebensmittelpreise (siehe: http://www.slp.at/index.php/artikel+M5a7f326c0a7/ ) Der Präsident wurde von den Frauen Abidjans, die tagelang auf die Straßen gingen und den brutalen Angriffen der Polizei trotzten zum Rückzug gezwungen und musste Maßnahmen gegen die hohen Lebensmittelpreise ergreifen.

Die Beteuerungen westlicher Wirtschaftsbosse und neoliberaler KommentatorInnen über „schlechte Ernten“ als Grund für die Lebensmittelkrise werden durch die realen Zahlen widerlegt. 2007 wurde weltweit 5% mehr Getreide angebaut als im Jahr zuvor. Für 2008 wird sogar mit einer Rekordernte von 2,16 Mrd. Tonnen Getreide gerechnet. Die Gründe für die Teuerungen und den Hunger sind also vielschichtiger. Die verstärkte Nachfrage aus  v.a. China, die Biodieselproduktion als scheinbaren Ausweg aus der Klimakatastrophe und v.a. internationale Lebendmittel- und Transportkonzerne, die aus purem Profitinteresse die Preise nach oben treiben. Lokale Despoten verdienen munter mit.

Die Protestbewegung zeigt eine neue Stufe der Verarmung und Versklavung der Massen in den neokolonialen Ländern. Internationale Konzerne und ihre Marionetten in den Präsidentenpalästen der neokolonialen Länder verdienen bestens an der Ausbeutung der Armen und an den steigenden Preisen. Im übrigen zeigt die aktuelle Entwicklung auch die Nutzlosigkeit und sogar Schädlichkeit der gegenwärtigen Form von Entwicklungshilfekrediten der reichen Länder an die neokolonialen. Diese führen vor allem zu einer weitern Abhängigkeit der Völker gegenüber westlichen Konzernen und Regierungen. Zwischen 1970 und 2001 sind die Außenschulden der „Entwicklungsländer“ auf das 35fache gestiegen. Durch die Zinsen kommt es zu einem Nettotransfer aus den „Entwicklungsländern" hin zu den Kreditgebern, d.h. dass zwischen 1983 und 2001 von den „Entwicklungsländern“ 386 Mrd. Dollar mehr zurückgezahlt wurden als sie an Neukrediten erhielten.

Die Lösung für die brennenden Fragen von Lebensmittel- und sonstigen Teuerungen kann nur der gemeinsame Kampf der ArbeiterInnen, BauerInnen und Armen sein. Die Frauen der Elfenbeinküste haben bewiesen, dass ein entschlossener Kampf gegen Regierung und Konzerne möglich ist. Auch in anderen Ländern gehen immer mehr Menschen aus ihrer verzweifelten Lage heraus auf die Straße um für ihre Rechte und ihr Überleben zu kämpfen. Oft sind diese Kämpfe, wie teilweise z.B. in Haiti, ohne Ziel und münden in undifferenzierter Gewalt. Der Grund dafür ist, dass es in diesen Ländern keine Massenpartei der arbeitenden Menschen gibt, die fähig ist die Energie, den Frust und die Wut der Menschen in die richtigen Bahnen zu lenken um einen konsequenten und am Ende siegreichen Kampf gegen die Herrschenden zu organisieren. 

Die Bewegungen der letzten Monate zeigen auch einen neuen Anstieg des Selbstvertrauens und der Kampfbereitschaft der verarmten Massen der neokolonialen Länder. Was nötig ist, ist der gemeinsame Kampf gegen die Politik der Konzerne und Regierungen sowohl in den „Entwicklungsländern“ als auch in den imperialistischen Metropolen. ArbeiterInnenparteien, sozialistische Organisationen und Gewerkschaften müssen sich international mit dem Kampf der Menschen in den neokolonialen Ländern solidarisieren und ihn unterstützen. Die SLP und ihre Schwesterparteien im Komitee für eine ArbeiterInneninternationale setzen konkrete Schritte in diese Richtung. Mit unseren GenossInnen in Venezuela, Nigeria, Bolivien, Südafrika, Pakistan, Sri Lanka, und vielen anderen Ländern kämpfen wir gemeinsam gegen Unterdrückung, Hunger und Kapitalismus.