Italien: „Wir zahlen nicht für die Krise“

Gespräch mit Christel Dicembre. Die Fragen stellte Linda Schütz

Im Herbst rollte eine Protestwelle durch Italien. Worum ging es?

Die Bewegung richtete sich gegen die Reform des Bildungssystems, die unter anderem Kürzungen von acht Milliarden Euro vorsieht. Damit droht die Vernichtung von über 140.000 Arbeitsplätzen. Ein wichtiger Aspekt der Verordnung ist die Umwandlung von Hochschulen in Stiftungen, deren Verwaltungsräte Banken und Unternehmen offen stehen. Als dieser weitgehende Schritt zur Privatisierung der öffentlichen Bildung bekannt wurde, gingen Tausende von Lehrern, Schülern und Studierenden auf die Straße. Der Slogan „Wir zahlen nicht für die Krise“ war bald in allen Städten Italiens zu hören.

Was wurde durch die Bewegung erreicht?

Leider konnte die Reform nicht gestoppt werden. Allerdings konnte die ebenfalls geplante Abschaffung der Ganztagsschulen in der vorgesehenen Form verhindert werden. Zugestanden wurde auch, dass von fünf Stellen in der Forschung, die frei werden, zwei – statt wie geplant eine Stelle – neu besetzt werden.

Dass die Reform nicht vom Tisch gefegt wurde, lag vor allem an den fehlenden klaren Zielen der Bewegung. Viele Studentenaktivisten machten völlig abstrakte Vorschläge. Außerdem waren auf Versammlungen Abstimmungen tabu; das hatte zur Folge, dass die Leiter der Versammlungen letztlich viel über die Köpfe der Teilnehmer hinweg entscheiden konnten. Es gab auf nationaler Ebene auch kein demokratisch gewähltes Koordinierungskomitee.

Trotzdem war die Mobilisierung von Tausenden von jungen Menschen ein wichtiger Schritt nach vorn. Viele kamen zum ersten Mal in Konflikt mit der etablierten Politik, stellten politische Fragen und suchten nach Alternativen.

Was tut sich aktuell in Italien?

Es haben im Zuge der Krise bereits Zehntausende, vor allem prekär Beschäftigte, ihren Arbeitsplatz verloren. Immer mehr landen bei Kurzarbeit.

Mittlerweile erleben wir eine Zunahme an Gegenwehr. Der Druck der Basis zwang die CGIL, Italiens größte Gewerkschaft, am 12. Dezember letzten Jahres zu einem Generalstreik aufzurufen. Am 13. Februar nun brachte ein Streik der Metallarbeiter gemeinsam mit Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes 700.000 Menschen auf die Straße. Für den 4. April ist ein Generalstreik geplant.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass auch die Proteste an den Schulen und Unis wieder aufleben. Eine Verbindung der Proteste an den Schulen, Unis und den Betrieben mit klaren politischen Forderungen könnte eine Bewegung lostreten, die in der Lage wäre, die Grundlage für einen echten Wandel in der Gesellschaft zu legen.

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