Rückbericht vom Workshop „Das egoistische Gen“ im Rahmen der Sozialismustage 2011 der SAV in Berlin

Ist der Mensch zu schlecht für den Sozialismus?

Der Workshop beschäftigte sich mit der Frage, ob das häufig vorgebrachte Argument, der Mensch sei zu schlecht für den Sozialismus etwas auf sich hat, ob Menschen per se egoistisch oder solidarisch agieren, ob Konkurrenzkampf schädlich, natürlich oder gar notwendig ist. Häufig sind wir als SozialistInnen mit dem Argument konfrontiert, Menschen würden „von Natur aus“ egoistisch sein, weshalb auch Sozialismus nicht funktionieren würde. Oft wird gesagt, es sei quasi genetisch bedingt, dass Menschen nicht solidarisch agieren, ohne dass ein Vorteil für den Einzelnen, der zu Privilegien führt, zu erwarten sei. Die Gier liege quasi in der Natur des Menschen, so das Argument. Wir wollten dem auf den Grund gehen.

Im einleitenden Referat erwähnte Ingmar Meinecke von der SAV Leipzig eine Studie aus dem Jahr 2004, bei der mittels einem sogenannten „Ultimatum-Spiel“ solidarisches Verhalten von Testpersonen aus verschiedenen Kulturkreisen getestet wurde. Dabei bekommt eine Person einen Geldbetrag angeboten, unter der Bedingung, diesen Betrag mit einer anderen Person zu teilen. Kommt es bei den beiden Personen zu keiner Einigung über die Teilung des Betrages, gibt es nichts. Es hat sich dabei herausgestellt, dass dabei meistens die Hälfte des Betrages angeboten wurde.

Unser Bewusstsein wird bestimmt durch das kapitalistische System. In diesem System, dem Kapitalismus ist der Mensch der bürgerliche Mensch und somit eher egoistisch geprägt. Die Werte der bürgerlichen Revolution werden oft als Vorwand für militärische Interventionen genommen. Die Grund- und Menschenrechte als Werte der bürgerlichen Revolution, enthalten in der Revolutionsverfassung 1793 wurden von Marx analysiert. Diese Grund- und Menschenrechte, so hat Marx analysiert, sind keineswegs absolut und werden schnell und leicht ausgehebelt, umgangen, ignoriert oder abgeschafft, wenn es für die herrschende Klasse gefährlich wird. Die meisten Grundrechte stehen ohnedies schon von Haus aus unter Gesetzesvorbehalt.

Es ist ohne Zweifel, dass die menschlichen Errungenschaften auf der Fähigkeit zum Teilen basieren. Soziale Kompetenz wird durch menschliche Kindererziehung gefördert. Umwelt und Gesellschaft sind prägend.

Die Notwendigkeit der ArbeiterInnenklasse, gegen Ausbeutung und schlechte Lebens- und Arbeitsbedingungen zu kämpfen, führte zB zur Gründung von Gewerkschaften.

Das zeigt, dass es eine Verschmelzung von Egoismus und Selbstlosigkeit gibt. Ohne Solidarität können auch egoistische Interessen, oder das Überleben nicht erkämpft werden. Der Mensch musste schon in der Urgesellschaft solidarisch agieren, damit der Einzelne satt wird. Solidarität liegt also im Interesse des Einzelnen. Bei solidarischem Austausch und Teilen schaut für den Einzelnen mehr heraus. Ein aktuelles Beispiel ist, trotz vieler Schwachpunkte, die freie Software.

Um den Menschen zu ändern, muss man erst die Umstände ändern.

In der Diskussion gab es viele Wortmeldungen zur Frage, wie wir als Kinder erzogen und gebildet werden und das Erlernte weitergeben, wie wir also von unserer Umwelt geprägt werden. Es kristallisierte sich in der Diskussion das Bildungssystem als ein wesentlicher Teil des Seins, das unser Bewusstsein bestimmt, heraus.

Es wurde erörtert, dass der Mensch auch nicht „von Natur aus gut“ ist und es zu Schrecklichkeiten kommt, die ebenso durch Herrschaftssysteme und Umwelt und Gesellschaft bedingt sind. Ob der Mensch „gut“ oder „böse“ ist, ist kein Widerspruch, es sind zwei Seiten einer Medaille. Es ist keine moralische Frage, sondern eine Frage der Umwelt, der Umgebung, des herrschenden Systems, das uns prägt und unser Bewusstsein bestimmt.

Die Argumente die von Verfechtern eines "egoistischen Gens" vorgebracht werden drehen sich um zwei Aspekte, einerseits gäbe es immer welche, die mehr haben wollen als die anderen, andererseits würde in einer solidarischen Gesellschaft ohne Konkurrenzkampf niemand mehr arbeiten. Diese Argumente wurden in der Diskussion, wie schon im einleitenden Referat sehr einfach widerlegt und auch erörtert, dass diese Aspekte eine Erscheinung innerhalb des Kapitalismus sind, also von der uns prägenden kapitalistischen Umgebung verursacht sind, sie sind ein Bewusstsein, das vom Sein bestimmt ist. Sie sind keineswegs aber „naturgegeben“ oder genetisch bedingt und würden daher bei einer geänderten Gesellschaft, in einem anderen Sein wegfallen.

Im Schlusswort wies Sonja Grusch von der SLP Wien ergänzend darauf hin, dass die Frage des Stalinismus eng mit dem Thema des Workshops verknüpft ist. Da die Wirtschaft in der Sowjetunion aufgrund des Ausbleibens weiterer siegreicher Revolutionen von Mangel geprägt war, hat sich eine Bürokratie herausgebildet, welche die Verteilung vornahm und in der Folge für sich selbst Privilegien geschaffen hat - der Stalinismus entstand also auf einer handfesten sozialen Basis und nicht weil manche "egoistischer" sind.