Stoppt die Atommafia

Warum eine demokratisch geplante, sozialistische Energieversorgung nötig ist
Georg Kümmel, CWI-Köln

Werden in Deutschland bald neue Atomkraftwerke gebaut? Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) ermunterte die Atomlobby: „Die Wirtschaft muss sich trauen, Bauanträge zu stellen“ (Süddeutsche Zeitung vom 10. Februar). Und die bestehenden Atommeiler sollen noch länger laufen als vereinbart. Heißt das, wenn wir noch eine rot-grüne Regierung hätten, dann wären wir jetzt vor längeren Laufzeiten und neuen Atomkraftwerken sicher?

Die Antwort geben Vertreter der Energiekonzerne selbst: „Das Ende April 2002 in Kraft getretene Gesetz zur geordneten Beendigung der Nutzung der Kernenergie in Deutschland bietet die Chance für einen Betrieb der Anlagen in der verbleibenden Restlaufzeit ohne politisch motivierte Störungen. Das kerntechnische Know-how in Deutschland muss nicht nur zur Gewährleistung des sicheren Betriebs der bestehenden Anlagen, sondern auch im Interesse des Offenhaltens künftiger energiepolitischer Weichenstellungen erhalten und weiterentwickelt werden“ (Energie für Deutschland – Deutsches Nationales Komitee des Weltenergierates, 2002).

Der so genannte Energiekonsens wurde nur unterschrieben, weil man gerade sowieso keine neuen AKWs bauen wollte. Aus Sicht der Atomlobby bietet die aktuelle politische Lage (Ölpreise, Gas-Streit Russland-Ukraine, Kriegsgefahr am Golf, spürbarer Klimawandel) neue Munition, um die breite Ablehnung von Atomkraft in der Gesellschaft wieder unter Beschuss zu nehmen. Das kurzfristige Ziel: alte AKWs weiter laufen lassen.

Hätten wir noch eine rot-grüne Regierung, dann würde die Atomlobby jetzt ebenfalls ihre Forderungen stellen. Und so standfest war Rot-Grün nicht: Sie gestattete im Fall des AKW Obrigheim die Übertragung von Restlaufzeiten von einem neuen auf ein altes AKW, ein klarer Verstoß gegen den angeblichen Sinn des Atomkonsenses. Obrigheim wurde erst 2005 statt 2002 stillgelegt. Atomkraftwerke wurden übrigens auch unter einer CDU-geführten Bundesregierung abgeschaltet: Das AKW Würgassen 1994 und für den Hochtemperaturreaktor Hamm-Uentrop kam das Aus schon 1988, nach nur drei Betriebsjahren – dank der massiven Proteste der AKW-GegnerInnen.

In der laufenden Legislaturperiode müssten laut Gesetz vier Atomkraftwerke ihren Betrieb beenden: Biblis A, Neckar-Westheim I, Biblis B und Brunsbüttel. Bei einem AKW sind die Baukosten hoch, die Betriebskosten niedrig. Diese alten Atomkraftwerke sind deshalb für die Betreiber „pure Gelddruckmaschinen“ (tagesschau. de vom 17. Januar).

Längerfristig geht es um strategische Interessen bei der Energieversorgung: Deutschland muss in etwa zwei Drittel seines Energiebedarfs (ohne Uran) importieren. Und die Vordenker des Kapitals trauen dem Frieden nicht – im wahren Sinne des Wortes. Man will die Abhängigkeit von Ländern wie Russland oder aus der Golfregion mildern, auch durch Atomkraft. Die Hälfte des Atombrennstoffes wird heute in Kanada und Australien gefördert, Länder, die zumindest derzeit als stabil gelten.

An den Argumenten der Atomkraftgegner hat sich nichts geändert, weil sich an den Grundprinzipien der Atomkraft nichts geändert hat. Atomkraftwerke können explodieren, können auf einen Schlag zehntausende Menschen umbringen, ganze Regionen über Generationen unbewohnbar machen, ein ganzes Land, selbst große Teile Europas radioaktiv verseuchen. Beim Betrieb von Atomkraftwerken entsteht radioaktiver Müll, der Jahrhunderte und Jahrtausende weiterstrahlt. Darunter ist Plutonium, eine der giftigsten Substanzen, die Menschen jemals geschaffen haben, in jedem Fall das langlebigste Gift. Vorsichtigen Annahmen zufolge reicht ein Kilogramm Plutonium aus, um eine Million Menschen zu töten. Plutonium hat eine Halbwertszeit von 24.110 Jahren. Wenn heute zwei Kilogramm hergestellt werden, dann ist im Jahre Sechsundzwanzigtausendeinhundertund-sechszehn immer noch ein Kilo davon übrig. Weltweit fallen jährlich 70.000 Kilogramm Plutonium in Atomkraftwerken an.
Selbst kurzfristig könnte man die Atomkraftwerke abschalten, ohne dass die Stromversorgung zusammenbrechen würde. Nach wie vor existieren bei der Stromerzeugung enorme Überkapazitäten in Form von Kohle-, Öl- und Gaskraftwerken. Das war auch der Grund, warum die Atomlobby der rot-grünen Regierung vertraglich zugesichert hatte, keine neuen Atomkraftwerke zu bauen.

Mittel- und langfristig brauchen wir eine grundlegend andere Energieversorgung. Technisch gesehen kann das nur erneuerbare Energie aus Sonne, Wind, Wasser sein. Zudem bestehen enorme Möglichkeiten bei der Energieeinsparung. Da sind sich alle UmweltschützerInnen einig. Die SAV geht aber weiter: Wir behaupten, auf kapitalistischer Grundlage ist eine umweltverträgliche Energieversorgung unmöglich, egal aus welcher Quelle.

Die Fakten

Schon zu Beginn der industriellen Nutzung von Kohle, Öl und Gas war klar, dass diese Vorräte begrenzt sind. Inzwischen gilt als wissenschaftlich gesichert: Das Verbrennen dieser Energievorräte führt zur Klimakatastrophe. Streit gibt es nur noch darüber, wie stark die Temperaturen auf der Erde steigen werden, um welchen Betrag der Meeresspiegel steigt und wieviele Küstenstädte das Wasser überfluten wird, wie häufig und wie heftig die Wirbelstürme übers Land fegen werden.

Seit Jahrzehnten existieren die technischen Möglichkeiten, um aus der Wärmestrahlung der Sonne den Bedarf der ganzen Welt an Strom, Heizung und sonstiger Energie zu decken. Die Energie, die die Sonne jeden Tag auf die Erde einstrahlt, ist nämlich 3.000 Mal so groß wie der derzeitige Weltenergieverbrauch. Der davon heute technisch nutzbare Anteil ist immer noch dreimal größer als der weltweite Verbrauch an Energie.

Aber warum wird weiter jeden Tag Öl und Gas verbrannt, als ob es kein Morgen gäbe? Am Anfang des 21. Jahrhunderts stammen nur 4,2 Prozent der Energieversorgung aus erneuerbaren Energien. Fast neunzig Prozent der Energieversorgung wird durch die Verbrennung von Öl, Gas und Kohle gedeckt. Der Rest aus Atomkraft.

Das ist offensichtlich Wahnsinn. Aber warum ist das so, warum geht dieser Wahnsinn immer weiter? Dazu muss man etwas zur Funktionsweise des Kapitalismus sagen: Im Kapitalismus wird Energie nicht erzeugt um Energie zu erzeugen, sondern um Geld zu verdienen. Konsequenterweise wird die Art der Energieerzeugung gewählt, mit der sich ein Maximum an Geld verdienen lässt. Die Kapitalbesitzer wollen ihr Kapital vermehren und ihren Profit maximieren. Dabei handeln sie nach dem Motto „Nach uns die Sintflut“, und es ist eine bittere Ironie der Geschichte, dass man das inzwischen wörtlich verstehen muss.

Monopoly

Der Energiesektor ist weltweit fest in den Händen weniger Konzerne. Energiequellen und Energieerzeugung sind monopolisiert, die Preise sind Monopolpreise wie man jedesmal an der Tankstellenkasse erleben kann.

Die erneuerbaren Energien sind aber ihrer Natur nach dezentral. Exxon, Shell, BP haben es zwar geschafft, Ölfelder, Öltransport, Verarbeitung und Verkauf unter ihre Kontrolle zu bringen, aber sie sind weit davon entfernt, alle Hausdächer dieser Erde zu besitzen, um darauf mit Sonnenkollektoren und Solarzellen Wärme und Strom zu erzeugen. Denn nur dann hätten sie das exklusive Recht, die erzeugte Energie zu Monopolpreisen zu verkaufen. Schon aus diesem einfachen Grund werden nur 1,5 Prozent des Energieverbrauchs in Deutschland aus Sonne, Wind und Wasser erzeugt und 98,5 Prozent auf umweltschädlichem Weg.

Aber der Kapitalismus ist zur Not auch flexibel, in Deutschland gibt es zu wenig billige heimische Kohle- und Ölvorkommen. Deshalb hat man aufgehört, die Nutzung von Wind- und Sonnenenergie zu verteufeln und zu verhindern. Im Gegenteil: Man wittert ein Geschäft und investiert sogar. Aber weil es widerum nur ums Geschäft geht, bleibt die Umwelt wieder auf der Strecke: Statt vieler, kleiner Windräder, die sich in die Umgebung einfügen, wird gleich die ganze Landschaft mit Windparks zugestellt.

Der neueste Trend sind Biogasanlagen. Die ursprüngliche Idee der UmweltschützerInnen war, die Energie zu nutzen die in den Exkrementen der Menschen und Tiere und in Pflanzenresten steckt.

Aber das große Kapital ruft nach großen Investitionen und noch größeren Profiten. Die Wirtschaft wird nicht im Einklang mit der Natur auf Basis des Bedarfs demokratisch geplant. Vielmehr herrscht eine mörderische Konkurrenz vor. Ergebnis: Allerorten entstehen gigantische Biogasanlagen, die mit Mais oder anderen Pflanzen beschickt werden. Jüngste „Errungenschaft“: Öfen, in denen im großen Stil Getreide verbrannt wird, um Strom zu erzeugen. Für das Wachstum von Mais und Getreide werden die Böden mit Stickstoff überdüngt und mit Spritzmitteln getränkt, was in der Konsequenz zur Verseuchung des Trinkwassers führt.
Das allein ist schon verrückt genug, aber was geschieht mit dem so erzeugten Strom?  Er wird zum Beispiel benötigt, um die Welt mit Werbeprospekten von Saturn und Mediamarkt zu beglücken. Wir kaufen dann Produkte, die wir gar nicht brauchen, die morgen kaputt oder veraltet sind und durch neue ersetzt werden müssen, zu deren Herstellung wieder Energie nötig ist.

Erstes Ziel im Kapitalismus ist: Profit machen. Erstes Ziel einer sozialistischen Energiepolitik wäre: Energie sparen. Die Einsparpotenziale sind gewaltig, heute werden Güter um den halben Erdball transportiert, nur um Lohnunterschiede zwischen verschiedenen Standorten auszunutzen.

Praktisch unbegrenzt sind drei Energiequellen:

  1. Energien in Form von Windkraft, Wasserkraft, Wärmestrahlung (Sonnenkollektoren, Solarzellen), Biomasse (Holz, Pflanzenreste)
  2. Erdwärme
  3. Ausnutzung von Ebbe und Flut durch Gezeitenkraftwerke

Eine sozialistische Energiepolitik würde alle Möglichkeiten miteinander kombinieren. Sonnenkollektoren und Solarzellen auf Hausdächer und Fassaden, Wasserstoffgas aus Sonnenkraftwerken in der Sahara, Erdwärme aus geologisch günstigen Regionen...
Wichtig wäre dabei, dass in der Gesellschaft demokratisch diskutiert und entschieden werden könnte, welche Arten in welcher Kombination am geeignetsten wären. Das Wissen und die Initiative der Menschen als ProduzentInnen und VerbraucherInnen würden eingesetzt, um die intelligentesten Lösungen zu finden.

Aus diesem Grunde waren DDR und Sowjetunion unfähig, eine umweltgerechte Energieversorgung aufzubauen. Diese Länder waren zwar nicht kapitalistisch, aber auch nicht sozialistisch. Sie wurden bürokratisch von oben nach unten regiert. Demokratische Diskussion und Eigeninitiative vertrug sich nicht mit der Herrschaft einer privilegierten Kaste.
Die Frage einer umweltverträglichen Energieversorgung ist zu einer Überlebensfrage für die menschliche Gesellschaft geworden. Damit die Gier nach Profiten nicht die Lebensgrundlagen zerstört, muss das kapitalistische Profitsystem abgeschafft werden.

  •  Sofortige Stilllegung aller Atomkraftwerke, Ersatzarbeitsplätze für die Beschäftigten
  • Öffentliches Investitionsprogramm zur Energieeinsparung durch Wärmedämmung, Erneuerung von Heizungsanlagen, Wärmerückgewinnung, Kraft-Wärme-Kopplung
  • Massive Steigerung der Forschungsausgaben für erneuerbare Energien
  • Ausbau des Schienen- und Busnetzes, um den Autoverkehr einzuschränken. Stopp der Bahnprivatisierung
  • Nulltarif im öffentlichen Nahverkehr
  • Güterverkehr auf die Schiene
  • Arbeitsplätze in Wohnortnähe statt Energie- und Zeitvergeudung für die PendlerInnen
  • Vollständige Rücküberführung aller Energieversorgungsunternehmen (EVU) in öffentliches Eigentum
  • Überführung aller am Energie und Atomgeschäft beteiligten Konzerne in Gemeineigentum
  • Demokratische Kontrolle und Verwaltung der EVUs und des gesamten Energiesektors durch die arbeitende Bevölkerung. Demokratische Wahl und jederzeitige Abwählbarkeit aller Personen in Leitungsfunktionen. Direktoren und Manager dürfen nicht mehr verdienen als den in der Branche durchschnittlichen Facharbeiterlohn
  • Aufstellung eines gesamtgesellschaftlichen, umweltfreundlichen Energieplans