Türkei: Die Bewegung lebt!

Gefahr von Aktionismus – landesweite Konferenz nötig
Festus Okay, CWI-Türkei

m September kam es in der Türkei wieder zu Massenprotesten. Anfang Juni hatte es den zahlenmäßig größten spontanen Aufstand in der Geschichte des Landes gegeben. Der brutale Polizeiangriff auf die AktivistInnen, die Baumfällarbeiten im Istanbuler Gezi-Park verhindern wollten, hatte eine Revolte gegen die autoritäre Politik der Regierung Recep Tayyip Erdogans ausgelöst. Bei den Auseinandersetzungen waren fünf Menschen ums Leben gekommen.

Bei der erneuten Eskalation nach der Sommerpause war nun Ankara der Ausgangspunkt. Gleichwohl wie beim „Gezi-Aufstand“ wieder der Schutz der Bäume im Mittelpunkt stand, ging es letztlich um die prinzipielle Ablehnung solcher Projekte, die nur zu Gunsten der Kapitalisten sind.

Proteste gegen Bauvorhaben in Ankara

Schon Ende August hatten sich die StudentInnen von ODTÜ (Technische Universität des Nahen Ostens)­ – eine Hochburg der Linken – gegen ein Autobahnprojekt des Bürgermeisters von Ankara, Melih Gökçek („Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung“, AKP), gestellt. Das Projekt sieht den Bau von zwei Autobahnanbindungen vor: eine soll direkt durch das Campus gehen, die andere am Campus vorbei, aber ein Stück davon zerschneiden. Sowohl die AnwohnerInnen als auch die Studierenden lehnen dieses Projekt ab, das die Fällung von Tausenden von Bäume bedeuten und nur den großen Bauunternehmen was bringen würde.

Parallel dazu begannen alevitische AnwohnerInnen im Stadtteil TuzluçayÄ�r gegen einen Gebäudekomplex zu demons-trieren, der sowohl eine Moschee als auch ein alevitisches Cem-Haus umfasst. Die Religionsgemeinschaft der Aleviten sieht darin ein weiteres Assimilationsprojekt der sunnitisch geprägten Regierung. Demgegenüber pochen viele Aleviten auf eine Anerkennung ihres Glaubens, der vorislamische Elemente mit der Verehrung von Ali, dem Schwiegersohn des Propheten Mohammed, verbindet.

Knüppeleinsätze

Gegen diese Proteste ging die Polizei ein ums andere Mal mit Gummimunition, Gasgranaten und Wasserwerfern vor. Dagegen schützten sich Jugendliche mit Staubmasken, Schwimmbrillen und Bauhelmen. Immer wieder wurden Barrikaden errichtet. Bei jeder Polizei-Attacke rannten die DemonstrantInnen erst davon, um dann zurückzukehren und eine neue Barrikade zu bauen. So gingen die meisten Auseinandersetzungen bis fünf Uhr morgens.

Gleichzeitig finden in anderen Städten regelmäßig Solidaritätsdemos statt. Bei einer solchen Demonstration in der Stadt Hatay wurde ein 22-Jähriger getötet. Ihn hatte eine Pfeffergasgranate der Polizei am Kopf getroffen, daraufhin war er von einem Gebäude gefallen. Danach kam es wieder in vielen Städten zu Protesten.

„Das ist erst der Anfang …“

Der „Gezi-Aufstand“ war ein Dammbruch. Alle weiteren Proteste werden hier als Fortsetzung des „Gezi-Aufstands“ aufgefasst. Auch der Slogan „Das ist erst der Anfang, der Kampf geht weiter“ ist immer noch präsent.

Die Bewegung weist jedoch eine frappierende Schwäche auf: Seit dem Widerstand im Gezi-Park sind vier Monate vergangen und noch immer fehlen klare Forderungen. Forderungen, die breitere Teile im Land ansprechen könnten. Die jüngsten Proteste werden zudem meistens von einem gut organisierten Kern getragen und zeigen die Gefahr des Aktionismus auf.

Wenn die Linke es nicht schafft, der Bewegung mit konkreten Forderungen und einem klaren Programm eine politische Richtung zu geben – um in der arbeitenden Bevölkerung, unter Jugendlichen und unter kleinen Selbstständigen Kräfte bündeln und auf den Sturz des Regimes orientieren zu können -, dann besteht die Gefahr, dass die Massen ab einem bestimmten Punkt demoralisiert werden.

Dies ist eine akutes Problem. Eine landesweite Konferenz von Aktiven, linken Gewerkschaften und Organisationen könnte ein erster Schritt sein, dieses Problem anzugehen.

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