Mistelbach: Falschaussage und Pauschalverurteilung

Warum die Opfer von sexueller Gewalt trotzdem ernst zu nehmen sind
Theresa Reimer

Am 22. Juni machte eine 13-jährige eine Anzeige bei der Polizei aufgrund sexueller Belästigung im Mistelbacher Weinlandbad (NÖ). Sie sei von einem Mann bis in die Kabine verfolgt worden und dort zu sexuellen Handlungen gezwungen worden. Nach eigener Aussage konnte sie sich verteidigen und durch Hilfeschreie andere Personen auf den Vorfall aufmerksam machen und somit schlimmeres verhindern.

Am Tag darauf entschied sich die Mistelbacher Stadtregierung dazu, das Bad für Flüchtlinge zu sperren. In der Bezirkshauptstadt leben über 11 000 Menschen, trotzdem wurden ausschließlich die 180 Flüchtlinge, die hier leben, pauschal verdächtigt, da es sich nach der Beschreibung des Mädchens bei dem Übergriff um einen Mann, „südländischen Typs“, handelte. Die Polizei machte darauf hin angeblich Fotos von allen Asylwerbern, um herauszufinden, ob diese dem Phantombild entsprachen und sie anschließend zu verhören. AktivistInnen, die in Hilfsorganisationen wie Caritas oder Bewegung Mitmensch aktiv sind, sprachen zu Recht von einer Vorverurteilung.

Später gab die Stadtregierung bekannt, dass sie mit der Maßnahme das Freibad für Flüchtende zu sperren, diese nicht ausschließen, sondern lediglich vor rassistischen Übergriffsreaktionen schützen wollte. Gleichzeitig wurde vorübergehend Securitys im Weinlandbad angestellt.

Am 3. Juli gab die 13-jährige zu, den Vorfall frei erfunden zu haben. Ein paar Tage zuvor hatte sie bereits ihre Aussage abgeschwächt. Sie sei nicht zu sexuellen Handlungen gezwungen worden, sondern den Gang zu den Kabinen entlang gegangen, als ihr jemand auf den Hintern geschlagen hat. Die Reaktionen, die die Falschaussage des Mädchens ausgelöst hat, sind auf vielen Ebenen fatal.

Zuerst einmal stellt sich die Frage, was eine 13-jährige dazu bewegt, eine Vergewaltigung zu erfinden. Hier müssten sicher sehr viele Faktoren berücksichtigt werden. Welche Rolle spielen die Eltern und das Umfeld? Welche die Medien? Jeden Tag bekommen wir von „Medien“ wie „Heute“, „Krone“ und „Österreich“ (die z.B. am 14. Juli titelte: „Wiens Frauen in Angst“) eingetrichtert, dass uns jederzeit etwas passieren könnte. Dass wir in ständiger Gefahr sind. Dass wir am besten nicht mehr ohne Begleitung nachts unterwegs sein sollten. Dass Flüchtlinge regelrecht über uns herfallen würden, einfach nur, weil wir Frauen sind. Es ist verständlich, dass damit bei manchen Frauen wirklich Angst geschürt wird. Der in der Gesamtheit der Fälle von sexuellen Übergriffen seltene Fall, bei dem eine Frau nachts alleine unterwegs ist und von Männern belästigt oder vergewaltigt wird, wurde zum Paradebeispiel der Rechten. Seit Sommerbeginn wird dieses Szenario durch Übergriffe in Freibädern ergäntzt. Diese gibt es zwar leider, doch sind auch sie sehr selten - insbesondere im Vergleich zur weit höheren Anzahl von sexuellen Übergriffen in den vermeintlich "sicheren vier Wänden" durch Verwandte oder Bekannte. Ist es bei dieser tagtäglichen Angstmache wirklich ein Wunder, dass manche Frauen dies auch glauben und sogar wiederholen? Ob die Falschaussage nun psychisch, aufgrund des familiären Umfelds oder gar politisch motiviert war, darüber lassen sich ohnehin nur Vermutungen anstellen.

Eine Statistik vom Bundesministerium für Inneres Deutschland zeigt, dass an dem Scheinargument der Rechten nichts dran ist. Ein Anstieg an Migration ist nicht automatisch mit einem Anstieg an Kriminalität verbunden. Bundesinnenminister de Maizière meinte dazu: "Insgesamt zeigen uns die derzeit verfügbaren Tendenzaussagen, dass Flüchtlinge im Durchschnitt genauso wenig oder oft straffällig werden wie Vergleichsgruppen der hiesigen Bevölkerung. Der Großteil von ihnen begeht keine Straftaten, sie suchen vielmehr in Deutschland Schutz und Frieden."1 In Österreich sieht die Lage ähnlich aus, die Gesamtkriminalität ist im Jahr 2015 im Vergleich zum Vorjahr um 1,9 Prozent gesunken. Es gibt also keinen Anstieg an Kriminalität und Gewalt mit steigender Migration, aber einen Anstieg an Gewalt gegen MigrantInnen und Geflüchtete. Im Jahr 2015 wurden in Österreich insgesamt 1691 rechtsextremer Straftaten angezeigt, was einer Steigerung von 40,8 Prozent zum Vorjahr entspricht. Darunter fallen die Überschreitung des Verbotsgesetzes, Verhetzung und rassistische Übergriffe.2

Den Rechten geht es nicht um Frauenrechte

Auch nach der Meldung der Vergewaltigung im Mistelbacher Freibad wurde eine virale Hetzkampagne gestartet, beispielsweise vom ehemaligen FPÖ-Gemeinderat Manfred Platschka. Er hielt auch noch am selben Tag vor dem Rathaus Mistelbach eine „Mahnwache“ ab, obwohl noch nicht mal klar war, wer in dem Vorfall involviert war und der sich ohnehin als falsch herausstellte. Platschka ist Mitglied der deutschnationalen, schlagenden Burschenschaft Germania Libera und hat es mit Sätzen wie „Manch großer Nazi hat auch was Gescheites gesagt!“3 auch schon zu Einträgen beim Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) geschafft. Er pflegt auch gute Kontakte zu der neofaschistischen Gruppierung der Identitären, die neben Theatervorführungen zu stürmen auch gerne an Platschka's „Stopp dem Asylwahnsinn“-Demos teilnehmen. Von ihnen und ihrem Umfeld geht eine hohe Gewaltbereitschaft aus, gegen MigrantInnen, aber auch gegen Linke. Von vielen dieser selbst ernannten „Frauenschützer“ geht eine echte Bedrohung aus, sie schrecken beispielsweise nicht davor zurück Antifaschistinnen Gewalt anzudrohen. Auf der frauenfeindlichen und rechtsextreme Seite „Linke Weiber ausknocken“ konnten monatelang ungehindert Gewaltandrohungen veröffentlicht werden. Die Burschenschaft Hansea, die enge Verbindungen zu den Identitären hat, postete ein paar Wochen später ein Bild mit einer Anspielung auf diese Seite.4 Von den Identitären selbst ging so eine Bedrohung von Frauenhäusern aus, dass sogar die Polizei aktiv wurde. 5

Männer, die in reaktionären, rechtsextremen Burschenschaften aktiv sind wie Platschka, wo Frauen nicht einmal aufgenommen werden. Alte Männer wie er, der lange Zeit statt einem Profilbild auf Facebook nur den frauenverachtenden Spruch hatte „Ein Bild von mir würde dich nur unnötig geil machen“. Männerdominierte Organisationen wie die Identitären, die Frauenhäuser und Antifaschistinnen bedrohen, wollen also Österreichs Frauen schützen?!?

Ende Mai veranstaltete Platschka seine zweite Protestaktion, bei der er unter anderem ein Freibadverbot für Flüchtlinge forderte. Damals hatten wir als SLP mit Menschen aus der Mistelbacher Flüchtlingshilfe, im Bezirk lebenden Geflüchteten und AnrainerInnen einen Gegenprotest veranstaltet. Die Rechten, die zu 90 Prozent aus Männern bestanden, schwafelten unentwegt davon, dass es „unsere“ Frauen zu schützen gelte. Sie selbst hatten keine einzige Frau auf der Bühne, auf unserer Seite waren 10 der 15 RednerInnen Frauen.

Als das Mädchen am 3. Juli die Aussage bezüglich der Vergewaltigung zurück zog, hielt Platschka trotzdem an seinen rassistischen Behauptungen fest. Ihm sei letzten Endes ohnehin „egal, ob der Vorfall passiert sei oder nicht, er habe von Anfang an präventive Maßnahmen gefordert“. Was er hier mehr oder weniger unterschwellig sagt ist, dass es ihn ohnehin nicht interessiert, wenn Frauen sexualisierte Gewalt und Übergriffe erfahren, die Instrumentalisierung von Frauenrechten und die Hetze gegen Geflüchtete ist nur etwas, woraus er politisches Kapital schlagen will. Menschen wie er haben sich schon bis jetzt nie wirklich für die Rechte von Frauen stark gemacht. Im Gegenteil, den die FPÖ ist eine Partei der Frauenfeinde und Sexisten! Alte Männer, die die strukturelle Diskriminierung von Frauen belächeln. Parteifunktionäre, die im Gesundheitsbereich kürzen wollen, wo besonders viele Frauen einerseits beschäftigt sind und andererseits meistens Frauen die weggekürzte Arbeit daheim übernehmen. Und auch die Chefin der FPÖ-Amstetten, Brigitte Kashofer, die meint, dass Frauenhäuser die Ehe zerstören und Männer benachteiligen würden.6

Es wird immer klarer, dass es Platschka und Co. nicht darum geht, „unsere“ Frauen vor sexualisierter Gewalt zu schützen, sondern einen Eigentumsanspruch geltend zu machen und Frauen ihr Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper abzusprechen. Die FPÖ steht auch meistens in der ersten Reihe, wenn es darum geht, Frauen das Recht auf Abtreibung abzusprechen. Und viele der Rechten sind auch gegen Aufklärung und Verhütung. Oft argumentieren die Rechten damit, dass es die „natürliche Rolle“ der Frau sei einfach nur Kinder zu bekommen, den Haushalt zu führen und den Mann nach der Arbeit zu bekochen. Und im Regelfall steckt auch hier ein rassistischer Ansatz dahinter: den Rechten geht es auch darum, möglichst viele blonde, blauäugige Babys in die Welt zu setzen. Französische Rechtsextreme benennen Abtreibungen bei französischen Frauen sogar als „Genozid am französischen Volk“.

Trotzdem muss das Aufzeigen von (sexualisierter) Gewalt gegen Frauen sehr ernst genommen werden

Es ist aber klarzustellen, dass Anzeigen, die Frauen aufgrund von erfahrener sexualisierter Gewalt machen, grundsätzlich immer ernstzunehmen sind und klarerweise den Fällen nachgegangen werden muss. Die Quote an Falschaussagen ist gerade bei Sexualdelikten mit 0,1 Prozent wahnsinnig gering. Im Falle Mistelbach wurden nach dem Vorfall auch Stimmen laut, dass einem 13-jährigen Mädchen ohnehin noch kein Glauben zu schenken sei. Sie wäre doch noch ein Kind und hätte sich schon einmal eine Vergewaltigung ausgedacht. Außerdem sei sie „nicht die erste Pubertierende, die einen Sexualdelikt erfunden hat“. Leute, die solche Dinge behaupten, waren aber schon immer genau die, die Frauen Vergewaltigungen nicht glauben, diese selbst beschuldigen oder ihnen sogar sexuelle Übergriffe wünschen. Es ist klar, dass das Mädchen mit ihrer Falschaussage großen Schaden angerichtet hat. Nun ist es für Frauenhasser noch leichter echte Übergriffe zu bagatellisieren oder von sexualisierter Gewalt betroffene Frauen als LügnerInnen abzutun.

Die Realität zeigt, wie wenig sexualisierte Übergriffe überhaupt an die Öffentlichkeit gelangen. Die Zahlen dazu sind nach wie vor erschreckend. Nicht einmal eine von zehn Vergewaltigungen wird zur Anzeige gebracht, nicht einmal jede fünfte Anzeige führt zu einer Verurteilung. In einer Gesellschaft, in der ein „Nein“ nicht akzeptiert wird, Betroffenen nachgesagt wird, selbst Schuld an einer Vergewaltigung zu sein und die Justiz ohnehin macht, was sie will, ist es verständlich, warum viele Frauen Übergriffe verschweigen. Das zeigt auch der Fall des deutschen Models Gina-Lisa Lohfink. Schon im Jahr 2012 tätigte sie eine Anzeige gegen zwei Männer, die sie vergewaltigten und dabei filmten. In diesem Video sagt sie klar die Worte „Hör auf“, trotzdem wurde die Anklage fallen gelassen und sie wegen Falschaussage auf 24 000 Euro verurteilt. Wo sind die selbst ernannten „Frauenschützer“ bei Fällen wie diesen?

Die Reaktionen nach der Falschaussage in Mistelbach zeigen, dass die Rechten keine Gelegenheit auslassen, um gegen Geflüchtete zu hetzen. Auch künftig werden sie Fälle für ihre Zwecke missbrauchen. In diesem Fall sind sie aber noch viel widerlicher als normalerweise. Platschka und Identitäre wollen uns nicht nur gegen MigrantInnen aufhetzen. Als reaktionäre Frauenhasser nutzen sie zusätzlich auch noch Übergriffe, die Frauen, hauptsächlich in Ehe und Familie, erfahren, für ihre politischen Zwecke.

Es braucht Antisexismus und Antirassismus. Denn nur gemeinsam, Frauen und Männer, ÖsterreicherInnen und Nicht-ÖsterreicherInnen, können wir gegen die wahren Grenzen, die zwischen Oben und Unten verlaufen, kämpfen. Wir lassen uns nicht spalten!

 

1http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2015/11/lagebild1-im-kontext-zuwanderung-2015.html

2http://www.mkoe.at/alarmierende-zunahme-rechtsextremer-straftaten-zehn-jahren-verfuenffacht

3http://www.doew.at/erkennen/rechtsextremismus/neues-von-ganz-rechts/archiv/november-2002/nazi-spruch-auf-fpoe-homepage

4http://derstandard.at/2000039182460/Burschenschaft-mit-Identitaeren-will-auf-Facebook-linke-Weiber-ausknocken

5http://www.vice.com/alps/read/identitaere-frauenhaus-graz

6http://kurier.at/politik/fpoe-frauenhaeuser-zerstoeren-ehen/804.660

 

Richtigstellung

zum Artikel „Mistelbach: Falschaussage und Pauschalverurteilung“

https://www.slp.at/artikel/mistelbach-falschaussage-und-pauschalverurteilung-7726

Herr Platschka schreibt uns:

„Am 28.7.2016 schrieb Fr. Reimer (neben vielen anderen Unsinnigkeiten, Unterstellungen und Halbwahrheiten) auf ihrer Heimseite, dass ich Mitglied einer Burschenschaft "Germania Liberia" sei (Verweis unten angeführt). Dies entspricht nicht den Tatsachen und ersuche sie, dass diese Falschmeldung korrigiert wird.“

Dem kommen wir sehr gerne nach und stellen richtig:

Herr Platschka ist nicht Mitglied einer Burschenschaft "Germania Liberia".

Wahr ist vielmehr:

Herr Platschka ist Obmann von "GERMANIA LIBERA" zu MISTELBACH " Verein zur Förderung von Kultur-, Volkstums- und Kameradschaftspflege". Die Germania Libera ist eine deutschnationale Burschenschaft.

Wir bedauern es, den strammen deutschnationalen Mistelbacher Burschis irrtümlich ein „i“ untergeschoben zu haben. Ein Rechtsschreibfehler ändert aber nichts an seiner Mitgliedschaft in einer deutschnationalen Burschenschaft und seiner gefährlichen Gesinnung.