Kindererziehung ist keine Privatsache!

Wie können wir Kindesmisshandlungen vorbeugen?
Karin Wottawa, Pädagogin

Die Nachricht, dass ein Kind misshandelt wurde, trifft jeden sehr tief. Wir sind fassungslos, entsetzt, wütend. Man fragt sich "wieso" und "wer" versagt hat. In den bürgerlichen Medien werden Fälle von Kindesmisshandlung oder Missbrauch bis ins letzte Detail ausgereizt, und in Institutionen des psychosozialen Bereichs klingeln die Telefone.

Nach der Frage wer versagt hat, stellt sich aber doch vielmehr die Frage, was hilfreich ist

Klar ist - Kindesmisshanldung ist nicht entschuldigbar. Aber nach den Ursachen, muss gesucht werden. Und die liegen im gesellschaftlichen Versagen mindestens genauso, wie im privaten.
Dank einer Sensibilisierung ist Kindeswohl heute offiziell ins Zentrum des Interesses gerückt. Es gibt zahlreiche Unterstützungsangebote und ein Werben rund um junge Eltern und deren Kinder. Der Markt an Erziehungsratgebern boomt. Warum können dann viele Familien dennoch nicht erreicht werden, warum scheint Erziehung und die Beziehung zum Kind dann in vielen Fällen derartig an ihre Grenzen zu stoßen?

Das Erziehungs-Geschäft boomt - die Möglichkeiten der Betroffenen nicht

Die Betroffenen sind oft überfordert: Stress im Job, keine Zeit, kein Geld und keine Erfahrung mit Kindern. Und die sind eben nicht immer lieb, still und brav. Erziehung gilt immer noch als Privatsache. Wir lernen zwar Autofahren, nicht aber “Erziehung”.
Den öffentlichen Institutionen fehlen immer stärker die Ressourcen. Konzepte gäbe es, aber das Geld fehlt. Aber gerade Familien, die am sozialen Abgrund stehen, haben ebenso keine Ressourcen die vielen Angebote, die es für sozial besser gestellte Familien gibt, zu nutzen. Sie sind in ihrer individuellen Situation oft massiv eingeschränkt, und das auf mehreren Ebenen. Es bestehen oft keine ausreichenden finanziellen Mittel, um Zugang zu Angeboten zu bekommen. Und gerade sozial schwache Familien haben oft  eine große Hemmschwelle, sich Unterstützung zu holen und auch Probleme dabei, einzuschätzen, was sie wirklich brauchen. Es herrscht oft ein hohes Maß an sozialer Angst, sich neuerlich zu stigmatisieren und der Wunsch, wenigstens bei der Kindererziehung zu zeigen, allein zurecht zu kommen.

Grundlegender Wandel notwendig

Um Eltern und Bezugspersonen in der Erziehung von Kindern wirklich unterstützen zu können, bedarf es eines "Gesamtumdenkens". Sich helfen lassen steht im Widerspruch zur Ideologie der Ellenbogengesellschaft. Es braucht flächendeckende und gemeindenahe, pädagogisch fundierte Angebote, wo klar ist: "Ich kann dorthin, dort wird mir geholfen. Ich komme nicht auf die Idee mich schämen zu müssen. Ich werde als Mensch angenommen, ich gehe gern dorthin, weil das gibt mir Energie, Lust und Freude, und meinem Kind tuts auch gut."
Kindererziehung ist eine gesellschaftliche Aufgabe - dann können individuell problematische Situationen in der Erziehung besser abgefangen werden. Dann gibt es auch Raum für die schönen Momente, sodass sich die Beziehung zum Kind insgesamt entspannen könnte, und Gewalt der Boden entzogen wäre.

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