Sozialistische Demokratie in der Praxis

Immer wieder in der Geschichte schufen Revolutionen Ansätze für eine echte, sozialistische Demokratie.
Lisa Wawra und Tilman M. Ruster

„Die Demokratie ist die schlechteste aller Staatsformen, ausgenommen alle anderen.“ (Winston Churchill) Für bürgerliche PolitikerInnen ist die jetzige Form der Demokratie die einzig mögliche. Kritik wird mit dem Argument zurückgewiesen, es gäbe keine bessere Alternative. Zu viel Demokratie scheitere immer an der „Dummheit und Bosheit“ der Menschen.

Wie falsch sie liegen, zeigte schon die Pariser Kommune 1871. Als Erste zeigte sie Ansätze für eine neue, wirklich demokratische Form der Regierung: die Räterepublik. In Russland waren es auch Räte (Sowjets) aus ArbeiterInnen, Soldaten und BäuerInnen, die 1917 vorerst einen wirklich demokratischen Staat gründeten. Was sind diese Räte?

Damit Personen, die alleine kaum Einfluss haben, etwas verändern können, müssen sie sich zusammentun. Kommt es zu Unmut im Betrieb oder sonstwo, liegt es nahe, sich auszutauschen und gemeinsame Aktionen zu planen. Werden diese Gruppen größer, werden oft VertreterInnen gewählt, um auch schnell handlungsfähig zu sein und z.B. mit der Gegenseite zu verhandeln – z.B. in Streikkomitees. So können Delegierte gewählt werden, die sich mit KollegInnen an anderen Standorten besprechen und überregionale Aktionen organisieren. Das ist die Keimform der Räte: eine demokratische Form, Proteste zu organisieren.

Wenn es um große Themen geht, wie 1917 in Russland die Forderungen nach Land, Frieden und Brot, und die Proteste über einen längeren Zeitraum gehen, übernehmen Räte auch andere Funktionen. Kommt die Regierung bedrängten KapitalistInnen zu Hilfe, können Räte Verwaltungsfunktionen übernehmen, die der alte Staat innehat. Auch muss z.B. gegen StreikbrecherInnen im Betrieb, oder zum Schutz vor Polizei und Armee, eine eigene Verteidigung organisiert werden. Manchmal geht das so weit, dass der alte Staat die Macht verliert bzw. eine Doppelmacht entsteht. Die Menschen sehen, dass ihre Räte die wichtigen Funktionen in ihrem Interesse organisieren – im Gegensatz zum alten kapitalistischen Staatsapparat. Die Betriebe laufen auch ohne einen alles bestimmenden Chef weiter. Wozu also diesen noch erhalten?

1917 zog der Rat von Petrograd die logische Konsequenz: den Sturz der Regierung und des Kapitalismus. Staat und Wirtschaft lagen in der Hand der Räte. Entscheidungen wurden von denjenigen getroffen, die davon betroffen waren. Diese Staatsform ist die Grundlage zum Aufbau einer sozialistischen Wirtschaft.

Die russische Revolution machte auch deutlich, wie eng demokratische Rechte für ArbeiterInnen mit der sozialen Frage verbunden sind. In der bürgerlichen Demokratie bleiben viele Rechte für die Mehrheit der Bevölkerung nur theoretisch: Was nützt Pressefreiheit, wenn es viel Geld braucht, um einen Fernsehsender zu gründen? Was nützt das Recht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes, wenn es keine gibt?

Erst, als auch die Betriebe durch die Räte verwaltet wurden, konnten diese Rechte wirklich von allen in Anspruch genommen werden. Z.B. wurden Druckerpressen für Gruppen ab 5000 Personen kostenlos zur Verfügung gestellt und die materielle Basis geschaffen, um andere Rechte wahrzunehmen.

Die Oktoberrevolution in Russland und ähnliche Prozesse in anderen Ländern werden von bürgerlicher Seite gerne angeführt, um ihre Form der Demokratie als die beste darzustellen. Denn die Revolution in Russland endete in der undemokratischen stalinistischen Diktatur. Das lag aber nicht an der „Bosheit“ der Menschen oder ihrem „Drang, Macht über Andere auszuüben“ sondern an bestimmten, historischen Bedingungen. Eine andere Ausgangssituation und die Erfahrungen, die SozialistInnen aus der russischen Revolution gezogen haben, werden dabei helfen, ein ähnliches Ende einer neuen Revolution zu verhindern.

Tatsächlich sind die Räte ja nicht wehrlos, um sich gegen solche Tendenzen zu verteidigen. Sie sind die Macht im neuen Staat und kontrollieren auch, wie sie ausgeübt wird. Ständige Wähl- und Abwählbarkeit von Funktionen und ständige Rechenschaftspflicht von FunktionärInnen sind die besten Instrumente, um echte Demokratie zu schützen. Auch muss verhindert werden, dass sich FunktionärInnen Privilegien aneignen, wie überhöhte Gehälter.

So bleibt eine echte ArbeiterInnen-Demokratie handlungsfähig, weil Entscheidungen rasch von VertreterInnen gefällt werden können wenn nötig, diese aber ständig rechenschaftspflichtig sind und kontrolliert werden und keine Stellvertreterpolitik stattfindet. Nur in einer ArbeiterInnen-Demokratie gibt es Demokratie in Wirtschaft UND Gesellschaft.

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