REVOLUTION BRAUCHT ORGANISATION

Fünf Finger kann man brechen - eine Faust nicht!
Margarita Döller

In Europa geht es rund. Einer Massendemonstration folgte in Spanien sogleich die nächste, in Griechenland gibt es fast monatlich Generalstreiks. Auffällig in beiden Bewegungen ist großes Misstrauen gegenüber Parteien und Organisationen. „Die etablierten Parteien in Spanien werden zurecht angeklagt, den Interessen der Banken und Konzerne zu dienen. Einige Elemente der Bewegung schütten allerdings das Kind mit dem Bade aus und wollen alle politischen Organisationen von der Bewegung fernhalten. Das führt am Anfang der Bewegung auch zu einer starken Skepsis gegenüber linken Gruppen wie Socialismo Revolucionario, der spanischen Schwesterorganisation der SLP. Mit dem Fortschreiten der Bewegung wird jedoch klar, dass diese „Anti-Organisationsstimmung“ nicht unwidersprochen ist, und vor allem von einer selbst gut organisierten Minderheit propagiert wird.“ berichtet Sebastian Kugler aus Spanien.

Ähnliches auch aus Griechenland: „Es gibt Menschen die glauben, dass die (besetzten) Plätze die Gewerkschafts- bzw. ArbeiterInnenbewegung nicht brauchen oder nicht wollen, weil GewerkschafterInnen die Bewegung „patronisieren“ würden. Ihre Bedenken sind nachvollziehbar, aber nicht zutreffend. Wenn die Bewegung der Empörten sich nicht auf die ArbeiterInnenbewegung ausdehnt und nicht mit Streikmobilisierungen vernetzt wird, gibt es eine extrem große Gefahr, dass sie verschwinden wird.“

Woher kommt das Misstrauen gegenüber Organisationen?

Die Anti-Parteien Stimmung, die in vielen europäischen Ländern und v.a. unter Jugendlichen herrscht, ist nachvollziehbar. Korruption und Freunderlwirtschaft stehen auf der Tagesordnung der etablierten Parteien. Sie sind außerdem undemokratisch organisiert, Mitglieder an der Basis haben kaum ein Mitspracherecht. Die in Parlamenten sitzenden Parteien sind Teil des Establishments, das von den AktivistInnen abgelehnt wird. Sie alle handeln im Sinne der Wirtschaft, d.h. der bürgerlichen Klasse.

Oft hört man, die Jugend sei unpolitisch und nicht interessiert am politischen Geschehen. Doch „Politikverdrossenheit“ macht sich in den letzten Jahren auch unter großen Teilen der ArbeiterInnenklasse breit. Viele haben erfahren, dass die gewählten „VertreterInnen“ sich nicht darum kümmern, was das „Wahlvolk“ eigentlich will. Sie lehnen die bestehenden Parteien ab, das Establishment, „die da oben“ - nicht DIE Politik. Es herrscht nicht „Politikverdrossenheit“ sondern „PolitikerInnen-Verdrossenheit“

Organisierung entwickelt sich – mit und ohne Parteien

In jeder politischen Bewegung entwickeln sich Strukturen, um die Proteste zu organisieren. Aktuell sind es in Spanien die lokalen „Asambleas“ (Nachbarschaftskomitees). Ähnliche Strukturen gibt es auch in Griechenland und letztlich in jeder Bewegung. Am Tahrir Platz in Kairo gab es diese Selbstorganisation genauso wie 2001 in Argentinien, 1979 in Teheran, 1918 in Wien, 1917 in Russland oder 1871 in Paris. Neben der Selbstverteidigung und Sicherheit, der Verpflegung, der medizinischen und hygienischen Versorgung organisieren diese Strukturen v.a. die politischen Debatten.

Politische Organisationen, die die Bewegung ehrlich unterstützen und weitertragen wollen, müssen Erfahrungen aus vergangenen Bewegungen und Kämpfen hineintragen und Vorschläge für die nächsten Schritte machen, die auf diesen Erfahrungen aufbauen. Ihre Aufgabe ist es, zu verhindern, dass jedesmal das Rad neu erfunden werden muss, sondern eine neue Bewegung die Fehler der letzten nicht wiederholen muss. Das kann die Bewegung schneller vorwärts bringen.

Konsens herrscht darüber, dass diese Strukturen demokratisch sein müssen - dass sich alle Teile der Bewegung einbringen und gemeinsam die nächsten Schritte und Forderungen erarbeiten können. Aber es gibt Stimmen, die den Ausschluss von Organisationen und Parteien daraus fordern. Sie machen keinen Unterschied zwischen den etablierten Parteien, die die Angriffe fahren und den linken, sozialistischen und kämpferischen Parteien, die die Bewegung aktiv unterstützen. Sie orientieren sich nicht an den Inhalten und Forderungen einer Partei, sondern beschränken sich auf die Ablehnung der Struktur Partei an sich. Ähnliche Debatten gab es auch bei der unibrennt Bewegung. Die Grünen haben trotzdem interveniert, und zwar über ihnen nahestehende Studierende, die an Schalthebeln saßen. Der formale Ausschluss von Parteien führt also nur dazu, dass sich Mitglieder der unterschiedlichsten Gruppierungen dann halt anonym beteiligen. Statt dass offen gelegt wird, wer wo politisch steht und damit auch besser einschätzbar ist, wird mit verdeckten Karten gespielt. Das schwächt die Bewegung, anstatt sie zu stärken. Die AktivistInnen sollen sich selber ein Bild machen und dann entscheiden, ob sie Vorschläge und die praktische Unterstützung annehmen wollen.

Vereinnahmung wird nicht durch formalen Ausschluss, sondern durch offene politische Debatte und ein eigenes klares Programm verhindert. Wenn die Bewegung inhaltlich klar positioniert ist und keine faulen Kompromisse eingeht, um Unterstützung von Organisationen zu bekommen – dann kann sie sich wirklich vor Vereinnahmung schützen. Gleichzeitig müssen alle Kräfte, die das gleiche Ziel verfolgen, zusammengefasst werden und sich gemeinsam demokratisch organisieren. Eine politische Partei ist letztlich nur ein freiwilliger Zusammenschluss von Menschen, die gemeinsam ein Ziel verfolgen.

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