Nächster Schritt: Generalstreik

Lena Goeth

“Wir leben länger, also können wir auch länger arbeiten!” - jedenfalls wenn es nach dem französischen Parlament geht. Dass die durchschnittliche Lebenserwartung steigt, ist korrekt, jene von Menschen mit geringerem Einkommen ist jedoch niedriger. Das Pensionssystem muss finanziert werden, “sozial” wie die Macron-Regierung ist, ist unter gewissen Voraussetzungen eine Anhebung der Pension auf 1.200€ geplant - von der laut einer Hochrechnung 48 (!!! achtundvierzig) Personen profitieren würden. Das Pensionsalter ist von 62 auf 64 und die Beitragsjahre von 41 auf 43 erhöht worden. „Wir“ sollen schließlich alle dazu beitragen, die Pensionen zu finanzieren - nur Firmen wälzen trotz Rekordgewinnen die Last auf die Arbeiter*innenklasse ab. Sie zahlen seit 2019 rund ⅓ weniger Steuern.

Die Abneigung gegen Macrons Pensionsreform ist hoch, jedoch richtet sich die Wut auch gegen die ganze Regierung, die das Gesetz am Parlament vorbei mittels Artikel 49.3 undemokratisch durchgedrückt hat.

Doch warum eine so unpopuläre Maßnahme durchsetzen? Das durchschnittliche Pensionsalter ist in Frankreich vergleichsweise niedrig – in Wirklichkeit geht es darum, die, ohnehin schon sehr hohe, französische Produktivität noch mehr zu erhöhen und die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern.

 

Eine Rechnung ohne die Belegschaften

Acht der großen Gewerkschaften haben sich verbündet, um die Pensionsreform mit Widerstand zu beantworten, das war 2010 das letzte Mal der Fall. Es gab wochenlange Massenproteste und Streiks. Dass die Regierung Artikel 49.3. einsetzt, ist Ausdruck ihrer Angst davor. Mit dem Beschluss der Reform ist der Kampf aber nicht vorbei. Das Gewerkschaftsbündnis ist aufrecht. Die Proteste werden wohl die größten seit 1995. Weil viele von der Gewerkschaftsführung enttäuscht sind, weil diese zu wenig und zu spät getan hat, bilden sich demokratische Basisstrukturen. Längst geht es nicht mehr nur um die Pensionsreform, sondern gegen die ganze Regierung. Über 2/3 wollen ihr Ende.

Frankreich erlebt seit dem Herbst eine Streikwelle: Die Streiks, v.a. dort, wo sich an der Basis demokratische Strukturen gebildet haben, treffen das Großkapital da, wo es wirklich schmerzt - beim Profit. Raffinerien stehen still, es gibt Gratis-Strom für Schulen, Spitäler und die ärmeren Viertel, weil die Arbeiter*innen im Stromwerk deren Zähler auf Null gestellt haben, der öffentliche Verkehr ist massiv eingeschränkt, in Paris streikt die Müllabfuhr.

Die Pensionsreform noch per Klage oder Volksbegehren loszuwerden, wie manche es vorschlagen, heißt, die Wut von der Straße zu bringen. Viel wirkungsvoller wäre ein Generalstreik sowie ein Eskalationsplan (rollierende Streiks, längerer Generalstreik,...), der auch von den Gewerkschaften getragen wird. Andere Regierungen schauen, ob Macron und Premierministerin Borne mit der Reform durchkommen – deshalb ist es auch sinnvoll, die Streikwellen, die einige europäische Länder momentan erleben, zu verbinden. ISA-Mitglieder sind Teil der Bewegung und berichten, dass der Wunsch, Macron und Borne loszuwerden sowie die Forderung nach einem mehrtägigen Generalstreik lauter werden. Denn die Arbeiter*innen sind in Anbetracht der Pensionsreform, der hohen Lebenskosten sowie der halb-diktatorischen Methoden wütender und entschlossener als in den letzten Jahren.

 

Info:

Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (2017) haben Menschen in der untersten Einkommensklasse eine um 7 Jahre kürzere Lebenserwartung. Fast ein Viertel dieser Männer sterben vor der Pensionierung. Sie zahlen also ihr Leben lang in die Pensionskasse, um am Ende weniger oder gar nichts zu bekommen. Menschen mit mehr Einkommen beziehen dafür länger und höhere Pensionen.

 

Bild: G.Garitan, CC BY-SA 4.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0>, via Wikimedia Commons

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