Sa 01.07.2000
In den letzten Wochen startete die blauschwarze Regierung eine Hetzkampagne gegen die “Privilegien” der ÖBB-Bediensteten. Damit sollte nur von den Angriffen gegen das Pensionssystem und den Sozialstaat abgelenkt werden. Fabian Linzberger führte dazu für Vorwärts ein Interview mit Theo Schneider, GLB-Vertrauensperson im Zentralverschiebebahnhof Wien.
Vorwärts: In den Medien ist immer wieder die Rede von den privilegierten EisenbahnerInnen, die trotz gleicher Arbeit viel früher in Pension gehen dürfen. Wie sieht da die Realität aus?
Theo Schneider: Das entscheidende ist, dass zum Antritt der Pension 35 Dienstjahre vorliegen müssen, wobei Zeiten davor nicht angerechnet werden. Kommt jemand also mit 25 Jahren zur Bahn, geht er mit 60 in Pension. Seit 1997 bezahlen die Eisenbahner um 4% mehr Pensionsbeitrag als ASVG-Versicherte. Bei einem Bruttogehalt von 20.000 ATS monatlich, zahlt ein Eisenbahner also in 35 Jahren sogar um 10.000,- Schilling mehr als ein ASVG-Versicherter in 48 Jahren, auch wenn er kürzer arbeitet. Darüber hinaus werden inzwischen sowieso alle, die neu aufgenommen werden, nach dem ASVG eingestellt.
V: Bereits 1997 kam es zu Kürzungen bei den ÖBB-Bediensteten. Was war die Folge?
TS: Damals wurden Durchrechnungszeiträume eingeführt, die einen Abschlag von bis zu 7% bedeuten können, die zu den 4% Pensionssicherungsbeitrag noch hinzukommen. Dadurch verliert jeder Eisenbahner einige Tausend Schilling Pension. Darüber hinaus werden nur 10% der Überstunden für die Pension eingerechnet und es gibt keine Abfertigung.
V: Aus welchen Arbeitsbereichen setzt sich das Personal zusammen, und wie sieht der Arbeitsalltag für die Beschäftigten aus?
TS: Grundsätzlich gibt es bei den ÖBB auf der einen Seite Turnusbedienstete, die in Schichten von 6 Uhr früh bis 6 Uhr abends, bzw. von 6 Uhr abends bis 6 Uhr früh arbeiten, wobei auf großen Bahnhöfen wegen des Güteraufkommens oft nicht einmal mehr Klopausen möglich sind. Auf kleineren Strecken sind sogar 16 Stunden-Tage möglich, wobei der Dienst dann aber etwas anders eingeteilt ist. Auf der anderen Seite gibt es die Bediensteten der Sondereinsatzgruppe S, wie mich, mit Rufbereitschaft. Das heißt, dass wir zwar nur achteinhalb Stunden normalen Dienst haben, aber die ganze Nacht abrufbereit sind. Wenn wir dann in der Nacht Dienst haben, müssen wir am nächsten Tag dennoch wieder ab 7 Uhr früh normalen Dienst leisten. Das bedeutet, dass wir bei den ÖBB als einzige einen de facto 16 Stunden Tag in der Dienstordnung haben, was immer wieder verschwiegen wird.
V: Wie sieht es im Bezug auf Belastungen durch Überstunden, Personalmangel und Krankenstände aus?
TS: Vor allem am Zentralverschubbahnhof leiden die Verschieber, Kuppler, usw. an Personalmangel. Dort gibt es Kollegen mit bis zu 1000 Überstunden, die bis zu 300 Tagen alten Urlaub gut haben und nicht abbauen können. Es geht sogar soweit, dass manchmal Kollegen nach dem Nachtdienst nach Hause fahren und dann wieder zurückbestellt werden, wenn jemand ausfällt. Die Belastungen sind da so groß, dass dieser Dienst auf längere Sicht sicher gesundheitsschädlich ist.
Wenn wir beim Sicherungsdienst Überstunden machen, dann wird entweder der nächste Dienst um 3 Stunden nach hinten verschoben, oder man muss es in der selben Woche durch Zeitausgleich ausgleichen. Das bedeutet, dass die Überstunden gekürzt werden und man die Dienstzulagen verliert. Wenn man also abends länger bleibt, was eigentlich ja den ÖBB nützt, und dann am nächsten Tag zuhause bleibt, dann werden als Ausgleich die Dienstzulagen gestrichen.
V: Du selbst arbeitest im signaltechnischen Dienst. Fallen Dir Beispiele aus deinem Alltag ein, die eine außergewöhnliche Pensionsregelung rechtfertigen?
TS: Wir haben, wie gesagt, durch die Rufbereitschaft bis zu 16 Stunden Arbeitszeit und nur 6 Stunden Mindestruhezeit pro Tag. Eigentlich ist die Regelung im EU-Raum anders: Für Siemens ist beispielsweise ein 10 Stunden-Tag und 11 Stunden Mindestruhezeit vorgeschrieben. Wenn wir bei der ÖBB so arbeiten würden, würde die Eisenbahn überhaupt nicht mehr fahren. Diese enorme Arbeitsbelastung, die von der Regierung verschwiegen wird, ist der Grund dafür, warum wir Eisenbahner uns gegen weitere Verschlechterungen so vehement wehren.
V: Von Seiten der FPÖ kam der Vorschlag, das Pensionsantrittsalter nur für die in der Verwaltung Beschäftigten zu erhöhen. Was würde das für die Solidarität unter den Angestellten bedeuten?
TS: Wir dürfen uns von der Regierung keinen Keil hineintreiben lassen. Tatsache ist, dass bei den ÖBB weniger als 20% in der Sonderdienstplangruppe S mit 8,5 Stunden arbeiten. Viele dieser Kollegen sind aber erst nach bis zu 30 Jahren Turnusdienst in die Verwaltung gewechselt und würden so doppelt bestraft: durch die Durchrechnungszeiträume weniger Pension und trotzdem erst mit 65 in den Ruhestand.
V: Wie war die Stimmung beim Warnstreik im Rahmen des ÖGB-Aktionstages und wie ist sie im Bezug auf weitere Kampfmaßnahmen?
TS: Es gab viele Kollegen, die gehofft haben, dass endlich einmal etwas passiert und dass man etwas in Bewegung bringen kann. Dieser Warnstreik, der in Wirklichkeit ja nur ein Bummelstreik war, hat sicher weniger gebracht, als sich einige erhofft haben. Der Großteil der Kollegen ist sicher für weitere Kampfmaßnahmen. Wir als Eisenbahner würden uns sehr wohl erwarten, dass weitere Aktionen bis zum Generalstreik folgen, aber wie es momentan aussieht, ist das nicht möglich, weil der ÖGB dafür zu entscheidungsschwach ist.
V: Wird es demnächst weitere Streiks bei der ÖBB geben?
TS: Bei den Eisenbahnern wird es jetzt als erstes die Klage beim Verfassungsgerichtshof geben. Wir vom GLB hoffen natürlich, dass Kampfmaßnahmen nicht vom Tisch sind, aber 82% unserer Gewerkschaft sind von der FSG (SPÖ-Gewerkschaftsfraktion) und da wird es schwer sein Druck auszuüben.