Tatort Kirche

Kindesmisshandlungen – jahrelanges Tabuthema
Alexandra Arnsburg, CWI-Deutschland

Rücktritte von Kirchenämtern, Selbstanzeigen und Entschuldigungen können nur ein Anfang sein, der Anfang von der kompletten Aufklärung und Entlarvung der Täter und der, die Verbrechen vertuscht oder weggesehen haben, von der weitestgehensten Entschädigung der Opfer unabhängig von Verjährungsfristen und von der völligen Trennung von Staat und Kirche.

Nachdem in den USA und Irland zehntausende Fälle von Misshandlungen von Kindern durch Priester und Angestellte der katholischen Kirche bekannt wurden, sind inzwischen auch in Deutschland hunderte Fälle aufgedeckt. Täglich melden sich mehr Opfer. Aber auch die evangelische Kirche gab jetzt zu, Misshandlungsfälle in Bayern vertuscht zu haben.

Die Bischöfe, die aufgrund des Murphy-Reports in Dublin zurücktraten, konnten dies bei vollen Pensionsbezügen und ohne gerichtliche Verfolgung tun, nicht einmal der kirchliche Titel wurde ihnen aberkannt.

Schein-Heilige

Der Institution Kirche ging es und geht es bei ihren internen Ermittlungen hauptsächlich darum, das Ansehen der Kirche zu schützen und nicht darum etwas für die Opfer zu tun. Die erste Frage lautet immer: Was machen wir mit dem Priester? In vielen hieß das lediglich die Versetzung und manchmal die zeitweilige Suspendierung. Oft durften Täter nach nur Monaten wieder mit Kindern arbeiten. Die Urteile der kircheninternen Ermittlungen sind geheim und verschwinden im geschlossenen Archiv. Deutschlands katholische Kirche sieht sich nicht verpflichtet, Misshandlungsfälle in ihren Reihen staatlichen Behörden anzuzeigen. Zum Beispiel sind in Berlin die Anschuldigungen gegen Priester der Heilig-Kreuz-Gemeinde schon seit Juli 2009 bekannt, dennoch werden die Unteruchungen durch eine interne Berliner Kirchenkommission verschleppt, obwohl hier die Verjährung droht. Den Opfern selbst bleibt es überlassen, Anzeige bei der Polizei zu erstatten. Die katholische Kirche sieht sich als höchste moralische Instanz und stellt das Beichtgeheimnis über den Schutz der Kinder bzw. die Rechte der Opfer.

Atmosphäre von Verschlossenheit und Duckmäusertum

Nicht die Tatsache, dass es in Kircheneinrichtungen Päderasten gibt oder die Diskussion dass das Priesteramt sexuell gestörte Männer anzieht, weil sie sich vielleicht durch das Zölibat Hilfe versprechen, sondern, dass die Kirche Täter systematisch schützt und Opfer ignoriert oder noch schlimmer Opfer bedroht, die an die den Mund aufmachen, sind schockierend. Kritiker gibt es auch in den Reihen der Kirche: Theologen, die die Überarbeitung der Richtlinien oder die sofortige Information der juristischen Stellen fordern oder Priester, die die Abschaffung des Zölibats oder weibliche Priester fordern. Eins haben die meisten Kritiker gemeinsam, sie lenken von den Ursachen von Kindesmisshandlungen ab und ignorieren die Rolle der Kirche als Institution zur Verfestigung genau der Verhältnisse, die die Grundlage für Kindesmisshandlungen sind.

Kirche als Arbeitgeber

Obwohl die katholische und die evangelische Kirche zusammen der zweitgrößte Arbeitgeber nach dem Öffentlichen Dienst in Deutschland sind dürfen die 1,3 Mio. Beschäftigte nicht streiken. Auch sonst gelten hier Sonderregelungen, die die Kirchen selbst bestimmen. „In den Betrieben, die in kirchlicher Trägerschaft stehen, gelten für die Beschäftigten weder das Betriebsverfassungsgesetz noch das Personalvertretungsgesetz, sondern ein sogenanntes Mitarbeitervertretungsgesetz, das von der Amtskirche selbst geschaffen ist“, sagt Agnes Westerheide, ver.di Gewerkschaftssekretärin im Bezirk Bochum-Herne in einer Presseerklärung. Arbeit wird hier auch als eine Art Buße im Diesseits betrachtet und als Möglichkeit für die Vorbereitung für das Leben nach dem Tod, dafür also auch noch Geld zu zahlen, liegt der Kirche fern. Das diakonische Werk der evangelischen Kirche zahlt seinen Mitarbeitern so wenig Gehalt, dass sie zusätzlich noch Hartz IV beantragen müssen. Unchristlich sei die Gehaltspolitik aber nicht, so die Diakonie, schreibt die Financial Times. Selbst die Erwachsenen in der Kirche sind völlig entrechtet.

Medien

Das Fernsehen ist voll mit Reportagen , wo immer wieder besorgte Priester auftreten, die den Rückgang der Kirchenbesuche beklagen und was für fatale Folgen diese Skandale für die Kirche hat . Davon, dass es genau diese Institution war, die Täter jahrelang geschützt hat, indem sie sie nur in andere Diozösen versetzt – ohne die Gemeinde zu warnen und mehr noch, ihnen immer wieder die Gelegenheit gegeben hat vertrauensvolle Verhältnisse zu Kindern aufzubauen und damit Beihilfe zu massenhaften Misshandlungen, Vergewaltigungen und Folter geleistet hat, reden nur wenige Kirchenmänner. Die konservative „Berichterstattung“ überlässt die sogenannten „Einzeltäter“ dem Volkszorn und deckt nicht auf, dass Kinder weltweit zu Profitzwecken ausgebeutet werden. (ca 2 Mio. laut unicef) Die Medien spielen sich auf als Hüter der gängigen Moral auf, wobei aber nicht in Frage gestellt wird, dass nach Morden an in der Familie vergewaltigter Mädchen, oft nicht einmal die Familienbande zerbrechen, wie das Beispiel Doutroux in Belgien zeigte. Bei der Aufdeckung oder besser Skandalisierung geht es den Medien nur darum aus dem Leid der Betroffenen noch Profit zu schlagen. Der gleiche Spiegel, der jetzt „Scham und Angst“ titelte und offenbar die Rolle der Opfer einnimmt, sammelte 1994 noch Fälle, in denen Väter und Erzieher zu Unrecht beschuldigt und ruiniert wurden und lies den Paderborner Erzbischof erklären, dass Männer, die zu sehr mit Kinderpflege beschäftigt sind, irgendwann ihren Begierden nicht widerstehen könnten und sprach damit für die konservativen Orientierung der Frauen auf Haushalt und Kindererziehung.

Aufklärung

Was nötig ist, ist die völlige Aufklärung dieser Verbrechen und nicht nur Rücktritte. Jeder, der Kinder misshandelt hat und jeder bis hin zu den höchsten Kirchenoberhäuptern, der mit dazu beigetragen hat, diese Verbrechen zu vertuschen muss sich vor einem Gericht dafür verantworten. Runde Tische mit den Leuten, denen vor allem ihre Institution am Herzen liegt wie Bischöfe, die der „norma interna“ unterliegen - eine vertrauliche Richtlinie für alle Bischöfe, die sie anweist, alle Verdachtsfälle zuerst selbst zu untersuchen und dann der Glaubenskongregation zu überweisen, immer unter Ausschluss der Öffentlichkeit und der juristischen Stellen - sind Heuchelei. Bischöfe, die mit der sexuelle Revolution von 1968 oder freundschaftlichen Lehrer-Schüler-Beziehungen in christlichen Landschulheimen Entschuldigungen für Täter suchen und solche die schreien, dass es eine Hetzkampagne von Kirchenhassern oder Papstkritikern sei und konservativen Politikern, die Selbstständigkeit und Selbstbewusstsein von Kindern bremsen gehören nicht an einen Runden Tisch, sondern müssten selbst überprüft werden. Für wirkliche Aufklärung müssen unabhängige Kommissionen unter Beteiligung der Betroffenen (nicht der Täter oder der sie schützenden Institutionen) verantwortlich sein.Wenn in einer Schule zum Beispiel ein Verdacht aufkommt, dann sollten einer dortigen Kommission Eltern, Lehrer- und SchülerInnen angehören, die Fachleute zu Rate ziehen können.

Kinder brauchen Schutz, nicht der Papst

In der Familie und in den Kitas und Schulen muss es einen offenen Umgang mit Sexualität geben. Nicht das gemeinsame Nacktturnen von Kindern an Landschulheimen in den 20er Jahren war Schuld an den Vergewaltigungen in späteren Jahren, wie uns erzkonservative Kirchenmänner glauben machen wollen, sondern die Mystifizierung von allem Körperlichen und das stark autoritäre System, dass es Kindern unmöglich macht, zu erfahren, was ihre Grenzen sind und diese gegen Erwachsene notfalls selbstbewusst zu verteidigen. Kostenlose Selbstverteidigungskure an Schulen und Sporteinrichtungen können Kindern helfen, selbstbewusst zu werden und zu Erwachsenen laut „Nein“ zu sagen. Nötig sind ausreichend Sozialpädagogen in Bildungseinrichtungen. Fortbildungen von Erzieher- und LehrerInnen sowie Beratungsstellen müssen massiv gefördert werden. Mit den aktuellen Sparpaketen passiert gerade das Gegenteil. Die Parteien von Familienministerin Kristina Schröder und anderen sind dafür verantwortlich, dass immer mehr Kinder und Jugendliche sich selbst überlassen bleiben. Was ist das für eine Gesellschaft, die ihre schwächsten Mitglieder überhaupt nicht schützt?

Trennung von Kirche und Staat

Jeder soll das Recht haben, seine Religion frei auszuüben. Aber für Kirchen darf es in der Gesellschaft keine Privilegien geben. Darum ist auch eine Trennung von Kirche und Staat nötig. Zwar wurde 1919 die formale Trennung von Kirche und Staat eingeführt, dennoch gibt es Staatskirchenverträge, die kirchliche Kitas und Schulen (zehn Prozent aller Einrichtungen) fördern. Bei Lehrerinnen, die ein Kopftuch tragen wollen, greift der Staat durch, aber Kruzifixe im Klassenraum oder Nonnen als Kita-Erzieherinnen sind völlig normal. Bildung gehört nicht in Kirchenhand! Die Unterstützung des Staates für die Kirche ist vielfältig. Aus Steuergeldern wird ein System finanziert, dass die Einnahme der Kirchensteuer, die Überprüfung der Zahlungen und notfalls auch die Ahndung und Bestrafung der Steuersünder übernimmt. Über 14 Milliarden Euro zahlt der Staat jährlich an die steinreichen Kirchen (Vermögen: ca. 500 Mrd. Euro) zusätzlich zu der Unterstützung kirchlicher Sozialleistungen (die der Staat auch zu über 90 Prozent finanziert). Für Steuerbefreiungen, für Religionsunterricht an staatlichen Schulen, für die Ausbildung von Theologen, für die Militärseelsorge, für die Gehälter von Bischöfen und Landesbischöfen samt Personal. Jeder Steuerzahler, ob gläubig oder nicht und unabhängig welcher Religion er angehört, finanziert die katholische und die evangelische Kirche mit! Da will man uns leere Kassen erklären?

Gesetze

Die heutigen Gesetze sind völlig unzureichend. Verboten sind „sexuelle Handlungen“ an und von Kindern, das „Vorzeigen pornografischer Abbildungen“ etc. Es wird nicht erklärt, was sexuelle Handlungen sind und die ständige Dauerpräsenz von Pornografie selbst im Nachmittagsprogramm im Fernsehen wird nicht unter Strafe gestellt.Verjährungsfristen gehören abgeschafft. Schließlich haben Opfer oft noch länger Therapiebedarf oder haben die Vorfälle jahre- oder jahrzehntelang verdrängt oder wurden unter Druck gesetzt, den Mund zu halten. Weder gibt es genug Therapieangebote noch eine vollständige Erstattung der Kosten. Welche Ansprüche haben Opfer, die vielleicht aufgrund psychischer Schäden nicht arbeitsfähig sind oder jahrelang nicht in die Rentenkassen einzahlen können und denen Altersarmut droht? In Bezug auf (nicht sexuelle) Gewalt gegen Kinder wurde zwar der Paragraf 1631 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) dahingehend geändert, dass Kinder nicht nur ein „Recht auf gewaltfreie Erziehung“ haben, sondern dass nun „Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen (...) unzulässig“ sind, jedoch kann kein Gesetz der Welt Gewalt in einer Gesellschaft verhindern, die selbst auf Gewalt und Macht aufgebaut ist.

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