Do 01.01.1998
Oh Falter, Du sozialdemokratische Stadtzeitung (Zitat Faltermitarbeiter Hermes Ph.)! In letzter Zeit läßt Du Dich ja ganz schön gehörig gehen im elitären Drüberschweben (Darüberstehen ist eine Verniedlichung) über den Dingen.
Die FalterautorInnen, die das Stadtprogramm mit diversen Artikeln ergänzen sind ja normalerweise harmlos - wenn nicht gerade Günther Nenning zum Zug kommt. Meist geht es ja um keine großartigen Themen, sondern um die Wiener Stadtpolitik bzw. Kulturelles. Da geht nicht allzuviel schief. Doch die politischen Kommentare lassen die abgeklärten SchreiberInnen, dann doch immer wieder auch zu seltsamen, (ungeschickt) an den mainstream angepaßten Schlußfolgerungen kommen.
So konnten im November 1996 beim Kommers der rechtsextremen Burschenschaften im Artikel zum selbigen Thema vor allem Gemeinsamkeiten zwischen den Schmißbrüdern und den GegendemonstrantInnen erkannt werden. Die messerscharfe Beweisführung: In beiden Lagern gibt es BierkonsumentInnen. Beide sind engstirnige Extremisten. Alles klar - nicht nur die Rechtsextremen, sondern auch die Linken vertreten eine menschenverachtende Ideologie.
In Ausgabe 24/98 werden aus den Internationalisten Marx und Engels in einem Artikel von Albert C. Sellner de facto systematische Rassisten bzw. Deutschnationalisten herbeigeschrieben. Und in einer nicht näher begründeten These wird Ihnen auch noch der Stalinismus zur Last gelegt.
Nicht ein entstellter Marxismus wurde von den Stalinisten als Herrschaftsideologie instrumentalisiert, sondern, so erfahren wir, die "Analysen (!) der beiden Visionäre (waren) unverzichtbarer Bestandteil eines der repressivsten Systeme der Weltgeschichte."
Ähnlich originell geht’s dann weiter, Nicht die revolutionäre Situation nach dem 1. Weltkrieg ließ für die ArbeiterInnen politische Rechte Wirklichkeit werden, für die die Arbeiterbewegung jahrzehntelang kämpfte. Sondern, "wechselnde Koalitionen der Vernunft, von fortschrittlichen Aristokraten, karitativen Kirchenleuten, gemäßigten Arbeiterführern und realitätstüchtigen Industriellen." Schade, daß die Vernunft anscheinend nicht oft Konjunktur hat und meist gehörigen Druck von der Straße bedarf, bevor die Koalitionen eingeht. Originell ist hier nur, welch Blödsinn heutzutage abgedruckt wird, wenn es darum geht "geschlossene Weltbilder" ins Wanken bringen zu wollen. Doch damit nicht genug. Auch gegen das Frauenkulturprojekt Link* wurde geschrieben, daß das ehemalige Rondellkino besetzte. Wären da nicht Artikel gegen Polizei und gegen die Ausländerpolitik, Phettbergs Predigtdienst ... der Falter wäre überflüssig. Die Wien-Programm-Beilage der Krone ist nämlich gar nicht so schlecht...