"Volk", "Ethnie", "Nation" und "Nationalität"...

Georg Kumer und Franz Neuhold

Die Begriffe sind unklar und ähnlich. Letztere bedeutet mehr als formelle "StaatsbürgerInnenschaft". Bei Volk und Ethnie besteht große Überschneidung, weshalb wir "Ethnie" verwenden. Das auch, da oft "Volk" als reaktionärer Kampfbegriff im Sinne einer "Volksgemeinschaft" ohne Klassenwidersprüche verstanden wird. Die verschiedenen Zuschreibungen von Ethnien und Nation entsprechen konkreten historischen Situationen und den ökonomischen Produktionsverhältnissen, spiegeln aber auch ideologische Vorstellungen wieder. Sie sind weitreichend willkürlich und v.a. veränderlich und haben Einfluss auf die Entwicklung der Gesellschaft.

Dennoch macht es oft Sinn, eine solche Einteilung als Ausgangspunkt anzuerkennen und es gibt kulturelle Traditionen, die bewusst erhalten werden. Sowohl für "Ethnie" als auch "Nationalität" werden Merkmale wie Sprache, Traditionen, Lebensweise, Religion(szugehörigkeit), Äußerlichkeiten wie Hautfarbe und die Geographie herangezogen.

Die Schaffung moderner Nationalstaaten war ein Ergebnis der Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise. Eine "Nationalität" war verbunden mit der Entstehung der Nation als Grundlage für die Überwindung des Feudalismus. Eine geographische Abgrenzung wirkte begünstigend; ebenso wie eine kulturell bzw. ideologisch gewachsene Identität in der Hochphase der bürgerlichen Revolutionsperiode (Ende 18. bis Mitte 19. Jahrhundert).

"Aus dem Völkergewirr des frühesten Mittelalters entwickelten sich nach und nach die neuen Nationalitäten, ein Prozess, bei dem bekanntlich in den meisten ehemals römischen Provinzen die Besiegten den Sieger, der Bauer und Städter den germanischen Herrn sich assimilierten. Die modernen Nationalitäten sind also ebenfalls das Erzeugnis der unterdrückten Klassen ... Die Sprachgruppen einmal abgegrenzt ... war es natürlich, dass sie der Staatenbildung zur gegebenen Grundlage dienten, dass die Nationalitäten anfingen, sich zu Nationen zu entwickeln" (F. Engels, Über den Verfall des Feudalismus, 1884).

Da diese Punkte bei Roma & Sinti nicht zutreffen ist die Beschreibung als Ethnie bzw. ethnische Minderheit sinnvoll. Die geographische Zersplitterung ist ein wichtiger Faktor. Eine "Nation-Werdung" ist praktisch ausgeschlossen. Auch angesichts der immer größer werdenden Probleme des Kapitalismus weltweit ist die Entstehung eines neuen lebensfähigen Nationalstaates, fragmentiert und zwangsläufig auf Kosten anderer, extrem unwahrscheinlich.

Der abwertende "Zigeuner"-Begriff wird auch dann von den Herrschenden verwendet, wenn es um Hetze gegen jene geht, die sich nicht den bürgerlich-kapitalistischen Verhältnissen unterordnen. In Klassengesellschaften sehen sich viele Ethnien immer wieder Benachteiligungen (der Teile/Herrsche-Politik) sowie Intoleranz ausgesetzt. MarxistInnen stellen sich gegen Zwangsassimilierung. Jede frei gewählte und selbstbestimmte Form zu leben und sich kulturell auszudrücken muss gegen bürgerliche Zwangsnormen verteidigt werden. Es wäre demnach auch für Roma & Sinti ein erstrebenswertes Ziel, das herrschende System zu überwunden, in dem sie mehrheitlich mit Armut konfrontiert sind und zu Sündenböcken für wirtschaftliche Krisen gemacht werden

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