Iran: Neue Massenaufstände gegen das Regime

von Sarah Mo, Wien

Nachdem das iranische Regime in der Nacht vom 15.November einen Anstieg der Benzinpreise um 50 – 300% und zugleich eine Rationierung vom Treibstoff ankündigte, gingen spontan überall im Land massenhaft Menschen auf die Straße. Seitdem eskalieren die Proteste immer stärker.

Die Polizei und der paramilitärische Arm der Revolutionsgarden (Basiji) reagierten so schnell und brutal wie nie zuvor. Sie eröffneten unmittelbar nach dem Ausbruch der Proteste das Feuer auf die Demonstrant*innen. Die Menschen blockieren Straßen und Autobahnen, zündeten Banken und Tankstellen, aber auch religiöse Schulen und Institutionen an. Infolge der massiven Angriffe und Repressionen durch die Polizei wurden auch Polizeistationen von den Massen gestürmt. Mittlerweile wurden mehr als 1.000 Demonstrant*innen festgenommen, mindestens 50 schon getötet. Dennoch bleibt der heroische Kampf der iranischen Arbeiterklasse ungebremst, die Proteste weiten sich immer weiter aus.

Obwohl das Regime schon während des zweiten Tages die Internetverbindung weitgehend deaktivierte, um die Kommunikation und Koordination der Demonstrant*innen zu blockieren und es dadurch immer noch sehr schwer ist, verlässliche Informationen zu erlangen, kann man in jedem Fall davon ausgehen, dass die Proteste sich in über 100 Städte ausgeweitet haben; nicht nur in den großen Zentren wie Teheran, Mashad, Isfahan und Shiraz, sondern auch in die ländlichen Regionen und Provinzen.

Auch die hohe Beteiligung unterdrückter Minderheiten ist bezeichnend, so wie in den kurdischen Regionen, aber auch in Lorestan, Azerbaijan und Khuzestan etc. Dieses Mal gibt es keine Kluft zwischen den großen Städten und den Provinzen, die Proteste weiten sich in alle Richtungen aus.

Der Benzinpreis hat einen sehr großen Effekt auf den Lebensstandard im Iran. Den Menschen ist bewusst, dass diese Erhöhung Preiserhöhungen in allen anderen Bereichen zur Folge haben wird. Die Inflation liegt jetzt schon bei 40%. Die Regierung behauptet, der Schritt würde Geld einnehmen, um der Bevölkerung zu helfen, „vor allem denen, die wirtschaftlich zu leiden haben“ und dass 70% der Bevölkerung spezielle „monatliche Boni“ erhalten würden, um die Preiserhöhung auszugleichen. Aber diese leeren Versprechen interessieren niemanden mehr – es sind genau diese Iraner*innen mit niedrigem und mittlerem Einkommen, die unter der aktuellen Währungs- und Wirtschaftskrise am meisten zu leiden haben. Seit der neuen US-Sanktionen 2018 ist die Wirtschaft um fast 10% geschrumpft.

Am Sonntag blieben nicht nur Schulen und Universitäten in einigen Städten geschlossen, sondern auch der Bazar in Teheran beteiligte sich an Streikaktionen – ein historisches Zentrum revolutionärer Erhebungen. Schon seit dem 4.November, vor dem Ausbruch der Proteste, sind Arbeiter*innen der Zuckerfabrik Haft-Tappeh, wo in den letzten Jahren große Kämpfe gegen die Privatisierung und für die Auszahlung ausstehender Gehälter stattgefunden haben, erneut im Streik. Stahlarbeiter*innen in Ahwas, die auch dafür bekannt sind, radikale Arbeitskämpfe zu organisieren, sind auch in den Protesten involviert. Einzelne Rathäuser wurden schon gestürmt und auch wenn die Informationen noch nicht vollständig gesichert sind, ist in sozialen Netzwerken die Rede davon, dass Teile der Stadt Fardis und anderer umliegender Städte in der Provinz Alborz in der unmittelbaren Umgebung von Tehran, ebenso wie der Süden von Shiraz unter der Kontrolle der Demonstrant*innen seien.

Diese Proteste sind der Ausdruck der tiefen politischen und ökonomische Krise des Landes, zum Teil durch die Auswirkungen der US-Sanktionen und befeuert durch den Ausbruch von Massenprotesten in umliegenden Ländern wie Irak, Libanon und Ägypten, welche das Regime zunehmend unter Druck setzen.

Nach der letzten Welle von Protesten 2017/18, ausgelöst durch verschiedene wirtschaftliche Verschlechterungen und Preiserhöhungen wurde klar, dass keine Ruhe mehr einkehren wird. Nach dieser Welle hat nun das Regime entschieden, Repressionen zu verstärken. General Soleimani, Generalmajor der Revolutionsgarden, prahlte schon letzte Woche, dass „wir im Iran wissen, wie man mit Protesten umzugehen hat“. Aber diese neue, unvermeidliche Welle des Widerstandes gegen das Regime konnte angesichts der tiefen Krise des Staates auch durch härtere Repressionen nicht aufgehalten werden. Die Wut richtet in erster Linie gegen die Mullahs und Präsident Ruhani, aber auch gegen den US-Imperialismus. Viele Menschen verstehen, dass die US-Sanktionen die ökonomische Lage verschlimmern. Doch das iranische Regime versucht auch selbst genau daran anzuknüpfen und die USA für die Krise verantwortlich zu machen. Khamenei bezeichnete die Demonstrant*innen als „Schläger“ und beschuldigte „Konterrevolutionäre und ausländische Feinde des Iran“, was später vom Außenministerium, das die USA für die Unterstützung einer „Gruppe von Randalierern“ verantwortlich machte, wiederholt wurde.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich die Massenaufstände in der Region auch auf den Iran ausbreiten würden. Der Iran spielt eine zentrale Rolle als Regionalmacht, auch bei der Entwicklung revolutionärer Aufstände. Eine Massenbewegung im Iran gegen das Regime wäre ein Kampf in der Höhle des Löwen. Die Instabilität des Mullah-Regimes und die Wut und der Kampfgeist der iranischen Arbeiterklasse und Jugend, der jetzt wieder ausbricht, können zu einem entscheidenden Hebel für die Entwicklung revolutionärer Massenaufstände in der Region werden.

Es gab schon erste Solidaritätsbotschaften von irakischen Demonstrant*innen an die Protestierenden im Iran. In einer Botschaft vom Al-Tahrir-Platz heißt es: „Es ist für uns von entscheidender Bedeutung, dass ihr euch der Tatsache bewusst seid, dass wir Iraker eine echte Liebe zu euch empfinden. Unser Problem ist das iranische sektiererische Regime, das alle korrupten Politiker, Kriminellen und Mörder in unserer derzeitigen Regierung unterstützt. Unser Ehrgeiz und einziges Ziel ist es, unsere korrupten Herrscher loszuwerden, und wir freuen uns auf starke und stabile Verbindungen zu unseren iranischen Nachbarn, die eine gerechte und zivilisierte Regierung verdienen. Es lebe das Volk“.

Es ist von größter Bedeutung, diese Art der internationalen Solidarität aller Unterdrückten in der Region zu intensivieren, um nationale, religiöse und ethnische Gräben zu überwinden. Was 2009 und 2017/18 notwendig gewesen wäre, nämlich den Kampf von der Straße in massenhafte Streiks zu verwandeln – bis hin zu einem Generalstreik, Fabriken und Städte zu übernehmen und damit das Regime zu stürzen, ist heute notwendiger denn je.

Dabei darf es kein Vertrauen in den US-Imperialismus geben – der jetzt wieder heuchlerisch von Solidarität spricht, aber kein Interesse an der tatsächlichen Befreiung der iranischen Arbeiterklasse hat. Ein von den USA beeinflusster „Regime-Change“, wie im Irak demonstriert, unter kapitalistischen Bedingungen und unter dem Einfluss des US-Imperialismus wird dem Iran keinen Frieden, keine wirtschaftliche Stabilität und keine politische Freiheit bringen. 

Auch eine Rückkehr zu monarchistischen Ideen bietet keinen Ausweg. Die Anhänger der alten Schah-Monarchie sehen nun wieder einmal die Möglichkeit, an dem Zorn der Massen gegen die Mullahs anzuknüpfen. Diese Tendenzen, ebenso wie Nationalismus, können zurückgedrängt werden, indem auf den starken Traditionen der Arbeiterbewegung im Iran aufgebaut wird und die Arbeiterklasse aus eigener Kraft wirtschaftliche und politische Kontrolle über das Land erlangt. Dabei muss sie dafür kämpfen, die natürlichen Ressourcen des Landes zu übernehmen, sie als Teil einer demokratisch geplanten Wirtschaft zu nutzen, um den Lebensstandard aller Arbeiter*innen und Armen zu sichern, die Rechte der nationalen Minderheiten zu garantieren und eine demokratische sozialistische Gesellschaft zu etablieren, die als Leuchtturm für revolutionäre Bewegungen in der gesamten Region dienen kann.

Es ist natürlich schwer einzuschätzen, wie sich die Situation in den kommenden Tagen und Wochen entwickeln wird, wie weit die Repressionen reichen werden und ob es zu einer zunehmenden Koordinierung und Zentralisation der Proteste kommen wird. Aber im Moment gibt es allen Grund zur Annahme, dass sich die Situation nicht beruhigen wird und dass eine neue Phase revolutionärer Massenaufstände bevorsteht.