Kindesmißbrauch

Familie Macht Mißbrauch
Harald Mahrer

Noch nie wurden so viele Fälle von Kindesmißbrauch und Kinderpornographie angezeigt wie heuer. Das nutzt die Partei, die mit nackten Babyhintern um WÄHLER(?)stimmen wirbt, zu einer Kampagne für gnadenloses Law and Order. Die versammelte Moralelite rührt die Trommeln für das Allheilmittel gegen das Böse im Menschen: Die heilige Familie.
Wo es Mißbrauch gibt, unterstellt die Sprache, ist ein „richtiger“ Gebrauch möglich. Hinter dem harmlosen Wörtchen Mißbrauch versteckt sich allerdings nichts anderes als nackte Gewalt an Wehrlosen. Das ist nicht bloß ein „mißbräuchlicher Gebrauch“ von Kindern, sondern die Fortschreibung gesellschaftlich anerkannter Machtverhältnisse mit gesellschaftlich nicht anerkannten Mitteln, also Machtmißbrauch oder deutlicher: Unerwünschter Gebrauch erwünschter Macht.

Die heilige Familie

Die Moralapostel, die gegen „Kindesmißbrauch“ wettern, fordern oftmals gleichzeitig eine Stärkung der Familien, weil´s den Kindern nur in ihrer Familie gut gehen kann. Tatsache ist aber, daß Familien aus Menschen bestehen, die gewalttätig oder liebevoll sein können. Gott sorgt angeblich dafür, daß in Familien nur gute Menschen am Werk sind. Blöd für die „TheoretikerInnen der konsequenten Realitätsverschleierung“ ist nur: Gott gibt´s nicht, und daher funktioniert die Theorie von der heiligen Familie nicht.
Das Konzept von Familie gibt Hierarchien vor: Mann – lang nix - Frau – lang nix – Kinder. In der bürgerlichen Sichtweise ist Gewalt an Frauen und Kindern Mißbrauch. Mißbrauch wovon? Von Frau und Kind? Oder von der Macht über Frau und Kind? Beides!

Wer ist der Herr? Wes Herrn ist der Herr?

Der „richtige Gebrauch der Macht“ wäre, die Frau dazu zu bringen, unentgeltlich die Versorgungsarbeit zu leisten, die der Kapitalismus zu bezahlen nicht willens ist. Die Kinder sollen sich „ordentlich“ in die Gesellschaft einfügen. Wer Machtverhältnisse reproduzieren will, muß sie auch vorexerzieren. Die herrschende Klasse kann ihre Macht aber nur bis in die untersten Ebenen der Gesellschaft ausdehnen und sie eben auch dort reproduzieren, wenn sie dazu willige Diener hat. Die Bereitschaft von Männern, diese Rolle des Büttels der Herrschenden zu übernehmen, wird durch einen besonderen Anreiz erhöht: Das Verfügungsrecht über Frau und Kind. Oder warum verletzt eine Frau ihre Ehepflicht, wenn sie Hausarbeit (bis vor kurzem auch Beischlaf) verweigert? Ist schon ein Mann wegen des selben Delikts schuldig geschieden worden?
Der „richtige Gebrauch von Frau und Kind“ ist, sich bei ihnen einen Ort der Entspannung und Erholung von der Arbeit (die für den Kapitalisten auch nötig ist) zu schaffen, um am nächsten Tag wieder brav arbeiten zu können. Das kann Sex, gutes Essen oder Sport mit den Kindern bedeuten, es geht aber auf jeden Fall primär von den Bedürfnissen des Mannes aus.

Doppelte Moral bringt keine Lösung

Setzt der Mann die ihm anvertrauten Rechte mit Gewalt durch, ist das Mißbrauch. Der Mann darf zwar Frau und Kind im Rahmen der Familie „gebrauchen“ nicht aber „mißbrauchen“, das heißt mit unerlaubten Mitteln oder zu unerwünschten Zwecken gebrauchen. Doppelte Moral hält eben besser.
Ein Kampf gegen „Mißbrauch“ muß also den Kampf gegen den „ordnungsgemäßen Gebrauch“ miteinschließen, sonst verharrt er bei simpler Symptombekämpfung, die nichts desto trotz im Interesse der gequälten Kinder und Frauen möglichst effizient gestaltet werden muß.
Die Bürgerlichen haben wenig zu bieten, außer Gottes gerechter Strafe plus ein paar Monate irdischen Gefängnisses. Von in der Hölle schmorenden Gewaltvätern haben gequälte Kinder und Frauen aber nicht besonders viel.
Eine wirkliche Lösung bedürfte anderer ökonomischer Strukturen (finanzielle Unabhängigkeit der Frau und auch der Kinder) genauso wie ein anderes Umfeld, in dem sich die Menschen bewegen, erzogen werden, sich entwickeln. Letztlich bedarf es einer anderen Gesellschaft, die diese Hierarchien nicht mehr braucht, und daher den Weg frei machen kann zu echter Gleichberechtigung.

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